LeitartikelDie Botschaft aus Rom

Es ist wohl noch zu früh, abschließend deuten und werten zu wollen, was wir in den zurückliegenden Tagen des Pontifikatswechsels wirklich erlebt haben. Welche Bedürfnisse, Erwartungen und Sehnsüchte trieben Tausende nach Rom, ließen Millionen Daheimgebliebener Stunden vor dem Fernsehapparat verharren? Tiefer Glaube, vordergründige Verehrung, das Gespür für historische Momente oder banale Schaulust? Die Faszination des Fremden, die Unterbrechung der gewohnten Alltagsrationalitäten und -plausibilitäten? In den unzähligen Talk-Runden und Expertengesprächen wurde das dieser Tage in Rom Erlebte und Gesehene, die weltweite Aufmerksamkeit für den Wechsel an der Spitze der katholischen Kirche rasch auch zum Beleg für die modische These einer Renaissance von Religion oder Religiösem erklärt, zum untrüglichen Hinweis auf den Anbruch des von verschiedener Seite angekündigten „Jahrhunderts der Religion".Fraglos stellen die beeindruckenden Bilder der Millionen Trauerpilger, die weltweite Hochachtung für den charismatischen Papst und die fiebrige, von großen Hoffnungen getragene Erwartung des Nachfolgers ein höchst vielschichtiges Phänomen dar. In den Zeugnissen der Jugendlichen und all der anderen Rompilger, in den Würdigungen der Politiker ebenso wie in jenen der Führer anderer Religionen, in der überraschten Bewunderung zahlreicher Intellektueller und den Eintragungen in die ungezählten Kondolenzbücher der ganzen Welt kehrte stets ein Motiv wieder: Die Wertschätzung einer klaren Botschaft und die Faszination authentischer Religiosität. Johannes Paul II. beeindruckte gerade durch seine Konsequenz, seinen Nonkonformismus, durch entschiedene Meinung, eine gewisse Widerständigkeit.Offenkundig hält eine immer komplexer und unübersichtlicher werdende, oft als orientierungslos und ohne Ziel empfundene Welt bestimmte Sehnsüchte und Bedürfnisse wach. Offenkundig konnte Johannes Paul II. als einzige weltweite geistige Autorität und Führungsgestalt ein von vielen tief empfundenes Sinnvakuum ansprechen, dem sich in totaler Flexibilität und globaler Mobilität entwurzelt fühlenden Zeitgenossen mit einer klaren Botschaft Halt geben.

Anzeige: Geschichte der Päpste seit 1800. Von Jörg Ernesti

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