Spricht die Evolution von Gott?Intelligent Design

Unter dem Begriff „Intelligent Design“ gibt es in den Vereinigten Staaten Versuche, die Evolutionstheorie mit der christlichen Schöpfungslehre zu versöhnen. Schon seit einiger Zeit interessiert man sich für diesen umstrittenen Ansatz auch in Europa, angefeuert wurde die Debatte durch Äußerungen des Wiener Erzbischofs Kardinal Christoph Schönborn.

Die modernen Naturwissenschaften haben Gott aus dem Universum vertrieben: zunächst einmal aus dem anorganischen Bereich, den man seit dem 18. Jahrhundert als rein mechanistisch-kausalen ansah, seit Darwin auch aus dem Bereich des Lebendigen. Was uns zweckmäßig erscheint, der Bau und das Wirken von Lebewesen, ist nach Darwin nur die Sekundärwirkung blinder Naturgesetze und ebenso blinder Zufälle. Hinter der Entwicklung des Lebens steckt kein „Design“. Die Entwicklung der Biologie seit der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts hat diese Auffassung bestätigt: je weiter wir in den mikromolekularen Bereich Einblick haben, je weiter wir unser Wissen mit Hilfe von System- und Spieltheorie vorantreiben, desto eindeutiger scheint der Schluss, dass hier kein „Designer“ am Werk ist, sondern der blinde Zufall sein Werk verrichtet.

Ein gläubiger Mensch kann auf diese Provokation der Wissenschaft verschieden reagieren. Er kann erstens behaupten, dass die Wissenschaft sich irrt, weil sie ihre eigenen Befunde falsch deutet, zweitens insistieren, dass der Glaube nichts mit Vernunft zu tun hat, sondern nur auf dem Gefühl beruht, drittens vertreten, dass zumindest die Naturwissenschaft die Phänomene nicht unter jeder Rücksicht erkennt und dass der religiöse Aspekt gerade der sei, der ihr entgeht, oder viertens den Schluss ziehen, dass aus der Nichtanwesenheit Gottes in der Naturwissenschaft seine Nichtexistenz folgt. Die erste Position ist religiöser Fundamentalismus, die zweite Irrationalismus, die dritte ist eine philosophische Position, die ausformuliert werden muss und die vierte ist der szientifisch motivierte Atheismus. Die Mehrzahl der katholischen Theologen und Philosophen vertritt die dritte Position und lehnt die anderen ab. Nach dieser Standardauffassung machen die religiösen Fundamentalisten im Grunde denselben Fehler wie die szientifischen Atheisten. Beide unterstellen nämlich, dass die Naturwissenschaft für alles zuständig ist, was es auf der Welt gibt. Glaubt man dies, dann folgt aus dem methodischen Atheismus der Naturwissenschaft ein ontologischer. Ist man dagegen – aus welchen Gründen auch immer – von der Existenz Gottes überzeugt, dann folgt nach derselben Logik, dass die gängige Naturwissenschaft falsch sein muss. Denn wenn sie wahr währe, müsste Gott in ihr vorkommen, wenn die Naturwissenschaft für alle Fragen zuständig ist. Dieser Glaube an die Allzuständigkeit der Naturwissenschaft hat freilich wenig für sich. Wäre er wahr, dann müssten sich zum Beispiel die Geschichtswissenschaft, Psychologie, Soziologie, Ethik, Religions- und Rechtsphilosophie oder auch die Interpretation von Kunstwerken auf Physik und Biologie reduzieren lassen. Der religiöse Fundamentalismus macht also exotische Voraussetzungen und ist aus diesem Grunde bei uns nicht sehr verbreitet. Ganz anders die Situation in den USA: Laut Umfragen haben dort mehr als 50 Prozent der Bevölkerung eine kreationistische Grundüberzeugung, lehnen also die Darwinsche Evolutionstheorie rundweg ab. Aber es sind nicht nur die konservativen Farmer im mittleren Westen, die sich auf eine solche kreationistische Position zurückziehen, selbst unter renommierten Universitätsprofessoren – und zwar oft solchen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich – grassiert der religiöse Fundamentalismus, der in den USA auch in der Öffentlichkeit eine große Rolle spielt.

Den biblischen Schöpfungsbericht wörtlich nehmen?

In den USA entwickelte sich in den neunziger Jahren eine akademisch-fundamentalistische Denkrichtung (falls man hier überhaupt von „Denken“ reden kann), nach der die gängige Evolutionstheorie als solche falsch ist, da sie sich der Vorstellung eines „Intelligent Design“ (ID) verschließe. Letztere geht wiederum davon aus, dass den Lebensprozessen ein immanenter Sinn und Zweck eigen ist, den man empirisch testen könne. Sinn und Zweck – und nicht der Zufall – seien objektive Qualitäten der Natur und finale Erklärungen die besseren gegenüber kausalen. Den biblischen Schöpfungsbericht müsse man im Übrigen wörtlich nehmen. Sinn und Zweck, Zufall und Notwendigkeit werden seit über 50 Jahren bei uns diskutiert, man denke nur an Karl Rahner und sein Konzept der „Selbsttranszendenz“. Der US-amerikanische Neofundamentalismus scheint davon gänzlich unberührt, wie er auch 150 Jahre kritischer Exegese einfach ignoriert.

Allerdings gewinnt dieser Fundamentalismus auch bei uns an Einfluss, was es geraten erscheinen lässt, sich dennoch mit ihm zu beschäftigen. Sogar hohe Würdenträger scheinen in eine ähnliche Richtung zu gehen, jedenfalls erregte ein Kommentar des Wiener Kardinals Christoph Schönborn in der „New York Times“ vom 7. Juli dieses Jahres großes Aufsehen. In diesem Kommentar sagt Schönborn: „Jedes Denksystem, das die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder wegzuerklären versucht, ist Ideologie, nicht Wissenschaft.“ Die Zielhaftigkeit des Evolutionsprozesses „zwinge“ uns, einen „Schöpfer des Ziels“ anzunehmen. Diese fundamentalistisch klingenden Thesen nahm Schönborn allerdings wenige Tage danach auf einer Webseite des Vatikan wieder zurück. Er habe sich nur gegen diejenigen gewehrt, die einen „intelligenten Plan in der Schöpfung dogmatisch ausschließen.“

In den USA gibt es eine Fülle von finanziell gut ausgestatteten Instituten, die sich für „Intelligent Design“ (ID) und gegen die Darwinistische Evolutionstheorie einsetzen, so zum Beispiel das „Discovery Institute“, das „Center for the Renewal of Science“, das „Access Research Network“, das „Center for Science and Culture“ und andere mehr. In Deutschland steht die evangelikale Gruppe „Studiengemeinschaft Wort und Wissen“ dem ID-Konzept nahe. In der Schweiz gibt es eine Gesellschaft „Pro Genesis“, die von Gian Luca Carigiet geleitet wird. Carigiet plant einen großen Freizeitpark, in dessen Zentrum eine Arche Noah in Originalgröße stehen wird.

Die Einzelheiten des ID-Konzepts sind es kaum wert, näher dargestellt zu werden. Einige prinzipielle wissenschaftstheoretische, philosophische und theologische Überlegungen scheinen allerdings angebracht. Nach Auffassung der ID-Vertreter sind Zweckmäßigkeit und Sinn objektive Qualitäten des Naturprozesses. Sie lassen sich also empirisch testen, auf die Art, wie man Temperatur oder elektrische Feldstärke misst. Bevor über Gott geredet wird, ist es immer sinnvoll, zunächst einmal nach dem Menschen zu fragen. Der Mensch ist uns näher, zumal wir gar keine andere Möglichkeit haben, über Gott zu reden, als in Analogie zum Menschen. Man muss also erst einmal das ID-Konzept anthropologisch wenden und die Frage stellen: Gibt es ein entsprechendes „Design“ beim Menschen und wenn ja, lässt es sich naturwissenschaftlich beweisen? Die Antwort auf diese Frage ist ein klares Nein. Die Naturwissenschaft ist an kausale Fragestellungen gebunden. Sie untersucht, wie ein materieller Zustand B auf einen Zustand A folgt und welche Gesetze A in B transformieren. Im Rahmen einer solchen Fragestellung kann so etwas wie „Geist“, „Absicht“, „freier Wille“, „Zweck“ oder ähnliches nicht vorkommen. Das ist schließlich auch der Grund, weshalb gewisse Hirnphysiologen, Soziobiologen oder Evolutionäre Erkenntnistheoretiker bestreiten, dass der Mensch ein freies Wesen ist, das nach Zwecken handelt. Der Naturwissenschaft ist nicht nur der göttliche Sinn des Universums unzugänglich, sie weiß noch nicht einmal, was passiert, wenn sich ein Mensch entschließt, etwas Bestimmtes zu tun. Wenn man das wissen will, muss man ihn fragen. Sinn und Zweck erschließen sich nicht einem experimentellen, sondern nur einem dialogischen Verfahren. Behandle ich Natur am Leitfaden der Kausalität, dann setze ich Zwangsbedingungen. Kant sprach von einem „Kreuzverhör“, in dem die Natur zur Antwort genötigt wird. Das Verhältnis des Naturwissenschaftlers zur Natur ist monologisch und nur unter dieser Voraussetzung kann er objektives Wissen produzieren.

Wer hingegen ein dialogisches Verhältnis zur Natur anstrebt, wie etwa Goethe oder Schelling, der betrachtet Natur als eine Art Subjekt im weitesten Sinn, mit dem wir in einen Dialog eintreten können. Wir bewegen uns dann im Rahmen einer Hermeneutik oder auch einer Metaphysik der Natur. Objektives Wissen gibt es auf diesem Niveau nicht. Außerdem tritt hier eine weitere Schwierigkeit hinzu: Einen handelnden Menschen, von dessen Absichten wir nichts wissen, können wir fragen. Aber wenn wir die Natur als Ausdrucksgestalt eines bewussten Willens interpretieren, können wir diesen „Weltwillen“, dieses „Natursubjekt“ oder diesen Schöpfer nicht einfach um Auskunft bitten. Wir haben nur die Ausdrucksgestalten der Natur und die sind äußerst vieldeutig. Damit stimmt überein, was die Theologen immer behauptet haben: Die Rede Gottes entnehmen wir der Offenbarung und erst in ihrem Licht wird uns die Botschaft der Natur verständlich. Interpretieren wir die evolutiven Gegebenheiten metaphysisch, sind sie durch und durch ambivalent. Zwar können wir die Zunahme an Komplexität als „Fortschritt“, als eine qualitative Steigerung von Inhaltlichkeit oder Werthaftigkeit deuten, aber was fangen wir dann mit den Katastrophen in der Natur an? Auf jedes an seine Umwelt angepasste Wesen kommen 1000, die jämmerlich zugrunde gingen. Am Ende wird der Wärmetod siegen. Dann gibt es keine Leben mehr im Universum, sondern nur noch eine strukturlose Suppe von Mikroteilchen. Nur im Licht der Offenbarung – das heißt im Licht des Glaubens – können wir mit dem ersten Buch der Genesis sagen, dass alles „sehr gut“ sei. Die Natur gibt uns dafür keinen Anlass.

Das ID-Konzept ist vor diesem Hintergrund aus mehreren Gründen zum Scheitern verurteilt. Sinnkategorien sind keine naturwissenschaftlichen, sondern metaphysische, bestenfalls theologische Kategorien. Wenn wir die Frage nach Gott stellen, stellen wir jedenfalls keine empirische Frage. Es gibt auch in neuerer Zeit Metaphysiker wie Charles Sanders Peirce (Naturordnung und Zeichenprozess, Frankfurt 1991), Alfred North Whitehead (Prozeß und Realität, Frankfurt 1987) oder Hans Jonas (Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie, Göttingen 1973), die die Frage nach „Gott in der Natur“ stellen. All drei sind keine Atheisten, berücksichtigen aber sehr wohl den jeweiligen naturwissenschaftlichen Forschungsstand. Ihre Argumente sind spekulativer Natur. Sie gehen davon aus, dass Gott kein empirisches Datum ist und stellen daher nur den Anspruch, dass die Evolution mit allem, was sie produziert (also auch den Menschen mit all seinen Qualitäten) unter der Voraussetzung der Existenz Gottes verständlicher wird als ohne sie. Dieser Prozess des Verständlichmachens liegt nicht auf derselben Ebene wie eine naturwissenschaftliche Erklärung: Denke ich die Welt rein kausal, dann erscheint sie mir als sinnloses Geschiebe von Elementarteilchen oder als Sekundärwirkung genetischer Programme, die niemand geschrieben hat. Sehe ich die Welt als Sinnzusammenhang, muss ich, wie Goethe, Whitehead oder Rahner den Menschen zum Mittelpunkt meiner Betrachtung machen und ein dialogisches Verhältnis zur Natur einnehmen.

Die Evolution kann auch auf dem Hintergrund einer christlichen Schöpfungslehre interpretiert werden

Lehnt man die Metaphysik ab, dann wird das „argument from design“ sinnlos. Es bliebe dann allenfalls die anfangs genannte irrationalistische Position, wonach der Glaube nichts mit Vernunft zu tun hat. Diese Position wird nur von extremen protestantischen Fideisten gehalten. Im katholischen Bereich und bei vielen evangelischen Theologen gilt sie als unchristlich, weil sich der Wahrheitsanspruch des Christentums in ihr nicht zur Geltung bringen lässt.

Kardinal Schönborn zog sich, nachdem seine ursprünglichen Äußerungen so viel Aufsehen erregt hatten, auf die schwächere Position zurück, dass er sich nur gegen die gewehrt habe, die einen „intelligenten Plan in der Schöpfung dogmatisch ausschließen“. Dies ist eine durchaus respektable Haltung, die man offensiv in der Öffentlichkeit vertreten sollte. Es ist nämlich in der Tat so, dass sich die Evolutionstheorie bei vielen ihrer Vertreter mit einem materialistisch-dogmatischen Anspruch verbindet. Man denke zum Beispiel an Biologen wie Richard Dawkins (Der blinde Uhrmacher. Ein Plädoyer für den Darwinismus, München 1987) oder Edward Wilson (Die Einheit des Wissens, Berlin 1998). Von diesen wird es so dargestellt, als müsse man Atheist sein, wenn man die Biologie ernst nimmt. Vielen Zeitgenossen ist es schon zu viel, wenn man von der Biologie her die Möglichkeit der Existenz Gottes offen lässt.

So schrieb etwa Sebastian Hermann in der „Süddeutschen Zeitung“ (12.07.2005) einen kritischen Artikel gegen den Kreationismus, der in Deutschland auf dem Vormarsch sei. Es gebe ein Biologielehrbuch von Reinhard Junker und Siegfried Scherer über die Evolutionstheorie, das an den Schulen verbreitet zu werden drohe und eine deutlich kreationistische Position beziehe (Evolution. Ein kritisches Lehrbuch, Gießen 1998). Es ist richtig, dass Junker bei der „Studiengemeinschaft Wort und Wissen“ mitarbeitet und es von dort her Querverbindungen zu ID-Gruppen in den USA gibt: dieses Lehrbuch aber ist methodisch nicht unsauber. Der größte Teil behandelt rein empirische Fragen. Davon deutlich abgehoben sind die letzten drei Kapitel mit der bezeichnenden Überschrift „Grenzüberschreitungen“. Hier verweisen die Autoren darauf, dass wir immer Neigung haben, das evolutive Geschehen weltanschaulich zu deuten, sei es materialistisch, sei es im Sinn einer christlichen Schöpfungslehre. Solche Deutungen werden von Junker und Scherer nicht als Konsequenzen der Wissenschaft hingestellt, sondern als philosophische oder theologische Optionen. Dementsprechend wird die Frage nach „Design-Signalen“ in der Natur nicht als eine naturwissenschaftliche Frage behandelt: „Zweifellos kann der naturwissenschaftliche Nachweis, dass es sich bei Design-Signalen um ,Nachrichten des Schöpfers’ an seine Geschöpfe handelt, niemals geführt werden.“ Die Autoren rangieren solche „Signale“ in den Bereich des Intuitiven, Ästhetischen ein, wo wissenschaftliche Beweise unmöglich seien. Insofern sich solche Autoren an die methodischen Grenzen halten, kann man nicht von „Fundamentalismus“ reden. In seinem Buch über den „blinden Uhrmacher“ (also die Evolution) sagt Richard Dawkins gleich zu Beginn: „Dieses Buch ist in der Überzeugung geschrieben, dass unsere eigene Existenz zwar früher einmal das größte aller Rätsel war, heute aber kein Geheimnis mehr darstellt, da das Rätsel gelöst ist.“ Gegenüber solchen materialistisch-dogmatischen Behauptungen, die unter Biologen sehr verbreitet sind, muss es erlaubt sein, darauf aufmerksam zu machen, dass die Evolution genauso gut auch auf dem Hintergrund einer christlichen Schöpfungslehre interpretiert werden kann.

In den USA ist die ID-Bewegung mit dem politischen Konservativismus verbunden. Beispielsweise hat sich Präsident George W. Bush für sie eingesetzt. Hier spielen weltanschauliche Voreingenommenheiten eine große Rolle. Es ist zu hoffen, dass dieser religiöse Fundamentalismus bei uns nicht weiter um sich greift. Die ursprünglichen Äußerungen von Kardinal Schönborn mögen sprachliche Entgleisungen gewesen sein. Wenn er jedoch nur die verbreitete Mischung aus Materialismus und Evolutionstheorie in Frage stellen wollte, lag er nicht falsch.

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