Ein Gespräch mit Raimon Panikkar über den interreligiösen Dialog„Vom Herzen her sprechen“

Raimon Panikkar ist – schon von seiner Herkunft – ein Grenzgänger zwischen den Religionen. Als katholischer Priester, Theologe und Philosoph auf unterschiedlichen Ebenen im interreligiösen Dialog engagiert, ist ihm dieser zum Lebensthema geworden. Wir sprachen mit ihm über seine Erfahrungen. Die Fragen stellte Stefan Orth.

HK: Herr Professor Panikkar, Sie selbst haben Ihren Lebensweg mehrfach zusammengefasst: „Ich bin als Christ gegangen, ich habe mich als Hindu gefunden und ich kehre als Buddhist zurück, ohne jedoch aufgehört zu haben, ein Christ zu sein.“ Wie geht das: Christ, Hinduist und Buddhist auf einmal zu sein?

Panikkar: In der westlichen Welt lassen wir uns in unserem Denken durch das Prinzip des Widerspruchs leiten. Soziologisch heißt dies: Wenn ich einer bestimmten Religion angehöre, kann ich mich nicht zu einer weiteren bekennen. Oder wenn Gott ein Volk auserwählt hat, trifft dies auf die anderen Völker nicht zu. Ich teile diese Denkweise nicht. Mein Standpunkt ist von vornherein ein interkultureller. Religionen sind nicht wie Parteien, bei denen man nur jeweils in einer einzigen Mitglied sein kann. Die Angehörigkeit zu einer Religion ist vielmehr eine Lebenserfahrung, die man später nicht mehr zu leugnen vermag, so wie man beispielsweise seinen deutschen Ursprung nicht einfach verneinen kann, wenn man an dessen Grenzen stößt. Muss ich als Christ alle anderen Religionen verneinen?

HK: Sie sprechen von einem von Beginn an interkulturellen Standpunkt. Wie bedeutsam war es für Ihre intellektuelle Entwicklung, Sohn einer spanischen Katholikin und eines indischen Hindu zu sein?

Panikkar: Ich habe keine doppelte Identität, wie mir gelegentlich unterstellt wird. Aber warum sollte ich mich entscheiden müssen, ob ich für meine Mutter oder für meinen Vater bin? Für die Fragen, mit denen ich mich in meinem Leben beschäftigt habe, hatte meine Herkunft einschneidende Folgen. Ich wurde von Jesuiten erzogen. Dort sagte man mir, dass mein Vater als Heide in die Hölle kommen werde. Für einen Sohn, der seinen Vater liebt und ehrt – und das bedeutet für einen indischen Sohn mehr als hier in Europa –, ist die Behauptung, dass sein Vater verdammt sein wird, nur weil er nicht in die Messe geht, ein existenzielles Problem. Das hat meine theologische und philosophische Neugierde beflügelt und ist mir zur Lebensfrage geworden. Ich bin dann allerdings auf dem Weg zum Priesteramt auf christliche und katholische Traditionen gestoßen, die anderes sagen – und ich meine damit nicht einfach nur kasuistische Unterscheidungen wie die zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche, sondern zum Beispiel die Rede von „der Kirche von Abel an“.

„Ich sehe keine Schwierigkeit, als Christ einer anderen Religion anzugehören“

HK: Was hieß es angesichts dieser in Ihrem Leben angelegten Gegensätze, sich als Hindu zu finden?

Panikkar: Zwar kannte ich den Hinduismus ein wenig durch meinen Vater, insgesamt aber doch eher schlecht. Ich bin dann nach Indien gegangen, und dort habe ich die Tradition meiner Väter besser kennen gelernt. Das war für mich die spannungsgeladene Begegnung von mindestens zwei Kulturen und zwei Welten: Der erste Mensch, der mir in Indien bei der Messe als Ministrant zur Seite stand, war ein muslimischer Freund. Zugleich habe ich entdeckt, dass ich mich in Indien nicht nur einfach zu Hause fühlte, sondern dort wirklich hingehörte. Das hat für mich aber nicht bedeutet, dass ich das Christentum aufgeben wollte. Ich sehe keine Schwierigkeit, als Christ einer anderen Religion anzugehören, solange dies keine Verneinung des christlichen Glaubens bedeutet und es nicht zum Skandal kommt. Ich habe nie aufgehört, katholischer Priester der Kirche zu sein, Priester nach der Ordnung des Melchisedek, wie ich betonen möchte.

HK: Wobei die offizielle Lehre der Kirche, was die Frage eines gleichzeitigen Engagements in mehreren Religionen betrifft, eine andere ist...

Panikkar: Es gibt ein großes Paradox, auf das ein indischer Jesuit der „Indian Theological Association“ aufmerksam gemacht hat: Nach dem heutigen kanonischen Recht können ein Hindu und eine Christin heiraten. Die Kirche erlaubt ihnen, sexuell miteinander zu verkehren. Aber sie verbietet, dass sie zusammen beten, dass die Christin in den Tempel geht und der Hindu am Gottesdienst teilnimmt. Erlaubt man den intimsten Akt der menschlichen Verbindung, weil Gott dabei außen vor bleibt? Schon vom Alten Testament her wäre das eine Blasphemie. Aber warum verwehrt man es den beiden dann, an der sakralen Welt des Anderen teilzunehmen?

HK: Mit welchen Argumenten halten Sie dagegen?

Panikkar: Wirklich tiefe menschliche Kommunikation geschieht doch erst da, wo wir von unserem Herzen her sprechen. Genau dann aber geht es auch um die spirituellen Erfahrungen. Bei den ersten Christenkongressen in Indien in der Amtszeit Pauls VI. haben im Übrigen Tausende von Hindus auch die Kommunion erhalten. Sie hatten keine Gewissensbisse. Den Christ, der gegenüber dieser Praxis vorbringt, dass der Hindu das Geheimnis der Eucharistie nicht begreift und er sie deshalb nicht empfangen dürfe, frage ich immer, ob er denn selbst gut genug versteht, was das innerste Mysterium der Kommunion ist.

HK: In Ihrer prägnanten Selbstvorstellung ist schließlich noch vom Buddhismus die Rede. Wie kam diese weitere Weltreligion im Laufe Ihres Lebens ins Spiel?

Panikkar: Rein zufällig. Ich war ein guter Freund eines Inders buddhistischen Glaubens, der ein Übersetzer der alten heiligen Schriften seiner Religion war und später Rektor der neuen buddhistischen Universität in Nalanda geworden ist. Wir trafen uns zwei Mal in der Woche für zwei, drei Stunden. Ich versuchte, ihm die christliche Mystik nahe zu bringen, und er, mir die buddhistische zu erklären. Aufgrund der dadurch gewachsenen Verbundenheit mit den Ideen dieser Kultur hatte ich dann das Gefühl, auch hier initiiert sein zu müssen, um sie noch besser verstehen zu können. Aber diese erfolgte Initiation heißt wiederum nicht, dass ich meine Taufe verneine.

„Ich baue ganz auf den mystischen Leib Christi“

HK: Wie muss man sich das rein lebenspraktisch vom religiösen Vollzug im Alltag her vorstellen, Hinduist, Buddhist und katholischer Priester auf einmal zu sein? Führt das nicht zwangsläufig zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Anforderungen durch die jeweiligen Religionen?

Panikkar: Vom christlichen Standpunkt her kenne und liebe ich die Anderen in und durch Christus. Jesus hat gesagt, dass man die Anderen lieben solle wie sich selbst. Paulus hat gelehrt, dass man allen alles werden muss. Wenn ich den Nächsten wie mich selbst lieben soll und nicht einfach als ein anderes Selbst, heißt das, dass ein Teil seiner selbst mein Selbst ist. Das hängt damit zusammen, dass der Mensch dialogisch veranlagt ist. Wenn der Mensch einfach ein Individuum wäre, fiele auch das ganze Christentum in sich zusammen.

HK: Tatsächlich wird ja auch in der westlichen Welt zunehmend darüber nachgedacht, inwiefern die neuzeitliche Entwicklung vor allem nach der Aufklärung zu einem für jedes Zusammenleben bedrohlichen Individualismus geführt hat. Was kritisieren Sie an einer zu starken Betonung des Individuums?

Panikkar: Der Individualismus ist eine Häresie im klassischen Sinne des Wortes, auch wenn wir uns schwer damit tun, uns von dem individualistischen Standpunkt zu befreien. Wir sind jedoch keine Individuen, sondern Personen, die man sich wie Knoten in einem Netz von Beziehungen vorstellen muss. Deshalb sind für die Zugehörigkeit zu einer Religion Erfahrungen und Erlebnisse zentral. Nachdem ich für diese Überzeugung schon vor Jahrzehnten von einem Kardinal kritisiert worden bin, ist dies jetzt die vorherrschende Meinung unter den indischen Theologen. Ich baue hier ganz auf den mystischen Leib Christi. Für mich ist Ostern die Auferstehung des ganzen Kosmos, nicht nur einzelner Christen und der sichtbaren Kirche. Die Kirche ist ja sacramentum mundi, Mysterium des Kosmos.

HK: Allerdings ist das Gebot der Nächstenliebe im Christentum, auch wenn sie auf den ganzen Kosmos ausgeweitet wird, nicht alles.

Panikkar: Diese Liebe des Nächsten hängt immer mit einer spezifischen Erfahrung des Göttlichen zusammen. In diesem Sinne kommt das Gebot der Gottesliebe von allein zum Gebot der Nächstenliebe hinzu, die auch dem Hindu und dem Buddhisten gilt. Wenn ich den Anderen genügend liebe, werden seine Probleme zu einem Teil meiner Probleme; seine Gewissheiten wie seine Zweifel sind dann auch meine. Dies gilt auch für die Schwierigkeiten des Anderen mit seinem Glauben, die in mir Resonanz finden müssen. Wenn mich die religiösen Probleme der Anderen kalt lassen, ist das ein Symbol für den Antichristen. Der Dialog zwischen Andersgläubigen ist deshalb kein Austausch von Informationen, wie zwei Computer dies leisten können, sondern eine Frage der Liebe zwischen Menschen.

HK: Sie stehen seit langem im intensiven Austausch mit Gläubigen anderer Religionen. Was ist Ihnen in dieser Zeit am schwierigen interreligiösen Dialog besonders wichtig geworden?

Panikkar: Der interreligiöse Dialog ist inzwischen unvermeidlich, und er ist auch in Gang gekommen. Das ist schon sehr viel. Ich spreche im Übrigen nicht so gerne von interreligiösem Dialog, sondern lieber von intrareligiösem Dialog. Der Begriff „interreligiös“ ist ähnlich wie das Wort „multikulturell“ eine mehr soziologische Betrachtungsweise. Niemand aber steht über den Kulturen. Die Ideologie des Multikulturalismus ist vielmehr ein Produkt des Kolonialismus, das eine große Gefahr bedeutet: Wenn jemand sagt, dass er multikulturell sei, wird jeder Andere nur zu einem Teil seiner Welt.

HK: Welche konkreten Erfahrungen haben Sie während der vielen Jahre in diesem intrareligiösen Dialog gemacht?

Panikkar: Anekdoten könnte ich Tausende erzählen. Mein Vorteil – oder auch mein Nachteil – war, dass ich nie wie Paulus vom Pferd gestürzt worden bin und wie er vor Damaskus eine Erleuchtung hatte. Es war mehr ein Wachstum: Zuerst einmal hat sich meine eigene Perspektive erweitert und es mussten Missverständnisse ausgeräumt werden. Zum Beispiel, dass das hinduistische Gesetz vom Karma nicht notwendigerweise den Glauben an die Reinkarnation einschließt oder zum Fatalismus und zu einem Mangel an Freiheit führt. Auch wurde mir immer wichtiger, dass meine Vorstellungen von Gott wirklich nur Vorstellungen sind und sie das Mysterium nicht direkt treffen – ähnlich wie schon das Vierte Laterankonzil sagt, dass beim Beschreiben Gottes die daraus resultierende Unähnlichkeit größer ist als die erreichbare Ähnlichkeit. Schließlich wurde ich von der klassischen hinduistischen Spiritualität angespornt, meinen christlichen Glauben neu zu entdecken. Dies war eine enorme Bereicherung. Von den Upanishaden und Veden, die ich zehn Jahre lang übersetzt habe, habe ich aber zugleich gelernt, dass die Anschauungen über das Göttliche nicht mein Monopol oder dasjenige der Christen sind.

HK: Gibt es denn anderswo die gleiche Offenheit für die jeweils anderen Religionen? Wie groß ist überhaupt das Bewusstsein in den einzelnen Weltreligionen, dass es sie nur im Plural gibt? Ist der Dialog mit den Anderen angesichts von erlebter Intoleranz bis hin zur Verfolgung nicht in erster Linie ein hehrer Wunsch?

Panikkar: Es ist eine Tatsache, dass die monotheistischen Religionen in der Gefahr stehen, intolerant zu sein, weil sie an eine absolute Wahrheit glauben. Geschichtlich gesprochen, ist der Islam wiederum toleranter als das Christentum gewesen. Und es ist ebenfalls eine geschichtliche Tatsache, dass die Buddhisten im Allgemeinen toleranter sind als die Hinduisten. Die Hinduisten haben Anhänger anderer Religionen verfolgt, wie die Konflikte mit dem Jainismus gezeigt haben. Die Shivaiten sind gegen die Vishnuiten und reiben sich manchmal in bestimmten Fragen viel heftiger aneinander, als es die Protestanten und die Katholiken tun. Trotzdem: In Indien beispielsweise gibt es seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden einen intrareligiösen Dialog. Man sieht dies schon daran, dass wir hierzulande immer von Hinduismus sprechen, aber der Hinduismus als solcher im Grunde nicht existiert. Der Begriff ist wie ein Etikett, um einem Bündel von Religionen oder Religiositäten einen gemeinsamen Namen zu geben. Soziologische Annäherungen allein werden uns hier allerdings insgesamt nicht viel weiterhelfen.

„Auch im Projekt Weltethos findet man den Kolonialismus einer Idee des Monokulturellen“

HK: Was ist von dem Vorwurf zu halten, der intrareligiöse Dialog sei vor allem ein Anliegen des westlich ausgerichteten Christentums, das Anhänger anderer Religionen im Grunde gar nicht so sehr interessiert?

Panikkar: Es ist wahr, dass die westliche Kultur heute in der ganzen Welt verbreitet ist. Man fragt mich manchmal, wie ich mir den großen Einfluss der östlichen Religionen und ihrer Spiritualität erkläre. Das wundert mich immer sehr, denn der Einfluss des Westens auf den Osten ist um ein Vielfaches größer. Ganz Indien hat sich in einer ungeheuerlichen Weise verwestlicht, sämtliche Universitäten etwa folgen nur dem westlichen Modell. Das schürt auch bei der intrareligiösen Begegnung Ängste. Ich habe darunter gelitten, dass man mir an der Banaras-Hindu-Universität vorgeworfen hat, ich sei ein geheimer Agent des Vatikans. Erst nach vielen Jahren hat man mir gegenüber diesen Verdacht überhaupt geäußert. Man wollte mir deshalb keinen Lehrstuhl für Vergleichende Religionswissenschaften geben, weil man, so hieß es, auch im Vatikan keinen Hindu als Religionswissenschaftler beschäftigen würde. Nach der westlichen Expansion aus der Notwendigkeit eines intrareligiösen Dialogs eine Tugend zu machen, ist allerdings kein Laster.

HK: Ihre Erfahrung zeigt, dass der intrareligiöse Dialog so harmonisch, wie gelegentlich unterstellt wird, gar nicht ist...

Panikkar: Es ist nicht leicht, miteinander ins Gespräch zu kommen. Nur mit dem Gleichgesinnten zu reden ist kein Dialog. Es ist hingegen schwer, den Feind zu lieben, wie es sehr schwer ist, den Fanatiker zu achten oder dem Fundamentalisten an einer Stelle Recht zu geben. Wenn ich vehement antifundamentalistisch denke, bin ich auch ein Fundamentalist. Und es ist immer ein Problem, die Irritation der Anderen auszuhalten. Als ich in Indien als vatikanischer Spion betrachtet wurde, hat mich das zuerst verletzt. Dann aber habe ich mir gesagt: Du trägst jetzt an den Sünden früherer Christen. Wenn ich im Dialog mit den Hinduisten nicht nur auf Skepsis und Feindschaft gestoßen bin, so deshalb, weil ich schließlich eingestanden habe, dass es früher einen nur so genannten Dialog gab, der auch ein Mittel zur Bekehrung und zur Mission war. Wir tragen mit unserer Geschichte, die immer das individuelle Gedächtnis übersteigt, auch die Last der Sünden unserer Vorfahren.

HK: Welche Fortschritte konnten denn trotz allem im intrareligiösen Dialog erzielt werden? Welche Institutionen sind notwendig, um einen solchen Dialog auch mit einer gewissen Effektivität führen zu können?

Panikkar: Ich gehöre zu den Begründern der „United Religions Initiative“ (URI), die der anglikanische Bischof in San Francisco angestoßen hat. Die Idee ist sehr amerikanisch: Die politischen Mächte haben mit den Vereinten Nationen ein Forum, um sich treffen und miteinander reden zu können. Die Religionen haben so etwas nicht. Dies soll sich mit der Initiative ändern.

HK: Hans Küng versucht mit seinem „Projekt Weltethos“ etwas Ähnliches. Inwieweit gibt es hier eine Konkurrenzsituation?

Panikkar: Ich bin mit Hans Küng befreundet und achte ihn sehr. Am Anfang war ich an seinem Projekt Weltethos auch mitbeteiligt, später habe ich mich aber distanziert, weil ich zu der Überzeugung gekommen bin, dass es sich im Wesentlichen um eine intrakulturelle Angelegenheit handelt, die zudem immer noch der kolonialistischen Mentalität verhaftet ist. Den Kolonialismus einer Idee des Monokulturellen findet man auch im Projekt Weltethos: sowohl in den verwendeten Begriffen als auch in den individualistischen Voraussetzungen. Das kann man durchaus mit der Problematik der Menschenrechte vergleichen, die ohne eine nicht-individualistische Interpretation und die Hinzunahme der Menschenpflichten ein Mittel der Amerikanisierung der Welt bleiben. Pragmatisch gesehen ist das Projekt Weltethos angesichts des heutigen Status quo allerdings sehr nützlich, und unter dieser Voraussetzung unterstütze ich es. Der nächste Schritt muss jedoch sein, dass sich auch die anderen Kulturen noch authentischer äußern können.

HK: Gegenüber solchen Dialoginitiativen auf Weltebene wenden viele Kritiker zudem ein, dass sie nur eine Sache von wenigen Engagierten seien. Wie kann die Begegnung mit Vertretern anderer Religionen in der Breite gelebt werden?

Panikkar: Dialog ist nicht nur eine elitäre Sache. Dialog geschieht dann, wenn ich im Alltag über meinen Glauben rede. Ich offenbare alltäglich mein Selbst, zu dessen Kern meine Seele und meine Religion gehören. Die Gelehrten müssen das vertiefen und einige auch Bücher schreiben, aber es gibt einen unvermeidlichen Dialog des Alltags.

HK: Sie haben davon gesprochen, dass auch das Christentum sich in den anderen Religionen spiegeln solle, um zu seiner eigenen Wahrheit zu kommen. Welche Wahrheit des Christentums gibt es in der Begegnung mit dem Hinduismus und dem Buddhismus erst noch zu entdecken?

Panikkar: Wie viele Tausende von Christen haben den Sinn von Meditation, Gelassenheit und auch Friedfertigkeit in der Begegnung mit den Anderen im Kontakt mit dem Buddhismus oder dem Hinduismus gelernt? Sind sie durch diese Befruchtung schlechte Christen geworden? Sie haben von außen her etwas erhalten, was im Christentum selbst zu finden ist, aber lange nicht entdeckt wurde. Ich brauche den Anderen, um mich selbst zu erkennen. Wenn ich von keiner anderen Religion etwas weiß, werde ich aller Voraussicht nach Fundamentalist oder Fanatiker, weil ich keinen Vergleichspunkt habe. Das führt auf der anderen Seite dazu, dass sich beispielsweise Christen verschiedener Konfessionen im Gespräch mit Dritten selbst besser verstehen und verständigen können, weil sie die Stärken wie auch die blinden Flecken des Eigenen intensiver kennen lernen.

HK: Was bedeutet Ihre Hermeneutik des intrareligiösen Dialogs für die Frage nach Wahrheit? Ist denn alles, was man im Dialog äußert und hört, gleich wahr?

Panikkar: Wenn Jesus auch die Frage nach einer Definition von Wahrheit nicht beantwortet hat, so ist von ihm doch überliefert, dass die Wahrheit uns frei machen werde. Sie ist deshalb – wie die Wirklichkeit als Ganze – nicht wie in den Naturwissenschaften objektivierbar. Der Absolutheitsanspruch, Wahrheit sei immer Wahrheit für alle, überzeugt mich sowohl von der philosophischen wie von der theologischen Perspektive nicht. Wir können die Welt nicht allein mit der Ratio verstehen. Wahrheit ist aber auch nicht einfach subjektiv: Wenn Relativität oder besser Relationalität konstitutiv für die Wirklichkeit ist, so hat dies doch nichts mit Relativismus zu tun, der ein Widerspruch in sich selbst wäre.

HK: Gibt es aber beim intrareligiösen Gespräch auf allen Ebenen nicht auch die Gefahr der Religionsvermischung?

Panikkar: Der heute zum Teil anzutreffende Cocktail der Religionen ist das Merkmal einer herrschenden Epidemie der Oberflächlichkeit in übersättigten Gesellschaften. Einen solchen Eklektizismus kritisieren die vatikanischen Behörden wie auch die protestantischen Kirchen mit Recht. Im Unterschied zu einer Religion à la carte gibt es aber eben auch die gegenseitige Befruchtung der Religionen im Gespräch miteinander.

HK: Gerade über die Regeln, nach denen solche Gespräche zu führen sind, wird immer wieder heftig gestritten. Welche Bedingungen müssen für einen gelingenden intrareligiösen Dialog gegeben sein?

Panikkar: Jede große Tradition, die immer auch eine religiöse ist, bringt ihre eigenen Kriterien der Wahrheit und der Schönheit hervor. Deshalb kann man die eine Tradition mit den Mitteln einer anderen nicht beurteilen und nicht einmal verstehen. Wir sind immer noch sehr von einer monokulturellen Vorstellung der Welt geprägt. Die indologischen Studien der letzten zweihundert Jahre etwa sind alle mit einem westlichen Blick geschrieben. Wichtig für ein wirkliches Verstehen ist demgegenüber eine Hermeneutik der Freundschaft. Zwar war das Konzilsdokument „Nostra Aetate“ das erste Dokument, das positiv über die anderen Religionen geredet hat, aber keiner der Verfasser war beispielsweise mit einem Hindu oder einem Muslim befreundet. Ohne persönliche Freundschaft gelingt der Dialog jedoch nicht.

HK: Ist das aber nicht eine Überforderung, zumindest für die meisten Menschen? Was Sie in Ihrer Biographie idealtypisch verwirklichen konnten, wird nicht jedermann gelingen. Es ist für viele Christen oft schwer genug, ihre eigene Tradition kennen zu lernen. Sind dadurch dem intrareligiösen Dialog nicht Grenzen gesetzt?

Panikkar: Das ganze Christentum ist doch eine Überforderung. Wir können nicht Christen sein, wenn wir uns nicht herausfordern lassen. Grundsätzlich dürfen wir nicht zu gering vom Menschen denken. Die Krise des Christentums im Westen kommt vor allem daher, dass viele Priester guten Willens die christliche Botschaft verbilligt haben. Wir glauben heute nicht mehr an Gott, weil wir nicht mehr an uns selbst glauben und zu wenig Vertrauen in uns selbst haben.

HK: Sie trauen Christen und dem ganzen Christentum damit einiges zu...

Panikkar: Das Christentum ist für mich die Herausforderung des dritten Millenniums. Für fast tausend Jahre hieß Christsein, eine kulturelle Identität zu haben – eben die der Christenheit. Es gab ein christliches Europa, eine christliche Kultur und sogar ein christliches Recht. Niemand bestritt, dass die Kirche das Recht hatte, jemanden in den Kerker zu werfen, wenn er sich nicht der Orthodoxie entsprechend verhielt. Diese christlich-europäische Identität, zu der manche Konservative wieder zurückgehen wollen, ist für die Kirche nicht mehr annehmbar.

„Das Christentum ist selbst so etwas wie eine synkretistische Religion“

HK: Was ist an die Stelle der „Christenheit“ in jenem Sinne getreten?

Panikkar: Da die christliche Identität nicht mehr mit diesem fast totalitären Anspruch vereinbar ist, muss sie sich vor allem auf das Credo und das heißt: auf das Evangelium stützen. Das christliche Credo ist die intellektuelle Formulierung des Glaubens innerhalb einer gewissen Kultur in einer bestimmten Zeit. Wenn ich das in meinem Herzen annehme und bejahe, kann ich mich Christ nennen. Aber auch das Christentum im Sinne einer Summe von Lehrsätzen ist in der Krise. Davon unterscheide ich deshalb die Ebene der Christlichkeit, die mehr auf die mögliche Erfahrung und das religiöse Erleben in der Gegenwart abzielt. Auch heute stiftet Christus direkte Beziehungen zu ihm: Etwa wenn der Mensch von der Bergpredigt hört und sie als Ideal begreift. Ich will dabei gar nicht bestreiten, dass diese Beziehung durch die Kirche vermittelt wird, wie ich auch die Sichtbarkeit der Kirche nicht in Frage stelle. Nur: Das Zweite Vatikanische Konzil versteht unter der Kirche primär die Gemeinschaft der Getauften. Dieser Kreis ist zu eng gezogen, wenn die Rede von der Kirche als sacramentum mundi, als Sakrament für die Welt, keine leeren Worte bedeuten soll.

HK: Was erwarten Sie demgegenüber am Beginn eines neuen Jahrhunderts und Jahrtausends vom Christentum, dessen Krise zumindest in Europa kaum zu leugnen ist?

Panikkar: Die Herausforderung für das Christentum besteht darin, dass es bis jetzt in einer einzigen Kultur zu Hause ist, die aus der Begegnung zwischen hebräischer und griechischer, später auch mittelalterlicher Kultur entstanden ist. Dabei ist das Christentum selbst so etwas wie eine synkretistische Religion. Alle unsere christlichen Feste sind nichtchristlichen Ursprungs. Der Beweis der Vitalität einer Tradition ist Wachstum; Wachstum aber gibt es nur, wenn ich mich nicht abgrenze. Bis jetzt ist das Christentum jedoch eine Sekte, weil man ohne diese konkrete abrahamitisch-griechische Kultur de facto kein gewöhnlicher Christ sein kann. Das ist das Unbehagen der Christen im Allgemeinen und der Katholiken im Besonderen in ganz Asien und auch in Afrika. Das Ende des Kolonialismus ist Geschwätz, solange wir die anderen Kulturen als Folklore betrachten. Ich will keine Schismata: Aber die Christen der drei anderen Viertel der Welt fangen inzwischen an zu entdecken, dass Christi Botschaft solche Grenzen überspringen möchte.

HK: Diese Frage ist schon seit einigen Jahrzehnten brisant. Allerdings hat man das Gefühl, dass das Problem der Inkulturation in der Kirche weiterhin nicht auch nur annähernd gelöst ist. Wo wären Ansatzpunkte dafür?

Panikkar: Ich habe Paul VI. einmal gefragt, ob man spirituell semitisch und intellektuell griechisch sein müsse, um Christ zu sein. Beantwortet hat er die Frage selbst nicht. Er hat aber zustimmend gelächelt und damit gezeigt, dass er das Problem sehr wohl verstanden hat. Wahrscheinlich hat er gemeint, dass er sich in dieser Sache nicht äußern darf. Aber er hat mir dann noch gesagt, dass er sehr froh sei, dass sich andere mit dieser Frage beschäftigen. Die Beantwortung dieser weiterhin offenen Frage ist die Herausforderung dieses neuen Jahrtausends – und nicht, ob Frauen Diakonin werden können oder Priester heiraten dürfen. Natürlich darf man bei der Beschäftigung mit diesem Problem auch nicht die zwanzig Jahrhunderte lange christliche Erfahrung ignorieren. Aber warum soll ein Christ in Indien die ganze Geschichte Israels annehmen müssen?

HK: Ist aber nicht das Alte Testament in einer besonderen Weise konstitutiv für das Christentum, ist nicht der jüdische Glaube die Basis für den Glauben an Christus?

Panikkar: Ich erinnere an das erste Konzil von Jerusalem, das das Wagnis eingegangen ist, die Beschneidung abzuschaffen. Die Beschneidung war nicht nur ein kleiner Schnitt: Sie ist das Ursakrament des jüdischen Volkes mit seinem Gott. Doch die ersten Jünger hatten die Arroganz, sich davon zu lösen, weil sie auf den Heiligen Geist vertrauten. Auch danach musste das Evangelium, das mir sehr viel bedeutet, von den Kulturen immer wieder neu interpretiert werden, ohne dass es eine einzig richtige gab. Wir brauchen ein neues Konzil von Jerusalem.

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