LeitartikelGleichbehandlung per Gesetz?

Jede Menge Einwände gab es gegen das Anfang Juli schließlich auch vom Bundesrat abgesegnete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Diskriminierungsverbote im Arbeits- und Zivilrecht vorsieht. In das jahrelange Ringen um dieses Gesetzesvorhaben mischten sich viele der derzeit so drängenden gesellschaftlich-politischen Probleme und Auseinandersetzungen. Vor allem zeigte auch diese Debatte sehr deutlich, wie sehr der Umgang miteinander, die Gestaltung unseres Zusammenlebens fraglich geworden ist.

Die professionellen Beobachter hatten schon im Vorfeld gewitzelt, es könne keine entscheidungsfreudigere Zeit für die Politik geben als während der Wochen der Fußball-Weltmeisterschaft. Nie fand Politik unbeobachteter statt. Die Großkoalitionäre in Berlin haben – von der Abschaffung der Pendlerpauschale bis zu den erhöhten Krankenkassenbeiträgen – ihre Chance weidlich genutzt. Unter den Stigmata, die das am 7. Juli auch vom Bundesrat schließlich abgesegnete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) trägt, wird dieses am wenigsten schmerzen: In einer Zeit verabschiedet worden zu sein, in der keiner den Regierenden auf die Finger, stattdessen alle Klinsmanns Jungs auf Füße und Waden geguckt haben.

Für die Behinderten ein wichtiges Signal

Schwerer wiegt schon der Verdacht, dass dieses noch unter dem Namen „Antidiskriminierungsgesetz“ von der Vorgängerregierung ererbte, ambitionierte Gesetzesprojekt zu einem jener strategischen Opfer wurde, die offenkundig notwendig sind, um einen höchst fragilen Koalitionsfrieden zu erhalten. In jedem Fall endete jetzt ein fast achtjähriges parlamentarisches Gezerre und, so hoffen wohl alle Beteiligten, eine äußerst heftige Debatte unter Gegnern und Befürwortern. Wobei es die Auseinandersetzung über das Antidiskriminierungsgesetz erstaunlicherweise nie richtig zum großen öffentlich medialen Aufregerthema geschafft hat. Nur der komplizierten Materie wegen?

Mit dem Gesetz, das Diskriminierungsverbote im Arbeitsund Zivilrecht vorsieht, werden im Wesentlichen vier EU Richtlinien in nationales Recht überführt. Diese verpflichten die EU-Mitgliedstaaten zu effektivem Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der ethnischen Herkunft, der Religion und der Weltanschauung im Bereich der Beschäftigung und des Berufs. Im Bereich des Zivilrechtes geht das deutsche Gleichbehandlungsgesetz über die EU-Richtlinien hinaus, wurde es ergänzt um die Diskriminierungskriterien sexuelle Identität, Alter und Behinderung. Das im Grundgesetz (Art. 3 Abs. 3) festgeschriebene Diskriminierungsverbot gilt unmittelbar für das Handeln des Staates; in privaten Rechtsbeziehungen hat es nur mittelbar Einfluss. Künftig dürfen also bei der Wohnungssuche (mit Ausnahmen), beim Automieten oder am Eingang zur Disco nicht mehr Geschlecht oder ethnische Herkunft darüber entscheiden, wer zum Zug kommt. Homosexuelle sollen künftig besser vor den alltäglichen Diskriminierungen geschützt werden. Behinderte und alte Menschen dürfen nicht mehr von bestimmten Versicherungen oder Stellenangeboten ausgeschlossen werden. So bezeichnete etwa der Deutsche Behindertenrat das Gesetz als wichtiges Signal. Behinderte hätten nun bessere Möglichkeiten, sich gegen Benachteiligung mit Hilfe des Rechtes zu wehren – wenn beispielsweise, wie wirklich geschehen, Menschen ohne Arme aus einem Lokal verwiesen werden, weil sie mit den Füßen essen. Für die Arbeitgeberseite bleibt das Gleichbehandlungsgesetz trotz mancher noch in letzter Minute gelungenen Entschärfung in ihrem Sinne ein überzogenes, in den Kosten unkalkulierbares, bürokratisches Monstrum – in erster Linie Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Rechtsanwälte, Doping für Querulanten. Das Gesetz, das das Gute reklamiere und doch nur das Bürokratische schaffe, verstand man dort als krassen Gegensatz vor allem zur Ankündigung der Union, mehr Freiheit wagen zu wollen. In den Interessenverbänden der Wirtschaft hatte sich erwartungsgemäß von Anfang an der stärkste und lauteste Widerstand formiert, so wie die Hauptkritik am Gesetzesvorhaben insgesamt ökonomisch begründet war.

Sicherlich gehört das Antidiskriminierungs- oder Gleichbehandlungsgesetz nicht zu den großen politischen Reformvorhaben und Aufgaben des Landes. Aber in das Ringen um dieses Gesetzesvorhaben mischten sich viele der derzeit so drängenden gesellschaftlich-politischen Probleme und Auseinandersetzungen. Vor allem zeigte auch diese Debatte sehr deutlich, wie sehr der Umgang miteinander, die Gestaltung unseres Zusammenlebens über all diese Herausforderungen fraglich geworden ist: Wie viel soziale Ungleichheit, welche Benachteiligungen erträgt unsere Demokratie? Wie viel Gleichheit, welche Lebensrisiken kann und soll der Sozialstaat absichern? Welches gesellschaftliche Ziel stellt das Prinzip der Gleichheit überhaupt noch dar? Politisch und ökonomisch scheint man immer mehr darauf zu setzen, dass die Zukunftsfähigkeit unseres Landes nur durch Steigerung von Differenz und Ungleichheit auf allen Ebenen zu erlangen ist.

In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

In der virulenten Integrationsdebatte verhandelt man, wie viel (kulturelle) Identität den geschützten Minderheitengruppen zugestanden, wie viel Integration, Angleichung an eine vorgebliche Leitkultur von ihnen verlangt werden muss. Selbstverständlich hatte die fortbestehende Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau im Berufsalltag und im Privaten Auswirkungen auf die demographische Entwicklung des Landes. Darf der Staat über familienpolitische Maßnahmen das Rollenverhalten von Mann und Frau im Sinne größerer Gleichheit zu steuern versuchen? In den wüsten Polemiken gegen die Gleichmacherei der europäischen Gesetzgebung scheint man der Europäischen Union kaum noch den Anspruch zuzugestehen, nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Wertegemeinschaft zu sein. Und wie steht es überhaupt – wo nur noch rüder Pragmatismus und Krisenmanagement in der Politik zu herrschen scheinen – um den Glauben an so etwas wie gesellschaftlich-politischen Fortschritt, wie er sich in dem Projekt Gleichbehandlungsgesetz zeigt?

In ihrem so genannten Gesellschafter-Projekt hat die „Aktion Mensch“ all diese schwierigen und so komplexen Fragen auf eine vordergründig sehr einfache reduziert: „In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?“, wurden wir von großflächigen Werbeplakaten, im Fernsehen, in Zeitungen und Magazinen gefragt. Auf dem Foto eine buntes Grüppchen von Menschen, das wohl die Vielfalt der Lebensformen und Lebensentwürfe in dieser Gesellschaft zeigen will: Alte und Junge, ein behindertes Kind, Männer und Frauen, mit und ohne Migrationshintergrund – wie man jetzt schrecklich unbeholfen zu sagen pflegt.

Das Antidiskriminierungsvorhaben kann zu neuer Diskriminierung führen

Ähnlich „einfach“ lässt sich angesichts der Debatte um das Antidiskriminierungsgesetz fragen, wie unstrittig das dahinter stehende Grundanliegen ist: dass niemand diskriminiert werden darf aus was für Gründen auch immer, dass allen Menschen im öffentlichen wie privaten Leben die gleichen Zugangsrechte gewährt werden sollen. Aber wenn auch schon im Grundgesetz steht, das niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, Herkunft, seines Glaubens, seiner Rasse benachteiligt werden darf, ist Deutschland dennoch kein diskriminierungsfreies Land, trotz einer demokratisch verfassten Gesellschaft, die sich der Achtung der Menschenrechte verpflichtet fühlt. Frauen erhalten weniger Gehalt für gleiche Arbeit; Ausländer werden bei der Wohnungssuche abgewiesen; in der Regel bekommt man mit 50 Jahren keinen neuen Job mehr; älteren Menschen wird mit dem schlichtem Hinweis auf ihr Geburtsjahr der Dispokredit des Girokontos gekündigt; Frauen zahlen in privaten Krankenversicherungen erheblich höhere Beiträge als Männer, da ihnen einseitig Kosten von Schwangerschaft und Mutterschaft aufgebürdet werden. In besonders schwieriger Lage befinden sich Menschen, die unter Mehrfachdiskriminierung leiden: Behinderte Frauen beispielsweise – das zeigen verschiedene Studien – haben in Deutschland gegenüber behinderten Männern ein nochmals höheres Armutsrisiko.

Zweifelsohne liegen in dem Vorhaben, mit einem Antidiskriminierungs- oder Gleichbehandlungsgesetz Abhilfe schaffen zu wollen, viele Fallstricke verborgen – nicht allein des grundsätzlichen Problems wegen, Diskriminierung beziehungsweise Gleichbehandlung und Gleichheit inhaltlich schwer nur bestimmen zu können; nicht jede Unterscheidung ist schon Diskriminierung. Womöglich wird sich das an sich Gutgemeinte gerade im Übereifer gegen das eigene Ziel richten. Antidiskriminierungsvorhaben können zu neuerlicher Diskriminierung führen, weil man denen, die solchermaßen geschützt werden, von außen erst recht mit Befangenheit und Vorsicht begegnet. Politikerinnen mahnten beispielsweise, das Gesetz verschlechtere die beruflichen Chancen von Frauen; denn viele Arbeitgeber werden Frauen bei Einstellungsverfahren gar nicht mehr in die engere Auswahl nehmen, weil sie das Prozessrisiko fürchteten, wenn sie sich am Ende doch für einen männlichen Bewerber entscheiden. Strafandrohung per Gesetz schaffe bei Arbeitgebern sicher keine höhere Akzeptanz für Frauen im Beruf. Werden künftig, um das Gleichbehandlungsgesetz beziehungsweise mögliche Klagen und Sanktionen zu umgehen, immer mehr Jobs unter der Hand vergeben? Und die „Diskriminierten“ selbst? Wollen sie arbeiten bei einem Arbeitgeber, der sie einer Behinderung wegen eigentlich gar nicht beschäftigen will? Wollen sie essen in einem Restaurant, dessen Wirt sie nur peinlich sind? Wollen sie tanzen in einer Disco, deren Türsteher Einlass gewährte, um keine Scherereien zu bekommen? Dieses Gleichbehandlungs- oder Antidiskriminierungsgesetz kann zum „Integrationssignal“ werden, wie es einmal hoffnungsfroh die Grünenpolitikerin Claudia Roth formulierte; es kann auch neue Unsicherheit und Zwietracht in unserer Gesellschaft säen. Der Blick ins Ausland liefert Befürwortern wie Gegnern Argumente: So lässt sich beispielsweise in Frankreich, das schon länger über ein solches Gesetz und die darin vorgesehenen Institutionen und Behörden verfügt, nicht die befürchtete Klageschwemme feststellen. Allerdings schätzen Beobachter die gesellschaftliche und politische Wirkung zur Beseitigung von Diskriminierung auch nicht allzu hoch ein. Experten weisen auf die unerwünschten Nebenwirkungen der langjährigen ausdrücklichen Antidiskriminierungspolitik in den USA hin: Oft verschanze man sich dort in der geschützten Minderheit, wodurch sich die sozialen Partikularismen noch verschärften.

Die Mittel des Rechts allein genügen nicht

Konservative und liberale Intellektuelle polterten vor allem gegen die Freiheitsbeschneidung durch staatlichen Tugendterror, den weiteren Schritt zur politisch korrekten Meinungsdiktatur, den Missbrauch der Gesetzgebungsgewalt durch Volkserziehung. Ausgesprochen gefährlich sei, wenn versucht werde, durch staatliche Eingriffe sich dem gesellschaftlichen Ideal von Freiheit und Gleichheit nähern. Auch in diesem Gesetzesvorhaben zeige sich einmal mehr die höchst problematische „Verrechtlichung und Vergerechtlichung“ (Bernhard Schlink) nahezu aller Lebensbereiche.

Der entscheidendste Einwand aber liegt im Zweifel, ob sich das geforderte Umdenken und Nachdenken durch Strafandrohung erreichen, ein respektvoller, anständiger Umgang unter Menschen sich überhaupt juristisch regeln lässt. Wird das Gesetz beispielsweise zu einer Verhaltensänderung bei Arbeitgebern oder Vermietern führen? Als das Antidiskriminierungsgesetz noch das Lieblingsprojekt des lästigen kleinen grünen Koalitionspartners war, prägte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries das schöne Wort: Zu einer freiheitlichen Gesellschaft gehöre es eben auch, Verhaltensweisen hinzunehmen, die ein vernünftiger Mensch für dumm und borniert halte. Umgekehrt lässt sich genauso gut fragen, ob nicht ein hoffnungsloser Romantiker ist, wer glaubt in den Köpfen der Menschen ändere sich etwas ohne den mehr oder minder sanften Druck klarer Verhältnisse. Sicher bleibt das Gesetz ein ambivalentes Unterfangen, ein Kompromiss, eine hässliche Krücke: Gegen die verschiedenen Formen der Diskriminierung vorzugehen, ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die sich mit den Mitteln des Rechts allein nicht lösen lässt. „Die Chancen eines diskriminierungsfreien Zusammenlebens hängen vor allem von der Einstellung der Menschen ab“, betonte der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Heiner Bielefeldt in seinem Gutachten zum Antidiskriminierungsgesetz, das er dennoch – menschenrechtlich begründet – forderte und begrüßte. Der Staat kann Toleranz und Respekt im Ungang miteinander, ein „anständiges“ Verhalten nicht verordnen. Er kann aber durch seine Rechtsordnung deutlich machen, dass diskriminierendes Verhalten gesellschaftlich missbilligt wird.

Perspektivwechsel im Glauben an die gemeinsame Gotteskindschaft

Die Kirche war mit dem Antidiskriminierungsgesetz in einer sehr schwierigen Lage. Natürlich unterstützten die Bischöfe das Grundanliegen, wie sie in einer eigenen Erklärung ausdrücklich betonten. In mehreren Punkten lobten gerade kirchliche Verbände auch schon den rotgrünen Gesetzentwurf, etwa der Aufnahme des Diskriminierungsmerkmals „Alter“ wegen. Zugleich sorgte man sich, die Religionsfreiheit und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht seien nicht zweifelsfrei gesichert; die Kirchen wollten auch in Zukunft nach ihrem Selbstverständnis über den Zugang zu ihren Einrichtungen oder Angeboten entscheiden. Religionsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht bleiben mit dem jetzt in Kraft tretenden Gleichbehandlungsgesetzt gewährleistet. So sind die Kirchen nun frei, sich der anderen Seite des „Projektes“ anzunehmen: Aus Glauben und Tradition Gesprächsangebote zu formulieren, die helfen können, Einstellung so zu verändern, dass ein diskriminierungsfreier Umgang miteinander möglich wird. Der Glaube an die gemeinsame Gotteskindschaft, die Gottebenbildlichkeit aller ermöglicht und ermutigt zum Perspektivwechsel in der Begegnung mit dem Anderen, dem Fremden, dem Unbekannten. Dieser Perspektivwechsel wiederum schafft Respekt und Toleranz, die nötige Sensibilität für die verschiedenen Formen versteckter und offener, mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung. In der im Gottesglauben begründeten Option für die Armen haben beide großen Kirchen in ihrem gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland als Ziel formuliert, „Ausgrenzung zu überwinden und alle am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen“. Sie haben sich dabei selbst verpflichtet, „den Blick auf die Empfindungen der Menschen, auf Kränkungen und Demütigungen von Benachteiligten, auf das Unzumutbare, das Menschenunwürdige, auf strukturelle Ungerechtigkeiten zu richten.“

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