Die Plakate sind das Erste, was man von einem Film zu sehen bekommt, sie sollen Thema oder Botschaft des Films zusammenfassen und Aufmerksamkeit erregen. Besonders letzteres is Oliviero Toscani, der mit seinen häufig gescholtenen Werbekampagnen für die Bekleidungsfirma Benetton bekannt wurde, auch mit seinem Filmplakat für die Kinoadaption von Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter“ (Frankreich/Deutschland 2002) gelungen. Als der Film des griechischen Regisseurs Constantin Costa-Gavras im Februar diesen Jahres auf der Berlinale zum ersten Mal präsentiert wurde und kurz darauf in Frankreich in die Kinos kam, stand das Plakat im Mittelpunkt der Kritik: Zu sehen war ein zum Hakenkreuz verlängertes Kreuz, das die enge Beziehung von Nationalsozialismus und Christentum behauptet. Auch in jüngeren Publikationen wie dem Buch über Pius XII. von John Cornwell und jetzt Daniel Jonah Goldhagens Buch „Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne“, das im Herbst diesen Jahres im Berliner Siedler-Verlag erscheinen soll, werden solche Vorwürfe weiterhin erhoben und bekanntermaßen auch heftig diskutiert (vgl. zu Cornwell und zur Diskussion um Pius XII.: HK, März 2000, 129 ff.). Die katholische Kirche in Frankreich wie auch in Deutschland, aber auch Sprecher jüdischer Gruppierungen wehrten sich jedoch gegen die abermalige Unterstellung, das Christentum, die Kirche oder auch nur Pius XII. seien als solche antisemitisch gewesen. Ähnlich wie später die offiziöse Jesuitenzeitschrift „Civiltà Cattolica“ anlässlich des Kinostarts in Italien (6.4.2002), argumentierte Kardinal Karl Lehmann nach Abschluss der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz: Der Versuch, den Opfern des Holocausts Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, dürfe nicht zur Intoleranz gegenüber dem Christentum führen.
Jetzt kam Ende Mai der Film in die deutschen Kinos, Bundesstart war just der Fronleichnamstag, und wurde nun mit einem anderen Motiv beworben. Durch ein Kirchenfenster, auf dem eine Mitra mit dem Schriftzug „Pius XII.“ zu sehen ist, fällt das Licht so zu Boden, dass die Schatten ein Hakenkreuz bilden. Man kann sich fragen, ob diese Darstellung wirklich subtiler geraten ist, so dass jetzt ein größerer Aufschrei über diese neue Variante ausbleiben musste. Vielleicht war man einfach des Streitens müde. In jedem Fall kreiste die Diskussion jetzt intensiver um den Film selbst, der ein weiteres Beispiel für jenen länger schon zu beobachtenden Trend im Kino ist, nach geeigneten Bildern für die gebotene Erinnerung an den Holocaust zu suchen (vgl. HK, Mai 2001, 249 ff.).
Zu unterscheiden sind bei diesem Film freilich mindestens drei Ebenen: Zum einen die historischen Fakten soweit sie heute bekannt sind, zum anderen das von Rolf Hochhuth verfasste und 1963 von Erwin Piscator in Berlin uraufgeführte Theaterstück und eben jetzt der Film, der bei allen einschneidenden Bearbeitungen in erster Linie eine Verfilmung dieses Dramenstoffes sein will. Mit Blick auf die Differenzen zwischen Bühnenstück und Filmhandlung ist allerdings von großer Bedeutung, dass sich die Akzente verschoben haben. Während es in Hochhuths Stück wesentlich um die Stellung der katholischen Kirche und insbesondere von Pius XII. zum Holocaust ging, machen Costa-Gavras und sein Ko-Autor Jean-Claude Grumberg die Gestalt des gläubigen SS-Mannes Kurt Gerstein – wie dessen Gratwanderung zwischen Mittäterschaft und Sabotage – zum Dreh- und Angelpunkt des Films.
Differenzen zwischen Costa-Gavras und Hochhuth
Hinter dieser literarischen Figur steckt eine authentische Biographie: Der Naturwissenschaftler und Techniker Gerstein (1905–1945) stammte aus einem nationalkonservativen Milieu, war gleichwohl gläubiger Christ und engagierte sich für die Bekennende Kirche (vgl. Jürgen Schäfer, Kurt Gerstein – Zeuge des Holocaust. Ein Leben zwischen Bibelkreisen und SS, Luther-Verlag, Bielefeld 1999). Nach Beginn des Krieges wird er Freiwilliger bei der SS mit dem erklärten Ziel, die Maschinerie des Schreckens von innen kennen zu lernen, um darüber Zeugnis ablegen zu können. Innerhalb der SS macht er sich einen Namen als Experte für Desinfektion. Angewidert vom Euthanasieprogramm und ersten Vernichtungsaktionen in polnischen Konzentrationslagern, für deren Versorgung mit Zyklon-B er zuständig wurde, will der Obersturmführer die Weltöffentlichkeit über die Gräueltaten informieren und wendet sich schließlich auch an die katholische Kirche.
Der Papst, dessen Wirken bei Hochhuth stärker im Mittelpunkt steht, wird durch diesen Kniff des Drehbuchs zur puren Nebenrolle degradiert. Unterschiedliche Zeugnisse über die Arbeiten am Film kommen zudem darin überein, dass Costa-Gavras, der bisher mit Polit-Thrillern berühmt geworden ist, kein unverkrampftes Verhältnis zu Hochhuth und dessen heute noch an die Diskussionen der sechziger Jahre gemahnenden missionarischen Eifer hat. Immerhin hat der Schriftsteller bei der Pressekonferenz auf der Berlinale den Film begrüßt – nicht ohne den Seitenhieb, dass er eine Szene verhindert habe, in der der Papst angesichts des SS-Überfalls auf das römische Judenghetto Mitleid mit dem Schicksal der römischen Mitbürger zeigen sollte. Hochhuth beklagte sich auch darüber, dass ein italienischer Filmproduzent die Rechte früh schon erworben, jedoch aus Gefälligkeit gegenüber dem Vatikan nie davon Gebrauch gemacht habe (Neue Zürcher Zeitung, 31.5.2002). Er hatte schließlich durchgesetzt, dass der Film in den deutschsprachigen Ländern unter dem Namen des Theaterstücks laufe, während er in den übrigen unter dem Titel „Amen“ zu sehen ist.
Der zu großen Teilen in Rumänien gedrehte Film mit seinem für europäische Verhältnisse opulenten Budget weist durchaus eine Reihe von eindrücklichen Szenen auf, die durch die vielen leitmotivisch eingesetzten Bilder von dampfenden Güterzügen mit offenen wie auch geschlossenen Türen rhythmisiert werden. Er hebt sich dadurch von der Verfilmung des Lebens von Dietrich Bonhoeffer positiv ab (Die letzte Stufe, Deutschland/Kanada/USA 2000), in dem Ulrich Tukur ebenfalls die Hauptrolle spielt. Neben dessen schauspielerischen Leistungen sind jene von Matthieu Kassowitz zu erwähnen, der die Rolle des Riccardo Fontana, eines in der Berliner Nuntiatur arbeitenden Jesuiten, spielt. Während Gerstein sowohl beim Sekretär der schwedischen Botschaft als auch beim deutschen Nuntius mit seinen Warnungen abblitzt, ist Fontana der einzige, der ihm glaubt und ihn in seinem Anliegen unterstützt, in Rom Gehör zu finden. Wie die Szenen von Bischof von Galens Eintreten gegen das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten ist dies ein Hinweis darauf, dass auch der Film nicht die katholische Kirche als Ganze an den Pranger stellt – zumal andererseits gleichermaßen das Versagen der Diplomaten weiterer Staaten vorgeführt wird.
Muss die Kinoerzählung den Fakten entsprechen?
Trotzdem fällt auch Costa-Gavras im Verlauf des Films zunehmend hinter das Ziel zurück, die schillernde Persönlichkeit Gerstein in den Mittelpunkt zu stellen und von allen Seiten zu beleuchten. Man merkt dem Film aufgrund der vielen konventionell aneinander gereihten Dialoge und Gespräche nicht nur mehr und mehr an, dass ein Theaterstück seine Vorlage war und insofern filmästhetische Schwächen zu bemängeln sind. Rede und Gegenrede sind auch bei Costa-Gavras des öfteren mehr ein Austausch von Thesen als ein Ringen um eine Position. Der Regisseur „lässt hier seine Darsteller ihre Texte aufsagen, als wären sie noch bei der Beleuchtungsprobe, er knipst sie wie Stehlampen aus und an, ohne dass ihr Lichtschein den Schrecken der Geschichte im Mindesten erhellen könnte“, bringt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (31.5.2002) den Tenor der Filmkritik hierzulande auf den Punkt.
Zwar behauptet der Film weder, dass der Papst ein Antisemit gewesen sei, noch, dass die Christen, wie die offiziellen kirchlichen Vertreter, überhaupt keinen Widerstand geleistet hätten. Der Film geht – wohl in einer Überschätzung der Möglichkeiten der Kirche – allerdings davon aus, dass es lediglich des mutigen Wortes des Papstes bedurft hätte, um die Massenvernichtung zu stoppen. Der Schauspieler Tukur selbst hat diese Lesart des Drehbuchs verinnerlicht und gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur geäußert: „Ich glaube, dass die katholische Kirche schwere Fehler gemacht hat und auch hinwieder gar keine, weil sie eben nichts oder nur wenig unternommen hat. Das ist in der Zeit katastrophal gewesen, weil sie die einzige Institution war, die etwas gegen den Holocaust hätte bewirken können.“ Bei aller Zwiespältigkeit der päpstlichen Position steht dagegen die Überzeugung der meisten Kirchengeschichtler, dass der Vatikan die berechtigte Sorge hatte, mit einem öffentlichen Protest zusätzliches Leiden in den eigenen Reihen zu verursachen, ohne jedoch die Not lindern zu können.
Der vatikanische Historiker Peter Gumpel, Relator im Seligsprechungsprozess für Pius XII., hat bemängelt, dass der Film „viele falsche Eindrücke, Beschuldigungen und Unterstellungen“ vermittle und die wissenschaftliche Diskussion der vergangenen Jahrzehnte nicht zur Kenntnis genommen habe. In einer literarischen oder filmischen Fiktion, die sich nicht als historische Dokumentation versteht, ist es nun durchaus legitim, nicht nur beispielsweise ein Gespräch Gersteins mit dem Nuntius wie die Gestalt des Jesuiten Fontana zu erfinden und den Obersturmführer nach Rom reisen zu lassen. Nur: Je mehr sich der Film von seiner Hauptfigur Gerstein und dessen Gewissensnöten wegbewegt und die historische Rolle der Kirche in den Blick nimmt, desto problematischer wird schließlich das Argument, eine Kinoerzählung müsse nicht den historischen Tatsachen entsprechen, um ein bewegender Film über die Alternative Anpassung oder Widerstand zu sein. Wenn auch verhaltener als bei Hochhuths Bühnenstück: Auch manche der Filmszenen suggerieren jenseits aller legitimen fiktionalen Ausschmückungen eine geschichtliche Wahrheit und setzen damit ein Urteil über die historische Schuld der Kirche ins Bild. Der Film ruft an diesen Stellen selbst nach den Maßstäben, an denen er gemessen werden möchte. Für eine genauere Beurteilung könnte der vielfach geforderte Einblick in die vatikanischen Archivmappen aus jener Zeit freilich nur von Nutzen sein.