Zur religiösen Signatur der Science-Fiction-Marke „Star Trek“Die Götter des Gene Roddenberry

Der soeben gestartete Star-Trek-Film „Nemesis“ ist das jüngste Produkt eines weit verzweigten Film-Universums. Bei einem Durchgang durch die 35 Jahre „Star Trek“ fällt eine interessante Entwicklung auf: Während in der Originalserie Religion ausgeklammert blieb, wird in den Folgeserien Religiöses zunehmend thematisiert.

Mit dem Jahresbeginn 2003 kam das zehnte Star-Trek-Leinwandepos Nemesis in die Kinos. Dramaturgisch und tricktechnisch wurde alles aufgeboten, um der hartnäckigen Konkurrenz von Star Wars und Matrix gegenzuhalten. Der Handlungsrahmen von Star Trek – Nemesis greift freilich zurück auf eine Tradition, die vor allem durch die Fernsehserie Star Trek („Raumschiff Enterprise“) und ihre Ableger bekannt geworden ist. Gewiss hat die Science-Fiction-Euphorie der letzten Jahre, die dazu beigetragen hat, dass nicht nur neue Stoffe visualisiert, sondern auch alte wiederaufgelegt (vgl. etwa Lost in Space, Die Zeitmaschine oder aktuell Solaris) und erweitert wurden (vgl. Star Wars: Die dunkle Bedrohung oder Angriff der Klonkrieger), dem Phänomen Star Trek Rückenwind verschafft. Die über 35 Jahre anhaltende Publikumsgunst jedoch hat Star Trek aus eigener Kraft erworben. Gegenüber dieser originären Kraft wirkt die Vielzahl der neuerdings auf den Markt geworfenen Science-Fiction-Fernsehserien – wie beispielsweise Babylon 5 (USA 1994–1998), Stargate (USA 1997 f.), Mission Erde (USA 1997 f.), Farscape – Verschollen im All (USA 1999 f.) und Andromeda (USA 2000 f.) – manchmal nur wie ein matter Abglanz von „Fabelkompositionen“, die man schon von Star Trek kennt.

Zuerst Gegenutopie zu Kaltem Krieg und nuklearer Bedrohung

Doch Star Trek ist keineswegs ein homogener Block; die verschiedenen Ablegerserien, die mehr oder weniger eng mit dem Handlungsrahmen der Kinofilme verzahnt sind, setzen ganz unterschiedliche Akzente. Zwischen James T. Kirk (William Shatner), dem ersten Captain eines Raumschiffs mit Namen Enterprise (Star Trek; die Originalserie, USA 1966– 1969) und Jonathan Archer (Scott Bakula), der seit gut einem Jahr in den USA neu eingeführten Serienfigur des jüngsten Ablegers (Enterprise; die bis dato vierte Ablegerserie, USA 2001 f.), liegen nicht nur filmgeschichtlich und tricktechnisch Welten. Auch in inhaltlicher Hinsicht bietet Star Trek das Bild eines Wandels: Vom amerikanischen Sendungsbewusstsein und Befreiungspathos Kirks über den pragmatischen Idealismus Jean-Luc Picards (Patrick Stewart in Star Trek – The next generation, USA 1987–1994) führt der Weg zunehmend zu einem idealisierten Pragmatismus, den die Offiziere Catherine Janeway (Kate Mulgrew in der Ablegerserie Voyager, USA 1994–2001) und Jonathan Archer in übergroßer Deutlichkeit verkörpern. Diese Perspektivenveränderung schlug sich auch auf den Umgang mit dem Phänomen Religion nieder. War die Originalserie vor allem dadurch aufgefallen, dass sie das Thema Religion dezidiert ausklammerte oder allenfalls negativ darauf einging, so lässt sich in der jüngsten Serie ein außergewöhnlich entspanntes Verhältnis zur Religionsthematik entdecken, das sowohl die Antipathie der Originalserie als auch die in der Ablegerserie Deep Space 9 (USA 1992–1999) bisher am klarsten ausgedrückte Sympathie hinter sich lässt. Das wird an einer Episode („Der kalte Krieg“) sehr deutlich, die unter anderem davon handelt, dass das Raumschiff Enterprise eine Gruppe von Pilgern zu einem Sternentstehungsgebiet begleitet. Es ist der humanoide, aber nicht zur Gattung Mensch gehörige Bordarzt Phlox, der an den Ritualen teilnimmt, die die Pilgerreise prägen, und der von der Pilgergruppe eingeladen wird, das zentrale Kerngebet zu sprechen. Dieser sehr freundlich und wohlwollend geschilderten Version praktizierter Interreligiosität steht ein Captain gegenüber, der in Religionsdingen definitiv indifferent bleiben möchte. Er ist weder überkritisch wie Kirk noch ein getriebener Sinnsucher wie Benjamin Sisko (Avery Brooks) aus Deep Space 9, sondern allenfalls neugierig.

Die Originalserie Star Trek dokumentiert als Gegenutopie die Konstellationen des Kalten Krieges und der nuklearen Bedrohung. Um Captain Kirk schart sich eine multinationale Crew, die wie ein Kontrastbild zur damaligen Welt wirkt: ein russischer und ein chinesischer Steuermann, ein amerikanischer Kapitän, die Kommunikationsoffizierin ist eine Schwarze; und der Wissenschaftsoffizier Spock ist ein Außerirdischer, der den Respekt seiner menschlichen Kameraden genießt. Trotz mancher sexistischer Einsprengsel, an denen zum Teil das Sujet der Fernsehserie in den sechziger Jahren, zum Teil die betont lässig gehaltene deutsche Synchronisation schuld sind, lassen sich an Star Trek die Themen dieser Jahre überaus deutlich erkennen: Emanzipation, Anti-Apartheid, Fortschrittsglaube, Entdeckerstimmung. Star Trek transportierte (in welch fragwürdigen Handlungssträngen auch immer) die konkrete Utopie einer friedlichen Gemeinschaft der Menschheit. Nach nur drei Jahren wurde die Originalserie abgesetzt – die Programmdirektoren waren wohl auf solch utopische Züge noch nicht vorbereitet. Beim Publikum freilich gewann die Originalserie, die einige Jahre später auf Privatkanälen in Wiederholung lief, zunehmende Gunst. Der Druck der in den siebziger Jahren auch international anwachsenden Fangemeinde schuf die Voraussetzung für eine Wiederbelebung der Originalserie auf der Kinoleinwand. In insgesamt sechs abendfüllenden Spielfilmen wurde zwischen 1979 und 1991 die Enterprise in miteinander leicht verzahnte Weltraumabenteuer geschickt.

Der neue Captain ist Inbegriff eines Intellektuellen

Die wachsende Zahl der Fans und der enorme Zuspruch nach dem vierten Kinofilm („Zurück in die Gegenwart“; USA 1986) führten dazu, dass die Paramount-Studios die Idee einer Fernsehserie revitalisierten – allerdings mit neuem Raumschiff, neuem Captain, neuer Crew und in einem neuen fiktiven Zeitrahmen, der rund hundert Jahre weiter in die Zukunft (in das imaginäre 24. Jahrhundert) verlegt wurde. Star Trek – The next generation gilt als die vollkommenste Verwirklichung des utopischen und humanistischen Grundkonzeptes, das der Star-Trek-Erfinder Gene Roddenberry (1921–1991) anvisiert hatte: Nicht Spezialeffekte, sondern interessante, bisweilen hochphilosophische Dialoge, nicht Abenteuerlust, sondern Diplomatie, nicht Aggression, sondern Menschenbildung stehen im Vordergrund. Es dürfte wohl kaum eine zweite Serie in der jüngeren Fernsehgeschichte gegeben haben, die den Zuschauer auf der Ebene der Unterhaltung mit derart vielfältigen philosophischen Fragen konfrontierte: Das Mannschaftsmitglied Data, ein Android, bemüht sich darum Mensch zu werden – immer wieder tauchen Fragen auf nach der Eigenart menschlichen Lebens, etwa nach Bewusstsein, Elternschaft, Sterblichkeit, Kreativität, Freundschaft. Jean-Luc Picard, Captain dieser neuen Enterprise, kann als Inbegriff eines Intellektuellen gelten; mit ihm betritt nicht der Weltraumcowboy, sondern der gebildete, diplomatische, Autorität und Kompetenz verkörpernde Philosoph die Brücke. Da es nicht um Action geht, kreisen die Einzelepisoden immer wieder um ethische, sozialethische oder völkerrechtliche Fragen, die sich aus der oft unverhofften oder unvorhersehbar kompliziert ablaufenden Begegnung mit außerirdischen Zivilisationen ergeben. Sieben Jahre lang lief Star Trek – The next generation in den USA, zeitversetzt auch in Deutschland über den Fernsehschirm. Ab 1994 schaffte die neue Crew auch den Sprung in die Kinosäle und löste dort das alte Ensemble ab. Star Trek – The next generation brachte es auf fast zweihundert Episoden. Und zwei Spin-offs können als eigenständige Kinder dieses Konzeptes gelten: Deep Space 9 und Voyager (mit je etwa 170 Episoden) waren im gleichen Filmuniversum situiert, trugen aber andere Akzente durch unterschiedliche Handlungsspielräume. Voyager stellte die abenteuerorientierten und actionreichen Aspekte der Grundidee wieder in den Vordergrund; die Serie war deutlich weniger intellektuell gehalten, weil sie in optischer Hinsicht und im Blick auf einen am Zuschauer orientierten Erzählfaden mit der anstürmenden Fernsehkonkurrenz Schritt halten musste. Während Star Trek The next generation und Voyager eine durchaus optimistische Grundstimmung vermittelten, atmet Deep Space 9 den Geist einer globalisierten Welt. Mit Deep Space 9 schoben sich auch die Themen Krieg, Unterdrückung, Freiheitskampf und Religion in den Vordergrund. Nicht ohne Grund gilt diese Serie als erwachsenste und düsterste Fortentwicklung eines Grundkonzeptes, das von einem durch und durch humanistischen Ideal geprägt ist und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Inzwischen ist Star Trek in eine neue Phase getreten, die ein eigenwilliges Echo auf den Beginn der Originalserie darstellt: Die mehr oder weniger parallele oder unmittelbar aufeinander folgende Situierung von drei verschiedenen Serien in einund demselben fiktionalen Handlungskosmos (mit faktisch über 500 Einzelepisoden) ließ die Geschichten mehr und mehr ausgereizt erscheinen.

Humanistische Religionskritik

Rick Berman, nach Roddenberrys Tod die zentrale Instanz hinter den Kulissen, ordnete daher nach dem Auslaufen von Deep Space 9 und Voyager die Nachfolgeserie in einen völlig anderen fiktiven Zeitrahmen ein: Der fünfte Spin-off „Enterprise“ (USA 2001 f.) erzählt Geschichten, die hundert Jahre vor Kirk und Spock spielen. Dieser Rahmen eröffnet neue Möglichkeiten, weil er von den tastenden Schritten einer fiktiven Menschheit in ein unbekanntes Weltall erzählen kann (trotz einiger Zeitreiseepisoden, die den Zuschauer in ein fingiertes 31. Jahrhundert katapultieren). Die bisherigen Geschichten der brandneuen Serie sind schlanker angelegt, geradliniger und bieten ihre Stoffe verzahnter, aber auch langsamer dar.

Gene Roddenberry war Atheist und überzeugter Humanist. Das prägte in gewissem Maß auch die Originalserie: Trotz der von Roddenberry gern benutzten Analogie zwischen Raumfahrt und Seefahrt fehlt in Star Trek jede Erinnerung an eine christliche Seefahrt. So hatte Roddenberry die Idee einer Raumschiffkapelle oder eines Schiffskaplans im Ansatz verworfen – zum Teil mit dem Hinweis auf den fiktionalen Rahmen der filmischen Erzählungen, in denen es wesentlich um eine pluralistische Gesellschaft der Zukunft gehe. Angesichts dieses Pluralismus könne und dürfe Star Trek keine Sympathie für eine der bekannten Religionen entwickeln. So erklärt es sich, warum Religion und Religiosität in der ersten Enterprise, die in das Fernsehweltall aufbrach, praktisch nicht zu sehen sind. Über diese Art von Neutralität hinaus findet sich aber eine Religionskritik, die wesentlich auf einer Totalitarismuskritik aufruht. In der Episode „Der Tempel des Apoll“ trifft die Enterprise auf den griechischen Gott Appollo, der vor Jahrhunderten von der Erde in den Weltraum und auf einen entlegenen Planeten „ausgewandert“ ist, da die Menschen ihm die Verehrung verweigerten. Die Natur, das Wesen dieses Gottes spielen jedoch keine Rolle. Es bleibt offen, ob die Enterprise tatsächlich einem Gott oder nur einem sehr mächtigen Wesen begegnet ist, das sich einst von der Menschheit als Gott verehren ließ. Entscheidend ist vielmehr das Gott-Mensch-Verhältnis, das in dieser Folge subtil reflektiert wird: Wie ist ein Gott einzuschätzen, der von den Menschen Unterwürfigkeit, Verehrung und blinde Ergebenheit fordert, der die Geschöpfe quält, straft und foltert, wenn sie seinem Willen nicht gehorchen? Es ist Kirk, der gegen diese Gott aufbegehrt und den Weg zur Freiheit sucht. Am Ende der Episode ist die von Appollo im Weltraum festgehaltene Enterprise befreit; von der Macht der Gottes über die Menschen ist nichts mehr geblieben. Der Wille zum Wissen fordert auch die Entlarvung und Entmachtung vermeintlicher Götter. Noch deutlicher als in der genannten Episode wird dieses Motiv in der Folge „Die Stunde der Erkenntnis“ thematisiert. In einer durchaus gewollten Anspielung an biblische Erzählungen vom Garten Eden und vom Baum der Erkenntnis erzählt die Episode die Geschichte von einer geschlechtergetrennten Zivilisation, die frei von Hunger, Angst, Krankheit und Not lebt und geführt und kontrolliert wird von einem Gott namens Vaal. Zufällig gerät die Enterprise in die Nähe dieser Zivilisation und wird von einem starken Energiefeld festgehalten. Um sein Schiff zu befreien, muss Kirk mit seinem Team die Quelle dieses Energiefeldes ausfindig machen. Er entdeckt, dass das Energiefeld auf den vermeintlichen Gott Vaal zurückgeht, der nichts anderes ist als ein großes Computersystem, das die Zivilisation organisiert, aber auch in Abhängigkeit hält. Um das Raumschiff zu befreien, ist die Zerstörung dieses Computers notwendig. Zugleich aber entlässt dies eine Zivilisation in die Mündigkeit.

Der amerikanische Pragmatismus als Denkhorizont

Doch es gibt in der Originalserie auch einen behutsam positiven Blick auf Religion, der allerdings kulturgeschichtlich gedeutet und nicht als prinzipielle Abkehr von der religionskritischen Grundhaltung interpretiert werden muss. In der Folge „Brot und Spiele“ trifft die Mannschaft der Enterprise auf eine außerirdische Gesellschaft, die dem Römischen Reich ähnlich ist. Auch alle Fragwürdigkeiten des Römischen Reiches haben sich erhalten wie Autokratie, Vergnügungssucht oder die Barbarei der Zirkusspiele. Doch im Untergrund hat sich eine Gruppe formiert, die religiös motiviert ein anderes, humanistisches Lebensideal zu verwirklichen sucht. In der Episode werden die Anhänger der Untergrundreligion als „Kinder des Lichtes“ bezeichnet – eine Bezeichnung, die bewusst an die frühen Christen und den Glauben an Christus als „sol invictus“ anspielt. Fraglich ist freilich, ob sich in dieser Episode eine Wertschätzung des Christentums ausdrückt oder schlicht ein kulturgeschichtliches Urteil, das dem humanistischen Atheismus Roddenberrys nicht widersprechen muss: Die Leistung des Christentums besteht in seinem Drang zur Humanisierung einer Gesellschaft, die (wie das Römische Reich) auf Wert und Würde des Einzelnen keinen Wert legt. Die inhaltlichen Aussagen von Religion, auch der Transzendenzbezug, stehen dagegen nicht im Blickfeld.

Nicht weniger idealistisch ist Star Trek – The next generation. Allerdings ist die Einschätzung von Religion milder geworden. Der Denkhorizont von Star Trek – The next generation ist der des amerikanischen Pragmatismus. Die Grundmaxime, nach der Religion hier beurteilt wird, stammt im Grunde von William James (auf dessen Philosophie in der Episode „Das Herz eines Captains“ auch kurz Bezug genommen wird). Verschiedene Episoden setzen diese Maxime in Szene; in der Folge „Der rechtmäßige Erbe“ wird sie sogar direkt zum Thema: Der klingonische Offizier Whorf sieht sich mehr und mehr in religiöse Zweifel gestürzt; er ist auf einer immer bohrender werdenden Sinnsuche. Captain Picard hat zwar Verständnis für seinen Offizier; aber als Whorf durch religiöse Rituale die Feuermelder des Raumschiffs auslöst, zieht er eine Grenze: Religion und Religiosität müssen sich dem Wohl der Besatzung, der Sicherheit des Schiffes und darüber hinaus auch den von der Konföderation verkörperten Werten unterwerfen beziehungsweise damit vereinbar sein. Die pragmatische Signatur in der Linie von James führt in Star Trek – The next generation zu einem großzügigeren Umgang mit Religion. Dennoch werden Glaube und Religiosität in einen streng privaten Bereich verbannt: Sie werden so respektiert, wie man eben individuellen Kunstgeschmack oder bestimmte Lieblingsspeisen toleriert.

Religionsfeindlich ist die Stimmung in Star Trek – The next generation keinesfalls. Das belegt die schon erwähnte Folge „Der rechtmäßige Erbe“: Whorf zweifelt dann am Glauben seiner Vorfahren, weshalb er schließlich Inspiration in einem klingonischen Kloster sucht. Dort erlebt er die Rückkehr des klingonischen Messias, der das Volk einen und anführen soll. Whorfs Glaube kehrt zurück, nur um alsbald wieder in Frage gestellt zu werden, da sich herausstellt, dass der zurückgekehrte Messias ein Klon der schon lange verstorbenen, aber sehnsüchtig erwarteten Führerfigur ist. Ausgerechnet Data, der Android, rät Whorf, nicht weiter nach Gründen für den Glauben zu suchen, sondern einfach den Sprung in den Glauben zu wagen. Der Dialog illustriert eindrücklich die Schwierigkeiten, vor denen eine Erkenntnistheorie des Religiösen faktisch immer steht: Kann und muss man religiösen Überzeugungen wie falsifizierbare Hypothesen behandeln, muss man nach immer neuen stützenden Gründen für seine Überzeugungen Ausschau halten – mit dem Ergebnis, dass man wie Whorf vor immer neuen Fragen steht – oder kann man den Sprung in den Glauben wagen?

Die Menschheit muss sich vor Richter Q verantworten

Anders als der von James geprägte Pragmatismus klammert die Serie jedoch die Gottesfrage zumindest direkt aus. Nicht Wahrheit, sondern Toleranz und Respekt bilden die zentralen Begriffe, um die sich der Pragmatismus von Picard dreht. Die Maximen, nach denen Religion beurteilt wird, erinnern an den pragmatischen Liberalismus Richard Rortys: Die Freiheitsrechte des Einzelnen erlauben das Praktizieren einer bestimmten Religion, aber diese Praxis muss sich am demokratischen Konsens einer Gesellschaft messen lassen. In Star Trek – The next generation liegt dieser Maßstab in den Prinzipien und Werten der Konföderation vor. Wie diese wiederum begründet und gerechtfertigt werden, bleibt offen. Bei genauerem Hinsehen muss dieses Urteil jedoch korrigiert werden. Es ist kein Zufall, dass im Pilotfilm zu Star Trek – The next generation („Der Mächtige“) eine Gerichtsverhandlung die zentrale Rolle spielt, bei der es um Wert, Geschichte und Schicksal der ganzen Menschheit geht, die durch einen Teil der Besatzung des Raumschiffs Enterprise repräsentiert wird. Das für Star Trek auch in szenischer Hinsicht typische Pars-pro-toto-Prinzip wird hier noch einmal symbolisch gesteigert: Mit den Filmfiguren sitzt die ganze Menschheit vor Gericht – angeklagt wegen Grausamkeit, Wildheit und Schrankenlosigkeit in der menschlichen Geschichte.

Der Richter ist eine der interessantesten Figuren aus Star Trek; sein Name ist Q, seine Herkunft bleibt rätselhaft. Faktisch wird er als Figur eingeführt, die göttergleiche Kräfte hat: Er ist allmächtig, nicht an physikalische Gesetze gebunden, kann Vergangenheit und Zukunft ändern, besitzt übermenschliches Wissen und anderes mehr. Aber er ist weder barmherzig noch verlässlich; eher schalkhaft. Im Pilotfilm tritt Q als Instanz auf, vor der sich die Menschheit rechtfertigen muss. Picard kann dem drohenden Urteil nur durch eine Art Vergleich entkommen: Die Menschheit – wiederum vertreten durch die Besatzung der Enterprise – bekommt eine Gnadenfrist, in der sie sich bewähren kann, um zu beweisen, dass aus den Menschen bessere, humanere, mildere Lebewesen geworden sind. Dieses Sich-Bewähren vor einem übermenschlichen Richter bildet denn auch die Klammer um die knapp 200 Folgen von Star Trek – The next generation. In der Schlussepisode „Gestern – Heute – Morgen“ kommt erneut eine Gerichtsszene vor, in der die Menschheit, vertreten durch Picard, auf immerwährende Bewährung hin in den Weltraum und die Zukunft hinein entlassen wird.

Eine echte Zäsur in Hinsicht auf das Thema Religion ist mit Deep Space 9 gegeben, die auf einer „multikulturellen“ Raumstation spielt. Religiosität und Religion wächst hier eine zunehmend positive Rolle zu, religiöse Deutungsmuster werden zu Darstellungsschablonen für die fiktionalen Erzählungen. Die Rahmenhandlung berichtet von der Befreiung eines geknechteten außerirdischen Volkes nach Jahrzehnten der Besatzung. Diese Befreiung hatten die Bajoraner weitgehend aus eigener Kraft erreicht – motiviert vor allem durch ihren religiösen Glauben. Religion und Opferbereitschaft, Glaube und Widerstandskraft werden in Deep Space 9 in einen Zusammenhang gestellt. Detailliert wird diese Bajoranische Religion geschildert: Gegenstand der Verehrung sind die so genannten Propheten – himmlische Wesen, die über die Zeit herrschen und in die Zukunft blicken können. Bajoraner glauben an die Bestimmung ihres Lebensweges durch den Willen der Propheten und sind in der Lage, eine mystisch-spirituelle Kraft in jedem Menschen zu erkennen. Dass in diese fiktionale Religion sowohl christliche als auch islamische Motive eingeflossen sind (flankiert von östlichen Weisheitslehren), belegt der Messianismus der Serie, der eine in erzählerischer Hinsicht wichtige Komponente darstellt: Benjamin Sisko – der Commander der Raumstation Deep Space 9 – gilt aus der Sicht des Bajoranischen Volkes als Abgesandter („Der Abgesandte“), als der in den Heiligen Schriften Bajors angekündigte Retter und Führer. Sisko steht dieser Sicht zunächst skeptisch gegenüber und wehrt sich dagegen, fügt sich jedoch langsam und identifiziert sich schließlich gar mit dieser Rolle. Ausschlaggebend dafür ist, dass Sisko Kontakt mit den Propheten aufnimmt. Bei diesen handelt es sich, wie sich herausstellt, um nichtmenschliche Wesen, die aufgrund ihrer nichtzeitlichen Existenz Herr über die Zeit sind. Schließlich entdeckt Sisko, dass diese seltsamen Wesen nicht nur an seinem Schicksal interessiert sind, sondern dass er selbst von ihnen abstammt. Es liegt auch ganz auf der Linie dieser Darstellungsschablone, dass Sisko in der finalen Doppelfolge von Deep Space 9 („Was du zurücklässt“) einen Erlösertod stirbt, indem er sein Leben opfert, um Bajor zu retten, und dadurch selbst zu einer zeitenthobenen Existenzweise entrückt wird.

Inkarnatorisches Prinzip im Star-Trek-Kosmos

Man kann angesichts des eindeutig messianisch konzipierten Handlungsstranges von Deep Space 9 fragen, ob hier noch Science Fiction erzählt wird. Faktisch mag Deep Space 9 bereits eine Mischgattung aus Science-Fiction- und Mystery-Film sein. Jedoch legt der Handlungsstrang von Deep Space 9 das religiöse Potenzial offen, das tiefensemantisch in Science Fiction als solcher steckt: Es geht um Fragen nach dem Sinn und der Deutung menschlichen Lebens angesichts der Weiten des Universums. Das „Draußen“ wird zum Ort, an dem wesentliche Einsichten über das „Drinnen“ gewonnen werden können. In vielen Einzelgeschichten wird immer wieder herausgestellt, dass das Schicksal des Ganzen am scheinbar unbedeutenden Schicksal eines Einzelnen hängen kann. Das Pars-pro-toto-Prinzip filmischer Erzählung ist hier beim Wort genommen und wird spirituell getränkt. Auch wenn Deep Space 9 relativ frei und in mancher Hinsicht unbekümmert mit den symbolischen Formen von Religion spielt, so ist dieser Bezug zur Religion allemal beachtlich. Zwar läuft dieses freie Spiel der religiösen Formen dem Impetus faktischer Religion zuwider, doch kann man ihm nicht jeden Wert absprechen, denn dieses Spiel produziert Mythologie, die am Fernseher oder im Kino gerade im Gewand einer technisch-rationalen Zukunft zeigt, dass das von Naturalismus und Physikalismus vermittelte Menschenbild keineswegs umfassend sein kann. Hinzu kommt das inkarnatorische Prinzip: der Mensch in einem humanen, seine Potenziale in ein optimistisches Licht stellenden Sinne ist Ausgangspunkt des Star-Trek-Kosmos. Dass in Deep Space 9 ein Mensch in die Rolle des Messias schlüpft, ist keineswegs überraschend. Das menschliche Wesen wird als Möglichkeit skizziert, die Ordnung im Universum in Balance zu halten – gerade in Absetzung von den fiktionalen außerirdischen Rassen: Gegen Kälte und Rationalität der Vulkanier werden Gefühl und Mitgefühl, gegen die Aggression der Klingonen Sanftmut und Geduld, gegen den grausamen Zynismus der Cardassianer Barmherzigkeit und Mitleid, gegen die Feigheit der Ferengi Mut und Tapferkeit konturiert. Und mancher Außerirdische lernt, weil er für kurze Zeit (meist unvorhergesehen) Mensch geworden ist, Erhebliches hinzu: Der Formwandler Odo oder der mit göttlichen Fähigkeiten begabte Q lernen, was es bedeutet, ein Wesen mit Leib und Gefühl, Erdenschwere und himmlischen Sehnsucht zu sein. Nach Gordon Knight wurde Gott Mensch, damit er selbst wissen und erleben konnte, wie es ist, ein Mensch zu sein – ein Wissen, das ihm ohne Menschwerdung prinzipiell verschlossen gewesen wäre („The Necessity of God Incarnate“, in: IJPhR 43 [1998] 1–16). Diese Denkfigur wird in Star Trek immer wieder durchgespielt; denn eine Humanisierung des Universums ist, so der Tenor der filmischen Botschaft, nur möglich, wenn außerirdische Wesen, die oft genug dem Menschen in vielfacher Hinsicht überlegen sind, in einem hier ganz physisch verstandenem Sinn Mensch werden.

Aber auch da, wo keine sofort erkennbaren religiösen Erzählmuster oder Symbole benutzt werden, bleibt Star Trek krypto-religiös. Denn der Sinn für das Unvorhergesehene, für das Wunderbare treibt die Geschichten an. So ist es die utopische Botschaft, der Wille nach Erkenntnis, die über die Grenzen des bisher Gekannten hinausschreitende, als im wahrsten Sinne des Wortes transzendierende Neugier, die Star Trek religionsphilosophisch interessant macht – und sei es nur, dass sich hinter den aufwendig visualisierten Träumen und Albträumen religiöse Chiffren verbergen, die gewiss nicht immer einfach zu entziffern und auch nicht eindeutig zu interpretieren sind. Martin Laube charakterisiert dies so: „In den Tiefen des Alls geht es um die Untiefen des menschlichen Selbst. Doch diese Änderung der Reiseroute ist nicht neu. Sie kennzeichnet bereits die Umbrüche der Religion auf ihrem Weg in die Moderne. Dabei hat sie es nun mit dem Einzelnen zu tun – mit dem Individuum auf der Suche nach seiner in Gott begründeten Individualität. Mag auch Schleiermacher die Religion als Anschauung des Unendlichen im Endlichen bestimmt haben – in der Serie Star Trek kommt sie als die umgekehrte Suche nach dem Endlichen im Unendlichen zur Anschauung.“ („Auf der Suche nach dem Endlichen im Unendlichen. Star Trek und Religion“, in: ders. (Hg.), Himmel – Hölle – Hollywood. Religiöse Valenzen im Film der Gegenwart, Münster 2002, 193–210, hier 209.)

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