Die Stellung der Frau im IslamNur gehorsame Ehefrau und gute Mutter?

Die einen kritisieren die fehlende Gleichberechtigung der Frau im Islam. Zahlreiche namhafte muslimische Frauen sind demgegenüber davon überzeugt, dass Männer und Frauen im Islam über gleiche Grundrechte verfügen. Heute setzen sich verschiedene Frauenorganisationen in Deutschland für die Belange der Frauen im Islam ein.

Die muslimischen Frauen, ihre Stellung in den Quellen der islamischen Lehre und ihre Situation in der muslimisch geprägten Welt werden derzeit viel diskutiert, wenn über den Islam gesprochen wird. Dabei ist die Meinung weit verbreitet, der Islam sei eine Religion, die den Frauen kaum Möglichkeiten für eine selbständige und selbstbestimmende Lebensweise bietet. Für die islamische Lehre sind der Qur’an und die Tradition des Propheten Muhammad die primären Quellen. In ihnen sind Aussagen zu finden, die sowohl für die Bestätigung dieser Meinung als auch für die Gleichwertigkeit der Geschlechter herangezogen werden können. Der Qur’an spricht im Allgemeinen zu den Menschen. Die Aussagen beginnen meistens mit der Formulierung „Ihr Menschen“ oder „Ihr Gläubigen“, und damit sind sowohl die Frauen als auch die Männer als Ansprechpersonen gemeint. Die Entstehung der Menschen aus einem einzigen Wesen nafse wahida (Sure 4:1) verdeutlicht die Gleichheit des Ursprungs. Daraus wird abgeleitet, dass alle Menschen vor Gott gleichwertig sind. Die Unterschiede werden im Qur’an als Zeichen genannt, die erkannt und anerkannt werden sollten (Sure 30:22), Mann und Frau als Paar ergänzen sich und das Fundament ihres Zusammenlebens sollte Liebe und Geborgenheit sein (Sure 30:21). Sie haben als Menschen gleiche Verantwortung und Pflichten und haben die Konsequenzen ihrer Handlungsweise zu tragen (Sure 16:97; Sure 33:33). Diese Stellen im Qur’an waren seinerzeit revolutionär und versuchten, die herrschenden Meinungen über die Frauen zu ändern. Der Qur’an stellte die Lebensgewohnheiten der Menschen des siebten Jahrhunderts auf der arabischen Halbinsel in Frage, nahm aber auch Rücksicht auf damals gültige Bräuche, die geprägt von Stammesgewohnheitsrechten waren. Die Texte des Qur’an über Frauen müssen in ihrer Bedeutung und anhand ihrer Wirkung auf die damalige Zeit erschlossen werden, anstatt nur den äußeren Wortlaut gelten zu lassen.

Quellen in ihrem historischen Kontext verstehen

Die Lebensrealitäten der Frauen haben sich seitdem grundlegend geändert. Der Qur’an kann dennoch weiterhin als Quelle der Weisheit und Orientierung bestehen, wenn er aus der heutigen Perspektive gelesen, verstanden und ausgelegt wird. Die Grundlage für die zeitgemäße Lesart ist im Qur’an selbst und in der Tradition der islamischen Wissenschaften angelegt. Es gibt einige Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in den beiden Quellen, insbesondere in den Regelungen, aus denen zivilrechtliche Gesetze abgeleitet werden. Diese Aussagen zeigen die gesellschaftlichen Realitäten der Zeit der Offenbarung und können nur in ihrem historischen Kontext gelesen und verstanden werden. Eine Verallgemeinerung dieser Stellen verhindert bis heute die rechtliche Gleichstellung der Frauen in manchen muslimisch geprägten Gesellschaften. Ein Beispiel hierfür ist die vertragsrechtliche Vereinbarung für das Schuldverhältnis bei der Geldleihe, die für die Festlegung der Rechte und Pflichten der Schuldner und Gläubiger Zeugen benötigt. Diese Regelung findet seine Grundlage im Qur’an. In Sure 2 Vers 282 wird beschrieben, dass als Zeugen entweder zwei Männer oder ein Mann und zwei Frauen anwesend sein müssen, „damit wenn eine der beiden sich irrt, die eine von ihnen die andere erinnern kann“. Dieser Vers verleiht den Frauen erstmals den Rechtsstatus, als Zeuginnen aussagen zu dürfen. Dieses Recht besaßen sie in der Zeit vor der Offenbarung weitgehend nicht. Im islamischen Recht müssen Zeugen und Zeuginnen Kriterien erfüllen, damit ihre Aussage vor Gericht Gültigkeit hat – die Sachkundigkeit und Erfahrung ist ein wichtiges Kriterium. Dadurch, dass die meisten Frauen mit den vertragsrechtlichen Regelungen nicht vertraut waren, sollten zwei Frauen als Zeuginnen eintreten, damit sie sich gegenseitig unterstützen könnten. Das bedeutet, dass es in diesem Vers nicht um ein geschlechtsbezogenes Kriterium geht, sondern um die Kompetenz. Demnach kann die Zeugenaussage einer sachkundigen Frau den gleichen Stellenwert wie die Zeugenaussage eines sachkundigen Mannes haben. Dafür gibt der Qur’an selbst die Grundlage, weil er in anderen Fällen von Zeugen spricht, aber keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern macht (Sure 24:4.13; Sure 5:106–107).

Die tendenziöse Auslegung des oben erwähnten Verses verallgemeinert eine konkrete Aussage und beachtet die weiteren Aussagen im Qur’an über Zeuginnen und Zeugen nicht. Ärgerlich ist die Begründung dieser Vorgehensweise: Mit ihr wird die mangelnde Sachkenntnis der Frauen und ihre Emotionalität allgemein als Grundlage für die unterschiedliche Gültigkeit des Zeugnisses dargestellt. In muslimisch geprägten Ländern, in denen ein in diese Richtung entwickeltes islamisches Recht Anwendung findet, wird bis heute die rechtliche Gleichstellung der Frau behindert. Der Qur’an spricht außer von Propheten und Gesandten auch von Frauengestalten mit Anerkennung und Respekt. Königin von Sa’ba (Sure 27:22–44), Hagar und Sara, Maria (Sure 19), Mutter und Schwester von Mose und Pharaos Frau (Sure 28: 70 ff.) sind die ausgezeichneten Frauengestalten, deren Geschichten widerlegen, dass die Frau nur als unselbständig und untergeordnet dargestellt wird. Der Qur’an erzählt diese Geschichten im Übrigen nicht vollständig, er erwähnt nur die Aspekte, die überzeitlich für die Menschen Orientierung und Weisung sein wollen. Diese Aspekte des Lebens dieser Frauengestalten beweisen, dass Gott sich ihnen unmittelbar offenbart hat (die Geschichte von Maria und der Mutter des Mose) und dass die Frauen durchaus in Führungspositionen anerkannt sind (wie die Königin von Sa’ba). Der Islam brachte tatsächlich für die Frauen die Befreiung vom Joch der Männer und machte aus ihnen Rechtspersonen. Er gab ihnen eine Stimme, die sie erhoben haben, um ihre Rechte einzufordern. Die zahlreichen namhaften muslimischen Frauen bezeugen, dass abgesehen von biologischen Unterschieden, Männer und Frauen über gleiche Grundrechte verfügen. Der Islam an sich steht nicht in Widerspruch zum essentiellen Menschenrecht auf Gleichberechtigung. Die qur’anischen Stellen bezeugen weiterhin, dass die Abschaffung der bestehenden Missstände eine Pflicht ist, die den Einsatz der Menschen verlangt. Jede Form von Unterdrückung, Bevormundung, Missbrauch und Misshandelung ist ein Übel, das zu bekämpfen ist. Dafür sind die Menschen selbst verantwortlich: „Gott verändert nicht den Zustand eines Volkes, bis sie selbst ihren eigenen Zustand verändern“ (Sure 13:11).

Teilweise bizarre Aussagen in den Überlieferungen

Der Islam kennt zahlreiche ethische Empfehlungen für alle Lebensbereiche. Gegenseitige Achtung, Respekt und diskreter Umgang zwischen Mann und Frau sind bedeutende Grundsätze im Verhaltenskodex zwischen den Geschlechtern. Dieser Kodex, der für einen würdevollen Umgang miteinander förderlich ist, kann in einem falsch verstandenen und übertriebenen Maß zur Ausschließung der Frau aus dem öffentlichen Raum führen. Um diese Handlungsweise zu legitimieren, werden belanglose Argumente herangezogen, die nicht zur islamischen Lehre gehören, sondern Produkte menschlicher Fantasien sind. Zum Beispiel ist als Antwort auf die Frage, warum die Gebetsräume der Männer und Frauen getrennt sind oder warum beim gemeinsamen Gebet in einem Raum die Frauen die hinteren Reihen belegen, permanent von muslimischer Seite zu hören: „damit die Männer nicht durch die Frauen vom Gebet abgelenkt werden!“ Die getrennten Räume werden hier als eine vom Islam vorgeschriebene Form der Zusammenkunft der Männer und Frauen zementiert. Während im Qur’an wenig über einen detaillierten Verhaltenskodex zu finden ist, gibt es in der Tradition, zum Beispiel in den Überlieferungen, den so genannten Hadithen, unzählige und teilweise bizarre Aussagen. Sie schreiben in Einzelheiten die Verhaltenweisen der Menschen, insbesondere der Frauen, in der Öffentlichkeit vor. Es gibt zahlreiche Überlieferungen, die buchstäblich versuchen, den Ausschluss der Frau aus der Gesellschaft mit den „religiösen und moralischen Vorschriften“ zu begründen. In diesen Überlieferungen wird selten die Tradition der frühislamischen Zeit berücksichtigt, in der es regen Austausch und ergiebige Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen gab. Die Kooperation war frei von strengen und drakonischen Zwängen. Aus dieser Zeit sind Frauen bekannt, die die Lehre des Islam als Lehrerinnen, Theologinnen und Rechtsgelehrte weitertrugen (vgl. A. Isafar, Bedeutende Frauen der Schi’a, Teheran 2002). Ihre Vorbilder waren die Frauen des Propheten Muhammad, seine Tochter Fatima und seine Enkelin Zeinab. Ihr Engagement in den gesellschaftlichen und politischen Angelegenheiten ist signifikant. Aus ihrem Leben als gläubige Persönlichkeiten ist zu entnehmen, dass sie stets im öffentlichen Leben präsent waren. Der Platz der Frauen war damals nicht in den hintersten Ecken oder in Kellerräumen der Moscheen. Ihnen war es nicht verwehrt, ihre Meinung zu äußern oder ihre Fragen und Kritik öffentlich zu formulieren, sie waren sichtbar anwesend in der Gemeinschaft. Die Beteiligung an der Gemeinschaft und das Übernehmen von Verantwortung ist eine Pflicht. Dafür muss jeder und jede die Möglichkeit haben, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken, sie zu entfalten und dementsprechend zu handeln. Dafür ist ein uneingeschränkter Zugang zu Ressourcen und Bildung für Männer und Frauen erforderlich: „Das Erlangen des Wissens ist für Männer und Frauen eine religiöse Pflicht“.

Die regional unterschiedlich ausgeprägten patriarchalen Traditionen haben im Laufe der Geschichte den muslimischen Frauen ihre Rechte völlig oder teilweise verwehrt. Bis heute gibt es in den muslimisch geprägten Gesellschaften Zustände für Frauen, die weder mit der islamischen Lehre noch mit den menschlichen Werten zu vereinbaren sind. Es liegt der Realität fern, wenn man diese Zustände nur dem Islam zuschreibt oder annimmt, dass die muslimischen Frauen es tatenlos zulassen, als untergeordnetes Geschlecht behandelt zu werden. Es gab und gibt muslimische Frauen, die auf dem Fundament ihres Glaubens gegen die Unterdrückung kämpfen. Sie sehen ihre Freiheit in ihrer Religiosität und beanspruchen ihre Rechte, basierend auf den islamischen Grundwerten. Das bewusste Leben innerhalb der islamischen Lehre verdeutlicht ihnen außer den Pflichten auch ihre Rechte, die Gott in Seiner Barmherzigkeit und Liebe allen Menschen mit der Schöpfung gewährt hat. Die gesellschaftlichen Sitten, ein altertümlicher Buchstabenglaube, die Unfähigkeit zu einer theologisch-intellektuellen Auseinandersetzung und die Verpflichtung gegenüber gewissen religiösen und politischen Oberhäuptern verursachen Schieflagen und Ungerechtigkeiten, die den islamischen Grundprinzipien widersprechen.

Es wird den muslimischen Frauen in der westlichen Welt nahegelegt, dass ihre „Befreiung“ durch Übernahme der westlichen emanzipatorischen Modelle zu erreichen ist. Für viele ist es befremdlich zu hören, dass die aktiven muslimischen Frauen ihre Emanzipation mit der islamisch-qur’anischen Lehre begründen. Ein Austausch und Gespräch zwischen unterschiedlichen Auffassungen von Freiheit und Emanzipation ist notwendig und eine Bereicherung für alle Beteiligten. Ein Überlegenheitsanspruch schafft dagegen Misstrauen, Abgrenzung und Ausgrenzung und wird damit dem gemeinsamen Ziel, nämlich der Befreiung der Frauen, nicht dienlich sein.

In allen Frauenfragen ist es wichtig, keine religiösen Dogmen und starre Regelungen aufzustellen oder diese dafür zu nutzen, einen politischen Zustand zu rechtfertigen. Das gesellschaftliche Leben besteht aus dem Zusammenleben und Zusammenwirken aller beteiligten Frauen und Männer. Die Verantwortung Gott gegenüber manifestiert sich in der Verantwortung gegenüber anderen und der Schöpfung. In diesem Sinne verfügt jeder Mensch über die freie Entscheidung, um seiner Verantwortung gerecht zu werden, und jeder Mensch, Mann und Frau, muss für sich allein vor Gott treten und sich für seine Taten verantworten. Die muslimischen Frauen haben einen langen Weg hinter sich – und noch einen langen vor sich. Heute sind Frauen in den muslimisch geprägten Gesellschaften in vielen Bereichen der Gesellschaft präsent und bleiben trotzdem weiterhin in wesentlichen Entscheidungen ihres Lebens abhängig von Männern. So benötigt zum Beispiel eine Frau in einer Führungsposition in einigen Ländern immer noch die Erlaubnis ihres Mannes, wenn sie verreisen will. Die Gesellschaft profitiert von dem Wissen, der Kompetenz und der Arbeitskraft der Frauen und zeigt ihnen dennoch immer wieder Grenzen auf.

Befreiung von archaischen Vorstellungen

Muslimische Frauen schließen sich weltweit in regionalen und überregionalen Organisationen zusammen und versuchen, gegen unmenschliche und islamferne Lebenswirklichkeiten anzugehen. Hierfür ist ein erster und wichtigster Schritt die Bildung der Frauen, sowohl eine Bildung, die ihnen finanzielle und existentielle Unabhängigkeit ermöglicht als auch eine religiöse Bildung, die ihnen die Gewissheit gibt, dass Untaten im Namen Gottes nicht geduldet werden dürfen. Ein ungerechtes, gewalttätiges und unmenschliches Verhalten ist aus islamischer Sicht ein Verbrechen und muss verhindert werden. Der Zugang der Frauen zum Qur’an sowie zur Tradition und eine kritische Auseinandersetzung mit ihnen ermöglicht es, authentisch den Glauben zu erfahren und zu erleben. Das gibt ihnen Sicherheit, sich gegen Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen entschieden zu erheben. Diese muslimischen Frauen sehen ihre Freiheit in einem Glauben, der befreit ist von rückständigen und archaischen Vorstellungen und der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung als unaufgebbares Gut zustimmt. Sie sehen ihre Freiheit, das eigene Leben eigenständig sowie mit Selbstvertrauen zu gestalten und bestehen auf dem Recht der Teilhabe und einer konstruktiven Mitarbeit in der Gesellschaft – ein von Gott gegebenes Recht, das zu achten und anzuerkennen ist. Ihre Religiosität sehen sie nicht als Hindernis, sondern als eine treibende Kraft. Mit Vertrauen auf Gott und durch die Bewahrung ethischer Werte möchten sie als aktive Mitglieder der Gemeinschaft anerkannt sein. Exemplarisch seien an dieser Stelle drei muslimische Frauenorganisationen in Deutschland erwähnt, die in verschiedenen Bereichen sich für die Belange der Frauen einsetzen. BFMF, das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen e.V. in Köln (www.bfmf-koeln.de) ist eine anerkannte Fortbildungseinrichtung, die neben schulischer Bildung der Frauen auch Integrationskurse und Sprachkurse anbietet. Psychologische Beratung sowie Familien- und Schuldnerberatung durch Fachkräfte gehören zu den Aktivitätsbereichen der BFMF. Die Mitarbeiterinnen sind muslimische Frauen aus unterschiedlichen kulturellen und innerislamischen Richtungen und bieten auf Arabisch, Türkisch, Persisch, Englisch und Französisch eine vielfältige Kompetenz. Diese Einrichtung ist 1999 mit dem Karl-Kübel Preis und 2004 vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ für ihre Arbeit und Zivilcourage ausgezeichnet worden. Wie aus ihrer Internetseite zu entnehmen ist, können zurzeit einige Projekte wegen fehlender Finanzierung nicht weitergeführt werden.

Das Institut für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik, IPD, versteht sich als ein Forschungsinstitut, das sich mit den Fragen der religiösen Erziehung beschäftigt (www.ipd-koeln.de). Das Institut bietet Begleitstudien für Lehrerinnen und Interessierte an, die später islamische Religion in den Schulen, soweit das Fach dort angeboten wird, oder auch in den Moscheen unterrichten. Das Institut erarbeitet Konzepte und Unterrichtsmaterialen, bietet Selbstbehauptungstraining für muslimische Mädchen und fördert das interkulturelle Lernen. Eine Zielsetzung ist es, den Kindern zu ermöglichen, mit dem vermittelten Wissen zu arbeiten und die eigene Religion zu entdecken. Die Arbeit mit dem Qur’an soll den Kindern den unbefangenen Zugang ermöglichen.

Huda – Netzwerk für muslimische Frauen versteht sich als Informations- und Beratungsstelle und will die Aktivitäten muslimischer Frauen vernetzen. In der Huda-Zeitschrift, die vier Mal im Jahr erscheint, gibt es neben einer Qur’aninterpretation auch theologische und gesellschaftliche Themen, die zum Nachdenken und Diskutieren anregen sollen. Die Zeitschrift ist ein Forum, in der die Vielfalt der muslimischen Denk- und Lebensweisen einen Raum zum Austausch findet. Die Beratungsarbeit durch Telefon- und Internetseelsorge ermöglicht betroffenen Frauen, über ihre familiären und gesellschaftlichen Probleme zu sprechen, gegebenenfalls werden sie weitergeleitet an die Stellen, bei denen sie praktische Unterstützung und Hilfe finden können. Neben überregionalen Organisationen gibt es zahlreiche regionale formelle sowie informelle Zusammenschlüsse der muslimischen Frauen. Sie alle haben für ihre religiösen sowie gesellschaftlichen, familiären und politischen Rechte in unterschiedlichen Gesellschaften zu kämpfen. Die Fragen der muslimischen Frauen sind die üblichen Frauenfragen nach Beruf und Familie und wie sie miteinander zu vereinbaren sind, wenn die Aufgaben im Haus und in der Erziehung der Kinder weiterhin als ausschließliche Aufgaben der Frauen gesehen werden. Wo bleiben die Kinder, wenn die Mutter arbeitet? Wie steht es mit der Erziehung der Kinder, wenn die Mutter berufstätig ist und der Vater kaum Zeit für die Familie hat? Wie kann die Finanzierung der Zukunft der Kinder organisiert werden, damit sie über eine gute Bildung und einen gesicherten Beruf verfügen können? Diese Fragen sind die Fragen vieler Frauen, die berufstätig sind und doch Familie und Mutterrolle nicht vernachlässigen wollen.

Dazu kommen Fragen, die unmittelbar oder auch mittelbar, je nachdem in welcher Gesellschaft sie leben, eine Auseinandersetzung mit dem Glauben einfordern. Es gibt traditionell- und kulturbedingte religiöse Praktiken, die den Frauen die ausschließliche Rolle der gehorsamen Ehefrau und guten Mutter zuschreiben: eine Person, die zwar eine gewichtige Rolle in der Familie hat, aber stets unter der Reglementierung des Mannes leben muss. Es ist ein schwerfälliger Prozess, dieses Frauenbild, wo es existiert, zu revidieren, insbesondere wenn dies mit religiöser Argumentation legitimiert wird.

In der Erziehung und Bildung wie in einer reflektierten Religiosität und Theologie liegen die Schlüsselfragen für das Umdenken, dass Männer und Frauen gleichwertig und gleichberechtigt sind. Die gleichen Chancen für Mädchen und Jungen ermöglichen es ihnen, zu selbstbewussten und selbständigen Menschen heranzuwachsen. Es ist ein langer und schwieriger Weg, der religiösen Legitimation für die Unterdrückung der Frau den Boden zu entziehen, hierfür ist Einsatz und Engagement aller Kräfte notwendig, die davon überzeugt sind, dass Mann und Frau aufgrund ihres Geschlechts weder bevorzugt noch benachteiligt werden dürfen: „Und begehrt nicht das, womit Gott den einen von euch vor dem anderen auszeichnete. Die Männer erhalten ihren Anteil nach Verdienst und die Frauen ihren Anteil nach Verdienst. Und bittet Gott um Seine Gnade. Siehe, Gott kennt alle Dinge“ (Sure 4:32).

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