Ehrungen sind ambivalent. Die Geehrten freuen sich darüber und dies meistens ja auch zu Recht. Gleichzeitig droht ihnen aber auch, selbst wenn ihre Namen in aller Munde sind, vergessen zu werden. Besonders gefährlich sind solche Ehrungen für diejenigen, die nicht mehr selbst ihre Stimme gegen ein solches Vergessen erheben können. Die folgenden Bemerkungen zu einem der wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts, Karl Rahner, wollen ihn nicht nur ehren, sondern Partei für ihn ergreifen. Sie wollen Partei für einen Theologen ergreifen, dem das Denken eine Einübung in den Glauben darstellte und der deshalb, weil er von der lebensdienlichen Kraft dieses Glaubens zutiefst überzeugt war, mit einer ungeheuren Energieleistung andere in diese Einübung hineinnehmen wollte. Rahners Von der Not und dem Segen des Gebetes, von ihm selbst nur „Büchlein“ genannt, ist unzähligen Menschen zur Gebetsschule geworden. Die Eindringlichkeit, mit der Rahner menschliche Erfahrungen als Erfahrungen mit Gott und damit als Erfahrungen mit dem Geheimnis, in dem nach Rahner das menschliche Leben immer schon gründet, auszudeuten versuchte, erinnert in vielem an die klassische, bereits in der Antike und dann vor allem von Kierkegaard praktizierte maieutische Methode. Sie versucht, einen bereits voraussetzbaren Resonanzraum im anderen Menschen zu eröffnen – im anderen Menschen zum Klingen zu bringen, was diesem möglich und doch nur durch ihn selbst zum Klingen zu bringen ist.
Rahner konstruktiv weiterdenken
Rahner ist der Neuzeit zutiefst verpflichtet, und er hat damit theologisch vollzogen, was katholischerseits gegen den heftigen Widerstand traditionalen Denkens erkämpft werden musste: Dass jede Rede von Gott immer auch Anthropologie ist (vgl. besonders Theologie und Anthropologie, in: Schriften zur Theologie 8, Einsiedeln 1967, 43–65; dazu in jüngster Zeit Georg Essen, Transzendentales Denken und Letztbegründung. Annäherungen an Karl Rahner, in: Heinrich Klaucke [Hg.], 100 Jahre Karl Rahner. Nach Rahner post et secundum, Karl Rahner Akademie 2004, 11–28). Schärfer noch: Dass nicht nur in der sorgsamen Achtung auf den Menschen und seine geistigen Vollzüge verantwortet über Gott geredet werden kann, sondern der einzelne Mensch diese Zusammenhänge auch selbst mitvollziehen muss, damit der Glaube ein menschlicher Akt sei, der diesen Namen verdient. Aber ist dies nicht zutiefst biblisch? Sucht im biblischen Zeugnis nicht auch Jesus, den Gott Israels ausdeutend, die freie Einstimmung des Menschen in die vorbehaltlos für diesen daseinwollende Güte Gottes? Schon deshalb, weil Rahner wie vielleicht kein anderer Theologe des 20. Jahrhunderts sein Leben dieser Einübung in den Glauben verschrieben hat, dürfen sich diejenigen über seine Ehrung freuen, denen „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“ nicht gleichgültig sind und die deshalb, weil ihre Empathie sich aus der Hoffnung an den zuvorgekommenen Gott speist und sie sich in ihrem Handeln von diesem Gott leiten lassen, „Jünger Christi“ sind (Zweites Vatikanisches Konzil, Gaudium et spes, Vorwort).
Rahners Mitvollzug der anthropologischen Wende war deshalb gerade keine billige Andienerei an die Neuzeit (zumal er ja auch ihre Dialektik genau wahrgenommen hat), sondern Vollzug einer biblischen Grundeinsicht. Überdies bleibt Rahners Denken, darauf hat Herbert Vorgrimler vor kurzem nochmals mit Nachdruck hingewiesen, radikal theozentisch (vgl. Zur bleibenden Aktualität Karl Rahners, in: Theologische Revue 100 [2004] 92–100, 94 f.). Theozentrik und Denken vom Menschen her schließen sich gerade nicht aus. Rahners Theologie ist Rede von Gott, aber eben in Bezug zum Menschen und vom Menschen her. Und wie sollte dies auch anders sein. Denn christliche Rede von Gott ist Rede von dem Gott, der sich selbst den Menschen mitteilt. Und so kann auch der Glaube nicht anders überliefert werden und Resonanz finden, als dass immer zugleich über Gott und den Menschen geredet wird.
Hinter die anthropologische Wende der Theologie gibt es deshalb schon aus theologischen Gründen keinen Weg zurück. Vielmehr ist „das Zusammenspiel von Theologie und Anthropologie eine letztlich unabweisliche Mitgift der Menschwerdung Gottes selbst“ (Albert Raffelt/Hansjürgen Verweyen, Karl Rahner, München 1997, 93). Umso erstaunlicher sind so manche Polemiken gegen Rahner. Man muss die gegenwärtig heftig diskutierten Thesen Jan Assmanns zur Mosaischen Unterscheidung nicht teilen. Aber dass der Glaube an die eine Wahrheit immer wieder dazu verleitet, nicht nur notwendige Unterscheidungen zu setzen, sondern die Differenz zur eigenen Identitätsstabilisierung oder gar -findung zu missbrauchen, ist kaum zu bestreiten. Spätestens da, wo irgendwelche fragwürdig kolportierten biographischen Notizen das Argument ersetzen müssen, es kaum noch um die Sache der Theologie geht, wird man den Verdacht nicht los, dass Assmanns Hermeneutik der Mosaischen Unterscheidung jedenfalls in psychologischer Hinsicht nicht jede Wahrheit abzusprechen ist. Die geradezu zum Habitus werdende Penetranz, mit der manche Kritiker Rahners, dabei mit Häme und Polemik nicht geizend, diesen inzwischen zum Unglück der Katholischen Theologie stilisieren, ist womöglich ein Beispiel hierfür. Theologisch aber zu erinnern ist: Gottes Wort gibt es nur in menschlicher Aneignung, das wusste bereits Augustinus, und deshalb wird es solange, wie dieses Wort angeeignet sein will und muss, auch quaestiones disputatae geben.
Auf der Suche nach der verlorenen Mitte
Dabei liegen die Probleme gegenwärtiger Theologie wirklich woanders. Viele hat Rahner hellsichtig vorhergesehen, ja ihre Bearbeitung bereits prophetisch angemahnt. Rahner hat genau gesehen, dass in einer sich selbst immer durchsichtiger werdenden Welt der Glaube an den frei erwählenden und barmherzigen Gott die Theologie zu erheblichen Denkanstrengungen auffordern würde. Natürlich hat auch Rahner am Ende nicht mehr gewollt, als mit seiner Theologie dem gelebten Glauben zu dienen. Was anderes hat redliche Theologie auch zu tun? Aber sie dient diesem Glauben eben dadurch, dass sie ihn mit der ganzen Kraft des Denkens verstehend erschließt und verantwortet. Rahner hat sich dieser Aufgabe entschieden gestellt. Und dies mit einer spekulativen Anstrengung, die es unmöglich macht, in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um Notwendigkeit und Segen einer Theologie, die diese Anstrengung nicht scheut, Rahner als Kronzeugen gegen die Spekulation zu bemühen. Rahners Arbeiten zur Christologie und Trinitätstheologie, aber auch die transzendentaler Methodik verpflichteten Reflexionen zur Hingeordnetheit des Menschen auf Gott gehören vielmehr zu den bleibenden Pionierarbeiten des 20. Jahrhunderts. Es sind Arbeiten, die sich um Gottes und des Menschen willen weit vorwagen im Nachdenken über den sich selbst mitteilenden Gott, aber auch über den verborgenen, häufig unverständlich bleibenden Gott. Wenn Rahner von Gott als dem „absoluten Geheimnis“ spricht, dann deshalb, weil das „Woraufhin“, auf das in seiner theologischen Logik der Mensch gnadenhaft angelegt ist, „nicht wirklich als es selbst innerhalb der Reichweite der Transzendenz hereingeholt und so vom anderen unterschieden werden kann“ (Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg [1976] 1984, 72).
Der berechtigte Ruf nach einer lebensnahen Theologie wird sich jedenfalls nicht in vereinseitigender Weise auf Rahner stützen können. Theologie wird in ihren Überlegungen immer abgründig bleiben, weil sie den zu denken versucht, über den hinaus nichts Größeres zu denken ist. Zudem kann die Theologie sich nicht der Aufgabe entziehen, das Ganze der Wirklichkeit in den Blick zu bekommen, wenn sie nicht von der Nominaldefinition Gottes Abschied nehmen will, dass alle Wirklichkeit von dem einen Gott zu sich selbst eröffnet wird. Rahner hat sich dieser Aufgabe nicht entzogen. Wer heutzutage Theologie meint treiben zu können, ohne durch diese an der Tradition abgearbeiteten Arbeiten hindurchzugehen, unterschätzt vermutlich das hier erreichte Reflexionsniveau, vermutlich aber auch die zu leistende Aufgabe. Zwei Themenkreise, viele weitere wären möglich, seien hier angesprochen. Beide werden vielleicht nicht unbedingt mit Rahner verknüpft. Nichtsdestotrotz führen sie aber in das Zentrum seiner Theologie, und sie machen ihn zu einem lebendigen und herausfordernden Gesprächspartner.
Wer sich heute neu an einer theologischen Fakultät zu bewegen versucht, wird es schwer haben, ihre Mitte zu finden. Studierende beklagen dies ab und an noch, Lehrende hingegen tun sich, wenn nicht alles täuscht, zunehmend schwer damit, die Frage nach der Mitte und damit die Frage nach der Einheit der Theologie überhaupt noch zu stellen. Nicht nur ist die theologische Landschaft durch eine ungeheure Themenvielfalt bestimmt. Sondern zunehmend drängt sich der Eindruck auf, dass bedingt durch das Sicheinlassen auf die in den nichttheologischen Wissenschaften üblichen Methoden theologische und nichttheologische Wissensbestände unvermittelt nebeneinander stehen – ja schärfer noch: Es drängt sich der Eindruck auf, dass nicht mehr klar ist, wo eigentlich innerhalb der Theologie noch die Theologie bleibt. Nun will ich keineswegs in die Larmoyanz derjenigen einstimmen, die die Suche nach der Mitte der Theologie als Suche nach der verlorenen Zeit verstehen und immer auch bereits verstanden haben, in welche Zeit zurück der Weg zu gehen hat. Die Befreiung beispielsweise der Exegese aus der hermeneutischen Vormundschaft einer in ihrer Subtilität enggeführten Dogmatik kann doch nur kritisch beäugen, wer den ungeheuren Gewinn dieser Forschung für einen Glauben, der sich in die Gebetstraditionen Israels und damit Jesu einschreiben will, leugnet (vgl. dagegen Joseph Kardinal Ratzinger, Kirchliches Lehramt und Exegese. Reflexionen aus Anlaß des 100-jährigen Bestehens der Päpstlichen Bibelkommission, in: Internationale Katholische Zeitschrift Communio 32 [2003] 522–529).
Und das historische Verstehen des gelebten Glaubens vergangener Generationen wird doch nur der nicht wollen, dem die Vergangenheit und die Gegenwart bedeutungslos sind. Deshalb wird man auch die Methodenautonomie, auf der die philologisch und historisch arbeitenden theologischen Disziplinen gegen eine jede naiv-autoritäre dogmatische Vormundschaft bestehen, nicht zurückweisen dürfen. Dennoch meine ich, dass auch die andere Frage, was denn nun eigentlich das eigentlich Theologische dieser Forschung ausmacht und welchem Zweck sie dient, nicht einfach ausgeblendet werden darf. Und ebenso wenig können zwar auch die praktischen Fächer, wenn die Theologie die Zeichen der Zeit zu lesen hat, darauf verzichten, sich die Einsichten humanwissenschaftlicher und soziologischer Forschung anzueignen. Die Kunst wird freilich darin bestehen, sich diese Einsichten anzueignen, ohne in Vergessenheit geraten zu lassen, dass die Theologie den Menschen als Hörer des Wortes Gottes verstehen lernen muss.
Die Theologie muss theologisch bleiben
Rahner hat ganz offensichtlich schon früh erahnt, dass das theologisch geforderte Sicheinlassen auf die anderen, nichttheologischen Wissenschaften die Zukunftschance der Theologie schlechthin sei, hat aber auch hellsichtig vor einer neuen „Art profaner Erfahrung gewarnt“, die nur noch die oft beschworenen harten Fakten zulässt, weil diese „belastet ist mit all den Gefahren, Fragwürdigkeiten und Vorläufigkeiten, die mit dieser seltsamen, manipulierten wissenschaftlichen ,Empirie‘ gegeben sind“ (Die Herausforderungen der Theologie durch das Zweite Vatikanische Konzil, in: Schriften zur Theologie 8, Einsiedeln 1967, 13–42, 18). Rahner hat erahnt, in welche Bedrängnis die Theologie kommen würde, wenn sie erst einmal in ihrer ganzen, methodisch bedingten Ausdifferenzierung ihre theologische Mitte verliert oder sich gar auf empirische Forschung verengt. In dem eben zitierten Aufsatz warnt er mit Nachdruck vor einer womöglichen theologischen Interesselosigkeit der theologischen Disziplinen. Es gibt auch eine solche Interesselosigkeit gar nicht. Höchstens das Interesse, vielleicht unter dem Druck grassierender „Wissenschaftsgläubigkeit“, sich bestimmter theologischer Optionen und Entscheidungen zu enthalten. Deshalb kommt er zu der spitzen Aussage, dass die theologischen Disziplinen „ihr eigenes Wesen nur dann richtig“ verstünden, wenn sie der wirklich lebendigen Verkündigung des Evangeliums und der christlichen Botschaft von heute“ dienten (20). Wenn Rahner dies fordert, dann geht es ihm nicht darum, nun wiederum die Methodenautonomie der einzelnen Disziplinen aufzugeben und diese unter die Vorherrschaft der Dogmatik zu stellen. Wenn aber die Theologie Theologie, Rede von Gott, die eine Theologie bleiben soll, dann werden sich die verschiedenen theologischen Disziplinen zwar mit unterschiedlichen Zugehensweisen, jedoch gemeinsam und je neu auf die Suche nach dem Grund der Hoffnung und damit nach dem einen Wesensbegriff christlichen Glaubens begeben müssen.
Was aber ist die Hoffnung, die Christen umhertreibt? So umhertreibt, dass immer wieder Menschen sich von dieser Hoffnung bestimmen lassen, ja vielleicht sogar ihr Leben für sie riskieren? In welchem Gott gründet diese Hoffnung? Wer ist dieser Gott? Dass es hier im Verlauf der Kirchen- und Theologiegeschichte zu massiven Fehlverständnissen gekommen ist, kann nicht bestritten werden. Nüchterne Aufklärung tut hier auch weiterhin Not. Ohne aber einen normativen Begriff von dieser Hoffnung und einen bestimmten Begriff von diesem Gott zu haben, frisst die sich nicht über sich selbst aufklärende Aufklärung ihre eigenen Kinder und damit bekanntlich am Ende sich selbst auf. Die Zukunft des Glaubens, damit aber auch die Zukunft der Theologie werden davon abhängig sein, ob die ihnen zugrunde liegende Hoffnung in bestimmter Weise aussagbar bleibt.
Die wahnwitzige Hoffnung der Christen verantworten
Vielleicht wäre es für die angemahnte Aufgabe der Theologie vorteilhaft, sich zentralen Fragen zu stellen. Im nervösen Zentrum der Theologie steht zweifelsohne die Frage nach Gott angesichts der abgründigen Leidensgeschichte seiner Schöpfung. Schon früh hat Rahner, wie übrigens auch der viel zu sehr als sein Antipode hochstilisierte Hans Urs von Balthasar, die viel mehr verbindet als trennt, auf die Krisis des Glaubens und damit der Theologie verwiesen, die durch die geschichtlichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts ausgelöst wurde. Kann nach Auschwitz und den Gulags, kann nach den menschenverachtenden Ideologien die Rede von der Erlösung noch ungebrochen aufrechterhalten werden? Belegt nicht die gesamte Geschichte christlicher Theologie, konfrontiert man sie mit den sprachlos machenden Gräuel der Menschheitsgeschichte, das von Johann Baptist Metz schließlich geprägte Wort von der „Verblüffungsfestigkeit“ der Theologie? War und ist nicht die Rede von Erlösung vielleicht sogar resistent gegenüber realen geschichtlichen Erfahrungen? Leidvergessen?
Rahner hat um diese Gefahr gewusst und die Hoffnung auf Erlösung doch nicht aufgegeben. Er hat diese Hoffnung sogar auf die Täter hin geweitet. Obzwar Rahner die Möglichkeit der Hölle und damit einer ewigen Verweigerung des Menschen zur Umkehr nicht bestreiten wollte, hat er die Hoffnung auf Rettung aller nicht aufgegeben: „Ich hoffe, dass Gott doch, ohne dass ich das jetzt wissen kann, eine Welt geschaffen hat, in der alle Fragen eine positive Lösung finden.“ Und Rahner fügte hinzu: „Über eine solche Apokatastasislehre, die orthodox akzeptabel wäre, hätte ich gerne noch etwas geschrieben. Aber es ist eine schwierige Sache...“ (Karl Rahner im Gespräch. Hg. v. Paul Imhof und Hubert Biallowons, 2: 1978–1982, 56). Mit Nachdruck akzentuiert heißt es an anderer Stelle: Der Christ darf sich nicht davon „dispensieren, (...) für alle zu hoffen“ (Profangeschichte und Heilsgeschichte, in: Schriften zur Theologie 15, Einsiedeln 1982, 11–23, 15). Nicht nur also von einer Hoffnung, sondern einer Pflicht, für alle zu hoffen, spricht Rahner. Ganz offensichtlich steht für Rahner diese Hoffnung, die weiß, wovon sie spricht, im Zentrum einer christlichen Spiritualität.
Rahner selbst hat die Frage einer orthodoxen Apokatastasis meines Wissens nicht mehr ausdrücklich bearbeitet. Womöglich lassen sich aber an ihr Probleme studieren, die am Ende auf die gesamte, dem biblisch bezeugten Gott adäquate theologische Denkform zielen. Und vielleicht sind dies ja auch die Probleme, die, erst einmal konsequent ins Zentrum theologischen Nachdenkens gerückt, für das gesuchte gemeinsame theologische Selbstverständnis innovativ wirken. Schauen wir auf Rahner selbst. Man muss die Diskussion um mögliche Verschiebungen zwischen der Erst- und der Zweitauflage von Hörer des Wortes nicht aufnehmen (vgl. Raffelt/ Verweyen, Karl Rahner, 47–50; Karsten Kreutzer, Transzendentales versus hermeneutisches Denken. Zur Genese des religionsphilosophischen Ansatzes bei Karl Rahner und seiner Rezeption durch Johann Baptist Metz, Regensburg 2003; zu werkgenetischen Fragen bei Rahner insgesamt vgl. Andreas R. Batlogg [u. a.] [Hg.], Der Denkweg Karl Rahners. Quellen – Entwicklungen – Perspektiven, Mainz 2003), um das eigentliche Sachproblem in den Blick zu bekommen. Entscheidend vielmehr gerade im Hinblick auf die von Rahner angesprochene orthodoxe Apokatastasis ist, ob der Gedanke erreichbar ist, „dass die Geschichte Gottes mit den Menschen eine wirklich offene ist“ (Thomas Pröpper, Gott hat auf uns gehofft... Theologische Folgen des Freiheitsparadigma, in: Evangelium und freie Vernunft. Konturen einer theologischen Hermeneutik, Freiburg 2001, 300–321, 316). Denn nur unter dieser Voraussetzung bleibt die Hoffnung auf Erlösung aller eine Hoffnung und wird am Ende nicht doch zu einem Wissen, welches dann weder mit der Freiheit Gottes noch aber mit der Freiheit des Menschen rechnet, eine für den Menschen, der mit offenen Augen auf das Unabgegoltene der Geschichte sieht, grausliche Vorstellung und Verrat am biblischen Zeugnis für den Gott, der im Bilderverbot auf der Unverfügbarkeit seiner Freiheit besteht.
Die Weltlichkeit der Welt bejahen
Zweifelsohne hat Rahner ein solches Freiheitsverhältnis nicht negieren wollen. Und doch fragt sich, ob nicht eine Theologie, die entschieden ernst macht mit der Ausarbeitung einer christlichen Hoffnung, die vielleicht auch noch – wie bei Hans Urs von Balthasar geschehen – ein Scheitern Gottes angesichts des von ihm eingegangenen Risikos einer Schöpfung zu denken wagt, wenn auch nur ein Mensch sich seinem Versöhnungs- und Vergebungsangebot verweigerte, den Freiheitsbegriff nicht strenger fassen müsste. Denn Rahner hat ja nicht nur den Begriff der Gnade zu dem Grundbegriff christlicher Theologie schlechthin gemacht, sondern den Gedanken ihrer Wirksamkeit am Ende doch wieder, wie weite Teile der Tradition, so forciert, dass auch noch die Annahme der Gnade ihr Werk sei. Kann dann der Mensch sich aber noch dieser Gnade verweigern? Oder, eine riskante Frage, verweigert Gott selbst die Wirksamkeit der Gnade? Jedenfalls müsste genau gesagt werden, was es meint, dass die „Annahme“ der Gnade „von Gott selbst getragen werden“ muss (Grundkurs des Glaubens, 134). Zwar betont Rahner, dass es sehr wohl die Möglichkeit gebe, „gegen das letzte Woraufhin“ der „Transzendenz“, gegen Gott „selber zu verstoßen“ (106). Ob aber, wenn an dieser Möglichkeit festgehalten werden soll, bei Rahner die Freiheit des Menschen wirklich radikal genug gedacht ist, wenn es bei ihm auch heißt, dass Gott „seine eigene göttliche Wirklichkeit mitteilend zum Konstitutivum der Vollendung des Geschöpfes macht“ (128), muss weiter diskutiert werden.
Selbst wenn es Gott ist, der durch sein Zuvorgekommensein und seine bleibende Treue die Annahme seiner selbst durch die menschliche Freiheit ermöglicht, so ist das Verhältnis von Gott und Mensch doch als das Verhältnis einer Differenz-Einheit zu begreifen – da so erstens die Freiheit Gottes als „bleibend freie (noch den begnadeten Geschöpfen gegenüber freie)“ bestimmt ist, zweitens es der Mensch ist, der in der formal unbedingten Aktualität seiner eigenen Freiheit sich von der vergebenden Liebe Gottes beschenken lässt und deshalb drittens die Geschichte zwischen Gott und Mensch auch noch bis in die eschatologischen Fragen hinein als freie gedacht ist. Man wird diese Rückfragen stellen dürfen, weil Rahner selbst sich mit Sicherheit nicht der Konsequenz einer (monistischen) Selbstbewegung Gottes ausgesetzt hätte und seine Gnadentheologie wohl eher noch zu selbstverständlich „Basisannahmen“ klassischer Gnadentheologie teilt (Pröpper, Gott hat auf uns gehofft..., 315; vgl. Karl-Heinz Menke, Das Kriterium des Christseins. Grundriss der Gnadenlehre, Regensburg 2003, bes. 179–183), die um der Gottheit Gottes willen mit Argwohn die Möglichkeit eines Verfügenkönnens des Menschen über Gott auszuschließen trachteten. Mit Recht. Aber wird diese Gefahr nicht hinfällig, wenn die radikale Geschöpflichkeit des Menschen betont und zugleich der Gedanke riskiert wird, dass Gott in der Freiheit des Menschen seine Anerkennung sucht und gerade hierin die Größe dieses Gottes offenbar wird? Dass es eines der größten Geheimnisse dieses Gottes ist, dass er die Schöpfung gewollt hat und sich dem Menschen und seiner möglichen Verweigerung, der Sünde, ausgesetzt hat? Ein in der Tat abgründiger Gedanke, aber wohl zu wagen angesichts des Gottes, der am Kreuz als er selbst, als bedingungslose Liebe offenbar geworden ist. Eines der Geheimnisse des Menschen aber ist, dass er, sich annehmen lassend von dem ihm bereits zuvorgekommenen Gott, diesem Gott entsprechen kann.
Da aber der Mensch immer Geist in Welt ist, dieses zu sein, seine Aufgabe ist, kann es kein weltabgewandtes Christentum geben. Rahner war ein die Weltlichkeit der Welt bejahender und ein politischer Theologe zugleich: „Gott läßt die Geschichte sich selbst ausgeliefert sein: dem Gang ins Unbestimmte, dem Versuch, der Verantwortung der eigenen Planung, der Möglichkeit der Verirrung, der tragischen Selbstaufhebung usw., und zwar auch dort, wo man dem Wort Gottes und seinen Geboten nicht ungehorsam ist. Die Heilsgeschichte schickt also den Heilsuchenden auch in die profane Geschichte hinaus, die dunkel, unübersehbar Aufgabe bleibt, und gebietet ihm, es darin auszuhalten, sich darin zu bewähren, im Ungedeuteten an den Sinn zu glauben, so gerade Gott als das Heil anzunehmen...“ (Weltgeschichte und Heilsgeschichte, in: Schriften zur Theologie 5, Einsiedeln 1962, 130 f.). Liest man solche, die Freiheit und die Würde des Menschen hochschätzenden Sätze Rahners, ist zu ermessen, wie hoch und – ich will den Ausdruck wagen – wie fromm er von Gott, von seiner staunenerregenden Größe dachte: Dass Gott nicht nur irgendeinen Menschen, sondern diesen als freien wollte. Hinter Rahner zurück zu wollen hieße deshalb, hinter das historisch erreichte Bewusstsein von der Würde des Menschen, vor allem aber eben auch hinter das historisch erreichte Bewusstsein von der Größe des Gottes zurück zu wollen, der den freien Menschen wollte: Hinter den Gott, der eine freie Geschichte riskiert hat. Man mag, vielleicht sogar mit guten Gründen Rahners Rede vom „anonymen Christentum“ für problematisch halten. Theozentrisch gelesen aber meint dieser Begriff, dass mit diesem Gott zu rechnen ist. Auch da noch, wo er noch nicht oder nicht mehr ausdrücklich zur Sprache gebracht wird. Deshalb konnte sich Rahner mit guten Gründen auf Dialoge einlassen, denen sich andere verweigerten. Kann es ein größeres Vermächtnis an Theologie und Kirche geben? Umso nachdenklicher muss machen, dass ausgerechnet die Katholische Akademie, die in Deutschland seinen Namen trägt, nun von der Schließung bedroht ist.