Am 10. März 1920 wurde in Cotija de la Paz, einem kleinen Ort im mexikanischen Bundesstaat Michoacán, Marcial Maciel geboren, Gründer der Ordensgemeinschaft „Legionäre Christi“ und der mit ihr verbundenen Laienbewegung „Regnum Christi“. In einer Zeit, die von den unbarmherzigen Unterdrückungsmaßnahmen der mexikanischen Regierung gegen die Katholiken und dem Aufstand der „Cristeros“ als Reaktion darauf geprägt war, entwickelte Maciel schon in jungen Jahren die Idee seines Kreuzzugs zur Eroberung der Welt für Christus. Im Januar 2001 konnten die Legionäre in Rom den sechzigsten Jahrestag ihrer Gründung begehen und dabei auf Niederlassungen in 48 Ländern (vor allem in Amerika und Europa) verweisen. Bei dieser Gelegenheit hob Johannes Paul II. ihren ungeheuren pastoralen Einsatz für die Neuevangelisierung wie ihren Erfolg bei der Förderung geistlicher Berufungen hervor. Zu den Legionen von Pater Maciel gehören heute ein Bischof (in der mexikanischen Territorialprälatur Cancún-Chetumal), 510 Priester, ungefähr 2300 Seminaristen sowie – nach eigenen Angaben – bis zu fünfzigtausend Laien. Maciel nannte kürzlich sogar die Zahl von 400 000, bezog dabei aber Sympathisanten und Mitarbeiter ein.
Pius XII. ermutigte 1946 Maciel zu dieser Apostolatsbewegung, die die Leute in Cotija so sehr bewundern und die ihrem Ort jedes Jahr den Zustrom tausender Wallfahrer beschert. Der Papst sagte seinerzeit, die Legion müsse „stark sein, wie ein in Schlachtordnung aufgestelltes Heer“; sie solle maßgeblich dazu beitragen, „die Führer Lateinamerikas und der Welt für Christus heranzubilden und zu gewinnen“. Ähnlich äußerte sich 1974 Paul VI., der Maciel bat, die Legionäre sollten „im Namen Jesu kämpfen“. Marcial Maciel hat den Auftrag der beiden Päpste buchstabengetreu befolgt: Er gründete in Rom die seit 1998 als Päpstliche Universität anerkannte Hochschule „Regina Apostolorum“, eine Ausbildungsstätte von hohem theologischem und intellektuellem Renommee; er kann auf ein weltweites Netz von Bildungseinrichtungen in Trägerschaft der Legionäre verweisen, darunter die angesehene Universität Anahuac in Mexiko-Stadt; er hat zahlreiche Einrichtungen, Vereinigungen und Gruppen für Apostolat und Sozialarbeit ins Leben gerufen, Verlagshäuser, Zeitschriften, Zentren für Glaubensunterweisung, Theologie und Gesundheitswesen und sogar ein Reisebüro, das im Heiligen Jahr 2000 die Legionäre nach Rom brachte.
Es gibt nur sehr wenige offizielle Angaben zu Leben und Werk von Pater Maciel, über Tätigkeit und Ziele der Legionäre und von „Regnum Christi“ sowie ihre Rolle im Leben der Kirche. Anhänger und Verantwortliche sind notorisch zurückhaltend mit detaillierten Auskünften über die Gemeinschaft, vor allem auch wo es um Finanzquellen, um die ausgezeichneten Beziehungen zur Politik oder zu bestimmten Unternehmen geht. Von Journalisten fühlen sie sich belästigt und gehen ihnen gegenüber in eine Verteidigungsposition mit dem Argument, man habe sie immer dann in den Medien mit Kritik überhäuft, wenn sie Informationen leichter zugänglich gemacht hätten.
Eine Persönlichkeit mit zwei Gesichtern
Die weltweite Ausbreitung der Legionäre geht diskret vor sich. Sie möchten nicht zur Zielscheibe von Polemik werden und möglichst wenig ins Scheinwerferlicht der Massenmedien geraten, auch nicht in das der jeweiligen Diözese. Diskretion ist eine ihrer Maximen und gleichzeitig ein gewichtiges Instrument zur Positionierung und Einflussnahme in den Ländern und Gesellschaften, in denen sie tätig sind, immer um Anpassung an die jeweiligen Verhältnisse und Umstände bemüht.
Eine Herausforderung für das von Geheimniskrämerei geprägte Verhältnis der Legionäre zu den Medien ergab sich, als frühere Seminaristen, Priester und Mitarbeiter der Ordensgemeinschaft Maciel den Missbrauch Minderjähriger und Drogenkonsum vorwarfen. Diese Vorwürfe konnten nie bewiesen werden; die kirchliche Hierarchie und die den Legionären nahestehenden oder von ihnen kontrollierten Medien versuchten, den Mantel des Schweigens über sie zu breiten. Immerhin hatte der Heilige Stuhl deswegen aber den Gründer der Legionäre Christi von seinen Aufgaben an der Spitze der Gemeinschaft von 1956 bis 1958 suspendiert.
Wer ist dieser Marcial Maciel? Woher stammt die Doppelgesichtigkeit einer Persönlichkeit, die von einer christozentrischen Spiritualität ebenso geprägt ist wie von der Nähe zu den Zentren der Macht, von einer Pastoral des Dienstes wie von überheblicher Selbstgerechtigkeit? Maciel entstammt einer wirtschaftlich gut situierten und tief religiösen Familie, die viele Priester und Ordensleute hervorgebracht hat, darunter vier Bischöfe. Vor allem zwei seiner bischöflichen Verwandten (Bischof Rafael Guízar y Valencia von Veracruz und Bischof Francisco González Arias von Cuernavaca) waren Maciel sehr bei der Gründung der Legionäre und beim Zugang zum Heiligen Stuhl behilflich.
Vom Vater erbte der junge Maciel seine Hartnäckigkeit und seinen Stolz, von der Mutter, die ihm sehr nahe stand, seine tiefe Spiritualität, seine Liebe zur Familie und seine Hinwendung zu Jugendlichen und Benachteiligten. Im übrigen betreiben die Legionäre in aller Heimlichkeit die Seligsprechung der Mutter ihres Gründers. Der entsprechende Prozess begann 1990, dreizehn Jahre nach ihrem Tod in Mexiko-Stadt. Befragt man Bekannte der Familie und des Gründers der Legionäre über die Kinderjahre von Marcial, berichten sie, dass er nur knapp der Verhaftung entging, als er versteckten Katholiken die Kommunion brachte. Als Jugendlicher kletterte er auf einen Autobus, um während des Aufstands der „Cristeros“ Gläubige zu beruhigen, die gegen die Kirchenverfolgung durch die mexikanische Regierung protestierten. Während seiner Kinder- und Jugendzeit war er Zeuge öffentlicher Hinrichtungen von Glaubenszeugen auf dem Dorfplatz und hörte von mutigen Märtyrerpriestern, die er bewunderte.
Über seine Berufung zum Priestertum gibt Marcial Maciel an, er habe im Alter von fünfzehn Jahren gespürt, dass ihn Christus dazu berufen habe, das Leben für den Dienst am Reich Gottes einzusetzen. Den Weg zum Priestertum begann er im Untergrundseminar seines bischöflichen Verwandten Rafael Guízar in der mexikanischen Hauptstadt. Bei der eucharistischen Anbetung am Herz-Jesu-Fest des Jahres 1936 hatte er die Eingebung, eine Gruppe von Priestern ins Leben zu rufen, die sich mit Enthusiasmus und Großherzigkeit der Ausbreitung des Reiches Jesu Christi widmen sollten. Er informierte einige Mitseminaristen von seinem Plan; diese notierten in einem Heft gemeinsam ihre Vorstellungen über die künftige Gemeinschaft. Als Bischof Guízar starb, musste Maciel das Seminar verlassen; man hatte kein Verständnis für den Anspruch des erst sechzehnjährigen Seminaristen, eine Ordensgemeinschaft gründen zu wollen. Der Bruder des verstorbenen Bischofs von Veracruz, Bischof Antonio Guízar von Chihuahua, nahm ihn in seiner Diözese auf und schickte ihn in das Seminar von Montezuma im amerikanischen Bundesstaat Neumexiko, das von Jesuiten geleitete wurde. Auch bei ihnen stieß Marcial mit seinem Versuch, eine eigene Gemeinschaft innerhalb des Seminars ins Leben zu rufen, auf wenig Gegenliebe. Nach diesem zweiten missglückten Versuch fand er Aufnahme in der Diözese Cuernavaca, deren Bischof ihn in seinen Bestrebungen unterstützte. 1941 kehrte Maciel nach Mexiko-Stadt zurück. Dort begann er in einem Privathaus mit seiner „Apostolatsschule des Heiligsten Herzens Jesu“, in der er dreizehn Zwölf- und Dreizehnjährige auf das Priestertum vorbereiten wollte. Sie nannten ihn „Unser Vater“; diese Bezeichnung gebrauchen seine Anhänger bis heute.
Bischof González Arias von Cuernavaca weihte Maciel am 26. November 1944 in der Wallfahrtsbasilika von Guadalupe zum Priester. Schon wenige Monate später begannen 15 Mitglieder seiner Schule, die inzwischen 17 Jahre alt waren, das Postulat für die neue Gemeinschaft; im März 1946 wurde das entsprechende Noviziat errichtet, das der Gründer als „Universität“ bezeichnete, „in der man Christus studiert“. Von Anfang an legte er großen Wert auf eine möglichst gute intellektuelle Schulung seiner Mitstreiter; immer wieder versprach er ihnen schon in der ersten, völlig unzureichend ausgestatteten Bleibe, sie würden eines Tages an den besten Universitäten der Welt studieren. Zufällig traf Maciel den Rektor der Päpstlichen Universität Comillas im spanischen Kantabrien, den Jesuiten Francisco Javier Baeza, als dieser in Lateinamerika unterwegs war, um für seine Hochschule Werbung zu machen. Maciel erzählte ihm von seinen Plänen und von seiner Absicht, nach Europa zu kommen, und Baeza versprach dem jungen mexikanischen Priester, sich bei der spanischen Regierung für Stipendien an spanischen Universitäten zugunsten von Studenten aus Lateinamerika einzusetzen.
Eine Ordensgründung mit Hindernissen
Maciel fuhr nach Spanien, wo sich die Dinge allerdings schwieriger als geplant anließen. Auch hier kam ihm wieder ein Zufall zu Hilfe: Durch die Vermittlung eines in Madrid lebenden mexikanischen Historikers kam er in Kontakt mit dem damaligen spanischen Außenminister Alberto Martin Artajo. Dieser wiederum sagte ihm seine Hilfe für eine Reise nach Rom zu, wo Maciel den Papst aufsuchen wollte, um von ihm die Approbation seiner Gemeinschaft zu erbitten. Der hartnäckige und von seiner Sendung überzeugte Ordensgründer schaffte es tatsächlich, Pius XII. persönlich seine Bitte vorzutragen: Der Papst forderte Maciel auf, seinen Weg weiterzuverfolgen und die notwendigen Unterlagen für die kirchenrechtliche Anerkennung bei den zuständigen Kurienorganen einzureichen.
Man muss sich vergegenwärtigen, zu welcher Zeit Maciel nach Spanien kam. Im Februar 1943 zogen Vertreter des spanischen Episkopats in die Institutionen des Franco-Regimes ein, das Parlament, den Staatsrat, den Kronrat und den Regentschaftsrat, von dessen drei Mitgliedern einer ein Bischof sein musste. Maciel konnte damals in Spanien keinen besseren Verbündeten finden als den Außenminister eines Regimes, dessen Hauptmerkmal der Nationalkatholizismus war. Martin Ataajo hatte beste Kontakte zu den höheren Rängen der spanischen Hierarchie und war auch Vorsitzender der nationalen Journalistenvereinigung, für deren Gründer, Kardinal Herrera Oria, der Seligsprechungsprozess im Gang ist.
Die Bedeutung, die für Maciel Spanien zukommt, wurde bei seinem jüngsten Besuch in Madrid Ende 2001 deutlich. Dort sprach er bei einem Kongress für Familien von „Regnum Christi“ in der von den Legionären betriebenen Universität „Francisco de Vitoria“. Der Ordensgründer warnte dabei seine Anhänger vor Angriffen in den Medien und rief aus: „Spanien gehört Gott; Spanien gehört Christus! Lasst nicht zu, dass sich der Feind dieses schönen Landes bemächtigt, dass sich Gott auserwählt hat!“.
Zusammen mit ihrem Gründer kamen am 2. September 1946 die ersten „Missionare vom Heiligsten Herzen“ (der damalige Name der späteren „Legionäre Christi“) von Mexiko nach Spanien. In Comillas fand der junge mexikanische Priester schnell Gefolgsleute unter den dortigen Seminaristen, von denen sich viele der im Aufbau befindlichen Gemeinschaft anschließen wollten. Einige davon spielten später eine wichtige Rolle bei der Beschaffung von Finanzmitteln für die Gemeinschaft. Ende 1946 und im Jahr darauf gingen in Rom erstmals Berichte ein, in denen dem Gründer Drogenkonsum und der Missbrauch Minderjähriger vorgeworfen wurden. Diese Vorwürfe taten ihre Wirkung, so dass eine kirchliche Anerkennung der Gemeinschaft eine Zeitlang unerreichbar schien. Hilfreich erwies sich hier die Unterstützung durch Kardinal Nicola Canali, der Maciel auch eine Privataudienz bei Pius XII. verschaffte. So ließen sich die Auswirkungen der negativen Berichte zurückdrängen, und am 25. Mai 1948 wurde Maciel in Comillas davon in Kenntnis gesetzt, dass der Papst der Gemeinschaft das nihil obstat erteilt habe.
Während seines Aufenthalts in Rom, dem einstigen Mittelpunkt des Imperium Romanum, kam Maciel auch die Idee zum neuen Namen für seine Gemeinschaft. Wie die Legionen des Römischen Reiches sollten seine Ordensleute immer darauf vorbereitet und dazu entschlossen sein, sich dort geordnet und effizient einzusetzen, wo das Reich Jesu Christi sie am dringendsten benötigen würde. Sie sollten also „Legionäre Christi“ heißen. Als Gemeinschaft diözesanen Rechts wurden die Legionäre am 13. Juni 1948 in Cuernavaca durch Bischof Espino y Silva errichtet. Den offiziellen Angaben der Legionäre zufolge verdankte sich dieser Termin einer Eingebung von Maciel während einer Eucharistiefeier; ursprünglich war erst der 29. Juni vorgesehen. Bei der Ausarbeitung des entsprechenden Dekrets war der Kirchenrechtler und Apostolische Protonotar Gregorio Araiza behilflich. Maciel legte vor dem Bischof von Cuernavaca die Ordensgelübde ab und wurde von ihm zum ersten Oberen der Gemeinschaft ernannt. Mit dem Gründer leisteten Alfredo Torres und Rafael Cuena die Gelübde. Tags darauf erhielt Bischof Espino eine Mitteilung der vatikanischen Ordenskongregation, wonach die Errichtung der Gemeinschaft bis auf weiteres aufgeschoben werden solle. Dass Maciel und der Bischof von Cuernavaca dieser Weisung zuvorgekommen waren, dürfte damit zusammenhängen, dass er aus Rom – vermutlich von Kardinal Canali – einen entsprechenden Hinweis erhalten hatte. Es ist in jedem Fall erstaunlich, dass man im Blick auf die Errichtung der Gemeinschaft den Anschuldigungen und Berichten zu Person und Privatleben von Maciel nicht mehr Beachtung geschenkt hat. Erst kürzlich erschien wieder ein Buch, in dem ein Ex-Legionär die entsprechenden Vorwürfe bekräftigt (Alejandro Espinosa Alcalá, El Legionario, Editiorial Grijalbo, Mexiko-Stadt 2003).
Jesus Christus, die Mutter Gottes und der Papst
Die „Legionäre Christi“ pflegen eine christozentrische Spiritualität: Für jedes Mitglied der Gemeinschaft soll Jesus Christus Kriterium, Mittelpunkt und Modell für das religiöse Leben, die Existenz als Priester und die apostolische Sendung sein. Wichtig ist ihnen auch die Liebe zu Maria als Mutter der Kirche und Mutter ihrer Berufung; ihr weihen sie ihr Leben. Weiteres Kennzeichen der Legionäre ist eine entschiedene Liebe zur Kirche als Trägerin der Sendung Christi, zur Kirche, wie Christus sie gewollt hat. Sie sind darauf verpflichtet, über die Kirche im Gebet nachzusinnen, ihr gehorsam zu sein, sich für ihre Ausbreitung einzusetzen und sie im eigenen Leben zu heiligen. Die Devise lautet: Mit der Kirche gehen, weder einen Schritt voraus, noch einen Schritt hinterher.
Glühende und persönliche Verehrung gilt dem Stellvertreter Christi. Die Legionäre sind bemüht, mit vollem Einsatz seine Lehren und Wünsche zu verbreiten, seinen Primat und sein Lehramt zu verteidigen. Dazu kommt eine gläubige Verehrung für die Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Papst, als Nachfolger der Apostel und Zeugen der göttlichen und katholischen Wahrheit. Man bemüht sich darum, mit den Bischöfen im Rahmen der diözesanen Pastoral zusammenzuarbeiten, besonders in den Bereichen Bildung, Familie, Sozialarbeit und Medien. Leitlinie für das apostolische Engagement der Legionäre ist die Ausbreitung des Reiches Christi. Die Mitglieder sollen überzeugte Apostel sein, deren Handeln feste Überzeugungen und Motivationen zugrunde liegen, die sich im Geist der kirchlichen Gemeinschaft voll und ganz ihrer Sendung widmen. Jedes Mitglied soll zu einer reifen Persönlichkeit werden, gekennzeichnet durch Übereinstimmung zwischen Reden und Handeln; Aufrichtigkeit, Treue und Verantwortungsbewusstsein; die Fähigkeit zu klugen und festen Entscheidungen, eine gelassene Integration von Gefühlen und Leidenschaften im Zeichen von Glauben, Vernunft, und Liebe; eine Grundhaltung der Öffnung und Hingabe. Ein Legionär soll entschieden und diszipliniert sein, bescheiden und ausgeglichen. Er muss sich darum bemühen, ein herzlicher und kommunikativer Mensch zu sein, der Beziehungen mit den verschiedensten Menschen aufnehmen kann, zuvorkommend und ritterlich, aufrichtig, verlässlich und dankbar. Die Ausbildung der Legionäre sieht auch ein ein- oder zweijähriges Studium der Humanwissenschaften vor. Das Hauptaugenmerk gilt aber Philosophie, Theologie und Kirchenrecht. Normalerweise wird erwartet, dass die Mitglieder in einem dieser Fächer promovieren oder das Lizenziat ablegen. Die intellektuelle Schulung geht nach dem Studium weiter, im Regelfall durch Selbststudium wie durch jährliche Auffrischungskurse in den verschiedenen Fächern.
Maciel war sich von Anfang darüber im klaren, dass zur Ausbreitung des Reiches Christi auch ein Heer von Laien notwendig sein würde. Priester können schließlich nicht überall präsent sein, sind gelegentlich nicht gern gesehen oder haben nur schwer Zutritt zu weltlichen Institutionen und Tätigkeiten. Schon bald nach Errichtung der Legionäre als Ordensgemeinschaft war ihr Gründer darum bemüht, die Laienbewegung „Regnum Christi“ in Gang zu bringen, die dann 1949 Gestalt annahm. Es handelt sich um eine Bewegung für Apostolat und Evangelisierung, deren Mitglieder, von denen viele nach den Evangelischen Räten leben, sich in der missionarischen Tätigkeit der Kirche engagieren.
Zu „Regnum Christi“ gehören Frauen und Männer im Laienstand, aber auch Diakone und Priester. Die Bewegung genießt das Wohlwollen des Papstes und vieler Bischöfe. Sie möchte den Mitgliedern dabei helfen, ihre mit der Taufe verbundene Verpflichtung zur persönlichen Heiligung und apostolischem Einsatz zu leben, treu dem von Gott durch ihren Gründer empfangenen Charisma. Der Glaube soll das tägliche Leben in Familie, Pfarrei, Beruf und Gesellschaft prägen. Die Leitung von „Regnum Christi“ liegt in Händen der Legionäre. Auf der Grundlage der Überzeugung, Instrument der übernatürlichen und humanen Sendung der Kirche zu sein, identifiziert sich „Regnum Christi“ nie mit einer politischen Partei oder Gruppierung und macht sich kein politisches oder ideologisches System zu eigen. Die Bewegung möchte Katholiken heranbilden, die sich aktiv auf Jesus Christus und seine Kirche im Dienst an den Menschen einlassen.
Besonderes Engagement für Bildung und Erziehung
Die Mitglieder sollen sich mit ihrem spezifischen Charisma in die Pastoral des jeweiligen Bistums einbringen und das Leben ihrer Pfarrei mittragen. Außerdem ermuntert die Bewegung Initiativen der einzelnen Mitglieder durch die Aufforderung, sich zusammenzutun und den zeitlichen und örtlichen Umständen angemessene apostolische Werke ins Leben zu rufen. Die Bandbreite der den Mitgliedern empfohlenen Einsatzfelder ist groß und umfasst unter anderem die Mission, die soziale Entwicklung, Bildung, Glaubensschulen, Jugend- und Familienpastoral sowie die Bereiche Kultur und Medien. Das Denken von Marcial Maciel weicht keinen Finger breit von der traditionellen katholischen Lehre in ihrer konservativen, den äußeren Kennzeichen wie den inneren Einstellungen nach gelegentlich fast vorkonziliaren Spielart ab. Dementsprechend fällt sein Bild von der Welt sehr düster aus, wenn auch verbunden mit der Hoffnung, sie verändern und für Christus erobern zu können. Seine Legionen stehen dafür bereit und machen sich die beste Waffe in diesem Kreuzzug zu nutze: die Erziehung. Es geht für sie darum, Kinder und Jugendliche mit ihren Fähigkeiten und Schwächen möglichst gut zu kennen, um sie auf dieser Grundlage anleiten, führen und bilden zu können. Sie sollen eine neue Prägung erhalten, die sie in neue Legionäre oder in Laien verwandelt, die für die ihnen anvertraute apostolische Sendung bereit und ausgebildet sind, die Welt aus der Sünde zu befreien und wieder Gott nahe zu bringen.
In den Ausbildungseinrichtungen der Legion beherrscht ein Satz des Apostels Paulus alle Bemühungen: „Vince in bono malum“ (Besiege das Böse durch das Gute; Röm 12,21). Diesem Motto entsprechend geht es um die drei grundlegenden Zielsetzungen Lehren, Erziehen und Bilden: Also um die Vermittlung von kulturellen und wissenschaftlichen Inhalten, die es dem Schüler oder Studenten ermöglichen, den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht zu werden; um die Anleitung der Schüler zum klaren Denken und Argumentieren, zur Entdeckung und Bewunderung des Schönen, zur Kultivierung von Sensibilität, zur Förderung der Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit; um die Formung von Menschen, die sich den Anderen zuwenden, besonders den Benachteiligten, und für die humanen und transzendenten Werte offen sind. Alle Äußerungen, Reden und Briefe des Gründers der Legionäre Christi sind von dieser Spiritualität durchdrungen, ebenso von der Notwendigkeit, den Menschen das Evangelium näher zu bringen. Maciel unterlässt es, öffentlich zu aktuellen Fragen und Diskussionen Stellung zu beziehen. Zurückhaltung ist für ihn ebenso kennzeichnend wie für die Legionäre und die Mitglieder der Bewegung „Regnum Christi“. Sie sind höflich und gebildet und vermeiden die direkte Konfrontation. Sie möchten möglichst keinen Anstoß erregen und vermeiden, dass ihnen ihre orthodoxen Positionen den Zugang zu liberalen und progressiven Milieus erschweren.
Lateinamerika als Hoffnung für die Kirche
Neben der Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen nimmt bei den apostolischen Zielsetzungen der Legionäre und von „Regnum Christi“ die Stärkung der traditionellen Familie einen vorrangigen Platz ein. Jede Familie soll wirklich zur „Hauskirche“ werden (die Legionäre befürworten die Weihe der Familien an das Herz Jesu und legen Wert auf eine kleine Gebetsstätte in möglichst jedem Haus). Für sie entsteht in der Familie die Zivilisation des dritten Jahrtausends auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Dadurch werde auch die Kirche gestärkt. Die Legionäre formulieren: „Die Familie ist eine humanisierende Kraft für die Gesellschaft. Sie kann ungeahnte Energien freisetzen, die den Menschen aus der Vereinzelung befreien können. Die Zukunft der Menschheit hängt an der Familie.“ Sie betreiben unter verschiedenen Bezeichnungen zahlreiche Familienzentren in 69 Städten und 14 europäischen und amerikanischen Staaten. Letztlich soll die Förderung der Familien dazu dienen, Berufungen und Mitarbeiter für die Legionäre wie für die Kirche insgesamt hervorzubringen.
Besonderes Augenmerk gilt bei den Legionären und der Bewegung „Regnum Christi“ nicht zuletzt der Frau (der Bewegung gehören auch Frauen an, die sich auf die Evangelischen Räte verpflichtet haben). Nach eigenen Aussagen wollen sie Frauen dabei helfen, ihre Berufung zu Liebe und Ehe als Gattin, Mutter und Erzieherin zu verwirklichen. Gleichzeitig sollen sich Frauen aber auch der Welt der Kultur und der Wirtschaft öffnen, sich am gesellschaftlichen und kirchlichen Leben beteiligen und so in die Gesellschaft den „weiblichen Genius“ einbringen. Betont wird auch der unersetzliche Beitrag der Frau für die Weitergabe des Glaubens und der religiösen Wertevermittlung. Die Frau sei dazu berufen, in die Kirche ihre ausgeprägte Fähigkeit zur hingebenden Liebe einzubringen.
In den letzten Jahren haben sich die Legionäre besonders die Herausforderungen durch die bioethische Entwicklung (seit 2001 verfügt „Regina Apostolorum“ über eine Fakultät für Bioethik) wie die Auseinandersetzung mit Esoterik und neuer Religiosität als neue Arbeitsfelder erschlossen. So ging es bei einer Veranstaltung Anfang 2002 um die östlichen Religionen, New Age, den Okkultismus und den Satanismus in der Rockmusik. Man kam dabei zu dem Schluss, die neue Evangelisierung müsse von drei grundlegenden Wahrheiten ausgehen: der Beweisbarkeit der Existenz Gottes, der historischen Glaubwürdigkeit der Evangelien sowie der Einheit der katholischen Kirche. Die neue Spiritualität richte sich offen gegen den Katholizismus.
Als lebendige Hoffnung für die katholische Kirche betrachtet der Gründer der Legionäre Lateinamerika. Trotz der Schattenseiten der Evangelisierung in Lateinamerika müsse man den bewundernswerten Einsatz der Missionare für den Glauben und das menschliche Wohl anerkennen. Die Kirche Lateinamerikas werde immer mehr zu einer evangelisierenden Kirche. Gleichzeitig wendet sich Maciel kritisch gegen die Befreiungstheologie, die die Legionäre hauptsächlich in der mexikanischen Provinz Chiapas bekämpft haben. Das Lehramt, so der Gründer, habe mit Recht unterschieden zwischen einer „wahren christlichen Befreiung, die vor allem umfassende Befreiung des Menschen und geistliche Befreiung von der Sünde bedeutet, und anderen Spielarten, die zu noch schlimmeren Versklavungen führen können“. Maciel hat den Papst bei seinen bisher fünf Reisen nach Mexiko begleitet; die Legionäre waren stark bei den Vorbereitungen für diese Papstbesuche engagiert. Im Zusammenhang mit dem sechzigjährigen Jubiläum der Legionäre wurde Cotija, die Geburtsstadt ihres Gründers, zum Marienwallfahrtsort: Maciel weihte dort im Dezember 2001 eine Muttergottesstatue, die er seinem Heimatort geschenkt hatte. Der Erzbischof von Mexiko-Stadt, Kardinal Norberto Rivera, verlas dabei eine Papstbotschaft an die Pilger. Wenige Tage später erhielten in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore 44 Legionäre die Priesterweihe, darunter sechzehn Spanier und dreizehn Mexikaner.