Die Aufhebung des staatlichen Voraustrauungsverbots und ihre AuswirkungenKirchliche Ehen ohne Trauschein

Wer kirchlich heiraten will, muss vorher zum Standesamt. Diese weithin bekannte Regel wird nicht mehr lange gelten. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat der Deutsche Bundestag Ende 2006 mit Zustimmung des Bundesrates ein neues Personenstandsgesetz beschlossen. Es tritt am 1. Januar 2009 in Kraft. Die kirchliche Trauung wird dann vor der standesamtlichen Eheschließung, aber auch ohne sie zulässig sein.

Es entfällt eine umstrittene gesetzliche Bestimmung. Sie gilt als verfassungsrechtlich bedenklich. Die katholische Kirche hat sich zeitweise intensiv für ihre Abschaffung eingesetzt. Entsprechend positiv wurde die Gesetzesänderung aufgenommen. Der Kirchenrechtler Winfried Aymans wertet sie als Sieg für die Religionsfreiheit und als „Befreiung der katholischen Kirche“ (Die Tagespost, 5. Juli 2008). Inzwischen mehren sich – innerhalb wie außerhalb der Kirche – die Stimmen derer, die vor möglichen Problemen warnen. Mit der Änderung der bisherigen Rechtslage wird ein historischer Konflikt zwischen Kirche und Staat beigelegt. Bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts war die Trauung durch einen Priester in den meisten deutschen Gebieten die einzig mögliche Eheschließungsform; sie entfaltete zugleich sämtliche Wirkungen des staatlichen Eherechts. Das änderte sich mit dem Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (RPStG) – ein Instrument des Kulturkampfes, den Bismarck gegen die katholische Kirche führte, vor allem gegen den päpstlichen Absolutheitsanspruch, den Bismarck durch die Dogmen des Ersten Vatikanischen Konzils postuliert sah. Nach § 41 RPStG konnte eine Ehe rechtsgültig nur vor dem Standesbeamten geschlossen werden: Die obligatorische Zivilehe wurde für das gesamte deutsche Reich verbindlich. Allerdings hätte diese Vorschrift Brautpaaren die Möglichkeit gelassen, auf eine zivile Eheschließung zu verzichten und sich mit der kirchlichen Trauung zu begnügen. Deshalb flankierte die Reichsregierung die Bestimmung zur obligatorischen Zivilehe durch § 67 RPStG: „Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist, dass die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen sei, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft.“ Damit war die religiöse Voraustrauung als Straftatbestand benannt. Die harte Strafandrohung bot die Gewähr, dass das Verbot der religiösen Voraustrauung beachtet werden würde.

Die Rechtslage wurde von der Kirche respektiert

Die katholische Kirche reagierte aggressiv-apologetisch auf der prinzipiellen Ebene, opportunistisch auf der politischen. Den Brautleuten wurde empfohlen, ohne Gewissensbisse die doppelte Eheschließung vor beiden Obrigkeiten zu praktizieren. Die Rechtslage wurde respektiert, nicht kirchenrechtlich akzeptiert. Auch Teile der evangelischen kirchlichen Gemeinschaften protestierten – energisch, aber erfolglos. Immerhin konnte die Zentrumspartei 1896 eine Ergänzung des § 67 durchzusetzen, wonach eine strafbare Handlung nicht vorlag, wenn die religiöse Voraustrauung im Fall einer lebensgefährlichen, Aufschub nicht gestattenden Erkrankung eines der Verlobten vorgenommen wurde.

Im Vorfeld der Verhandlungen über das Reichskonkordat (RK) vom 20. Juli 1933 versuchte die katholische Kirche erneut, die Streichung des Voraustrauungsverbotes zu erwirken. Sie erreichte nur eine weitere Einschränkung der Strafandrohung. Nach Art. 26 RK darf die religiöse Voraustrauung außer bei lebensgefährlicher Erkrankung auch vorgenommen werden „im Falle schweren sittlichen Notstandes, dessen Vorhandensein durch die zuständige bischöfliche Behörde bestätigt sein muss“. Im Schlussprotokoll zum Konkordat wurde ausgeführt, ein solcher Notstand liege vor, wenn die zur Eheschließung erforderlichen Urkunden nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand beizubringen seien. Ein weiteres Mal flackerte der Konflikt einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Diskutiert wurde, ob der schwere sittliche Notstand im Schlussprotokoll abschließend (Auffassung der Bundesregierung) oder beispielhaft (Position des Heiligen Stuhls) umschrieben sei. Durch Notenwechsel zwischen den Vertragsparteien wurde 1957 festgestellt, ein Notstand liege nicht vor, wenn mit der Ziviltrauung ausschließlich wirtschaftliche Nachteile verbunden seien. Zudem erlaube Art. 26 RK in den genannten Ausnahmefällen nur die religiöse Voraustrauung, nicht aber den Verzicht auf die Ziviltrauung. Art. 26 RK sei daher nicht anwendbar, wenn die geltend gemachten Gründe eine Ziviltrauung ausschlössen. Damit war für die damals häufigen „Rentenkonkubinate“, bei denen Kriegerwitwen im Fall einer Zivileheschließung ihren Rentenanspruch verloren hätten, eine Berufung auf Art. 26 RK ausgeschlossen. Ebenfalls 1957 wurde die bis heute geltende Fassung des Personenstandsgesetzes (PStG) beschlossen. Die von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagene Streichung des Voraustrauungsverbots scheiterte denkbar knapp, aber die religiöse Voraustrauung wurde zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft, die nicht einmal mit einer Sanktion bedroht ist. Wer gegen das Verbot verstößt, bleibt straffrei (zu den teilweise kuriosen Umständen der Gesetzesreform vgl. Frank Sanders, Die rein kirchliche Trauung ohne zivilrechtliche Wirkung, Essen 2001).

Seitdem war es ruhig geworden um das Voraustrauungsverbot. Der Staat hielt den Anspruch des § 67 PStG aufrecht, die katholische Kirche sah sich durch Art. 26 RK zur Loyalität gegenüber diesem Anspruch verpflichtet, obwohl die Verfassungsmäßigkeit des Voraustrauungsverbots wegen des Eingriffes in die Religionsfreiheit nicht nur von kirchlicher Seite bestritten wurde. Dennoch konnten offenbar alle Beteiligten mit dieser Rechtslage leben. Für die Rentenkonkubinate sowie für Paare in vergleichbarer Situation haben sich „Grenzgängerlösungen“ etabliert, bei denen Ehewillige insbesondere nach Österreich ausweichen. Dort war nach dem Einmarsch Hitlers das deutsche Personenstandsgesetz in Kraft getreten; der Österreichische Verfassungsgerichtshof stellte jedoch 1955 die Verfassungswidrigkeit des § 67 fest. Seitdem ist die religiöse Voraustrauung in Österreich zulässig, bleibt aber ohne jede bürgerliche Wirkung. In Österreich vorgenommene kirchliche Eheschließungen zwischen deutschen Partnern haben daher auch in Deutschland keine zivilrechtliche Wirkung. Die Beteiligung deutscher Kirchenbehörden an solchen Eheschließungen beschränkt sich darauf, dem Brautpaar die Erlaubnis für eine Trauung im Ausland zu erteilen.

Der Weg zum neuen Personenstandsgesetz

Seit mehreren Jahren arbeitet die Bundesregierung an einer Neufassung des Personenstandsgesetzes. Es geht vor allem um die Neuordnung der Datenerfassung durch die Einführung elektronischer Personenstandsregister. Dies soll Arbeitserleichterungen, Service-Verbesserungen und langfristig auch Einsparungen ermöglichen (vgl. Bundestag-Drucksache 16/1831, 1–2). Die Streichung des Voraustrauungsverbots erscheint in der Begründung des Gesetzentwurfs als Nebenprodukt der Gesetzesreform: Das Verbot wird für „entbehrlich gehalten“, weil die „ursprünglich zur Durchsetzung der 1876 eingeführten obligatorischen Zivilehe (...) mit einer Strafvorschrift versehene Regelung (...) heute – zumindest im Verhältnis zu den beiden großen Kirchen – keine praktische Bedeutung mehr“ hat. Es sei heute klar, „dass nur die standesamtliche Eheschließung eine Ehe im Rechtssinne begründen kann“ (33). Demgegenüber hielt der Bundesrat das Voraustrauungsverbot für unentbehrlich und forderte die Wiederaufnahme in den Gesetzestext. Zwar habe die Bestimmung im Verhältnis zu „den beiden großen Kirchen“ keine Bedeutung mehr. Entsprechendes könne jedoch für andere, in Deutschland „tendenziell an Bedeutung gewinnende Religionsgemeinschaften nicht festgestellt werden“ (Bundesrat-Drucksache 616/05[B], 21). Die Bundesregierung wies den Vorschlag zurück: Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass einige in Deutschland vertretene Religionsgemeinschaften trotz wiederholter Hinweise nicht zur Beachtung des Voraustrauungsverbots bewegt werden konnten. Es solle daher beim Wegfall der „im Verhältnis zu den beiden großen Kirchen nicht erforderlichen und sonst offenbar wirkungslosen Vorschrift“ bleiben (Bundestag-Drucksache 16/1831, 76). Der Bundesrat stimmte dem Gesetzentwurf daraufhin zu (Bundesrat-Drucksache 850/06[B]). Nach den Angaben der Bundesregierung ist das reformierte Personenstandsgesetz mit „den beiden großen Kirchen (...) eingehend erörtert worden“ (Bundestag-Drucksache 16/1831, 33). Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick hingegen bemängelte gegenüber Radio Vatikan, die Kirche sei in die Parlamentsentscheidung nicht einbezogen worden (http://www.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=218001).

Der Gesetzgebungsvorgang gibt Hinweise auf die staatliche Einschätzung des Kirche-Staat-Verhältnisses. Die Streichung des Verbots ist nicht Ausdruck der Rücksichtnahme auf Anliegen der christlichen Religionsgemeinschaften. Anlässlich des Notenwechsels mit dem Heiligen Stuhl im Jahr 1957 war die Bundesregierung noch sorgsam darauf bedacht, das Voraustrauungsverbot nicht durch eine großzügige Auslegung der konkordatären Regelung auszuhöhlen. Dies hätte als Schwächung der staatlichen Ehehoheit interpretiert werden können. Fünfzig Jahre später sieht der Staat diese Gefahr nicht mehr. Die Regierungsbegründung für die Streichung des Voraustrauungsverbots illustriert die Gewissheit, dass jedenfalls die christlichen Religionsgemeinschaften und deren Eheverständnis, einschließlich der von katholischer Seite beanspruchten Hoheit über alles Ehekonstitutive, die staatliche Ehekonzeption nicht mehr in Frage zu stellen vermögen. Staatliches und kirchliches Eherecht stehen nach dem Wegfall des Verbots gänzlich unverbunden nebeneinander.

Das Kirchenrecht steht einer kirchlichen Trauung vor der standesamtlichen nicht im Weg

Das Voraustrauungsverbot entfällt ab dem 1. Januar 2009. Nach weltlichem Recht ist ein katholischer Trauungsbefugter dann nicht mehr verpflichtet, die Assistenz von der vorherigen standesamtlichen Eheschließung abhängig zu machen. Er kann wie bisher nach der standesamtlichen Trauung assistieren. Er kann aber auch assistieren, bevor die Brautleute zum Standesamt gehen oder wenn das Brautpaar auf eine standesamtliche Heirat verzichten will. Die Berücksichtigung der konkordatären Regelung in Art. 26 RK führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Das wird in kirchlichen Stellungnahmen nicht immer deutlich. Erzbischof Schick etwa erklärte in einem Schreiben vom 3. Juli 2008 an die Priester und Diakone im Erzbistum Bamberg: „Der Wegfall [des Voraustrauungsverbots] ändert substanziell nichts für die kirchliche Eheschließung. Nach wie vor gelten die Bestimmungen des Konkordates und der entsprechende Notenaustausch von 1957 mit dem Heiligen Stuhl. Das heißt für uns: Es kann auch in Zukunft keine kirchliche Eheschließung ohne vorherige staatliche Trauung stattfinden, bis gegebenenfalls eine neue kirchliche Verlautbarung oder Entscheidung veröffentlicht wird.“ Das Anliegen des Erzbischofs, am Status quo festzuhalten, kann angesichts problematischer Auswirkungen der veränderten Rechtslage nachvollziehbar sein.

Die vorgetragene rechtliche Begründung ist allerdings nicht tragfähig. Durch Art. 26 RK ist nicht neben § 67 RPStG ein zweites „konkordatäres“ Voraustrauungsverbot geschaffen worden, an das die Kirche auch nach dem Wegfall des § 67 gebunden wäre. Die kirchliche Seite hat durch die Unterzeichnung des Konkordats auch nicht – wie mitunter vorgetragen wird – dem Voraustrauungsverbot implizit „zugestimmt“. Sie hat dessen Geltung lediglich nicht bestritten und sich bereit erklärt, das Verbot nach Maßgabe von Art. 26 RK zu beachten. Genese und Wortlaut des Konkordatsartikels machen deutlich: Es sollte festgelegt werden, unter welchen Umständen die Kirche das unerwünschte Voraustrauungsverbot nicht befolgen muss. Art. 26 RK formuliert eine dem kirchlichen Vertragspartner zugestandene Ausnahmeregelung. Er begründet nicht ein „neues“ Verbot, sondern setzt die Existenz eines bestehenden voraus. Entfällt es, wird die Ausnahmeregelung gegenstandslos. Folglich ist die Zulässigkeit der kirchlichen Trauung ohne vorherige standesamtliche Trauung ab dem 1.1.2009 nicht mehr auf die in Art. 26 RK genannten Sonderfälle beschränkt.

Das geltende katholische Kirchenrecht steht einer kirchlichen Trauung ohne vorherige standesamtliche Trauung ebenfalls nicht im Weg, auch wenn diesbezüglich von weltlichen Juristen c. 1071 § 1 n. 2 CIC ins Spiel gebracht wird. Dieser Norm zufolge darf, außer in Notfällen, niemand ohne Erlaubnis des Ortsordinarius einer Eheschließung assistieren, die nach Vorschrift des weltlichen Gesetzes nicht anerkannt werden kann. Eine kirchliche Trauung sei aber – so die Argumentation – eine vom deutschen Recht nicht anerkannte Eheschließung. Nach einhelliger kanonistischer Auffassung ist c. 1071 § 1 n. 2 auf die deutsche Situation nicht anwendbar. Die Norm betrifft jene Fälle, in denen für die Partner einer kirchlichen Eheschließung eine Ehe nach staatlichem Recht keinesfalls möglich wäre (zum Beispiel weil sie bestimmte – kirchenrechtlich irrelevante – Voraussetzungen für eine zivile Ehe nicht erfüllen). Das Trauverbot betrifft also Ehen, die der Staat nicht zulassen könnte oder dürfte. Es betrifft nicht die kirchliche Trauung in Deutschland, die als solche im staatlichen Bereich keine Rechtswirkung entfaltet.

Freie Wahl der Modalitäten der Eheschließung

Vom Wegfall des Voraustrauungsverbots „profitieren“ jene Brautleute, die – aus welchen Gründen auch immer – eine standesamtliche Trauung nicht wünschen, aber kirchlich heiraten wollen. Sie dürfen hoffen, künftig Kleriker zu finden, die ihrer „nur kirchlichen“ Eheschließung assistieren. Damit wäre eine erste positive Auswirkung der künftigen Rechtslage benannt: Die Rechtspflicht zur standesamtlichen Eheschließung entfällt. Die Religionsfreiheit kommt auch in der freien Wahl der Eheschließungsmodalitäten zur Geltung. Des Weiteren werden jene entlastet, die bislang auf eine kirchliche Eheschließung verzichtet haben, weil die finanziellen und wirtschaftlichen Nachteile einer vorgängigen standesamtlichen Heirat allzu schwer gewogen hätten. Sie sind nun nicht mehr auf den „Umweg“ zum Beispiel über Österreich angewiesen.

Diesen Vorteilen stehen Nachteile und Probleme gegenüber. Vor allem können Brautleute die rechtlichen Konsequenzen, die sich aus dem Verzicht auf die standesamtliche Trauung ergeben, falsch einschätzen. Dass der weltliche Gesetzgeber nur das Voraustrauungsverbot abgeschafft hat, nicht aber die obligatorische Zivilehe, und dass er die nur kirchlich geschlossene Ehe daher als „nichteheliche Lebensgemeinschaft“ betrachtet, wird den meisten – wenn auch nicht allen – Betroffenen bewusst sein. Auch naheliegende finanzielle Auswirkungen (ungünstigere Steuerklassen, kein Ehegattensplitting) dürften in der Regel bedacht werden. Ob indes das ganze Ausmaß der rechtlichen Konsequenzen im Blick ist, erscheint fraglich: Vor Gericht kein Zeugnisverweigerungsrecht, im Todesfall keine Hinterbliebenenrente, kein Erbrecht beziehungsweise geringere Freibeträge bei der Erbschaftssteuer; keine Rechte bei Totensorge oder Organtransplantation; beim Scheitern der Ehe keine Unterhaltsansprüche und kein Zugewinnausgleich (vgl. Dieter Schwab, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2008, 1121–1124). Als problematisch sind auch Fälle anzusehen, in denen Ehen auf Drängen eines Gatten vor allem deshalb „nur kirchlich“ geschlossen werden, um das vermögensrechtliche Risiko im Falle des Scheiterns der Ehe einseitig auf den Partner abzuwälzen. Auf diese Weise könnten selbst jene Mindestanforderungen umgangen werden, die von der staatlichen Rechtsprechung für die Ausgestaltung von Eheverträgen festgelegt worden sind. Der Verzicht auf die standesamtliche Eheschließung wird, wie im Fall der Rentenkonkubinate, von der Gesellschaft weitgehend gebilligt – vielleicht, weil die Kosten „nur“ zu Lasten des Staates gehen. Von juristischer Seite wird indes auf Szenarien hingewiesen, bei denen Privatpersonen die Leidtragenden sind. So könnte etwa ein unterhaltsberechtigtes volljähriges Kind eine „nur kirchliche“ Eheschließung favorisieren, weil in diesem Fall anders als bei der standesamtlichen Hochzeit die Eltern unterhaltspflichtig bleiben. Ein geschiedener kindesbetreuender Elternteil könnte sich im Fall der Wiederheirat für eine „nur kirchliche“ Trauung entscheiden, weil ansonsten der Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil entfiele (vgl. Heribert Schüller, in: Neue Juristische Wochenzeitschrift 2008, 2745–2749). Der Einwand, eine Wiederheirat nach Scheidung sei für Katholiken nicht möglich, sticht dort nicht, wo die Nichtigkeit der Ehe durch kirchliche Gerichte festgestellt worden ist. Weitere Probleme könnten sich ergeben, wenn andere Religionsgemeinschaften nach dem Wegfall des Voraustrauungsverbots die Mehr-Ehe etablierten. Wie wahrscheinlich das ist, lässt sich schwer abschätzen. Immerhin hatte die Sorge um solche Fehlentwicklungen den Bundesrat zu der Forderung veranlasst, das Voraustrauungsverbot wieder in den Gesetzestext aufzunehmen.

Die evangelischen Landeskirchen haben angekündigt, ihre bisherige Praxis nicht zu ändern. Das ist nachvollziehbar, weil nach evangelischer Auffassung die standesamtliche Eheschließung der maßgebliche Rechtsakt ist. Die kirchliche Zeremonie ist nach evangelischem Verständnis nicht ehebegründend, sondern lediglich „Einsegnung“ der bereits gültig geschlossenen Ehe. Aus evangelischer Perspektive kann die kirchliche Zeremonie nicht an die Stelle der standesamtlichen Eheschließung treten. Für die katholische Kirche kommt diese Lösung nicht in Betracht. Nach ihrem Verständnis ist nicht die standesamtliche, sondern die kirchliche Trauung ehebegründend. Dies kann nach der Gesetzesreform deutlicher akzentuiert werden. Erzbischof Schick, Winfried Aymans und jüngst Richard Puza (Theologische Quartalschrift 188 [2008] 229–231) haben vorgeschlagen, die gegenwärtige Umbruchsituation zu nutzen, um mit dem Staat über jene „umfassendere (...) spätere Regelung der eherechtlichen Fragen“ zu verhandeln, die Art. 26 RK in Aussicht gestellt hat. Alle drei favorisieren das Konzept der fakultativen Zivilehe. Dabei haben die Brautleute die Wahl zwischen der standesamtlichen und der kirchlichen Trauung. Heiraten sie kirchlich, entfaltet die kirchliche Eheschließung mit der Benachrichtigung der zuständigen staatlichen Behörden sämtliche staatlichen und zivilen Rechtswirkungen. Daneben müsste es die Möglichkeit geben, die Benachrichtigung zu unterlassen und damit das Eintreten der staatlichen Rechtswirkungen zu verhindern. Auch im System der fakultativen Zivilehe sollten die Brautleute die Möglichkeit haben, eine nur im kirchlichen Bereich gültige Ehe zu schließen. Die kirchenrechtliche Gültigkeit einer „nur standesamtlich“ geschlossenen Ehe richtet sich bei diesem Konzept nach den schon derzeit geltenden Vorgaben: Formpflichtige Katholiken könnten einander vor dem Standesbeamten kirchenrechtlich nicht gültig heiraten. Angehörigen anderer Konfessionen und Religionen wäre dies durchaus möglich.

Die fakultative Zivilehe wäre aus Sicht der katholischen Kirche die Maximallösung. Die Probleme einer kirchlichen Trauung ohne bürgerliche Rechtswirkungen würden umgangen. Wer nach kirchlichem und staatlichem Recht verheiratet sein wollte, müsste seinen Ehewillen nur einmal erklären – und nicht sowohl gegenüber der kirchlichen als auch gegenüber der weltlichen Autorität. Eine nur im kirchlichen Rechtsbereich gültige Ehe wäre möglich. Wie chancenreich ein entsprechender kirchlicher Verhandlungsvorschlag wäre, bliebe abzuwarten. Befürworter einer strikten Trennung von Kirche und Staat sind für dieses Konzept wohl nicht zu gewinnen. Andererseits kann darauf verwiesen werden, dass die fakultative Zivilehe von der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten favorisiert wird und dass alle Mitgliedsstaaten, die in den letzten dreißig Jahren ihr System geändert haben, zur fakultativen Zivilehe übergegangen sind (vgl. Burkhard Josef Berkmann, in: De Processibus Matrimonialibus 12 [2005] 123–165, 161). Der Wechsel wäre ein Schritt zu einem europaweit einheitlichen Ehesystem.

Über die rechtlichen Konsequenzen informieren

Bis über die Realisierbarkeit dieses Konzepts Klarheit besteht, muss die katholische Kirche in Deutschland auf die künftige Rechtslage reagieren. Der Einwand, das System der obligatorischen Zivilehe ohne Voraustrauungsverbot nötige die Gläubigen zu einer Handlung, die ihrem Gewissen widerspreche und nach katholischer Lehre ungültig sei (vgl. Berkmann, 161), ist nicht stichhaltig. Die Lehre der katholischen Kirche verbietet Gläubigen nicht, den Ehekonsens, den sie verbindlich und rechtswirksam gegenüber dem Trauungsbefugten erklärt haben, vorher oder nachher zu wiederholen – zum Beispiel vor einem Standesbeamten. Ihrem Gewissen könnte nur widersprechen, wenn sie gezwungen wären, auch diese zweite Konsenserklärung als im kirchlichen Sinne verbindlich und ehebegründend anzusehen. Das aber wird nicht verlangt. Brautleute, die eine „nur kirchliche“ Eheschließung planen, müssen möglichst präzise über die rechtlichen Konsequenzen ihres Vorhabens informiert werden. Die Kirche kann nicht wollen, dass die Partner aus Unwissenheit in Schwierigkeiten geraten. Dem entspricht die Absicht der Deutschen Bischofskonferenz, „ein Nihil obstat (...) für Brautpaare einzuführen, die vor der kirchlichen Trauung nicht bürgerlich heiraten. Das Ehevorbereitungsprotokoll und eine Erklärung der Brautleute, dass sie über das Fehlen rechtlicher Wirkungen einer kirchlichen Trauung im staatlichen Bereich belehrt worden seien, werden sodann dem (Erz-)Bischöflichen Ordinariat zur Erteilung des Nihil obstat zugeleitet“ (Deutsche Bischofskonferenz, Pressemitteilung vom 26. September 2008). Durch die Forderung des Nihil obstat, die faktisch als Trauverbot wirkt, ist sichergestellt, dass alle einschlägigen Fälle an den zuständigen Ortsordinarius weitergeleitet werden. Das ist sachgerecht.

Ob jeder trauungsberechtigte Kleriker die geforderte Belehrung geben kann, ist in Anbetracht der notwendigen Spezialkenntnisse mehr als fraglich. Sinnvoll erschiene es, ausgewählte Personen geeignet zu qualifizieren. Ihnen könnte die Aufgabe übertragen werden, Gespräche mit jenen Paaren zu führen, die eine „nur kirchliche“ Eheschließung wünschen. Das einzelne Paar würde kompetent informiert, gleichzeitig könnte sich der kirchliche Gesprächspartner einen Eindruck von den Motiven des Paares verschaffen. Dies wäre eine wichtige Entscheidungshilfe für die Erteilung des Nihil obstat. Eine qualifizierte Belehrung böte zudem Schutz vor Regressansprüchen vermeintlich ungenügend aufgeklärter Ehepartner. Im Regelfall sollte das Nihil obstat nicht verweigert werden. Eine Beschränkung auf besondere wirtschaftliche Gründe oder gar auf den in Art. 26 RK genannten sittlichen Notstand ist nicht gerechtfertigt. Wer über die Konsequenzen seines Handelns informiert ist, sollte im Rahmen des rechtlich Zulässigen tun dürfen, was er für richtig hält. Über viele Jahre hat die katholische Kirche das staatliche Voraustrauungsverbot als Verstoß gegen die Religionsfreiheit und als Beschränkung der persönlichen Autonomie kritisiert. Es wäre merkwürdig, würde sie nun das aus dem weltlichen Recht gestrichene Voraustrauungsverbot vermittels einer restriktiven Nihil-obstat-Praxis ins kirchliche Recht implantieren. Damit stellte sie die Gläubigen dann vielleicht nicht mehr unter eine „systemwidrige“ Pflicht (so Aymans). Eine Pflicht wäre es aber gleichwohl.

Am 7. November 2008 hat der Bundesrat aufgrund einer Empfehlung des Rechtsausschusses eine Entschließung gefasst. Darin bekräftigt er seine „Auffassung, dass mit der ersatzlosen Streichung des Verbots der religiösen Voraustrauung zum 1. Januar 2009 ein falsches Signal gesetzt wird. Religiös geprägte Bevölkerungsschichten könnten sich verstärkt von der Zivilehe abwenden.“ Der Bundesrat befürchtet insbesondere für die betroffenen Frauen gravierende Nachteile. Er fordert die Rücknahme der beschlossenen Streichung. Darüber hinaus regt er die Einführung einer Geldbuße an, um so den Vorrang der Zivilehe zu stärken (Bundesrat-Drucksache 713–08[B] 30–31). Sollte der Gesetzgeber diesem Vorschlag folgen, wäre das eine zum jetzigen Zeitpunkt überraschende Wende. Das Voraustrauungsverbot würde in diesem Fall nicht nur reanimiert, es wäre zudem erstmals seit über 50 Jahren wieder mit einer Sanktion bewehrt. Zwar hat die Entschließung des Bundesrates erklärtermaßen nicht die „beiden großen Kirchen“ im Blick – die Strafandrohung würde gegebenenfalls aber auch deren Mitglieder treffen.

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