Schon durch ihre schiere Größe hat die katholische Kirche weltweit gesehen eine Sonderstellung unter den vielen christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Diese Sonderstellung paart sich mit einem besonderen ekklesiologischen Anspruch: als einzige der real existierenden Kirchen im Vollsinn Kirche Jesu Christi zu sein. Diesen Anspruch haben zuletzt die am 10. Juli veröffentlichten „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche" der römischen Glaubenskongregation zugespitzt und ohne diplomatische Rücksichtnahme in lehramtlicher Lesart bekräftigt.
Der Kontext, in dem die katholische Kirche ihren spezifischen Anspruch vertritt beziehungsweise vertreten kann, hat sich jedoch in mehrfacher Hinsicht gründlich geändert. So ist in den vergangenen Jahrzehnten ein dichtes und vielfältiges Netz von Kontakten der katholischen Kirche zu nichtkatholischen Kirchen und Gemeinschaften entstanden. Es muss daher in einem solchen Kontext befremden, wenn die katholische Kirche, wie jetzt wieder den reformatorischen Kirchen, das Kirchesein im eigentlichen Sinn abspricht, während man doch auf nationaler Ebene selbstverständlich mit diesen Kirchen als Partnern auf gleicher Augenhöhe verkehrt und daran grundsätzlich auch nichts ändern möchte.
Die reale Situation der katholischen Kirche ist - bei weitem nicht nur in Europa - ohnehin weit glanzloser, als es alte oder neue Apologeten des Katholischen glauben machen wollen. Sie tut sich vielerorts sehr schwer damit, den Kern ihrer Botschaft den Menschen nahe zu bringen und ihn in der Kultur der Gegenwart präsent zu machen, lebendige und gleichzeitig belastbare Gemeinschaften zu bilden.
Von Ulrich Ruh