In der Psychologie liegen empirisch ausgerichtete Diplomarbeiten und Promotionen zu religionspsychologischen Fragestellungen vor, und zugleich stammen wichtige Impulse zur Weiterentwicklung der Religionspsychologie aus der Theologie, die schon an der Wiege dieser Disziplin stand. Eine Nachzeichnung des Lebens der Religionspsychologie setzt mit der Einsicht ein, daß dieses Fach weder in Psychologie noch in Theologie so recht zu Hause ist, auch nicht in Medizin oder Religionswissenschaft. Wie lässt sich Religiosität empirisch fassen? Wie lässt sich ihre Bedeutung für Gesundheit und Lebensbewältigung untersuchen? Diese Fragen stehen im Zentrum des religionspsychologischen Interesses, schließlich soll es nicht bei der Diagnose „Disziplin im Niemandsland“ bleiben, sondern zu einem Therapievorschlag kommen. Historisch lassen sich mit Christian Henning (in: Christian Zwingmann und Helfried Moosbrugger [Hg.], Religiosität: Meßverfahren und Studien zu Gesundheit und Lebensbewältigung, Münster 2004) fünf Phasen der Entwicklung der deutschsprachigen Religionspsychologie ausmachen. Eine erste Phase, die Zeit ihrer Konstituierung, liegt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in der Wende zum 20. Jahrhundert. Äußerlich motiviert ist die Entstehung des Faches gewiß durch die Übersetzung des Werkes „The Varieties of Religious Experience“ (1902) ins Deutsche. Sein Verfasser William James (1842–1910) lehrte in Harvard Psychologie und Philosophie und legte mit der „Vielfalt religiöser Erfahrung“ ein Buch vor, das heute als religionspsychologischer und kulturgeschichtlicher Klassiker gelten kann. James interessiert sich für religiöse Erfahrung in ihrer Rolle für menschliches Leben. Er versteht religiöse Erfahrung als seelischen Prozeß und als Gegenstand einer dynamischen Psychologie des Glaubens, die nach Gesetzmäßigkeiten religiösen Lebens fragt. Hinzu kommt ein innerer Anlaß: das Aufkommen diverser Erweckungsbewegungen, etwa der Heilsarmisten, der Methodisten und der Pfingstler. Sie zwingen christliche Kirchen und akademische Theologie, außergewöhnlichen religiösen Phänomenen auf die Spur zu kommen und dazu Stellung zu beziehen. Welche Wissenschaft vermag diese Aufgabe zu übernehmen? Die aufkeimende Religionspsychologie scheint eine kompetente Kandidatin abzugeben.
Religionspsychologie als Instrument theologischer Apologetik
An der Wiege der Religionspsychologie in Deutschland steht also, wenn auch nicht allein, die Theologie, und dies nicht zuletzt in der Hoffnung, dass Religionspsychologie sich als Instrument einer theologischen Apologetik eignen möge. Anders gestaltet sich diese Phase in Österreich, wo Sigmund Freud (1856–1939) religionskritisch ansetzt, und in der Schweiz, wo mit Théodore Flournoy (1854–1920) (religions-) psychopathologische Phänomene den Anfang religionspsychologischer Arbeit prägen.
Eine zweite Phase, eine Zeit der ersten Blüte während der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, ist gekennzeichnet durch die Gründung der „Zeitschrift für Religionspsychologie“ im Jahr 1907 und des „Archivs für Religionspsychologie“ im Jahr 1914. In diesem Jahr konstituiert sich auch die „Gesellschaft für Religionspsychologie“, nunmehr und bis heute bestehend unter dem Namen „Internationale Gesellschaft für Religionspsychologie“. Eine dritte Phase (1930–1950) bringt den Zusammenbruch der Religionspsychologie in Deutschland. Die Nationalsozialisten entziehen der Internationalen Gesellschaft für Religionspsychologie und ihren wissenschaftlichen Organen jede staatliche Unterstützung. Nach dem Anschluß Österreichs an das Dritte Reich kann die deutschsprachige religionspsychologische Arbeit lediglich in der Schweiz weitergehen, und dies in drei Richtungen: Deren erste begründet Carl Gustav Jung (1875–1961), als Psychiater und Sohn eines reformierten Pfarrers an religiösen Phänomenen zeitlebens sehr interessiert. Deren zweite geht auf den schon genannten Théodore Flournoy zurück, dem am Genfer Jean-Jacques-Rousseau-Institut Edouard Claparède (1873–1940) nachfolgt, ein Kinderpsychologe, der Jean Piaget (1896–1980) zu seinem Stellvertreter macht. Von Piaget gehen nachhaltige Impulse zur Entwicklung menschlicher Religiosität aus, und dies bis heute insbesondere mit Fritz Oser und Paul Gmünder (Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung, Gütersloh 1988), Anton Bucher und K. Helmut Reich (Entwicklung von Religiosität, Fribourg 1989) sowie Hartmut Beile (Religiöse Emotionen und religiöses Urteil, Ostfildern 1998). Für eine dritte Richtung steht der Züricher Pfarrer Oskar Pfister (1873–1956). Er setzt weniger auf den religionskritischen Impetus seines Lehrers Freud, sondern stärker darauf, dass gerade eine psychoanalytische Auseinandersetzung mit christlicher Religiosität zur Erfahrung der von Jesus verkündigten und gelebten bedingungslosen Liebe werden kann.
Der Ausbau der Wehrmacht beschert der Psychologie einen kriegsbedingten Aufschwung und hernach einen üblen Ruf. Eine vierte Phase (1950–1990) verbringt die Religionspsychologie im Verborgenen – angesichts der Etablierung einer akademischen Psychologie, die mit ihrer Wehrmachtsvergangenheit und bei dieser Gelegenheit auch mit anderen ihr lästigen Traditionen bricht, etwa mit der geisteswissenschaftlichen Psychologie. Interesse an religiösen Phänomenen kommt im US-amerikanisch geprägten Mainstream psychologischer Forschung und Lehre kaum auf. Anders hingegen gestaltet sich die Entwicklung in der Psychiatrie, die sich kontinuierlich religiösen Phänomenen widmet, vornehmlich allerdings in religionspsychopathologischer Perspektive; exemplarisch sei Günter Hole (Der Glaube bei Depressiven, Stuttgart 1977) angeführt – mit seinen Untersuchungen zum Glauben depressiv erkrankter Menschen. Demnach bewirkt eine depressive Erkrankung weniger die Veränderung von Glaubensinhalten, sondern vielmehr eine emotionale Entleerung des Glaubens. Erst die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts bringen in Deutschland und Österreich eine Wende – und einen neuen Aufschwung zugunsten einer psychologischen Auseinandersetzung mit religiösen Phänomenen. Dafür stehen Studien von Anette Dörr (Religiosität und Depression, Weinheim 1987, und Religiosität und psychische Gesundheit, Hamburg 2001), die Bestandsaufnahme von Edgar Schmitz (Religionspsychologie, Göttingen 1992), die Monographien von Hans-Jürgen Fraas (Die Religiosität des Menschen, Göttingen 1990), Bernhard Grom (Religionspsychologie, München – Göttingen 1992) und Michael Utsch (Religionspsychologie, Stuttgart 1998) sowie die Gründung eines Arbeitskreises Religionspsychologie auf dem 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie im Jahr 1994 (Helfried Moosbrugger, Christian Zwingmann und Dirk Frank [Hg.], Religiosität, Persönlichkeit und Verhalten, Münster 1996).
Macht Religion krank?
Hinzu kommen Arbeiten im Kontext einiger Forschungsgruppen: zu religiösen Einstellungen Jugendlicher und zu neureligiösen Gruppen um den nunmehr emeritierten Klinischen Psychologen Eckart Straube in Jena (in Moosbrugger, Zwingmann und Frank); zur Konstruktion standardisierter Instrumente zur Erfassung von Religiosität und religiösen Selbstkonzepten um Sebastian Murken (Gottesbeziehung und psychische Gesundheit, Münster 1998), Stefan Huber (Zentralität und Inhalt. Ein multidimensionales Meßmodell der Religiosität, Opladen 2003) und Christian Zwingmann in Trier; zur motivationspsychologischen Erfassung menschlicher Religiosität um den katholischen Religionspädagogen Bernhard Grom in München; zur evangelischtheologischen Auseinandersetzung mit religionspsychologischen Themen um Erich Nestler und Christian Henning (Religion und Religiosität zwischen Theologie und Psychologie, Frankfurt 1998) in Erlangen. Die Nennung dieser Forschungsgruppen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die religionspsychologischen Fortschritte, für die sie stehen, sich vorwiegend der Initiative und dem Einsatz Einzelner verdanken; ihre Arbeit entbehrt nach wie vor einer institutionellen Verankerung dieses Fachs: eine Disziplin im Niemandsland.
Ein Blick über die Grenzen führt zu den schon genannten Gruppen um Fritz Oser in Fribourg und Anton Bucher in Salzburg, zu Susanne Heine (Themenheft Religionspsychologie: Katechetische Blätter 130 [2005] Heft 1) in Wien und über den deutschsprachigen Raum hinaus insbesondere in nordeuropäische Länder (z. B. Kalevi Tamminen, Religiöse Entwicklung in Kindheit und Jugend, Frankfurt 1993), deren religionspsychologische Schätze aufgrund sprachlicher Barrieren oft nicht hinreichend gewürdigt und rezipiert werden können, sowie erneut in die USA (z. B. Kenneth I. Pargament, The Psychology of Religion and Coping, New York 1997).
Je religiöser, desto depressiver oder – desto gesünder?
Religionspsychologie hat nach Bernhard Grom, Hans-Jürgen Fraas und Hartmut Beile die Religiosität, nach Michael Utsch die Spiritualität zu ihrem Forschungsgegenstand. Mit Religion und Religiosität geht eine institutionelle Verankerung einher; Religion ist im Verhältnis zu Spiritualität ausgeformter, expliziter. Religion stellt Vorstellungsbilder und Mittel der Kategorisierung und Identifizierung von spirituellen Erfahrungen zur Verfügung. Religionspsychologische Forschung setzt heute darauf, Religiosität und Spiritualität nach Möglichkeit empirisch zu fassen und auf ihre Bedeutung für Gesundheit und Lebensbewältigung hin zu untersuchen – in der Hoffnung, dass von einer religiösen Verankerung menschlichen Lebens heilsame Wirkungen ausgehen. Und doch leiden etliche Menschen unter religiös geprägten Wahnvorstellungen. Ihre religiöse Verankerung führt gerade nicht zu einer Entlastung, sondern zu einer Verstärkung ihres seelischen Leidens, indem Schuldgefühle geschürt werden durch den Glauben an einen strafenden Gott, dessen Geist nicht heilend, sondern kränkend zu wirken scheint. Lässt sich zwischen Religiosität einerseits sowie seelischer Gesundheit und deren Gefährdung durch Depressivität andererseits ein empirischer Zusammenhang aufweisen? Die Befundlage bietet beiden Positionen Nahrung: sowohl der These „je religiöser, desto gesünder“ als auch der These „je religiöser, desto depressiver“. Angesichts dieser Widersprüche geht Anette Dörr dieses Thema erneut an. Im Rahmen ihrer typisch religionspsychologischen Forschungen stellt sie Fragen zur religiösen Orientierung, zur religiösen Erfahrung, zum Gottesbild und zur Depressivität der Untersuchungspersonen. So lassen sich mögliche Zusammenhänge zwischen Religiosität und Depressivität empirisch prüfen. Im Ergebnis zeigt sich keine durchgängig aufsteigende Linie im Sinne von „je religiöser, desto depressiver“, aber auch keine permanent absteigende Linie im Sinne von „je religiöser, desto weniger depressiv“. Vielmehr lassen sich diese beiden Linien gleichsam hintereinanderschalten: Mit wachsender Religiosität geht eine zunächst steigende Depressivitätsrate einher, die nach Erreichen ihres Gipfels deutlich abfällt. Mit anderen Worten: In ihrer Selbsteinschätzung erweisen sich nicht religiöse Menschen in ihrer Depressivität im Durchschnitt als unauffällig; in ihrer fassbaren Religiosität im Mittelfeld Stehende zeigen ein Höchstmaß an Depressivität; Menschen mit besonders stark ausgeprägter Religiosität erscheinen am wenigsten depressiv. Folglich spielt eine konsequente Einstellung im religiösen Bereich – empirisch belegt durch besonders niedrige und besonders hohe Werte messbarer Religiosität – mit vergleichsweise geringer Depressivität zusammen.
Stabilisierend für seelische Gesundheit wirkt offenbar die Gewissheit einer Überzeugung, nicht so sehr ihr konkreter Inhalt – denn zu beiden Extremen einer minimal und einer maximal ausgeprägten Religiosität hin nimmt das Maß an Depressivität ab, besonders deutlich aber tatsächlich zu starker Religiosität hin. Mit anderen Worten gilt frei nach Offb 3,15f die Wendung: „besser warm als kalt, aber lieber kalt als lau“.
Ein solches Bild vermag die bisher widersprüchlichen Ergebnisse zu integrieren, insofern der Zusammenhang „je religiöser, desto depressiver“ für weniger religiöse Menschen zutrifft, der Zusammenhang „je religiöser, desto gesünder“ jedoch für stärker religiöse Menschen. Die bisher kursierenden Belege resultieren also aus der Wahl der jeweils zugrunde liegenden Stichprobe, die mehr Sorgfalt verlangt, als sie so manche Datensammelwut zulässt. Setzt sich die Gruppe mittlerer Religiosität und höchster Depressivität aus ursprünglich nicht-religiösen Menschen zusammen, die – bedingt durch ihre seelische Erkrankung – einen letzten Halt suchen? Oder aus ursprünglich stark religiös geprägten Menschen, deren feste Überzeugung durch ihre seelische Erkrankung mancher Erschütterung ausgesetzt wurde? Oder schlicht aus Menschen, die in ihrer religiösen Haltung unsicher und daher für eine depressive Erkrankung möglicherweise besonders anfällig sind? Soziodemographisch finden sich in dieser Gruppe deutlich mehr Frauen als Männer; letztere nehmen meist eindeutigere Positionen ein. Zugleich ergibt sich für diese Gruppe der höchste Altersmittelwert. Im mittleren religiösen Bereich existieren also insbesondere ältere Frauen. Für dieses Phänomen mag es vielfältige Gründe geben: Frauen werden ohnehin älter als Männer; vielleicht finden sich in dieser Gruppe viele Witwen, die nach dem Erwachsenwerden ihrer Kinder und dem Tod des Ehemanns allein sind, allein auch in einer gesellschaftlichen Position, die ihnen keinen Halt zu geben vermag. Zur Prüfung solcher Vermutungen bedürfte es freilich aufwändiger Verlaufsstudien.
Nachweisbar sind zudem statistisch positive Zusammenhänge zwischen einem Selbstbild, das sich durch hohes Selbstwertgefühl auszeichnet, und dem Bild eines liebenden Gottes, ebenso zwischen einem negativen Selbstbild – etwa in einer Depression – und einem strafenden Gottesbild. Dabei könnte ein Glauben an einen strafenden Gott Gefühle der eigenen Schuldigkeit und damit ein deprimierendes Selbstbild provozieren und intensivieren; und umgekehrt könnte die Wucht einer depressiven Erkrankung das Gottesbild gleichsam in Mitleidenschaft ziehen, es verdunkeln und ihm immer strengere und negativere Züge verleihen.
Religionspsychologie darf sich nicht auf quantitative Forschung beschränken
Diese Studien bedeuten einen großen Fortschritt in der zuvor von Widersprüchen geprägten Forschungslage. Dabei können solche Untersuchungen immer nur diejenigen Aspekte eines Themas erfassen, die wirklich empirisch greifbar sind; diese Einschränkung gilt für Fragen von Spiritualität und Religiosität gewiss in besonderem Maße. Darum sind aber empirische Untersuchungen zu Spiritualität und Religiosität keineswegs obsolet, denn empirisch erfassbar können zumindest manche ihrer Früchte sein. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Ergebnissen um Durchschnittswerte handelt. Sie belegen lediglich, dass unter religiös zweifelnden Menschen depressive Erkrankungen mit größerer Wahrscheinlichkeit kursieren als unter Menschen, die ein hohes Maß an Entschiedenheit zeigen – pro oder contra Religion. Wahrscheinlichkeiten kennen aber auch davon abweichende Ausnahmen: beispielsweise stark religiös verankerte Menschen, die dennoch depressive Zusammenbrüche erleiden – ganz entgegen der ebenso verbreiteten wie hässlichen Schuldzuweisung, dass nicht depressiv werde, wer wirklich glaube; diesen Kurzschluss zu ziehen legt leider auch Dale A. Matthews (Glaube macht gesund, Freiburg 2000) mit seiner eindimensionalen Devise nahe.
Religionspsychologischer Forschung kann es nicht darum gehen, sich auf Messbares zu beschränken und die genannten Früchte nur in ihrer Zahl zu würdigen, nicht aber in ihrer Qualität. Um so mehr fällt auf, wie sehr sich religionspsychologische Forschung auf quantitativ-empirische Forschung konzentriert und qualitative Alternativen weitgehend außer Acht lässt, in der Regel mit dem pragmatischen Argument, dass sie sich als psychologische Disziplin versteht und sich zur Sicherung ihrer Anschlussfähigkeit am quantitativ-empirischen Methodenspektrum akademischer Psychologie orientiert, und dies fraglos auf ganz hervorragendem Niveau – trotz spezifischer Komplexität ihres Gegenstands der je subjektiven religiösen Erfahrung, ihrer Ausdrucks- und Verhaltensweisen bei Einzelnen und Gruppen. Aber beraubt sie sich damit nicht zukunftsträchtiger Forschungsmöglichkeiten, indem sie sich selbst derart einengt, dass sie nur noch hypothesenprüfend arbeiten kann – und dies in einer Phase des Neuaufbruchs, der in gesellschaftlich wachsender religiöser Heterogenität auf die Generierung neuer Hypothesen angewiesen ist, bevor diese einer Operationalisierung und Quantifizierung zugeführt werden können? Und gebärdet sie sich nicht unnötig päpstlicher als der Papst, wenn inzwischen doch auch die akademische Psychologie neben dem umschriebenen Mainstream zahlreiche bewährte Wege qualitativ-empirischer Forschung kennt? Es geht nicht um die religionspsychologische Wiederbelebung von (Schein-) Gefechten zwischen qualitativer und quantitativer Forschung. Die Suche nach geeigneten Methoden soll vielmehr dem Umstand Rechnung tragen, dass heute auch Vertreterinnen und Vertreter traditionell quantitativ arbeitender Disziplinen die Gefahr der Vermessenheit eines bloß messenden und rechnenden Denkens einräumen; und zugleich bedeutet die Hinwendung zu qualitativen Perspektiven nicht, dass Quantifizierungen gänzlich obsolet wären.
Sich in die Niederungen des Auszählens zu begeben, kann durchaus sinnvoll sein. Aber es geht um die Frage, ob das selbstauferlegte Methodenkorsett zielführend ist. Und Ziel ist die institutionelle Verankerung einer Disziplin, die sich derzeit im Niemandsland bewegt: Auch an Orten, an denen Psychologische Institute geisteswissenschaftliche Traditionen pfleg(t)en oder gar kultur- und religionspsychologische Forschungsstränge und Curricula eingerichtet haben, ist deren Bestand nicht gesichert, im Gegenteil; und um ein theologisches Fach handelt es sich bei der Religionspsychologie nicht. Gleichwohl profitieren insbesondere praktisch-theologische Fächer wie Religionspädagogik, Pastoraltheologie, Pastoralpsychologie und Caritaswissenschaft sehr von religionspsychologischer Forschung, wenn diese sich etwa in der Biographieforschung mit kognitiven und emotionalen Entwicklungen des religiösen Selbstverständnisses von Frauen und Männern unterschiedlichen Alters auseinandersetzt oder Zusammenhänge von Religiosität und seelischer Gesundheit zu Angelpunkten von Seelsorge und Diakonie werden können. Und wenn religiöse Lernprozesse sich in kulturell pluraler Welt vollziehen, bedarf es auch in der Religionspsychologie in wachsendem MAße einer Auswirkung mit verschiedener Religionen.
Wie sieht der Zusammenhang von Religiosität und Depressivität in anderen Kulturkreisen aus? Depressive Krankheitsbilder treten am häufigsten in Europa und Nordamerika auf, etwas seltener im islamischen Kulturkreis und fast gar nicht in asiatischen oder afrikanischen Religionen. Die in Depressionen so quälenden Schuld- und Versagensgefühle mit religiösem Gepräge tauchen bevorzugt im christlichen Kulturkreis auf, der eine personale Verantwortung vor dem Richter kennt. Dies gilt auch für den Islam: Wenn dort trotzdem Depression weniger als Krankheit imponiert, hängt das vielleicht damit zusammen, dass vom Einzelnen ohnehin ein hohes Maß an Schicksalsergebenheit verlangt wird? Wo die oder der Einzelne wie in Afrika sich stark über die Gemeinschaft definiert, ist er eher Dividuum als Individuum, eher Teil eines Ganzen als ungeteilter Einzelner. Er verfügt wohl nicht wie ein Europäer über eine abgrenzbare Identität und Autonomie, sondern hängt mehr von seiner Gemeinschaft ab. Psychisch krank wird er durch gemeinschaftswidriges Verhalten, und wenn er krank ist, führt er sein Leid zurück auf Verhexung, bösen Blick oder Fluch von anderen aus der Gemeinschaft, die ihn hassen oder strafen wollen. So kommt Krankheit dem Verlust an Zugehörigkeit zum eigenen Clan gleich – und Heilung einer Rückführung in denselben. Ohne ausgeprägtes individuelles Ich bleibt offenbar auch das individuelle Schulderleben wenig ausgebildet. Vielleicht hängen Schuldgefühle auch mit Weltuntergangsszenarien zusammen, wie sie in unserem Kulturkreis vorkommen, weniger aber in asiatischen Religionen. Nicht dass diese Szenarien als solche depressogen wirken und Religion zum Gesundheitsrisiko machen: Aber ist es nicht denkbar, dass sie eine Bedrohung vor Augen halten, die gerade wegen ihres realistischen Charakters so schwer anzusehen und zu ertragen ist?
Das Plädoyer gilt also einer Weitung der Religionspsychologie im doppelten Sinne – methodisch und interreligiös. Dazu braucht sie eine institutionelle Verankerung. Wenn sie in der deutschsprachigen Psychologie im Niemandsland verbleibt, ist es besser, sie in die Theologie hinein zu adoptieren, als sie ganz aufzugeben; immerhin stand die Theologie (mit) an der Wiege der Religionspsychologie. Eine solche Adoption darf das Kind nicht vereinnahmen, braucht es aber auch nicht für illegitim zu halten – schon darum nicht, weil auch das Konzil die Unerlässlichkeit pädagogischer, psychologischer und soziologischer Kenntnisse für heutiges und zukünftiges Theologietreiben kundtut.