Lateinamerikanische Bilanz nach vierzig Jahren AdveniatBewährte Solidarität

Seit vierzig Jahren besteht die Bischöfliche Aktion Adveniat zur Unterstützung der Kirche in Lateinamerika und der Karibik. Bei der Mitte Mai in Caracas (Venezuela) abgehaltenen Versammlung des CELAM wurde das Jubiläum mit Bischöfen aus allen Ländern Lateinamerikas gefeiert. Die Hilfe durch Adveniat soll weitergehen, aber es braucht verstärkt Anstrengungen zur Selbstfinanzierung der Kirche auf dem „katholischen Kontinent“.

„Zum heiligen Weihnachtsfest soll in allen Kirchen Deutschlands die Kollekte für die Kirche in Lateinamerika gehalten werden. Wir haben eine Kommission von Bischöfen bestimmt, die in Zusammenarbeit mit der zuständigen päpstlichen Kommission in Rom die Spenden verteilen soll, die ihr zu Weihnachten geben werdet.“ Dieser Aufruf der deutschen Bischöfe, der am Ersten Adventssonntag 1961 in allen Gottesdiensten verlesen wurde, war die Geburtsstunde der Bischöflichen Aktion „Adveniat“, die dieses Jahr ihr vierzigjähriges Jubiläum begehen kann.

Dieser Anlass wurde sinnvollerweise zunächst auf lateinamerikanischem Boden gefeiert, zum Abschluss der 28. Versammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM), die vom 15. bis 18. Mai in der venezolanischen Hauptstadt Caracas tagte. Der CELAM, dem die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen Lateinamerikas und der Karibik sowie jeweils ein weiterer Delegierter pro Konferenz angehören, wurde 1955 ins Leben gerufen und ist somit der älteste kontinentale Zusammenschluss von Bischöfen beziehungsweise Bischofskonferenzen. Vorsitzender ist derzeit der Kolumbianer Jorge Enrique Jiménez Carjaval, Bischof von Zipaquira. Die Deutsche Bischofskonferenz war bei den Feierlichkeiten in Caracas durch ihren Stellvertretenden Vorsitzenden, den Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff, vertreten; dazu kamen der Essener Weihbischof Franz Grave, Vorsitzender der Adveniat-Kommission, und der Kölner Weihbischof Manfred Melzer, der dieser Kommission angehört. Sie nutzten die Gelegenheit auch dazu, um zusammen mit Mitarbeitern von Adveniat und deutschen Journalisten aus der katholischen wie der säkularen Presse verschiedene Adveniat-Projekte in der venezolanischen Hauptstadt und ihrer näheren Umgebung zu besuchen und mit Gemeinden Gottesdienst zu feiern. Die erste Weihnachtskollekte zugunsten der katholischen Kirche Lateinamerikas erbrachte vor vierzig Jahren 23,4 Millionen DM. Derzeit erbringt die Weihnachtskollekte fast 100 Millionen gegenüber 120 Millionen Anfang der neunziger Jahre; der Rückgang bei der Kollekte konnte bisher durch Einzelspenden oder zweckgebundene Spenden für Adveniat weitgehend ausgeglichen werden. Die Jahresabschlussrechnung vom 30. September 2000 wies Gesamtspendeneinnahmen von fast 123 Millionen DM auf; knapp 100 Millionen DM wurden im Haushaltsjahr 1999/2000 als Beihilfen für Projektanträge aus Lateinamerika ausgegeben.

Eine Bilanz von vierzig Jahren Adveniat aus lateinamerikanischer Sicht unternahm in Caracas Kardinal Oscar Andrés Rodriguez Maradiaga, Erzbischof von Tegucigalpa und Vorsitzender der Honduranischen Bischofskonferenz. Rodriguez Maradiaga, beim Konsistorium vom 21. Februar 2001 zusammen mit zehn weiteren Lateinamerikanern ins Kardinalskollegium aufgenommen und zweifellos einer der profiliertesten Kirchenführer des Subkontinents, war früher zunächst Generalsekretär und später auch Präsident des CELAM. Seine Laudatio auf das Hilfswerk der deutschen Katholiken für Lateinamerika hob besonders die Unterstützung durch Adveniat für die Ausbildung von lateinamerikanischem Seelsorgepersonal und für die pastorale Infrastruktur hervor, ebenso die Hilfen für die Arbeit der 22 Bischofskonferenzen wie die des CELAM, der sich ohne Adveniat nicht hätte entwickeln können.

Ein Dankesreigen aus ganz Lateinamerika

Der Kardinal aus Honduras rühmte die Sensibilität von Adveniat für die Belange und Probleme Lateinamerikas und bezeichnete die Bischöfliche Aktion als „Werkzeug der Vorsehung“. Es sei Adveniat hoch anzurechnen, dass es sich trotz der Rückgänge bei den Weihnachtskollekten nicht zurückziehe, sondern die Kirche in Lateinamerika weiterhin unterstütze. Den Ausführungen von Erzbischof Rodriguez folgte ein wahrer Dankesreigen von Konferenzvorsitzenden beziehungsweise CELAM-Delegierten aus allen Teilen des Kontinents, von Mexiko über Costa Rica und Ecuador bis Bolivien, aus Haiti oder der Dominikanischen Republik ebenso wie aus Brasilien, dem mit Abstand größten Land Lateinamerikas, auf das dementsprechend auch die meisten Adveniat-Projekte entfallen (im Haushaltsjahr 1999/2000 waren es 1516 der insgesamt 4386 von Adveniat geförderten Projekte). Den Respekt Adveniats gegenüber der Identität der lateinamerikanischen Kirche hob der Erzbischof von Portoviejo (Ecuador) besonders hervor; sein Kollege aus dem kolumbianischen Medellin gab zu Protokoll, Adveniat habe sich in den schwierigsten Phasen der kirchlichen Entwicklung als treuer Weggefährte erwiesen. Mehrfach wurde der Dank auch ausdrücklich über Adveniat hinaus auf das „großzügige deutsche Volk“ ausgeweitet, das zur Hilfe bereit gewesen sei, obwohl Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst selber in Trümmern gelegen habe (so der Erzbischof von San Jose in Costa Rica).

In seiner Predigt beim Abschlussgottesdienst der CELAM-Versammlung betonte Bischof Jiménez Carjaval als Vorsitzender des Bischofsrats, die deutschen Katholiken hätten ihre lateinamerikanischen Partner als Freunde behandelt und die Zeichen der Solidarität vervielfältigt: „Unsere Bischofssitze, Pfarreien, Seminare, Schulen, kirchlichen Gemeinschaften, Ambulanzen und viele andere kirchliche Einrichtungen konnten die Evangelisierung dank der Hilfe und des Vertrauens von Adveniat voranbringen.“ Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in der Botschaft, die die Vertreter der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen zum Abschluss ihrer Beratungen am Sitz der venezolanischen Bischofskonferenz verabschiedeten: „Adveniat war für unsere Gemeinschaften vierzig Jahre lang eine zweckmäßige und großzügige Hilfe, die es uns ermöglichte, unser pastorales Handeln zu entfalten und weiterzuentwickeln.“

Gelegentlich waren in Caracas auch kritische Töne zu hören, nicht gegenüber Adveniat, wohl aber gegenüber Verhaltensweisen innerhalb der lateinamerikanischen Kirche selber. So ließ ein Bischof im Gespräch am Rande durchblicken, es gebe in Lateinamerika inzwischen da und dort die Mentalität: „Adveniat wird schon bezahlen.“ Ein anderer sprach vom lateinamerikanischen Grundübel eines Paternalismus, der alles Heil von „draußen“ erwarte. Der CELAM-Vorsitzende griff dieses Problem in seiner Predigt zumindest indirekt auf, als er seinen Mitbrüdern den Vorschlag unterbreitete, die kirchliche Solidarität innerhalb des Kontinents zu verstärken. Man solle vom Beispiel der deutschen Hilfe für Lateinamerika lernen und möglichst bald in Lateinamerika selber eine Art „Adveniat“ ins Leben rufen, „um den Kirchen des Kontinents zu helfen, die stärker leiden und um unsere Hände für die Mission ,ad gentes‘ zu öffnen“.

Erwartungen Adveniats an den CELAM beziehungsweise seine Partner in Lateinamerika formulierte in Caracas sein Geschäftsführer Dieter Spelthahn, der an den gesamten Beratungen der Versammlung teilnahm. Auch Spelthahn nahm sich der Defizite bei der kirchlichen Solidarität in Lateinamerika an: Es gebe Diözesen, in denen sich finanziell besser gestellte Gemeinden mehr mit solchen am Stadtrand solidarisieren könnten. Das gelte auch für Diözesen innerhalb eines Landes. Als mögliche Ursache für dieses Manko nannte er das fehlende Vertrauen der Menschen in Lateinamerika in jede Art von Institution; das übertrage sich auch auf kirchliche Einrichtungen. An erster Stelle erwähnte der Adveniat-Geschäftsführer allerdings die Notwendigkeit, in der Kirche Lateinamerikas Wege der Selbstfinanzierung zu suchen. Mit diesem Thema hatte sich die 28. Versammlung des CELAM ausdrücklich befasst, was Spelthahn begrüßte: Adveniat sei bereit, alle Bemühungen in dieser Richtung zu unterstützen, mit logistischer Hilfe und auch mit finanziellen Mitteln, wobei schon jetzt entsprechende Projekte von Adveniat gefördert werden. Die Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz hat kürzlich eine Studie zu Modellen kirchlicher Selbstfinanzierung am Beispiel Chile und Ecuador abgeschlossen.

Kritische Worte zur Lage in Venezuela

In der Botschaft zum Abschluss der Versammlung hat das Thema „Selbstfinanzierung“ keinen Niederschlag gefunden, wohl aber die wirtschaftliche und politische Situation Lateinamerikas zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Von der Schwäche und Verwundbarkeit der lateinamerikanischen Volkswirtschaften ist in der Botschaft ebenso die Rede wie von der Schwäche des inzwischen überall formell wieder etablierten demokratischen Systems: „Mancherorts diskutiert man über die authentische Verwirklichung der repräsentativen Demokratie, die Gerechtigkeit lässt noch in hohem Maß zu wünschen übrig, ebenso die Verwurzelung in den Grundwerten. Wir registrieren in einigen Ländern eine Krise der Regierbarkeit; es fehlt an politischer Führung, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist.“ Die grassierende Gewalt in ihren verschiedenen Erscheinungsformen wird ebenso angesprochen wie die Zunahme offener und verdeckter Arbeitslosigkeit oder die fehlende soziale Absicherung. In Venezuela bot sich der Adveniat-Delegation für die in der Botschaft allgemein angesprochenen Probleme des Kontinents unmissverständlicher Anschauungsunterricht. Das in seinen Staatseinnahmen und seinen Exporten in hohem Maß vom Erdöl abhängige Land zwischen Amazonasbecken und Karibik wird seit 1998 von Präsident Hugo Chavez Frias regiert, der am 15. Dezember 1999 über eine neue Verfassung abstimmen ließ und auf deren Grundlage im Juli 2000 für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt wurde. Chavez hat die „bolivarianische Revolution“ ausgerufen und sieht sich in der Nachfolge von Simon Bolivar, dem Helden des Unabhängigkeitskampfes gegen die spanische Kolonialherrschaft zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, als Kämpfer gegen die herrschenden Oligarchen und das traditionelle Parteienwesen und für die Interessen der Armen im Land. Ideologisch stützt er sich auf ein ziemlich wirres Gemisch von antikapitalistischen und nationalistischen Ideen und pflegt gute Beziehungen besonders zum Cuba Fidel Castros.

Das traditionell enge Verhältnis von Kirche und Staat hat sich in Venezuela seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten massiv verschlechtert, jedenfalls das zwischen der Bischofskonferenz und der Staatsspitze: „Während der Präsident sich als katholisch bezeichnet und behauptet, er unterstütze moralisch und sogar finanziell von der Kirche geförderte oder geleitete Sozial- und Erziehungsprogramme, kritisiert und beschuldigt er in Wahrheit die Führung des Episkopats, begünstigt Spaltungen zwischen manchen Priestern und Laien einerseits und den Bischöfen andererseits, trifft sich nicht mit den Verantwortlichen der Bischofskonferenz.“ Diese kritischen Worte finden sich im Bericht über die kirchliche, wirtschaftliche und politische Lage im Land, den die Venezolanische Bischofskonferenz (wie alle anderen lateinamerikanischen Bischofskonferenzen auch) bei der CELAM-Vollversammlung in Caracas vorlegte. Dieser Text schlug während der Tagung in der venezolanischen Öffentlichkeit hohe Wellen und wurde von Parteigängern des Präsidenten als unzulässige kirchliche Einmischung gegeißelt sowie mit Gegenvorwürfen an die Bischöfe wegen ihrer vermeintlichen Reichtümer und Privilegien beantwortet. Hauptzielscheibe war auch diesmal der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Baltazar Porras Cardozo von Mérida, einer traditionellen katholischen Hochburg und gleichzeitig für das intellektuelle Leben des Landes wichtigen Universitätsstadt im andinen Westen Venezuelas. Er hatte den Bericht für den CELAM zwar nicht verfasst, wie ihm von staatlicher Seite unterstellt wurde. Aber beim Gespräch in seiner Bischofsstadt mit den Journalisten aus der Adveniat-Delegation hielt der nicht nur theologisch hochgebildete Konferenzvorsitzende mit seiner Kritik am neuen Regime nicht zurück: Unter dem Mantel der „Beteiligung“ des Volkes finde unter Präsident Chavez eine Ideologisierung und eine Entwicklung hin zum Autoritarismus statt, werde als Ideal die „wahre Kirche der Revolution“ proklamiert.

Eine Kirche mit Stärken und Schwächen

Als wichtige Herausforderungen für die Kirche in Venezuela nennt der Bericht auf diesem Hintergrund zum einen die Wahrung der „affektiven und effektiven Einheit“ im Blick auf die „tiefen Bedürfnisse und wirklich authentischen Hoffnungen“ des venezolanischen Volkes, zum anderen eine spirituelle, theologisch-pastorale und institutionelle Erneuerung durch das „Venezolanische Plenarkonzil“, dessen erste Sitzungsperiode im November 2000 stattfand. Dabei ging es um die Gemeinschaft innerhalb der Kirche und den kirchlichen Beitrag zur Erneuerung der Gesellschaft. Für die zweite Sitzungsperiode im Juli dieses Jahres sind als Themen die Bildung der Gläubigen, die Familie und die Rolle der Laien in der Kirche vorgesehen. Ein deutscher Kenner der Situation im Land gab bei einer Begegnung mit der Adveniat-Delegation zu Protokoll, das Volk in Venezuela sei zwar religiös, die Kirche aber institutionell und in ihrer gesellschaftlichen Präsenz schwach. Auch wer sich nur ein paar Tage im Land beziehungsweise seiner Hauptstadt aufhält, kann sich davon ein Bild machen: Man kommt in Pfarreien, auf deren Territorium 100000 oder auch mehr Menschen wohnen (Zahlen sind im endlosen Siedlungsbrei von Caracas ohnehin Glückssache), in eine Stadt wie Los Teques, wo nach Angaben von Seelsorgern auf eine katholische Kirche sieben „Tempel“ der verschiedensten Sekten kommen. Eine entscheidende Schwäche der katholischen Kirche in Venezuela wie auch sonst in weiten Teilen Lateinamerikas ist sicher die Unterversorgung mit Priestern. In der Erzdiözese Caracas mit ihren 3,7 Millionen Katholiken sind nur 120 Weltpriester tätig (dazu kommen allerdings 282 Ordenspriester). Auch der Priesternachwuchs ist alles andere als üppig. Caracas zählt derzeit 39 Seminaristen; in der wesentlich kleineren Erzdiözese Mérida in der kirchlich aktiveren Andenregion sind es immerhin 51. Im Gespräch mit künftigen Priestern im interdiözesanen Seminar „Santa Rosa de Lima“ in Caracas kristallisieren sich rasch Probleme heraus, die man auch aus dem westlichen Europa kennt: Sie berichten von Unverständnis ihrer Altersgenossen für ihre Entscheidung, haben sich vielfach erst nach einem anderen Studium oder einer Berufsausbildung auf den Weg zum Priestertum gemacht, machen sich keine Illusionen über die religiösen und sozialen Herausforderungen, die sie in ihrem pastoralen Dienst erwarten. In Mérida engagieren sich die Seminaristen teilweise als Tutoren in theologischpastoralen Fernstudiengängen, die das entsprechende Zentrum des Erzbistums organisiert.

Den partnerschaftlichen Austausch weiterentwickeln

Dass Pfarreien und Ordensgemeinschaften trotz aller Schwierigkeiten Beachtliches leisten, auch davon konnte sich die Adveniat-Delegation bei ihrem kurzen Besuch in Venezuela überzeugen. Im Sinn der „pastoral de conjunto“, also einer engen Verbindung von pastoraler und sozialer Arbeit, treffen sich in einem Pfarrzentrum Gruppen zur Katechese wie zur Berufsvorbereitung, gehört die Hinführung von Kindern (und Eltern) zur Erstkommunion oder Firmung ebenso zum Standardprogramm wie der Computerkurs, kümmert sich die Kirche um die medizinische Versorgung durch kleine Ambulanzen und Apotheken wie um die religiöse Weiterbildung. Besonders ins Auge fällt der hohe Anteil, den Ordensschwestern in der pastoralen wie sozialen Arbeit leisten, von der Betreuung misshandelter Frauen bis zur Leitung einer erzbischöflichen Kanzlei oder eines Theologischen Zentrums.

Adveniat-Geschäftsführer Spelthahn erinnerte bei der CELAM-Versammlung daran, dass man bei der Einführung der Weihnachtskollekte für Lateinamerika zunächst der Meinung gewesen sei, es brauche eine solche Spendenaktion nicht länger als fünf, maximal aber zehn Jahre. Vierzig Jahre nach der Gründung von Adveniat sei nicht abzusehen, wie lange man noch weitermachen müsse. Gleichzeitig erwähnte er den fortschreitenden Säkularisierungsprozess in Deutschland, der sich auch auf den Spendenfluss auswirke und mittelfristig dazu führen könne, dass man den Bitten der Geschwisterkirchen in Lateinamerika nicht entsprechen könne. Auf jeden Fall steht Adveniat vor der Herausforderung, angesichts der Konkurrenzsituation zu anderen kirchlichen wie säkularen Hilfswerken und -aktionen in Kirche und Öffentlichkeit deutlich zu machen, warum es gerade ein primär pastoral orientiertes Hilfswerk speziell für die Kirche in Lateinamerika und der Karibik nach wie vor braucht. Schließlich weiß auch der historisch und politisch interessierte Bundesbürger über Lateinamerika, seine Geschichte und Kultur wie seine politisch-soziale und religiöse Gegenwartssituation meist nur recht wenig. Und die Überzeugung, dass zum katholischen Christsein die aktive Solidarität mit der Ortskirche anderer Länder und Kontinente gehört, ist auch unter kirchlich aktiven Katholiken hierzulande heute alles andere als selbstverständlich.

Es ist deshalb unerlässlich, dass Adveniat in seiner Öffentlichkeitsarbeit und bei der Spendenwerbung ein ungeschminktes, ehrliches Bild der Kirche in Lateinamerika mit ihren historischen Hypotheken wie ihren gegenwärtigen sozialen und religiösen Herausforderungen vermittelt. Der beträchtliche Anteil der Lateinamerikaner unter den im Februar 2001 kreierten Kardinälen wurde vom CELAM in der Botschaft des Treffens in Caracas als „unmissverständliches Zeichen“ für das Gewicht der lateinamerikanischen Kirche gewertet, allerdings auch als eine „Auszeichnung, die sich in eine enorme Verantwortung verwandelt“. Diese Verantwortung müssen in allererster Linie die lateinamerikanischen Katholiken, Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien selber wahrnehmen. Gerade im Blick auf die Mitarbeit und entsprechende Schulung von Laien bestehen erhebliche Defizite; das ließ sich auch beim Besuch der Adveniat-Delegation in Venezuela wahrnehmen.

In seiner Dankesrede vor dem CELAM in Caracas nannte Kardinal Rodriguez Maradiaga die Gesamtzahl von 200 000 Projekten, die das deutsche Hilfswerk seit seiner Gründung gefördert habe, mit einer Gesamtsumme von 1,8 Milliarden Dollar. Die meisten Adveniat-Projekte haben ein kleines finanzielles Volumen; so lag die durchschnittliche Fördersumme pro Projekt im Haushaltsjahr 1999/2000 etwas über 21000 DM. Oft handelte und handelt es sich bei solchen Projekten nur um den sprichwörtlichen Tropfen auf dem heißen Stein. Aber aufs Ganze gesehen hat die finanzielle Unterstützung durch Adveniat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Kirche in den verschiedenen Ländern Lateinamerikas und der Karibik ihrer Sendung auf dem Hintergrund massiver demographischer, politischer und sozialer Veränderungen einigermaßen nachkommen konnte. Umso wichtiger dürfte es für die Zukunft sein, im Gespräch zwischen Adveniat beziehungsweise der Kirche in Deutschland und der Kirche Lateinamerikas die richtigen geographischen wie sachlichen Schwerpunkte für die Förderung von Projekten festzulegen und darüber hinaus einen partnerschaftlichen Erfahrungsaustausch zwischen den Ortskirchen hier und dort zu pflegen oder auch verstärkt in Gang zu setzen. Dafür gibt es sowohl auf deutscher wie auf lateinamerikanischer Seite durchaus weiterführende Anregungen und Vorschläge. So könnte ein Netz von Beziehungen weitergeknüpft werden, das sich auch in Zeiten knapperer Kassen und schwieriger kirchlich-religiöser Herausforderungen für Lateinamerika wie für den „alten Kontinent“ bewährt.

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