Priestergestalten in Romanen der GegenwartMetamorphosen der Gottesdiener

Im letzten Jahr erschien der Roman „Gottesdiener“ von Petra Morsbach, der sich in einer gelungenen Mischung aus Sympathie und Ironie mit den Irrungen und Wirrungen eines bayerischen Dorfpfarrers befasst. Priester als Romanhelden sind auch sonst in der Gegenwartsliteratur anzutreffen. Sie spiegeln die unterschiedlichen Erwartungen an die Priester und die damit verbundenen Rollenunsicherheiten wider.

In der Romanliteratur der Gegenwart wird der katholische Priester nur selten als Sympathieträger profiliert. In der „Geschichte des Priesters“ in Peter Handkes Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht (Frankfurt 1994) tritt der Geistliche als ein Skeptiker, ein Zweifler und Streiter wider die kirchliche Obrigkeit auf. Dabei distanziert sich der Priester von seiner Gemeinde, will kein „bloßer Kumpel“ sein und „lieber ein Pfaffe geschimpft werden“ (634). Bewusst kehrt er sein Amt hervor, „und das so schroff, dass die bisherigen Genossen sich verschreckt von ihm, plötzlich ein Kirchenmann, abkehrten“ (ebd.). Als „Kirchenmann“ versagt der Priester in Handkes Roman, er vermag Menschlichkeit und Nächstenliebe nicht vorbehaltlos zu leben. Günter Grass stellt mit Bruno Matull in Ein weites Feld (Göttingen 1995) einen Geistlichen vor, der „es als Priester nicht leicht mit sich“ hat (299). Der Priester „leidet besonders“, an sich selbst und an seinem Amt (ebd.). Ihm ist „der Boden unter den Füßen schwankend geworden“, Zweifel bestimmen seine Verkündigung und Seelsorge (302). Matull ist entschlossen, „den unansehnlichen Zweifel als Alltagskleid“ zu tragen (ebd.). Was der Priester verloren hat, ist das feste Stehen in der überlieferten Tradition und die selbstverständliche Einbettung in Kirche und Religion.

In Petra Morsbachs Roman Gottesdiener (Frankfurt 2004) wird diese Einbettung nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Gegen den Trend präsentiert der Roman aber einen geistlichen Helden, der idealistisch gesinnt ist, sein Amt ausfüllen und der Gemeinde dienen will, ohne sich gegen das vermeintliche Joch der Kirche aufzulehnen. Die Hauptfigur des Romans, der rothaarige und stotternde Isidor Rattenhuber, weiß: Die Kirche „braucht (ihn) nicht“, er „braucht sie“ (76). Der durch sein Stottern, die Trostlosigkeit seines Elternhauses und die Brutalität der niederbayrischen Bauernwelt geschlagene Isidor wird als Kind von der Kirche „gerettet“. Sie ist die „Gegenwelt“ zu seinem hoffnungslosen Leben (15). Die Kirche bietet ihm Würde, Ordnung, Ruhe und vor allem auch Anerkennung und Zuwendung durch den Dorfpfarrer Stettner. Beim Vorlesen theologischer Schriften verliert sich Isidors Stottern. Seine Sehnsucht nach Geborgenheit erfüllt sich nur in Gottesdiensten – und so will er selbst wie sein Ersatzvater Stettner ein „Mann Gottes“ (1 Tim 6, 11) werden. Die Priesterweihe wird schließlich der „Höhepunkt seiner persönlichen Errettungslegende, welche lautete: Armer Bauernbub wird im Passauer Dom in würdevollster Zeremonie zum Diener Gottes geweiht“ (113).

Ein Mann „für alle Fälle“

Isidors Lebensweg führt ihn vom Benediktinerinternat über das Passauer Priesterseminar bis in das niederbayrische Bodering. In diesem streng katholischen Dorf ist Isidor weniger ein „Mann Gottes“ denn ein Mann „für alle Fälle“. Als Sinnstifter, Seelenmanager und Animateur muss Isidor ständig verfügbar sein. Quartalskatholiken müssen mit Sakramenten versehen werden, die Feuerwehr will nicht ohne geistlichen Beistand Weihnachten feiern, die Senioren warten auf Isidor als Zeremonienmeister für ihre Fastnachtsitzung. Die inneren Schwierigkeiten, mit denen ein Mensch zu kämpfen hat, der seinen Glauben zum Beruf macht, schildert die von der Literaturkritik als „narrative Metaseelsorgerin“ titulierte Autorin eindringlich. Isidor kämpft mit der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit und zerbricht fast an dem Zwiespalt zwischen den Anforderungen des Amtes und eigenen Bedürfnissen. Als Gottesdiener und Menschendiener will Isidor seiner Gemeinde ein guter Seelenhirt sein. Doch gegen bestechliche Unternehmer, engstirnige Kirchenfunktionäre und überzeugte Atheisten kann er sich nur schwer durchsetzen. Seine Schäfchen folgen ihm nicht. Isidor „versucht die Leute spirituell aufzuladen“ (24). Aber der Versuch gelingt nur unzureichend. Isidor erlebt „kleine Erfolge und krasse Misserfolge“ (25). Zu solchen Misserfolgen gehört auch die Tatsache, dass Isidors Verkündigungsarbeit auf wenig fruchtbaren Boden fällt. Vor allem an Weihnachten spürt Isidor schmerzhaft die Glaubensleere seiner Schäfchen. „Anstatt der Ankunft des Erlösers zu gedenken, reiben sie sich an ihrer Unerlöstheit auf“ (24).

Bei alledem hat Isidor fortwährend mit Anfechtungen und Unzulänglichkeiten zu kämpfen. Er leidet schwer am Zölibat und flüchtet in virtuelle Liebschaften und den Alkohol. Doch Isidor gelingt es letztlich zu widerstehen. Mit einer philosophischen „Minimallösung“, die Heil in der Erkenntnis lokalisiert und Glück zur Technik transformiert, bekommt er seine innere Leere und persönlichen Probleme in den Griff (255). Die Mitbrüder, die Isidor während des Studiums kennen gelernt hat, scheitern dagegen. Gregor, dessen Priesterlaufbahn mit einem persönlichen Berufungserlebnis beginnt, verbraucht eine Geliebte nach der andern, die er als „Pfarrernudeln“ bezeichnet (201). Benno, ein begnadeter Organist, wird zum Trinker und lässt sein Talent verkommen. Er „verglüht... wie ein Sternschnuppe und sinkt ins Nichts“ (314). Franz, Sohn reicher Eltern, lebt seine Homosexualität aus und landet schließlich in einem Bürojob des Ordinariats. Isidor erliegt, anders als seine Mitbrüder, den irdischen Versuchungen am Ende nicht. Dies gelingt, weil er einer einfachen, schlichten Theologie anhängt. Ihr „Geheimnis“ ist, dass sie die „ganze Existenz“ als ein „Wunder“ wahrnimmt. „Alles, was wir hier zu tun haben, ist uns ihrer würdig zu erweisen“ (311). Als „Verbindungsmann zum Himmel“ gewinnt Isidor in der Gemeinde schließlich doch bei einigen seiner Schäfchen Anerkennung (42). In einem versöhnlichen Ausgang zeigt der Roman, dass der lebenslange Kampf des Priesters nicht ohne Lohn bleibt und die Religion ihre trostspendende Kraft nicht verloren hat.

Als der sakralisierte Mittler zwischen Gott und Mensch spielt der Priester in Petra Morsbachs Roman keine Rolle. Er wird nicht mehr von vornherein auf einen bestimmten gesellschaftlichen Stand-Ort gestellt. Er ist vielmehr jemand, der in dieser Welt Priester sein will. Er ist entsprechend durch sein Amt nicht herausgehoben, sondern steht mitten in der Gemeinschaft, und sein Dienst gilt nur als glaubwürdig, wenn er zuerst auch menschlich echt ist. Mit der Betonung der menschlichen Seiten des Priesters wird das Bild des Gottesdieners zugleich kritischer und schärfer. Der Roman schaut mehr auf seine intimeren Schwächen und Zweifel. Er setzt ihn Zusammenstößen mit der Welt aus, zeigt ihn unsicher, mit dem Glauben ringend und in dem Bewusstsein, dass die rechtlich übertragene Autorität allein die Menschen nicht in die Kirche zurückführt.

Sehnsucht nach sichtbaren Repräsentanten von Religion

Petra Morsbachs Roman zeigt auch, dass sich heute in vielfacher Weise eine „Entthronung“ und Entsakralisierung des Priesters, vollzogen hat. Festzustellen ist weiter ein deutlicher Autoritätsverlust des Priesters in der Gesellschaft. Das Amt wird zum einen immer seltener erfahren und am Ende kaum vermisst, zum anderen gesteht man offensichtlich dem Amt keine Autorität an sich zu. Die Persönlichkeit des Priesters rückt in den Vordergrund. Es ist die Persönlichkeit des Priesters, die dem Amt letztlich Autorität zuführt. Nicht mehr das Amt trägt also den Priester, vielmehr muss umgekehrt erst der Priester selbst mit seinem Einsatz, seine Person in die Waagschale legend dem Amt Ansehen verschaffen. Das Amtliche muss personal gedeckt sein. Dass der Dienst des Priesters die Teilhabe am Priestertum Jesu Christi in der Kirche bedeutet und sich von Christus als repräsentierende Weitergabe seiner Sendung begründet, wird in Morsbachs Roman kaum deutlich. Die Bedeutung der bleibenden Bestimmung des Gottesdieners durch Christus tritt zurück. Die Sendung des Priesters wird in erster Linie gemeindebezogen verstanden.

Am Ende dieser Entwicklung erscheint der Priester immer mehr lediglich als eine Art Kombination von verschiedenen gesellschaftsrelevanten Berufen, als Psychologe, Sozialtherapeut oder Lehrer. Die eucharistische Lebenskultur des Priesters, seine Verbindung mit Jesus Christus, – dies alles ist in Morsbachs Roman nur selten sichtbar. Andererseits wird im Roman aber auch deutlich, dass heute die Sehnsucht nach sichtbaren Repräsentanten der Religion stärker denn je ist. Die geheime Sehnsucht der Menschen geht dahin, Gott ,erleben‘ und ,erfahren‘ zu können. Die mögliche Erfahrbarkeit Gottes steht dabei weit vor der theologischen Verstehbarkeit. So bleibt in einer entchristlichten Welt das Interesse an Menschen bestehen, die als Gottesdiener in besonderer Nähe zu Gott stehen und versuchen, andere für Gott zu gewinnen. Morsbachs Roman spiegelt dieses bleibende Interesse am „Mann Gottes“. Aber der Roman sucht nicht den kirchlichen Würdenträger, sondern den brüderlichen und verstehenden Begleiter in Lebenskrisen. Ob man von hier aus wieder zu jenem „Mann Gottes“ kommen kann, der am Priestertum Christi teilhat und für Gott vor dem Volk steht – dies lässt Morsbachs Roman offen.

Auszug aus der heilen Welt

Morsbachs „Gottesdiener“ gelingt es am Ende, über alle Abgründe der Verlorenheit und Verzweiflung hinweg im Amt und im Glauben zu bleiben. Der Priester in Silvio Blatters Roman Kein schöner Land (Frankfurt 1988) kann dagegen seine Glaubensnöte nicht überwinden. Er kennt nicht mehr das Vertrauen auf einen verborgenen Gott, der im menschlichen Leiden an der Existenz gegenwärtig ist. Francis Fischer zweifelt an seiner Berufung. Priester ist er geworden, „weil es der Wunsch der Mutter gewesen war, ein Wunsch wie ein Felsblock im Ackerland. Der hatte ihr Denken besetzt und war abends noch bestärkt worden mit Gebeten zur Muttergottes. Francis hatte gar keine andere Wahl gehabt, er hatte den Wunsch eingelöst. Sozusagen programmiert habe ihn die Mutter, dachte er. Berufen sei er, hatte sie selbst gesagt“ (36). Aber der Priester kann die Berufung nicht ausfüllen und erfüllen. Er steckt in einer tiefen Berufskrise, die sich immer mehr zu einer Existenzkrise ausweitet. Der priesterliche Dienst ist abgeglitten zur Routine. Die Feier der Eucharistie erscheint dem Priester wie ein „Ritus ohne Inhalt und Sinn“ (31). Der Verkündigungsauftrag ist dem Priester fragwürdig geworden. Er meint, „schweigen zu müssen, weil er keine frohe Botschaft (mehr) zu verkünden“ hat (34).

Als der Priester sich in Lea, eine Mitarbeiterin in der Pfarrbibliothek verliebt, ist er zunächst „besessen von Berührungsangst“. „Allein der Gedanke an Liebkosungen versetzt ihn in Panik“ (139). Dennoch kommt er Lea nahe. Als Francis Lea endlich seine Liebe gesteht, bleibt dies nicht ohne Folgen. Es gibt anonyme Anrufe und heftige Proteste. Francis’ Messe wird boykottiert, keiner will zur Kommunion gehen. Francis weiß sich nicht mehr zu helfen. Er verweigert den Besuchern der Messe Segen und Sendung. Francis wird vom Bischof suspendiert. Als Francis’ Bruder auswandern will, weil er durch Bauspekulationen Grund und Boden verloren hat, beschließen Lea und Francis mitzugehen. Sie wissen, dass sie sich wegen ihrer Liebe in der Kleinstadt nicht mehr halten können. So wandern beide nach Kanada aus, um dort auf einer Farm zu leben. Zum Abschied am Flughafen singt der heimatliche Chor: „Kein schöner Land in dieser Zeit, als hier das unsre weit und breit...“ (356). Aber das schöne Land ist längst keine heile Welt mehr und auch keine Heimat.

Auch der Held in Arnold Stadlers Roman Ich war einmal (Frankfurt 1999) verlässt seine Heimat, die er nicht mehr als heile Welt erlebt. „Es ist schön, diese Gegend zu verlassen“, meint der Erzähler bei Stadler. Die „Gegend“, das ist das Land zwischen Meßkirch und Rast, zwischen der Stadt, die den Philosophen Heidegger hervorbrachte, und dem Dorf, aus dem der Erzähler als „Trottel vom Land“ einst aufs Gymnasium nach Meßkirch geschickt wurde (129). Die wahren Helden der Gegend sind unscheinbare Menschen, die dem Taumel der Neuerungen und dem Kult des Überlieferten ausgesetzt sind. Zu ihnen gehört Pfarrer Habermeier, ein Dorfpfarrer, dessen Leben von Wallfahrten, Flurprozessionen, Volksfesten und Bauernleben geprägt ist. Viele Fragen des Ich-Erzählers weiß der Pfarrer nicht zu beantworten, weder die Frage nach dem Unterschied zwischen Schamhaftigkeit und Keuschheit noch die nach der Bedeutung der Dreieinigkeit. Der Pfarrer ist ein „bescheidener“, einfacher Mann; er ist überzeugt, dass alle etwas „mitbekommen“ haben „von oben“ und verweist seine Gemeinde stets auf die Wirklichkeit des „Himmels“ (70, 71). Auf Prozessionen wird dieser „Himmel“ ganz gegenständlich. „Habermeier und seine acht Ministranten gingen dann vom Michaelsaltar zum Otmarsaltar und zum Wendelinsaltar mit Rauchfass und Schiffchen. Habermeier in seinen Rauchmantel gehüllt.... Habermeier ließ seinen Himmel mitführen. Seine Gläubigen gingen in größerer oder geringerer Entfernung hinter dem Himmel her“ (55–56). Im Alltag geht es weniger „himmlisch“ zu. Von einer übernatürlichen, höheren Wirklichkeit, für die der Pfarrer einsteht, ist hier wenig zu spüren. Die katholische Festzeitwelt des Pfarrers zerfällt angesichts von Neuerungen und Fortschritt. „Auch die Flurprozession zu Christi Himmelfahrt wurde aufgegeben. Die Jahre, in denen man noch einen Kreis im Neubaugebiet drehte, bin ich nicht mehr mitgegangen. Habermeier wollte zwar wieder hinaus, in die Fluren. Seine Gläubigen wollten nicht so weit gehen“ (58–59). Das religiöse Milieu wird aufgebrochen, katholisches Brauchtum zerfällt. Der Pfarrer kann den Zerfall nicht aufhalten. Seine marianische Frömmigkeit ist nicht mehr gefragt, auch „offiziell“ nicht. Der Vatikan will seine Marienerscheinungen nicht anerkennen.

„Die göttliche Ordnung der Begierden“

Als Gottesmann, der aus der bleibenden Bindung an Jesus Christus lebt, wird der Priester hier nicht mehr gesehen. Dort, wo Menschen kein Verständnis für die objektive Geltung sakramentaler Vollzüge und ihrer Handlungsträger aufbringen, ist auch die religiöse Substanz des Priestertums in Frage gestellt. Als veredelte Vorbilder, als Zeremonienmeister, die an Weihnachten und Ostern einen dekorativen religiösen Service anbieten und sich ansonsten aus dem Alltag der Menschen heraushalten – so wünschen sich viele die Priester in den Augenblicken des Lebens, wo man sie überhaupt noch für „nötig“ hält. Wir brauchen die Priester „als Dekoration und auch als Dekorateur, wir brauchen sie für die Stimmung“, so heißt es in Heinrich Bölls letztem Roman Frauen vor Flusslandschaft (Köln 1985), „aber wir haben sie auch derart abgenutzt, aufgebraucht, dass wir sie nicht mehr nötig haben und sie uns bald lästig werden könnten“ (179). Der Priester in Evelyn Schlags Roman Die göttliche Ordnung der Begierden (Salzburg-Wien 1998) will mehr sein als ein „Dekorateur“. Er lebt sein Priestertum aus der „Gewissheit“, dass er als „Werkzeug göttlichen Willens“ handelt (18). Diese Gewissheit hat der Priester durch die Liebe zu einer Frau verloren. Er empfindet das „unauslöschliche geistige Zeichen, das ihm durch das Weihesakrament verliehen wurde, plötzlich als Bedrohung...“ (46). Nichts wird wieder so sein wie früher. Die Eucharistie als Quelle und Höhepunkt seines priesterlichen Lebens wird dem Geistlichen plötzlich fremd. Der Priester ist nicht mehr eucharistiefähig. Er starrt auf die Hände, „die sich mit der weißen Scheibe erhoben. Das ist mein Leib, den ich für euch hingegeben habe, sagte ich. Es wurde nicht sein Leib. Gott bewegt sich nicht, sprach etwas dagegen an. Gott hielt still, trat nicht ein in den Gedanken, der das Wunder bewirkte. Die Oblate, die ich mit spitzen Fingern hielt und anstarrte, war nichts als diese weiße Scheibe, ausgestanzt aus einem Bogen, mehr Papier als Brot“ (14).

Unterhaltung wider die Erbauung

Die Lebensbeichte des Priesters im Roman ist ein Abschiednehmen von einem priesterlichen Selbstverständnis, das dem Geistlichen viel bedeutete und von dem dieser seine Sicherheit und sein Selbstbewusstsein bezog. Dem Priester gab das christologisch-repräsentative Priestermodell einst Halt und Geborgenheit. „In der Messe waren es jene Augenblicke, wenn ich spürte, dass ich anstelle von Christus, dem eigentlichen Priester, die Handlungen ausführte. Die Sicherheit eines anderen übernahm, dem nicht passieren konnte, weil er das Schlimmste schon erlebt hatte. Er war tot gewesen und wieder aufgestanden“ (13). Dieses Priesterbild schenkte nicht nur Sicherheit, sondern verlieh auch das Gefühl des Herausgehobenseins. „Ich kam wie ein stolzer Abgesandter, ein Gesalbter, der unter einem Baldachin ging, jeder Schritt von Gewicht...“ (9). Als der Priester „die Sicherheit, die ihm sein Status als Priester gab, gegen die Sicherheit (eintauscht), die ihm ,der Vollbesitz der Gefühle‘ gibt“, nimmt er Abschied von solcher Hochwürdigkeit (138). Er will mit seiner Geliebten „ein besserer Priester sein als zuvor“ (161). „Wenn ich Priester bleibe,... würde ich ganz anders an meine Aufgaben gehen. Ich könnte erstmals mit Recht vom Wichtigsten reden, was es im Leben gibt. Ich weiß jetzt, was Liebe heißt“ (ebd.).

Ein „besserer Priester sein“ bedeutet in Schlags Roman, dass der Priester weniger als Stellvertreter Christi auf Erden agiert denn als Anwalt der Menschen. Der Priester ist nun vor allem als Mensch „an der Basis“ gefragt, der aus seiner geistlichen Berufung säkulare Berufsrollen ableitet und so Aufgaben als Erzieher, Sozialhelfer und Berater erfüllt. Der Priester erscheint damit nicht so sehr als Kultdiener, Sakramentenspender oder Gemeindeleiter; er gilt vielmehr als jemand, der an der Seite der Mitmenschen steht und sie als Helfer in Nöten und Sorgen begleitet.

In der Unterhaltungsliteratur tritt die theologische Durchbildung und Motivierung der Priestergestalt ganz zurück. In dieser unterhaltsamen Variante ist die priesterliche Welt nicht mehr Hort christlicher Glaubensgewissheit und vorbildlicher Lebensführung. Unterhaltung wider die Erbauung, Phantastisches, Pikantes wider die Erwartungskultur und Anspruchshaltung, die die Priestergestalt umgeben, ist so gerade das Stilprinzip des Romans Magdalena Sünderin von Lilian Faschinger (Köln 1995). Erzählt wird von der jungen Kärtnerin Magdalena Leitner, die an einem Pfingstsonntag eine vollbesetzte Kirche stürmt und den aus Osttirol stammenden Priester auf einer Motorrad-Beiwagenmaschine entführt. Aus der Perspektive des gebeutelten Priesters erfährt der Leser, dass Magdalena sich mit der katholisch-kleinbürgerlichen Variante der Sexualität ebensowenig zufrieden gibt wie mit den Einschränkungen eines bürgerlichen Frauenlebens. Als ihre Liebhaber ihr solche Einschränkungen zumuten, beginnt sie, ohne Reue und Skrupel, diese umzubringen. Von dem Pfarrer erwartet Magdalena, dass er ihr die Absolution erteilt. „Es geht darum“, so erklärt Magdalena dem Pfarrer, „dass Sie mir in Ruhe zuhören, dass Sie mir, der ununterbrochen ins Wort gefallen worden ist, nicht ins Wort fallen, mir, der ununterbrochen das Wort abgeschnitten worden ist, nicht das Wort abschneiden“ (21). Der entführte Pfarrer erfüllt Magdalenas Bitte und hört ihrer siebenfachen Mörderbeichte zu. Dabei fechten „die widersprüchlichsten Emotionen einen Kampf“ in seinem Herzen aus (181). Je länger der Pfarrer der „Sünderin“ zuhört, um so mehr verfällt er ihren Reizen. Die Schwester des Pfarrers, der es „bisher gelungen (war), (ihn) fernzuhalten von Sünde und Schuld“, ist nicht da, um ihn nun vor den „Anfechtungen des Fleisches“ zu schützen (106). So folgt denn der „Sündenfall“, aber es ist einer, den der Pfarrer nicht bereut. „Während wir sündigten und sündigten, ging es mir undeutlich durch den Kopf, dass ich durch diese felix culpa, diese glückliche Sünde aus keinem Garten Eden vertrieben, sondern in ein Paradiesgärtlein hineingeführt wurde“ (347).

Die Unterhaltungsliteratur beschäftigt sich in erster Linie mit der privaten, nicht mit der beruflichen Lebenswelt des Priesters. Dabei wird die Gestalt des Priesters von Amt und Würde getrennt und als Persönlichkeit präsentiert, die sich den Anfechtungen des irdischen Lebens stellen muss. Die Priestergestalt rückt so als Person in den Mittelpunkt, bei der hauptsächlich das Innenleben interessiert, in dem sich auch menschliche Schwächen und Versagen zeigen. Dass ein solcher Blick „nach innen“ ideale Voraussetzungen für hohe Leserzahlen schafft, zeigt sich vor allem in TV-Unterhaltungsromanen wie Schwarz greift ein von Markus Kappel (Köln 1994) und Himmel und Erde von Julian Steiger (Köln 2000). In der unterhaltenden Dramaturgie dieser Romane kommt der Priester als Vertreter einer übernatürlichen Welt nicht vor. Sein geistlicher Beruf gilt vielmehr der Lösung von Lebensproblemen und zielt entsprechend auf ethische Handlungsanweisungen für das Verhalten der Menschen untereinander. Der „Gottesdiener“, den Petra Morsbach in ihrem Roman vorstellt, ist nun abgelöst durch einen Mittler zwischen und unter Menschen, die auf irdische Gerechtigkeit hoffen.

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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