Der deutsche Beitrag zum Wiederaufbau AfghanistansHelfer zwischen den Fronten

In der deutschen Afghanistan-Politik drohen die Trennlinien zwischen militärischen, politischen und humanitär-zivilen Aufgaben und Akteuren zu verwischen. Das gefährdet die Arbeit derer, die bei ihrer Hilfe auf Unabhängigkeit, Neutralität und streng humanitäre Maßstäbe setzen – auch der katholischen Hilfswerke, die derzeit noch in Afghanistan mit umfänglichen Programmen tätig sind.

Wenn derzeit in den westlichen Medien über Afghanistan berichtet wird, dann zumeist im Zusammenhang von Krieg, Terror und Gewalt. Internationale Truppenverbände mit UN-Mandat, darunter auch deutsche Bundeswehrsoldaten, stehen seit Ende 2001 in einem zermürbenden Kampf mit wieder erstarkten Taliban- und Al Kaida-Einheiten. Die Debatte über eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes durch die Bereitstellung von sechs Aufklärungs-Flugzeugen hat das Land am Hindukusch erneut ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Kurz vor Ostern sind in Mazar-e-Sharif die Tornados eingetroffen, die die kämpfenden NATO-Verbände im Süden und Südosten Afghanistans unterstützen sollen. Zeitgleich zur Bundestagsdebatte wurde erstmals ein deutscher Entwicklungshelfer bei seinem Einsatz in Afghanistan getötet. Die grausame Hinrichtung des Mitarbeiters der „Welthungerhilfe“ wertete man als Zeichen für eine sich weiter zuspitzende Lage, in der immer weniger zwischen einerseits Zivilisten und humanitären Helfern und andererseits Soldaten und Taliban unterschieden wird. Aus dem Kampf gegen den Terrorismus und der Absicht, Menschenrechte militärisch zu schützen, droht mittlerweile ein Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung zu werden. Viele Kommentatoren fürchten gar eine „Irakisierung“ Afghanistans.

Von der arischen Spurensuche zum schwarzen Afghanen

Immer wieder verweisen deutsche Politiker auf die traditionell guten Beziehungen zwischen Afghanistan und Deutschland. Der Afghanistan-Spezialist Ulrich Ladurner betitelte folgerichtig einen Artikel „Sie mögen uns“ (Die Zeit, 8.3.2005). Wenige allerdings reflektieren die genaueren Hintergründe dieser Tradition. Es ist eine Tradition, die unter anderem bis zu Kaiser Wilhelm II. zurückreicht. Das Kaiserreich hatte damals die Absicht, dem britisch-russischen Einfluss am Hindukusch eine eigene deutsche Note hinzuzufügen. Gemeinsam mit dem Osmanischen Reich versuchte die damalige deutsche Außenpolitik... Wege zu finden, um über die afghanischen Stämme den ohnehin schon bestehenden Unruheherd zwischen den zwei Großmächten Russland und England weiter anzufachen. Nicht zuletzt ging es auch um Entlastung der deutschen Truppen, die in Europa in einem Zwei-Fronten-Krieg kämpften. Dazu wurde eine osmanisch-deutsche Mission unter der Führung von Kazim Bey, Oskar von Niedermeyer und Werner Otto von Hentig im September 1915 nach Kabul entsandt. Der damalige afghanische Herrscher Habibullah vom Stamm der paschtunischen Durrani war für die Anliegen der Gesandtschaft durchaus offen und empfing für sein Versprechen, die Briten anzugreifen, 100 000 Gewehre, 300 Kanonen und umfangreiche Goldwerte. Der Angriff ist nicht erfolgt. Anstelle dessen trat Habibullah in Verhandlungen mit den Briten, um von diesen für sein Stillhalten Gegenleistungen einzufordern. Mehr Erfolg im Durchsetzen deutsch-osmanischer Interessen hatten später zwei in der Gesandtschaft mitreisende indische Revolutionäre und Nationalisten. Maulana Barakatullah und Raja Mahendra Pratap provozierten in den folgenden Jahren immer wieder Aufstände in Britisch-Indien und in Zentralasien. Bei einem dieser Aufstände sollten deutsche Kriegsgefangene im usbekischen Taschkent befreit werden. Die Befreiung ist misslungen. Erst nach Habibullahs Ermordung 1919 geschah das, was sich das deutsche Kaiserreich viel früher gewünscht hatte. Im dritten so genannten afghanisch-britischen Krieg gewann Afghanistan unter Führung von König Amanullah seine vollständige Unabhängigkeit von Großbritannien und löste damit in Zentralasien und Indien eine Kettenreaktion von Freiheitskämpfen aus.

Auch das Hitler-Regime suchte enge Bindungen zu Afghanistan aufzubauen, und in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland eine der einflussreichsten Mächte am Hindukusch. Das Deutsche Reich schickte Wissenschaftler und Ingenieure. Ab 1937 flog die Lufthansa wöchentlich nach Kabul. Bizarr muten die Ergebnisse der Hindukusch-Expedition der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 1935 unter Führung von Arnold Scheibe und Wolfgang Lentz an, die arische Spurensuche betrieben. Noch heute kursiert in Afghanistan die Meinung, dass im afghanischen Nuristan die Wurzeln des Ariertums zu finden sind, und dies eine enge Verwandtschaft zwischen Deutschen und Afghanen begründet. Dazu passt, dass viele Afghanen bis heute die unter Nazi-Deutschland versuchte Vernichtung des europäischen Judentums als große Tat bewerten. Eine Episode mit großem Nachspiel sind die vielen Hippies geblieben, die sich vor allem in den siebziger Jahren aus Westeuropa auf ihrem Weg nach Indien in Afghanistan beim „grünen und schwarzen Afghanen“ in Herat, Bamyan, Ghazni und Kabul berauschten und damit dem rentablen Drogen-Anbau den Weg bereiteten. Heute ist Afghanistan weltweit der größte Produzent von Rohopium. Die Drogenproduktion stellt eine feste wirtschaftliche Größe in Afghanistan dar. Sie sichert der armen und hungernden Landbevölkerung das existentielle Einkommen, fördert Schmuggel und Waffenhandel, gilt als beste Einnahmequelle der Taliban und wird nicht umsonst von den Westmächten als ein Kernproblem beim Wiederaufbau gesehen.

Die aktuelle deutsche Außenpolitik, die um diese Geschichten und die Geschichte weiß, bemüht sich umso intensiver, das gegenwärtige Engagement in und um Afghanistan in einen völkerrechtlich verbindlichen Rahmen einzufügen. Die rund 3000 am Hindukusch stationierten Bundeswehrsoldaten sind Teil eines von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen Kommandos, das im Dezember 2001 unter dem Stichwort ISAF (International Security Assistance Force) begann und kurz vorher auf der Bonner Petersberg-Konferenz beschlossen worden war. Deutschland zeigte sich dabei als Vermittler zwischen US-Politikern, der damals geeinten und mächtigen Nordallianz, verschiedenen afghanischen Partikularmächten, UN-Vertretern und anderen ausländischen Interessensgruppen. Neben der Sendung von Truppenverbänden versprach die damalige deutsche Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer zudem, große Mittel für den afghanischen Wiederaufbau bereit zu stellen. Das deutsche Engagement in Afghanistan stellte damit eine konsequente Fortsetzung der Internationalisierung der Außenpolitik dar, die mit dem militärischen Eingreifen im Kosovo-Konflikt 1999 (damals ohne UN-Mandat) seinen Anfang genommen hatte. Entsprechend muss die deutsche Afghanistan-Hilfe auch in einem erweiterten Kontext wahrgenommen werden, in dem unter anderem die reichen Erdölund Erdgasvorkommen in Zentralasien eine große Rolle spielen.

Die Bevölkerung hat den Glauben an einen Neuanfang verloren

Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik tut viel dafür, den Afghanistan-Einsatz als humanitär, Frieden schaffend, Konflikt lösend und vor allem erfolgreich darzustellen. Leider sind in der afghanischen Wirklichkeit Erfolge kaum sichtbar. Im Gegenteil, die Armut im Land zeigt sich heute kaum verringert gegenüber dem Jahr 2001, als die Taliban aus Kabul verjagt wurden. Nach wie vor erreicht ein Viertel aller afghanischen Kinder das fünfte Lebensjahr nicht. Die Müttersterblichkeitrate zählt weltweit zu den höchsten. Die Hälfte der Bevölkerung ist chronisch unterernährt. Überall mangelt es an Gesundheitsdiensten. Die Sicherheitslage hat sich in vielen Landesteilen dramatisch verschlechtert.Von den fast 2000 nationalen und internationalen Hilfsorganisationen, die zu Beginn des Jahres 2002 ihre Tätigkeit aufnahmen, haben viele ihre Arbeit eingestellt. Vor allem aber hat die afghanische Bevölkerung selbst zunehmend den Glauben an einen Neuanfang verloren. Immer mehr Menschen fallen zurück in einen pragmatischen Fatalismus, der ihnen in den vergangenen 30 Kriegsjahren zumindest das Überleben gesichert hat. Der Fatalismus führt zu einer Abwendung vom Westen, dessen Werte nicht verstanden und dessen Versprechungen und Zusagen auch nicht mehr geglaubt werden. Die islamische Religion, die Traditionen und die eigenen Führer werden demgegenüber als Größen angesehen, die Berechenbarkeit und Stabilität garantieren.

Abschiebung in ein fremd gewordenes Land

Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik gerät durch die sich verändernde und zuspitzende Lage zunehmend in ein gefährliches Dilemma. Einerseits ist Deutschland durch seine Bündnisverpflichtungen und Zusagen gegenüber den Vereinten Nationen gezwungen, in Afghanistan Kurs zu halten und muss dies demgemäß im eigenen Land positiv vermitteln. Gerade aber bezüglich der Sicherheit der Bundeswehrsoldaten zeigt sich, dass die deutsche Öffentlichkeit zunehmend kritischer wird und den Einsatz mehr und mehr in Frage stellt. Es ist damit zu rechnen, dass sobald weitere deutsche Soldaten bei ihrem Einsatz am Hindukusch ums Leben kommen, es für den ISAF-Auftrag absehbar kein Mandat mehr geben wird.

Im Schatten dieser Debatte spielt sich heute schon eine ganz andere Tragödie ab. Die afghanischen Flüchtlinge, die seit dem sowjetischen Einmarsch von 1979 zu Tausenden nach Deutschland geflohen waren und von denen viele bis heute keine Anerkennung als Asylanten haben, müssen nach einem Beschluss der Innenminister-Konferenz ihre Abschiebung fürchten. Die mögliche Abschiebung – die vor allem Hamburg seit Mai 2005 aktiv betreibt – wird damit begründet, dass die Lage in Afghanistan als stabil und sicher einzustufen sei. Organisationen für Menschenrechte haben dagegen beobachtet, dass die nach Afghanistan abgeschobenen Flüchtlinge keinesfalls die Perspektiven finden, die ihnen versprochen wurden und die Erfolge der deutschen Außenpolitik sein sollen. Viele Rückkehrer müssen in einem für sie fremd gewordenen Land um Existenz und Überleben kämpfen. Wenigen Innenpolitikern scheint bewusst, dass sie mit dem Vollzug der Abschiebung auch die Sicherheitslage in Afghanistan verschärfen könnten. Untersuchungen in einem psychosozialen Hilfsprojekt von Caritas international belegen, dass gewaltbereite Afghanen vielfach aus einem Milieu in Kabul rekrutiert werden, in dem Männer in die Schere von Tradition und Moderne geraten sind. Als Einzelne stehen sie ohnmächtig dem traditionellen Kollektiv gegenüber. Das Scheitern ist programmiert, sobald die Männer keine Arbeit haben und ihre Versorger- und Beschützerleistungen nicht mehr erbringen können. Dies trifft besonders auf solche zu, die aus dem westlichen Ausland nach Kabul zurückkehren mussten. Sie haben als Flüchtlinge ganz andere Werte und Ideale kennen gelernt, die mit der afghanischen Wirklichkeit nur schwer kompatibel sind. Viele dieser Rückkehrer leiden unter schweren Depressionen, Aggressionen und Ängsten, wie Beratungsprotokolle belegen. Seit Ende 2004 verfolgt Caritas international in Kabul ein psychosoziales Beratungs- und Betreuungsprojekt für Kriegstraumatisierte und sozial Marginalisierte. In elf über das gesamte Stadtgebiet verteilten so genannten niedrigschwelligen Beratungszentren geben 30 Therapeuten (davon die Hälfte Frauen) monatlich rund 1500 Therapie- und Beratungsstunden für Einzelne, Familien und Gruppen. Caritas international unterhält seit Beginn 2002 in Kabul zur Betreuung der Projekte ein eigenes Büro mit derzeit drei Auslandsmitarbeitern und 15 afghanischen Mitarbeitern. In einem noch weit größeren Maßstab vollzieht sich die Tragödie bei den so genannten „freiwilligen Rückkehrerprogrammen“ des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), durch die mittlerweile nahezu 4,5 Millionen Afghanen zurück in ihr Heimatland verbracht worden sind. Die Flüchtlinge hatten vorher zumeist in Pakistan oder dem Iran Schutz vor Krieg und Verfolgung gefunden und werden nun in ein vom Krieg zerstörtes Land zurück geschickt. Die Verelendung großer Menschenmengen ist programmiert. Kabul ist heute weltweit die am schnellsten wachsende Stadt. Ende 2001 lebten in der afghanischen Hauptstadt rund 900 000 Menschen. Heute sind es etwa 4,7 Millionen, von denen nur ein Bruchteil Zugang zu sauberem Trinkwasser, Gesundheitsdiensten und anderen Basisversorgungen hat. Auch das deutsche Außenministerium finanziert mit einem nicht unerheblichen Anteil die Rückkehrerprogramme von UNHCR.

Neben der Außen- und Sicherheitspolitik bildet das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen dritten Pfeiler der deutschen Afghanistan-Politik. Es fällt allerdings auf, dass dieser Beitrag sich weniger eigenständig und unabhängig entfaltet als vielmehr in direkter Ergänzung der beiden anderen. Konsequenterweise werden die größten und wichtigsten Programme des BMZ im Norden Afghanistans umgesetzt, der wirtschaftlich und sozial stabilsten Region im Land, die unter der Kontrolle der deutschen ISAF steht. Unter der Führung des deutschen Provincial Reconstruction Team (PRT) arbeiten mittlerweile Militärs, Entwicklungshelfer der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit und die afghanischen Behörden und Militärs Hand in Hand.

Die Mehrheit der Nichtregierungsorganisationen (NRO), die sich im Bereich Menschenrechte, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit engagieren, sehen in dem PRT-Modell ein äußerst heikles und zwiespältiges Instrument. Es ist ein Instrument, bei dem wichtige Trennlinien zu verwischen drohen, wenn sich zivil-militärische Wiederaufbauhelfer im Auftrag von Regierungen sowohl um Stabilität und Sicherheit als auch um Entwicklung und Wiederaufbau bemühen. Das PRT-Modell wird in Afghanistan erstmals im größeren Umfang eingesetzt und stellt damit eine neue Herangehensweise der westlichen Regierungen im Umgang mit Krieg und Gewalt dar.

Wie lassen sich die Herzen der Afghanen wirklich gewinnen?

Konkret fürchtet die NRO-Szene, dass militärische und politische Akteure aus strategischen Erwägungen und taktischem Kalkül zunehmend humanitär-zivile Aufgaben übernehmen und damit die wichtige Trennlinie zu den Organisationen überschreiten, die, um freien Zugang zu den Opfern von Krieg, Verfolgung oder Katastrophen zu haben, ihre Hilfe auf Unabhängigkeit, Neutralität und strenge humanitäre Grundsätze setzen.

Bei der aktuellen Frühjahrsoffensive der ISAF-Truppen gegen die Taliban im Süden Afghanistans, die unter dem Motto „Operation Achilles“ steht, weisen Militärstrategen immer wieder darauf hin, wie wichtig nach dem militärischen „Cleaning“ die Arbeit der zivilen Aufbauteams ist – „zur Gewinnung der Herzen der lokalen Bevölkerung“. Es passt dazu, dass auch ausgewiesene Kenner der Szene wie Ulrich Ladurner nicht mehr die Gewalt an sich und deren vielschichtige Implikationen in Frage stellt: „Trotz aller Bedenken, wer Afghanistan befrieden will, wird es ohne Gewalt nicht tun können. Entscheidend ist, wie man sie einsetzt, gegen wen und zu welchem Zweck.“ Ladurner lässt die Frage nach dem Gewaltmonopol offen. Wer darf Afghanistan befrieden? Wer hat dafür das richtige Konzept und die bestmöglichen Mittel zur Hand? Für die bedrohte und leidende afghanische Bevölkerung ist es eine alles entscheidende Frage, wer ihnen was gibt – heute wie damals. Eine Ablehnung der ausländischen Mächte, die erst Gewalt und gleich darauf Hilfe anbieten, kann in jedem Fall nicht überraschen. Es bleibt in den westlichen Medien häufig ungenannt, dass im Kampf gegen die Taliban die weitaus meisten Opfer nach wie vor unter den afghanischen Zivilisten zu finden sind – auch nach ISAF-Kampfeinsätzen. Die Spirale der Gewalt und Enttäuschungen schraubt sich damit nach dem vermeintlich hoffnungsvollen Anfang im Dezember 2001 in immer neue Höhen. Es sind Höhen, in denen die westlichen Staaten darauf achten müssen, nicht den Blick auf diejenigen zu verlieren, zu deren Unterstützung sie einst angetreten waren.

In Afghanistan sind es die humanitären Hilfsorganisationen, die immer wieder neu auf diese Notleidenden hinweisen. Es ist Besorgnis erregend, dass die Humanitarians, die Helfer und Helferinnen zwischen die Fronten geraten. Immer häufiger werden sie von der afghanischen Bevölkerung als Teil einer gesamtwestlichen Strategie gesehen. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hat nach der Ermordung von fünf ihrer Mitarbeiter den vollständigen Abzug aus Afghanistan im Juni 2004 auch damit begründet, dass ihr eine neutrale Arbeit nicht mehr möglich war. Auch die katholischen Hilfswerke wie Misereor, Malteser international und Caritas international, die derzeit noch in Afghanistan mit umfänglichen Programmen tätig sind, müssen immer wieder neu prüfen, wann für ihre Arbeit die Grenze überschritten wird. Es mag seltsam anmuten und doch folgerichtig sein, eine Gefährdung ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen rührt weitaus weniger aus einer fundamental islamistischen Gesinnung als aus neuen strategisch-taktischen Planungen politischer und militärischer Akteure. Es rührt weder von Resignation noch westlichem Pragmatismus her dafür zu plädieren, den Neuanfang Afghanistans vor allem den Afghanen selbst zu überlassen und die Präsenz und Hilfe des Westens vor allem im Sinne von Begleitung, von Impulsangeboten und von Hilfe zur Selbsthilfe zu verstehen. Der Westen würde bereits viel leisten, könnte er die Einflussnahmen und Eingriffe in Afghanistan von Staaten wie Pakistan, Iran, Russland und China minimieren und dabei auch selbst sehr offen über die eigenen Interessen in Zentralasien sprechen. Die reiche afghanische Kultur hat durch die Zeiten grausame Wunden ertragen. Es ist eine Kultur, die vor allem dezentral blüht, die sich in Atmosphäre und Gastlichkeit entfaltet, die modern und antimodern sein kann und die auf Gewalt und Manipulationen von außen in der Regel allergisch und aggressiv reagiert. Der wohl bekannteste afghanische Schriftsteller Atiq Rahimi schreibt: „Die Unterdrückung ist es, die uns an unserer Existenz zweifeln lässt.“

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