FriedensethikPolitische Anfragen zum Bischofswort

Anfang Juli veranstaltete Justitia et Pax zu dem im letzten Jahr veröffentlichten Friedenswort der deutschen Bischöfe ein Politisches Fachgespräch. Jörg Lüer, Referent bei der Deutschen Kommission Justitia et Pax, resümiert den Ertrag dieses Experimentes im Dialog von Kirche und Politik.

Nachdem die deutschen Bischöfe Anfang Oktober 2000 ihr Friedenswort der Öffentlichkeit vorgestellt hatten, überraschte die allgemein freundliche Aufnahme (vgl. HK, November 2000, 548 ff.). Kritische Töne waren eher innerkirchlich zu vernehmen, wobei sich auch hier die Zahl der Kritiker in engen Grenzen hielt. Nun ist es zweifelsohne erfreulich, wenn kirchliche Äußerungen auf positive Resonanz in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung stoßen. Dennoch blieben bei näherem Hinsehen Zweifel, ob das Friedenswort wirklich in die gesellschaftlichen Debatten hinein wirke.

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hat im Konzert der kirchlichen Werke und Institutionen die Aufgabe übernommen, den Dialog mit der Politik und der politischen Administration über das Friedenswort zu führen. Dazu veranstaltete sie am Anfang Juli in Berlin ein Politisches Fachgespräch zum Friedenswort. Den Gesprächspartnern aus Politik und Administration sollte Gelegenheit zur ausführlicheren Auseinandersetzung mit dem Friedenswort gegeben werden. Nach einer Einführung in das Bischofswort durch den Vorsitzenden der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Weihbischof Reinhard Marx, und den Hamburger Sozialethiker Thomas Hoppe – beide waren intensiv an der Erarbeitung des Friedenswortes beteiligt – trugen die Staatssekretäre Erich Stather (BMZ) und Walter Kolbow (BMfVg) ihre kritischen Anfragen aus entwicklungs- und verteidigungspolitischer Sicht vor. Für die CDU übernahm Heiner Geißler diese Rolle in außenpolitischer Perspektive. Der Vorsitzende der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Harald Müller, untersuchte das Bischofswort unter friedenswissenschaftlichem Blickwinkel.

Weihbischof Marx betonte noch einmal die zentralen Kernaussagen des Friedenswortes: die Gerechtigkeit als Fundament des Friedens, die Absage an die Vorstellung eines „gerechten Krieges“ und die fundamental gewaltkritische Grundlegung der christlichen Friedensethik. Die Überwindung der Gewalt erfordert eine aufrichtige Auseinandersetzung mit Schuld, Frieden die praktische Solidarität mit den Opfern der Gewalt; und nicht zuletzt sei das Leitbild des Gerechten Friedens auch eine Herausforderung für die Kirche selbst. Sie spricht nicht in der Rolle eines unbeteiligten, überzeitliche Prinzipien einschärfenden Schiedsrichters, sondern aus erfahrungsgesättigter Zeitgenossenschaft, die den Wert ihrer Botschaft erst evident werden lässt. Die gesellschaftlichen Probleme, die zu überwinden sie anmahnt, sind auch in ihr allzu oft schmerzlich präsent. An der Frage des Umgangs mit belasteter Vergangenheit – im deutschen Fall drängt besonders die Zeit des Nationalsozialismus – legte Weihbischof Marx diesen Zusammenhang plastisch dar. Eine selbstkritische Reflexion, die sich vordergründiger Apologetik verweigert, ist für die Schaffung einer politischen Dialogsituation von zentraler Bedeutung. Mit der erkennbaren Bereitschaft, darüber nachzudenken, inwieweit die Kirche selbst verstrickt ist in spezifische Konfliktkonstellationen, wächst auch die Bereitschaft bei den Gesprächspartnern, kirchliche Aussagen als Teil der Konflikt- oder Problemlösung zu bedenken.

Prägekraft und Dynamik der Gewalt

Die konkrete sozialethische Reflexion könne, geht sie von einer sozialwissenschaftlich abgesicherten Problem- und Gegenwartsanalyse aus, wichtige Beiträge zur gesellschaftlichen Debatte leisten. Wie Hoppe zeigte, lässt sich mit dem Leitbild des Gerechten Friedens ein normativer Horizont beschreiben, der als hermeneutische Perspektive einen lösungsorientierten Blick auf das Friedensproblem ermöglicht, ohne in den bestehenden System- und Handlungslogiken verhaftet zu bleiben oder sich der romantischen Schwärmerei verdächtig zu machen. Der entscheidende Fortschritt des Friedenswortes liegt demnach in der Beziehung, die zwischen dem Leitbild des Gerechten Friedens und dem gesellschaftliche Wirklichkeiten bis in die Tiefe prägenden Gewaltproblem hergestellt wird. Der scharfe Blick auf die Prägekraft und Dynamik der Gewalt ruft die Frage nach der Gewaltprävention oder zumindest der entschiedenen Gewalteindämmung in aller Dringlichkeit auf. Die Reduktion des Problems auf die „richtige“ Anwendung der Gewalt bleibt gegenüber der Gewaltproblematik unterkomplex.

Staatssekretär Stather hob aus entwicklungspolitischer Perspektive lobend auf die Zielkonvergenz im Bereich der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung ab. Das Gesamtkonzept der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ sowie das Aktionsprogramm Armutsbekämpfung lägen in der Perspektive des „Gerechten Friedens“. Seine kritischen Anmerkungen bezogen sich nicht auf die systematische Anlage, sondern auf Einzelpunkte wie beispielsweise die unterbewertete Bedeutung der einzelnen Akteure im Konfliktgeschehen, während den strukturellen Fragestellungen viel Raum gewidmet worden sei. Zudem hätte das Hirtenwort den Entwicklungen im Bereich der EU stärker Rechnung tragen sollen. Ausdrücklich ermutigte Stather die Kirche, sich intensiver als im Bischofswort geschehen, in die gesellschaftlichen Debatten um die ökonomische Dimension der Gewaltproblematik einzuschalten.

Während die Ausführungen Stathers den Eindruck erweckten, der im Bischofswort geforderte politische Paradigmenwechsel sei längst in der Politik der Bundesregierung realisiert, zeigte die Diskussion die signifikante Differenz zwischen der deklarierten Absicht zum Politikwechsel und der politischen Realität. Angesichts des verhältnismäßig geringen Stellenwertes der Entwicklungspolitik gerade im Vergleich mit anderen Ressorts, liest man das Bischofswort im BMZ als Unterstützung der eigenen Anliegen, als erklärtes Interesse der Kirche an einem grundlegenden Politikwechsel, nach dem entwicklungspolitischen Fragen aus friedenspolitischen Gründen eine höhere Bedeutung zukommen.

Aus der Ressortperspektive des Verteidigungsministeriums las sich der Text deutlich anders. Staatssekretär Kolbow konstatierte grundsätzliche Übereinstimmung mit dem Leitbild des „Gerechten Friedens“, allerdings im Sinne eines erstrebenswerten Fernziels, zu dessen Erreichen erst eine Reihe konkreter gewaltförmiger Problemstellungen unter anderem mit militärischen Mitteln zu lösen seien.

Gewaltprävention und Friedenssicherung

So monierte Kolbow aus seiner Perspektive folgerichtig, dass die Gewaltprävention und Friedensförderung „unrealistisch“ in den Vordergrund gestellt seien, während der politische Alltag doch ganz andere Probleme im Bereich der Friedenssicherung, nämlich des Aufbaus tauglicher militärischer Instrumente aufwerfe. Diese Aspekte seien im Text entschieden zu kurz gekommen. Eine solcherart betriebene Gewaltprävention bleibe auf lange Sicht Illusion. Zustimmung äußerte Kolbow bei den Themen Wehrpflicht, Innere Führung sowie der im Bischofswort angesprochenen Pflichtenkollision zwischen der Absicht, Gewaltanwendung aus der internationalen Politik zu verbannen, auf der einen Seite und dem Einsatz gegen fremde Willkür und Gewalt auf der anderen. Die Diskussion aber zeigte: Sieht man im Leitbild des „Gerechten Friedens“ nur ein nachgerade poetisches Fernziel, dem die harten Realitäten gegenüberstehen, wird der Anspruch des Wortes verfehlt. Ohne den Vollzug eines Paradigmenwechsels werden sich die zum Ziel des „Gerechten Friedens“ konträren Handlungslogiken nicht durchbrechen lassen. Kolbow räumte dazu ein, die aktuelle Dynamik im Verteidigungsbereich sei derart, dass die Aufgaben der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung in den Hintergrund träten und somit keineswegs die gewünschte Wirkung erzielen könnten. Die Tendenz des Friedenswortes, diese Dynamiken zu befragen, schätzte er als hilfreich und anregend für die weitere friedenspolitische Debatte ein.

Staatsminister Ludger Volmer musste sich kurzfristig entschuldigen lassen, so dass der Part des außenpolitischen Sprechers an Heiner Geißler fiel. Dieser fokussierte seine kritischen Anfragen auf die starke Betonung der UN sowie ihrer regionalen Untergliederungen im Text der Bischöfe. Die UN hätte keineswegs ein geeignetes ethisches Fundament und seien zudem auch nicht in der gebotenen Art und Weise handlungsfähig. Er plädierte daher dafür, NATO und G 8 stärker als friedenspolitische Akteure in den Blick zu nehmen.

Diese pragmatische Positionierung stieß keineswegs auf Zustimmung, da die in ihr zur Geltung kommenden Partikularinteressen dem Ziel einer tragfähigen universalen Rechtsordnung zuwiderlaufen. Die Reichweite dieses Vorschlags blieb umstritten. Kein Dissens hingegen wurde laut, als Geißler eine radikalere Kapitalismuskritik und stärkere Beachtung der Gewalt gegen Frauen anmahnte. Harald Müller (HSFK) positionierte sich mit Blick auf die internationalen Institutionen konträr zu Geißler. Nachdem er betont hatte, welche Schwierigkeiten ihm angesichts des außerordentlich hohen Maßes an persönlicher Zustimmung zum Bischofswort die Aufgabe bereitet habe, kritische Anfragen zu formulieren, plädierte er dafür, die von den USA dominierte NATO stärker als im Text in die Kritik zu stellen. Die USA würden durch ihre unilaterale Politik zunehmend zu einem Faktor der Friedensgefährdung. Insbesondere würden sie durch ihren optionalen Umgang mit UN und Völkerrecht die internationale Rechtsordnung faktisch untergraben. Die Option der Selbstmandatierung der NATO stelle eine Ungerechtigkeit dar, die in mittelfristiger Perspektive zu erheblichen Gegenreaktionen im internationalen System führen müsse. Die Äußerungen im Bischofswort zeigten wohl, dass den Bischöfen diese Problematik bekannt sei. Aber angesichts der Bedeutung des Problems seien sie zu vornehm. Müller merkte an, dass der Text die spezifischen Gefährdungen, die von demokratischen Staaten ausgehen könnten, unterbestimmt ließe.

Summiert man die Debatten des Fachgesprächs, so lässt sich als Fazit ziehen, dass ein hoher Bedarf an orientierenden Debatten zum Friedensproblem existiert. Den sich verschärfenden Fragestellungen von internationaler Gerechtigkeit und Stabilität stehen nur wenig klare und problematische Politikkonzepte gegenüber, wie diesen Herausforderungen zu begegnen ist. Das Bischofswort „Gerechter Friede“ stellt in diesem Zusammenhang eine wichtige Herausforderung für den „faulen Diskursfrieden“ dar, in dem mittel- und langfristige Fragestellungen wie etwa das Friedensproblem allzu nachrangig diskutiert werden.

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