Der Buddhismus Thailands im gesellschaftlichen WandelLand der Mönche

Über 90 Prozent der Einwohner Thailands sind Buddhisten; das buddhistische Mönchtum ist die prägende religiöse Kraft im Land. Aber auch der Buddhismus in Thailand muss sich dem gesellschaftlichen Wandel stellen. Manche Mönche sind durch ihren Lebensstil in die Schlagzeilen geraten, während gleichzeitig Klöster und Mönche versuchen, aus der buddhistischen Überlieferung soziale Reformimpulse zu entwickeln.

Ausländische Besucher, die zum ersten Mal nach Thailand kommen, stoßen an vielen Stellen auf den Buddhismus, wenn sie die Vielzahl buddhistischer Tempel sehen, ihnen in den Morgenstunden die Mönche auf ihrem täglichen Bettelgang begegnen und sie bei der Begegnung mit den Bewohnern eine selbstverständliche Verbundenheit mit Buddha und seiner Lehre feststellen können. Der Theravada-Buddhismus, das heißt der Buddhismus der „Alten Schule“ und Thailand gehören zusammen. Nach der Statistik des Religionsministeriums für das Jahr 1998 lag der Anteil der Buddhisten unter den 63 Millionen Einwohnern des Landes bei 93 Prozent, während 5,25 Prozent Muslime, 1,6 Prozent Christen und 0,04 Prozent Hindus waren. Für die männlichen Jugendlichen in Thailand gehörte es lange zu den überkommenen Bräuchen, zumindest für eine bestimmte Zeit das Leben eines Mönches zu führen. Die Zahl der Jugendlichen, die auch heute noch diesen Schritt tun, hat sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verringert. Dies hat nicht nur mit einer fortschreitenden Säkularisierung des Lebens in Thailand zu tun, sondern spiegelt auch wieder, dass sich die Erziehungsmöglichkeiten für Jugendliche in den säkularen Schulen deutlich verbessert haben, so dass sich die Rolle der Klöster als Orte allgemeiner Erziehung und nicht nur des religiösen Lebens radikal verändert hat. Die Zahl der Jugendlichen, die sich nach einer Zeit als Novizen in einem der Klöster endgültig für den Mönchsberuf entscheiden, ist zwar immer noch verhältnismäßig hoch, doch ist der Anteil der Mönche an der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gesunken. 1927 lag der Anteil der Mönche noch bei 1,7 Prozent, 1998 nur noch bei 0,43 Prozent; es gab 267300 Mönche mit endgültigen Gelübden. In der Öffentlichkeit ist der Buddhismus in den modernen Medien durchaus präsent. Es gibt Mönche, die regelmäßig Beiträge zu Fragen der Religion, der Ethik, der Erziehung und anderen Lebensproblemen für Zeitungen und Zeitschriften schreiben. Im Fernsehen sind Mönche zu sehen, die religiöse Zeremonien abhalten, die Lehre des Buddha auslegen und Menschen in existenziellen Fragen beraten. Besondere Aufmerksamkeit genießen immer noch die Mönchsweihen, wenn junge Thais für mehrere Monate, für ein Jahr oder auch für immer das Mönchgewand anziehen und in den feierlichen Gelübden Zuflucht zum dreifältigen Kleinod des Buddha, des Dhamma (der Lehre) und des Sangha (Ordensstand) nehmen.

Die buddhistischen Klöster spielen immer noch eine wichtige religiöse und gesellschaftliche Rolle, weniger in der Stadt als in den Dörfern auf dem Land. Neben den direkten religiösen Aufgaben als Stätte der Buddhaverehrung, der Meditation und der religiösen Unterweisung dienen die Klöster als Gemeindezentrum, medizinische Versorgungsstelle, Alters- und Armenheim, Rasthäuser und Informationszentren. Bei den meisten privaten und öffentlichen Feiern und Festen sind Teilnahme und Segen der Mönche unerlässlich.

Eine Eigenart des Buddhismus in Thailand besteht darin, dass es zu einer oft überraschenden Symbiose zwischen dem traditionellen Buddhismus der Theravada-Schule und der herkömmlichen Volksreligiosität gekommen ist. So gibt es synkretistische Formen einer Verbindung von orthodoxem buddhistischem Glauben mit den Praktiken thailändischer Volksfrömmigkeit, nach der es gefährlich ist, beispielsweise in der Nähe eines Tempels zu urinieren oder einen Baum zu fällen, ohne zuvor den „Geist“ (auf Thai phi genannt) des jeweiligen Ortes informiert und um Erlaubnis gebeten zu haben. Wer einmal in Thailand gewesen ist, wird sich an die vielen kleinen Geisterhäuser und Tempelchen erinnern, die überall zu finden sind und vor denen täglich Opfer in der Form von Früchten und Weihrauch dargebracht werden.

Verglichen mit den Männern, denen der Zugang zum Sangha offen steht, gibt es parallele Möglichkeiten für Frauen im thailändischen Buddhismus nicht mehr, da die Kette der Nonnenordinationen im Theravada-Buddhismus in Thailand im Laufe der Geschichte unterbrochen worden ist und nach der vom Obersten Sangha-Rat vertretenen Lehrmeinung nicht wieder aufgenommen werden kann. Für Frauen und Mädchen besteht seit einigen Jahren die Möglichkeit, Unterricht in buddhistischen Lehren und Einführung in die Meditationstechniken in Männerklöstern zu erhalten. Das ist aber für viele Frauen zu patriarchalisch und zu wenig auf ihre heutigen Bedürfnisse zugeschnitten. Seit einigen Jahren sind klosterähnliche Einrichtungen entstanden, in denen Frauen in weißen Gewändern, die sich zum Zeichen ihrer Abkehr von der Welt wie die Mönche oder Nonnen in anderen buddhistischen Ländern den Kopf haben rasieren lassen, zusammenleben. In der offiziellen Einschätzung des mönchischen Establishments in Thailand sind sie aber weiterhin nur „Frauen im Laienstand“ (upasikas) und haben nicht den Rang von „ordinierten Nonnen“ (bhikkhunis). Aber sie führen doch ein monastisches Leben, an dem sie Mädchen und Frauen teilhaben lassen, die sie in die Meditation und in andere Formen des religiösen Lebens einführen. Einige dieser Frauen sind in der Erziehung tätig, andere in den Medien oder in sozialen Berufen wie beispielsweise im Einsatz für Aids-Kranke.

Trotz der großen und bleibenden Bedeutung des Buddhismus mehren sich im Lande seit einigen Jahren die Stimmen, die dem thailändischen Buddhismus die Fähigkeit absprechen, auf die Herausforderungen der modernen Zeit die passenden Antworten zu finden. Den führenden Vertretern des Sangha wird vorgeworfen, die Besonderheit des Theravada-Buddhismus als „Lehre der Alten“ dahingehend missverstanden zu haben, dass sie Treue zur Tradition mit Starre und Unbeugsamkeit verwechseln und sich gegen jeden Wandel stemmen. Im thailändischen Theravada lebt die Überzeugung weiter, ausschließlich die Treue zu den Ordensregeln, wie sie durch den Mönchstand weitergegeben und gelebt werden, könne den Fortbestand der Lehre des Buddha sichern. Dabei gilt der Grundsatz, dass in den frühen Schriften, wie sie im Pali-Kanon bewahrt wurden, alles die Lehre des Buddha Betreffende „gut“ und „abschließend“ gesagt worden ist. Damit bleibt für die nachkommenden Generationen nur noch die Arbeit des Kommentierens, aber nicht die des kreativen Weiterentwickelns der überkommenen Lehren.

Alles, was Buddha selber eingerichtet und bestimmt hat, muss beibehalten und darf unter keinen Umständen geändert werden. Während das Bildungsniveau der Bevölkerung kontinuierlich allgemein gestiegen ist, verfügen die meisten Mönche, selbst solche, die führende Stellungen in den Klöstern einnehmen, meist nur über eine sehr bescheidene schulische Ausbildung, die oft nicht weiter als bis zu einem Grundschulabschluss oder einer vierjährigen Schulausbildung reicht.

Kreative Weiterentwicklung der buddhistischen Tradition

In der traditionellen Sicht gilt es als ausgemacht, dass der Buddhismus eine eher weltabgewandte Religion darstellt, der es um die Befreiung des Menschen aus der Verstrickung seines Karma geht und die sich wenig um eine Veränderung der Lebensbedingungen, um soziale Gerechtigkeit und soziales Engagement kümmert. In Thailand war der buddhistische Sangha lange kein Faktor für gesellschaftliche Veränderungen. Doch gibt es seit einigen Jahrzehnten eine starke Gegenbewegung, die in Rückkehr zu den alten Idealen des Buddhismus den Einsatz in der Gesellschaft als Wesensmerkmal der Lehre des Buddha wiederentdeckt und entsprechende praktische Konsequenzen gezogen hat. Dabei ist nicht zu übersehen, dass entscheidende Anstöße, sich auf die ursprüngliche buddhistische Tradition zurückzuerinnern, auf den wachsenden Austausch von Ideen weltweit zurückgehen, bei denen nicht zuletzt christliche Vorstellungen und praktische Beispiele eine große Rolle gespielt haben. In Thailand steht am Beginn der Reformbewegung des Buddhismus Ajahn Buddhadasa Bhikkhu (1906–1993). Er war ein Autodidakt, der zwar die herkömmliche Tradition durchaus kannte, sie aber durch eigenständiges Weiterdenken in neue Bahnen gelenkt hat. Innerhalb des Buddhismus in Thailand galt er wegen seiner reformerischen Ideen eher als ein Außenseiter, um nicht zu sagen „Häretiker“, aber mit seiner großen Ausstrahlungskraft, den vielen Vorträgen und daraus erwachsenen Publikationen hat er eine ganze Generation Intellektueller und an Reformen des Buddhismus interessierter Laien dazu bewegt, sich in der Gesellschaft zu engagieren. In seinem Kloster „Garten der Befreiung“ (Wat Suan Mokh) in Surat Thani hat Buddhadasa versucht, eine buddhistische Form des Sozialismus zu entwickeln, den er „Dhamma Sozialismus“ nannte, um deutlich zu machen, dass die Lehren (Dhamma oder Dharma) des Buddha durchaus soziale, wirtschaftliche und politische Dimensionen haben. Der Sozialismus, den Buddhadasa propagierte, hat wenig oder nichts mit dem kommunistischer Prägung gemein, der vom Klassenkampf als Grundprinzip ausgeht. Gemeint ist mit „Dhammic Socialism“ eine grundsätzliche Einstellung, die das Augenmerk auf Verbundenheit und gegenseitige Abhängigkeit der Menschen untereinander und mit der Natur lenkt, die immer den Vorrang vor den Interessen des Einzelnen haben sollten. Dabei sollen die ethischen Grundsätze des Buddhismus helfen, die Selbstsucht zu zügeln und verhindern, dass andere aus egoistischen Motiven ausgebeutet werden.

Aufgegriffen und umgesetzt wurden die Ideen Buddhadasas von Sulak Sivaraksa (geb. 1933), der in seiner Jugend als Mönch gelebt, aber seine akademische Ausbildung in christlichen Einrichtungen in Thailand und England erhalten hat. Mit seiner Zeitschrift The Social Science Review, die er 1961 gründete, gewann er großen Einfluss auf die Reformbestrebungen innerhalb der Studenten und der Intelligentsia in Thailand. 1973 gehörte Sulak Sivaraksa zu den Mitgründern des Asian Cultural Forum on Development (ACFOD) mit Sitz in Bangkok, das eine Zusammenarbeit von Angehörigen verschiedener Religionen zugunsten einer interreligiösen Entwicklung in die Wege leitete. Im Zuge dieser internationalen Zusammenarbeit wurden buddhistische Mönche aus Thailand zum Studium sozialer Theorie und Praxis beispielsweise nach Sri Lanka geschickt. In Thailand selber besteht seit 1980 die Thailändische Interreligiöse Kommission für Entwicklung, in der sozial engagierte religiöse Menschen, vor allem Buddhisten und Christen, gemeinsame soziale Programme entwickeln und umsetzen. Seit 1985 gibt Sulak Sivaraksa die Zeitschrift Seeds of Peace heraus, die Probleme der Entwicklung aus interreligiöser Sicht behandelt. Wegen seiner reformerischen Ideen wurde er mehrfach von Politikern und Militärs in seinem Land verfolgt, inhaftiert und verurteilt. In der Zusammenarbeit mit anderen Reformbewegungen in Südostasien hat er 1989 zusammen mit dem vietnamesischen Buddhisten Thich Nhat Hanh eine internationale Bewegung von Buddhisten (International Network of Engaged Buddhists) gegründet, die sich in gesellschaftlichen Fragen engagieren wollen. Die fünf ethischen Richtlinien (Pancasila) im Buddhismus – nicht zu töten, nicht zu stehlen, keine sexuellen Verfehlungen zu begehen, nicht zu lügen und nichts Berauschendes zu sich zu nehmen – haben ihrer Auffassung nach alle neben der individuellen auch eine soziale Komponente. In der Meditation gilt es das Gesamt der Wirklichkeit zu erfassen und zu durchdringen, und das schließt neben den Fragen der individuellen Befindlichkeit notwendig auch die Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen in der Gesellschaft ein.

Eine neue Form des Klosterlebens

Soziales Engagement zeigen aber nicht nur die Gruppen, die zum „Reform-Buddhismus“ gezählt werden, sondern auch viele buddhistische Klöster und Einzelpersonen im „Mainstream“. Ein wichtiges Feld ist hier die Betreuung von AIDS-Kranken, deren Zahl in Thailand immer noch stark im Wachsen begriffen ist. Oft angestoßen durch christliche Initiativen haben eine Reihe von buddhistischen Klöstern damit begonnen, AIDS-Kranke aufzunehmen und sie auf ihrem Leidens- und Sterbensweg zu begleiten. Auch an einer anderen Schwachstelle der thailändischen Gesellschaft, der weitverbreiteten Drogensucht, gibt es buddhistische Gruppen, die sich der Drogenabhängigen annehmen und ihnen durch medizinische Behandlung, aber oft auch durch Hinführung zu Formen der Meditation und Spiritualität Wege aus der Abhängigkeit zu zeigen versuchen. Das Thamkrabok Kloster, etwa 140 nördlich von Bangkok gelegen, hat beispielsweise eine eigene Website, in der Drogenabhängige eingeladen werden, die von diesem Kloster auf Heilkräuterbasis entwickelte Form einer Entgiftung zu versuchen, die sich auf buddhistische Glaubensüberzeugung und Prinzipien stützt, aber für Menschen aller Religionsüberzeugungen offen ist. Eine landesweit bekannt gewordene Initiative war der Aufruf des über 80-jährigen Mönches Phra Maha Bua aus einen Kloster in der Provinz Udon Thami, der 1997 auf dem Höhepunkt der Asienkrise die Thais aufgerufen hatte, Geld in ausländischer Währung und Gold zu spenden, um einen Beitrag zu leisten, die ausländischen Schulden des Landes abzutragen. Dieser Aufruf hatte eine erstaunliche Resonanz in allen Schichten der thailändischen Bevölkerung und erbrachte fast 5 Millionen US-Dollar und 1500 kg Gold. Die Aktion zeigte, dass die Bevölkerung immer noch eher einem verehrten buddhistischen Mönch finanzielle Mittel anvertraut als Politikern, die meist als korrupt gelten. Auch andere Klöster haben Initiativen ergriffen, um den durch die Asienkrise in Not geratenen Menschen Unterstützung zukommen zu lassen. Es waren zumeist jene Tempel, die vorher vom wirtschaftlichen Boom am wenigsten profitiert hatten, während die Klöster, die finanziell zu den Gewinnern gehört hatten, sich eher „vornehm“ zurückhielten. Zu den Aktiven gehört der Abt des Klosters Suan Kaewde Nothaburi, Phra Payom Kalayano, der mehrere soziale Einrichtungen betreibt, in denen Arbeitslose Beschäftigung und Auskommen finden können. Andere Klöster haben vor allem auf dem Land Kooperativen aufgebaut, die den Bauern, die alleine kein Auskommen hätten, das Überleben sichern.

Das 1969 gegründete Kloster Wat Phra Dhammakaya in Pathum Thani, nordöstlich von Bangkok gelegen, repräsentiert eine neue Form des buddhistischen Klosterlebens, das wie ein großes Geschäftsunternehmen organisiert ist und religiöse Aktivitäten und Meditationsformen anbietet, welche offensichtlich die religiösen und spirituellen Bedürfnisse der neuen Mittelklasse in Thailand befriedigen. Das Kloster bedient sich aggressiver Werbestrategien, um möglichst viele Gläubige zu Spenden zum Ausbau der Klosteranlagen aufzufordern, die ihnen im Gegenzug, wie die Mönche versprechen, „Schutz gegen alle Gefahren“, „Erfolg im Beruf“, „Gesundheit“ und andere Vorteile einbringen sollen. Dieser Klosterbetrieb, der mehr als 100 000 Gläubige zu seiner Gemeinde zählen soll, verfügt über eine perfekte Organisation, angefangen von weitläufigen Parkplätzen, Gasthäusern und Unterkünften, Meditations- und Gebetshallen, in denen attraktive Angebote an Gottesdiensten und Meditationen angeboten werden. Die 850 Mönche dieses Klosters, die alle einen Universitätsabschluss haben, sprechen die Sprache der Menschen, die in der Megalopolis Bangkok in den Büros, den Banken und Geschäften ihr Geld verdienen.

Die besondere „Dhammakaya-Meditationstechnik“, für die das Kloster bekannt ist, gehört zu den klassischen Meditationsmethoden und ist in besonderer Weise auf die Bedürfnisse des modernen Menschen zugeschnitten. Allerdings entsprechen die Betonung und das Versprechen unmittelbarer spiritueller und psychologisch positiver Wirkungen nicht unbedingt den Idealen des Theravada-Buddhismus, der eher die Erleuchtung, die Erlangung von Weisheit und das Aufhören des Verlangens nach materiellen Gütern als Ziel und Sinn der Meditation nennen würde. Die Faszination des Wat Phra Dhammakaya auf die Gläubigen beruht eher auf Berichten über Wunder und die besondere Kraft der Amulette, die das Kloster anbietet. Im Zusammenhang mit der Asienkrise kamen die Mönche des Wat Phra Dhammakaya wegen ihres Finanzgebarens ins Gerede. Durch die reichlichen Spenden der Gläubigen für den Unterhalt und Ausbau des Klosters verfügten die Mönche über ein erhebliches Vermögen, dessen genaue Höhe wegen der undurchsichtigen Finanzpolitik nicht zu bestimmen war, das sich aber in einer Größe bis zu 500 Millionen US-Dollar bewegen sollte. Der Sangha-Rat hat eine ausführliche Untersuchung des Finanzgebarens des Wat Phra Dhammakaya vorgenommen, aber letztlich von einer Verurteilung abgesehen.

Die Mönche des Wat Phra Dhammakaya stehen beispielhaft für eine allgemeine Entwicklung der buddhistischen Klöster in Thailand, die von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes profitiert haben. Immer höhere Spenden der Gläubigen haben ihnen die Mittel gegeben, die Tempel immer prächtiger auszubauen. Auf die Mönchsdisziplin hatte diese Entwicklung ziemlich negative Auswirkungen. Viele Mönche gewöhnten sich daran, sich von den Wohlhabenden zu Festen und Feiern einladen zu lassen, reiche Sachspenden entgegen zu nehmen und die Gelübde der sexuellen Enthaltsamkeit zu vernachlässigen. In den letzten Jahren häufen sich Skandale, in denen buddhistische Mönche die Hauptrollen spielen.

Das Mönchsleben wird kritischer gesehen

Der Lebensstil einiger herausragender Mönche hat Formen angenommen, die in keiner Weise mit den Mönchsgelübden, aber auch nicht mit normalen buddhistischen Moralvorstellungen zu vereinbaren sind. So gibt es Mönche, die privat mehrere Luxuswagen besitzen, ein sehr freizügiges Sexualleben führen und sich für ihre spirituellen Dienste finanziell exorbitant entlohnen lassen. Landesweites Aufsehen erregte 1994 der Fall des Mönches Phra Yantra Ammarobhikkhu, der mit mehreren Frauen sexuelle Beziehungen unterhalten hatte. Es dauerte über zwei Jahre, bis der Oberste Sangha-Rat diesem sehr bekannten und charismatischen Mönch befehlen konnte, das Mönchgewand abzulegen. Die Vergehen einiger Vertreter des Mönchstandes führten dazu, das in der Öffentlichkeit generell das Leben der Mönche kritischer gesehen wird und ihre einst unangefochtene Stellung zunehmend abgenommen hat. Der Eindruck entstand, dass viele Klöster und Mönche auf Kosten der Gesellschaft leben und nicht oder kaum bereit sind, sich für die Armen und Bedürftigen einzusetzen. Als Beweis für diese kritische Sicht gelten etwa Berichte, dass Klöster die Beerdigungen einfacher Leute verweigert haben sollen, die nicht in der Lage waren, die hohen Gebühren zu erbringen. Ein Programm der Regierung, in dem die Klöster aufgefordert wurden, kostenlose Beerdigungen für mittellose Personen durchzuführen, wurde nur von 21 der 426 Tempel in Bangkok positiv aufgegriffen.

Die Könige des letzten Jahrhunderts bemühten sich in Thailand angesichts der Bedrohung der staatlichen Eigenständigkeit durch den Westen und Japan um den Aufbau eines zentralistischen Staates. Dabei kam dem Buddhismus eine besondere Bedeutung als Ordnungsfaktor zu. Voraussetzung für eine positive Rolle des Sangha war, dass die Ausbildung, das Leben und die mönchische Zucht bestimmten Kriterien genügte, die von der Regierung festgelegt und kontrolliert werden konnten. Eine wichtige Rolle in der Umstrukturierung des mönchischen Lebens in Thailand spielte Prinz Mongkut, der spätere König Rama IV (1851–68), der selber viele Jahre als Mönch gelebt hatte. Seit 1902 wurde von der Staatsbürokratie ein zentrales Ausbildungssystem für die Mönche eingerichtet, bestimmte Anforderungen an Examina vor den Weihen und die Einführung in bestimmte Funktionen innerhalb der Klöster festgelegt, neue Titel und Ehrenzeichen geschaffen. Offiziell sollten alle diese Maßnahmen sicherstellen, dass das ethische und religiöse Leben den Vorschriften der Ordensregeln entsprach, die intellektuelle Ausbildung einen hohen Stand erreichte und das Mönchtum so für das Wohl des Staates fruchtbar wirken konnte. Es wurde ein „Oberster Sangha-Rat“ (Mahâthera samkhom) gebildet, der die Aufgaben der Führung und Kontrolle zentral für alle Mönche wahrnehmen sollte. Über diesen Rat üben der König und die Regierung bestimmte Funktionen aus, so die Ernennung des Patriarchen (sangharâja) als höchste Instanz im thailändischen Buddhismus und die Verleihung bestimmter Grade und Ehrentitel. Das Sekretariat des Obersten Sangha-Rats liegt beim Religionsministerium, das damit einen großen Einfluss auf alle wichtigen Entscheidungen hat. Durch diese Entwicklungen verlor der thailändische Sangha viel von den eigentlich demokratischen Traditionen, wurde zunehmend fremd bestimmt und damit in einer gewissen Weise politisiert. In der Zeit des Kalten Krieges setzte die thailändische Regierung fest auf die buddhistischen Mönche als Bollwerk gegen die Kommunisten und Stützen des Könighauses.

Protest gegen die Trennung von Religion und Staat

Wie die vorausgegangenen Verfassungen hält auch die neue thailändische Verfassung vom 11. Oktober 1997 an einer grundsätzlichen Trennung von Religion und Staat fest. Auch wenn der König laut der Verfassung Buddhist sein muss, wurde der Buddhismus trotz einer massiven Kampagne der buddhistischen Mönche nicht zur Staatsreligion erklärt. Im Jahr 2001 erregte dann die Gesetzesvorlage zur Schaffung eines Ministeriums für „Erziehung, Religion und Kultur“ heftigen Protest seitens der Buddhisten. Nach der Gesetzesvorlage soll ab August 2002 eine „Kommission für Religion und Kultur“ innerhalb des neu geschaffenen Ministeriums für die Belange aller Religionen verantwortlich werden. Gegen diesen Entwurf haben die Mönche protestiert, weil sie befürchten, dass dann Laien über sie bestimmen könnten. Schlimmer noch: Da das vorgesehene Entscheidungskomitee aus Mitgliedern aller in Thailand anerkannten Religionen bestehen soll, würden damit eventuell auch Nicht-Buddhisten in die Belange des Sangha hineinreden können. Es müsse bei dem Grundsatz bleiben: „Mönche sollen Mönche kontrollieren und über Lehrfragen des Buddhismus entscheiden – und niemand sonst!“ Bei Demonstrationen im Sommer 2001 haben buddhistische Organisationen wie die Buddhistische Universität Maha Chulalongkorn, das Zentrum für die Förderung des Buddhismus und das Zentrum zum Schutz des Buddhismus weiterhin gefordert, die Sonderstellung des Buddhismus in Thailand müsse sichergestellt und in allen Schulen der Unterricht in Buddhismus verpflichtend gemacht werden. Der Oberste Sangha-Rat hat vorgeschlagen, ein „Büro für den nationalen Buddhismus“ zu schaffen, das nicht länger dem Ministerium für Erziehung, Religion und Kultur unterstellt sein würde und alle Belange, die den Buddhismus betreffen, unter der Aufsicht des Premierministers behandeln soll. Die Verantwortung für Entscheidungen, die buddhistische Lehrinhalte und die Praxis des Ordenslebens betreffen, sollten beim Obersten Patriarchen des Sangha liegen. Premierminister Thaksin versucht in diesem Konflikt eine vermittelnde Position einzunehmen und versichert, seine Regierung sei buddhistischen Prinzipien verpflichtet und werde den Buddhismus als „nationale Religion“ Thailands weiter fördern. Der Konflikt macht deutlich, dass die Rolle des Buddhismus und des Sangha innerhalb der demokratischen Gesellschaft in Thailand einer Klärung bedürfen. Die offiziellen Gremien des etablierten Buddhismus versuchen, alte Privilegien zu bewahren und eher noch auszubauen. In diesem Bestreben kommt ihnen die innere Krise des Sangha, wie die vielen Skandale um Mönche und der damit verbundene generelle Autoritätsverlust der buddhistischen Mönche äußerst ungelegen. Die Reformkräfte im Sangha dagegen sind noch nicht stark genug, ihr neues Verständnis von der sozialen Verantwortung des Buddhismus wirkungsvoll und überzeugend für die breite Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Thailand ist ein Land, in dem Auseinandersetzungen auf der Grundlage der Religionszugehörigkeit weitgehend unbekannt sind. Die thailändische Gesellschaft schätzt Harmonie und inneren Frieden sehr hoch. Die Abteilung für Religiöse Angelegenheiten im Ministerium für Erziehung, Religion und Kultur fördert aktiv interreligiöse Veranstaltungen und veranstaltet selber regelmäßige Begegnungen zwischen Vertretern der in Thailand vom Staat anerkannten Religionsgemeinschaften. Beim Büro des Premierministers gibt es eine Abteilung für die Förderung der Nationalen Identität, in der sich monatlich Vertreter der verschiedenen Religionsgemeinschaften treffen. Der christlich-buddhistische Dialog hat darunter gelitten, dass Bestrebungen innerhalb der katholischen Kirche und Theologie in Thailand, das Anliegen der Inkulturation voranzutreiben, auf den Widerstand und Protest traditionsgebundener buddhistischer Kreise gestoßen sind. Die buddhistischen Reformkreise um Ajahn Buddhadasa und später um Sulak Sivaraksa dagegen waren dem Christentum gegenüber sehr offen und gesprächsbereit. Buddhadhasa hat interessante Versuche gemacht, das Christentum in die „Dhamma-Sprache“, das heißt in buddhistisches Gedanken- und Sprachgut zu kleiden, um es seinen Mitbuddhisten verständlich zu machen. Buddhadasa hat sein Kloster für Christen geöffnet, die dort meditieren konnten – ganz gleich, ob sie den Weg zum Buddhismus fanden oder nicht. Auch Sulak Sivaraksa hat viele bleibende Kontakte zu christlichen Gruppierungen in Thailand, in Asien und weltweit aufgebaut, die fruchtbare Ergebnisse auf dem Gebiet einer gesamtmenschlichen Entwicklung gebracht, aber auch den Dialog über inhaltliche Fragen des Verhältnisses von Christentum und Buddhismus weitergebracht haben.

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