Vor einem halben Jahr hatte Papst Benedikt die Erlaubnis zur Feier des vorkonziliaren „tridentinischen Ritus“ nach dem Messbuch von 1962 wesentlich erweitert, um die kleine Gruppe der Traditionalisten wieder mit der Kirche zu versöhnen, ihre Abspaltung teils zu verhindern, teils rückgängig zu machen. Er hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er selbst ein Liebhaber des alten lateinischen Ritus ist. In Briefen und öffentlichen Erklärungen hatten Juden und Katholiken, auch die Deutsche Bischofskonferenz, darum gebeten, ebenfalls für die alte lateinische Messe die nach dem Konzil ganz neu verfasste Fürbitte für die Juden verpflichtend vorzuschreiben. Denn in der traditionellen Fürbitte spiegelte sich die durch das Konzil verurteilte unchristliche Judenfeindschaft der Kirche wider. Diesen Bitten ist der Papst leider nicht gefolgt (vgl HK, März 2008, 117 f.; April 2008, 194). Das ruft die Mutmaßung hervor, dass ihm offenbar die Rücksichtnahme auf die Traditionalisten wichtiger ist als die Rücksichtnahme auf die Juden.
Stattdessen hat der Papst für den „tridentinischen Ritus“ eine eigene Fürbitte verfasst. In deutscher Übersetzung lautet der erste Satz, der zum Stolperstein wurde: „Lasset uns auch beten für die Juden: Dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Heiland aller Menschen anerkennen“. Das Gebet fährt fort: „Allmächtiger ewiger Gott, der du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle der Völker in deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen.“ Was aber ist an diesem Gebet so schlimm – zumal auch dieses Jahr am Karfreitag in fast allen katholischen Gottesdiensten die Liturgie im nachkonziliaren Ritus gefeiert wurde, in der die Fürbitte für die Juden ganz anders lautete?
Das Thema Judenmission ist als gefährliche Erinnerung präsent
Beim Thema „Judenmission“, auch wenn das Wort selbst in der Fürbitte Benedikts XVI. nicht vorkommt, werden bei den Juden sofort alte Ängste geweckt. Wenn von ihrer „Bekehrung zu Jesus Christus“ die Rede ist, wird genau die Stelle getroffen, an der ihre Nerven blank liegen, wo ein historisches Trauma mit all seinen Schrecken wachgerufen wird. Denn die Karfreitagsfürbitte hat eine über tausendjährige, bittere Vorgeschichte. Das fromme Gebet der Christen war zugleich eine Beleidigung der Juden, die im Gebet als verblendet und verstockt, als untreu beziehungsweise ungläubig (perfidia) bezeichnet wurden. Zudem gab es im Mittelalter für Juden regelrechte Ausgangsverbote in der Karwoche, weil christliche Prediger die Juden so heftig als Gottesmörder anklagten, dass es für diese gefährlich war, ihre Häuser zu verlassen. Die Folgen waren seit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert harte Demütigungen und gefährliche Ausschreitungen nach dem Karfreitagsgottesdienst. Diese Geschehnisse sind zwar vergangen, aber keineswegs vergessen. Im kollektiven Gedächtnis der Juden bleiben sie aufgehoben. Deshalb sind für alle Zeiten die Karfreitagsliturgie und insbesondere die Fürbitte für die Juden ein liturgischer Ort, an dem höchste Sensibilität geboten ist. Ja, selbst die Katastrophe der Shoa ist beim Thema Judenmission als gefährliche Erinnerung präsent.
Keine Wertschätzung der Würde Israels
Am 9. März 2006 traf sich in Berlin erstmals der für die Beziehungen zu den Juden zuständige Repräsentant des Vatikans, Kardinal Walter Kasper, mit der deutschen Rabbinerkonferenz. Beim anschließenden Festakt griff Henry Brandt,der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, in seiner Rede die Problematik mit drastischer Deutlichkeit auf: „Herr Kardinal, Sie haben das Thema der Mission angesprochen. Ich möchte hier nicht weiter darauf eingehen, aber es muss zur Kenntnis genommen werden, dass besonders in Deutschland die Mission an Juden ein rotes Tuch ist. Insbesondere hier ist jede Idee, jeder Anflug der Möglichkeit einer Judenmission quasi ein feindlicher Akt, eine Fortsetzung der Untaten Hitlers den Juden gegenüber auf anderer Ebene. Das ist hart, aber ehrlich gesagt, denn so wird es von uns empfunden. Deswegen muss die Absage an eine Missionierung von uns Juden radikal und vorbehaltlos sein. Freilich bedeutet dies nicht, dass Christen wie auch Juden nicht verpflichtet wären, unter Bedingungen der Freiheit Zeugnis für ihren Glauben abzulegen. Dazu gehört unweigerlich auch das Risiko, dass dieses Zeugnis jemanden dazu motivieren könnte, gleichsam die Seiten zu wechseln. In einer freien Gesellschaft muss dieses Risiko akzeptiert werden.“
Heute fürchten die Juden zwar nicht mehr ein gewalttätiges Vorgehen der Kirche. Aber auch die „sanfte Form“ der Judenmission halten sie für tödlich, weil die Bekehrung zum Christentum nicht die Juden als Volk, wohl aber die jüdische Religion auslöschen würde. Deshalb muss das von Papst Benedikt neu formulierte Gebet, Gott möge die Herzen der Juden erleuchten, auf dass sie Ja zu Jesus Christus sagen, von ihnen als elementare Bedrohung ihres Jahrtausende alten Gottesbekenntnisses verstanden werden. Zwar hat Kasper einige Tage nach der kommentarlosen Publikation der Fürbitte gesagt, das Gebet drücke „die endzeitliche Hoffnung der Kirche“ aus: dass am Ende der Geschichte alle Menschen Jesus Christus als ihren Erlöser anerkennen. Aber um dem Protest der Juden gerecht zu werden, wäre außerdem – und zwar im Namen des Papstes – ausdrücklich zu erklären, dass die Kirche Gott selbst die Initiative überlässt und nicht von sich aus die Juden zum Glauben an Jesus Christus und zum Eintritt in die Kirche auffordert. Das aber ist nicht geschehen. So war der Eklat klar voraussehbar. Solche Ängste hat die von Papst Paul VI. im Sinne des Konzils erneuerte Karfreitagsliturgie nicht geweckt. Sie lautet seit 1970 in der Fassung des Deutschen Messbuchs von 1975: „Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will. Allmächtiger, ewiger Gott, du hast Abraham und seinen Kindern deine Verheißung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast: Gib, dass es zur Fülle der Erlösung gelangt. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen.“ Der Unterschied ist augenfällig: Zum einen bekundet die Kirche in diesem Gebet unmissverständlich ihre Wertschätzung für die Würde Israels, Gottes erwähltem Volk, mit dem Gott einen Bund geschlossen hat, den er nie gekündigt hat noch je kündigen wird, wie das Konzil mit dem Apostel Paulus bekennt (Nostra aetate 4, Röm 9,4 und 11,29). Zum anderen sagt das Gebet, dass die Juden in der Treue zu Gottes Bund und in der Liebe zu seinem Namen leben, also bereits auf dem Weg des Heils sind. Die Kirche bittet darum, dass Gott sie auch zum Ziel der Erlösung führt.
Vom Glauben der Juden an Jesus Christus als Bedingung für ihr Heil ist in dieser Fürbitte nicht die Rede. Das ist auch gar nicht nötig, weil die Kirche darauf vertrauen darf, dass Gott die Juden durch die Treue zu ihrem Gottesbund zum Heil führen wird. Dieses Vertrauen kann sich nicht nur auf den Römerbrief des Apostels Paulus, sondern auch auf die Bergpredigt stützen, in der es heißt: „Nicht jeder, der zu mir ,Herr, Herr‘ sagt, wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters tut“ (Mt 7,21). „Die matthäische Gemeinde erkennt damit an, dass es in der Treue zur Tora eine Erlösung gibt, die sich nicht auf Jesus berufen muss. Darum eint die Hoffnung auf die vollendete Erlösung Juden und Christen mehr, als sie die christliche Jesusinterpretation trennt“ (Juden und Christen in Deutschland. Verantwortete Zeitgenossenschaft in einer pluralen Gesellschaft. Erklärung des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken vom 13. April 2005, 22).
Ein für die Liturgie untaugliches Gebet
Im Gegensatz zum Gebet Benedikts XVI. entspricht das Gebet Pauls VI. dem Wortlaut und Geist von Nostra aetate 4: „Die Kirche [erwartet] den Tag, der nur Gott bekannt ist, an dem alle Völker mit einer Stimme den Herrn anrufen und ihm ,Schulter an Schulter dienen‘ (Zeph 3,9)“. Diese ausgefeilte Formulierung ist kein Kompromiss, sondern Ergebnis der großen Debatte bei der dritten Textfassung am 28./29. September 1964. Das Bekenntnis der eschatologischen Hoffnung der Kirche auf ihre Vereinigung mit Israel sollte mit aller Deutlichkeit den Irrtum ausschließen, die Juden würden aufgefordert, ihre Religion aufzugeben (vgl. Johannes Oesterreicher in: Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare. Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Auflage, Ergänzungsband II, Freiburg 1967, 439–447, hier 439). Zur Einführung in die überarbeitete Textfassung betont Oesterreicher: „Dabei wird selbst der Hauch einer Zweideutigkeit, als sei das Bekenntnis zur kommenden Welt der Einheit nur eine versteckte Aufforderung zur Missionierung der Juden, vermieden“ (456). Da diese Eindeutigkeit im Gebet Benedikts fehlt, sät es neue Befangenheit in den fortgeschrittenen christlich-jüdischen Dialog: Wollen uns etwa die Christen durch Hoffnung und Gebet, Erwartungen und Zeugnisse letztendlich doch zum Christentum bekehren?
Eine Antwort aus Rom, die alle Fragen offen lässt
Seit der kommentarlosen Veröffentlichung der neuen Fürbitte sind Enttäuschung, Verletztheit, Proteste und Anfragen, wie der Autor den Text verstanden wissen wolle, nicht zur Ruhe gekommen. Benedikt XVI. will, wie Kasper öffentlich erklärt hat, seine Fürbitte nicht zugunsten der auch von Juden gutgeheißenen Bitte von Paul VI. zurückziehen. Nur eine authentische Erklärung beziehungsweise Klarstellung durch Kardinalstaatsekretär Tarcisio Bertone war mehrfach angekündigt worden, ist aber bis Karfreitag nicht erfolgt. Erst zwei Wochen später, am 4. April, erschien das offizielle Kommuniqué. Es fällt schwer, dieses zweimonatige Schweigen mit der Liebe zu vereinbaren, die der Papst in seiner ersten Enzyklika so überzeugend als Fundament und Mitte des Christentums dargestellt hat. Vielmehr hätte man erwarten dürfen, dass er die Juden um Vergebung bäte, weil er seinen Brüdern – und die Juden sind unsere „älteren Brüder“ (Johannes Paul II.) – eine so schmerzliche Wunde zugefügt hat und sie seitdem sich selbst überlässt. Eine solche Geste würde auch der Auslegung des Herrenwortes von Mt 5,23f. in seinem Jesus-Buch entsprechen: „Unversöhnt mit dem Bruder kann man nicht vor Gott hintreten; ihm zuvorzukommen in der Geste der Versöhnung, ihm entgegenzugehen, ist Voraussetzung rechter Gottesverehrung“ (Jesus von Nazareth, Freiburg 2007, 192).
Aber mit einer Vergebungsbitte allein wäre es nicht getan. Denn das vom Papst neu formulierte Gebet ist ein missglückter, weil missverständlicher und in sich widerspruchsvoller Text. Nur durch eine gewalttätige Interpretation könnten die Lücken geschlossen und die Gegensätze geradegebogen werden. Wenn etwa Kasper erläutert, das Gebet drücke theologisch korrekt die eschatologische Hoffnung der Kirche aus, wie doch das Pauluszitat klar anzeige, kann der Rettungsversuch nicht überzeugen. Denn zum einen ist diese Interpretation aus dem ersten Satz über die Anerkenntnis Jesu als Retter der Welt nicht herauszulesen, sondern höchstens hineinzuinterpretieren; zum anderen wird im zweiten Satz das eschatologische Zitat in Röm 11,25f. vom Papst in eine geschichtliche Aussage umgebogen. Denn der „Eintritt der Fülle der Völker in die Kirche“ ist ein geschichtlicher Prozess, während das Pauluswort vom Eintritt der Völker in das Reich Gottes, also vom Ende beziehungsweise der Vollendung der Geschichte spricht. Mit dem Bekenntnis der Kirche, dass Jesus als Erlöser zum Heil der ganzen Welt gekommen ist und am Ende der Geschichte als der in der Schrift verheißene Messias wiederkommen wird, können die Juden leben gemäß dem bekannten Ausspruch des Religionsphilosophen Franz Rosenzweig (1886–1925): „Ob Jesus der Messias war, wird sich zeigen, wenn der Messias kommt.“ Aber nicht leben können sie mit der Forderung oder Aufforderung, um ihres Heiles willen müssten sie sich zu Jesus Christus bekehren und an ihn glauben. Denn die Notwendigkeit der Bekehrung würde ihren Gottesbund nicht als vollgültigen Weg zum Heil anerkennen, sondern ihn als insuffizient abwerten, was in letzter Konsequenz die Verlässlichkeit Gottes selbst in Frage stellen würde.
Das Problem ist das Schweigen des Papstes
Diese und andere irritierende Fragen, die in der Stellungnahme des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken vom 29. Februar 2008 aufgelistet sind (www.zdk.de), machen die neue Fürbitte für die Liturgie untauglich. Denn der Text widerspricht klar der Maßgabe der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums: „Die Riten mögen den Glanz edler Einfachheit an sich tragen und knapp, durchschaubar und frei von unnötigen Wiederholungen sein. Sie seien der Fassungskraft der Gläubigen angepasst und sollen im Allgemeinen nicht vieler Erklärungen bedürfen“ (Sacrosanctum Concilium, 34). Die neue Fürbitte ist hingegen wegen ihrer Ungereimtheiten und Missverständlichkeit nicht verbesserungsfähig. Sie muss zurückgenommen werden. Aber dazu ist der Papst nicht bereit, obwohl er von vielen Seiten, von Christen und Juden, auch von der Deutschen Bischofskonferenz, dringend darum gebeten wurde.
Das lange Schweigen des Papstes veranlasste einige Kardinäle und deutsche Bischöfe vor Ostern zu öffentlichen Stellungnahmen. Als erster hat sich der Aachener Bischof Heinz Mussinghoff, Leiter der Unterkommission für die Beziehungen zum Judentum, mit der Bemerkung geäußert, er selbst sei „unglücklich mit der Formulierung“ und hoffe auf baldige klärende Gespräche mit den Rabbinern in Deutschland. Ihm sekundierte einen Monat später in der Mainzer Kirchenzeitung (6. April 2008) Kardinal Karl Lehmann, der stärkste Förderer der Beziehungen zu den Juden unter den deutschen Bischöfen. Doch statt auf die Sachfragen einzugehen, warnte er nur beschwichtigend vor maßlosen Vorwürfen. Ausführlich argumentierend hat hingegen Kasper Stellung bezogen. In einem ganzseitigen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20. März 2008) versucht er, die neue Fürbitte theologisch zu rechtfertigen, geht aber leider weder auf die naheliegende Frage, warum sich der Papst nicht für die Formulierung von Paul VI. entschieden habe, noch auf andere Einwände ein.
In Gedanken, Worten und Werken für die einst geschundenen älteren Brüder eintreten
Während Kasper die Fürbitte als Bekenntnis zur eschatologischen Hoffnung der Kirche interpretierte, deren Erfüllung allein Gottes Sache sei, und daher jeglicher Form der Judenmission eine Absage erteilte, schrieb Lehmann nur: „Ich kann beim besten Willen keinen Aufruf auch nur zu einer indirekten Judenmission entdecken.“ Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn hingegen veröffentlichte in der englischen Zeitschrift „The Tablet“ am 29. März 2008 unter Berufung auf die neutestamentlichen Schriften, die er unmittelbar auf die Gegenwart übertrug, ein Plädoyer für die Judenmission. Und was sagte Bertone, der offizielle Sprecher des Papstes, im Kommuniqué vom 4. April dazu? Nichts – außer einer Bekräftigung der Treue des Papstes zum Zweiten Vatikanum. An der Haltung der Kirche zu den Juden habe sich nichts geändert. Der Papst ließ durch Bertone verlauten: Der Text bleibt, auf Fragen wird nicht geantwortet. Warum beispielsweise nicht die Übernahme der lateinischen Version der allgemein akzeptierten Fürbitte von Paul VI. in den außerordentlichen Ritus? Ist das Gebet mit Kasper konsequent eschatologisch zu verstehen? Oder ist die Interpretation Schönborns im Sinne des Papstes? Kein Wort, wie der Papst zu den nachkonziliaren Dokumenten steht. Sie werden ebenso wenig erwähnt wie im „Katechismus der Katholischen Kirche“ von 1993.
Das Problem ist mithin das Schweigen des Papstes, der allen divergierenden Interpretationen zuschaut. Dieser Gebrauch päpstlicher Macht, gegen den es in der katholischen Kirchenverfassung keinen wirksamen Einspruch gibt, hat allerdings der päpstlichen Autorität sehr geschadet. Was also tun, wenn nicht resignieren oder sich gekränkt zurückziehen? So ernst und nachhaltig die aktuelle Störung aus Rom auch sein mag, ist sie doch für mich und viele jüdische und christliche Freunde kein hinreichender Grund, die 40-jährige Arbeit an einer vertrauenswürdigen und inzwischen weithin belastbaren Beziehung zwischen Juden und Christen grundsätzlich in Frage zu stellen. Trotz Stolpersteinen gilt es, auf dem eingeschlagenen Weg voranzuschreiten! Pflege der Beziehungen, Diskussion und theologische Arbeit müssen weitergehen. Auf jeden Fall wird auf dem Osnabrücker Katholikentag im Mai ein Forum zum Streit über die Karfreitagsfürbitte stattfinden. (Im Vorfeld des Katholikentags erscheint mit 15 jüdischen und katholischen Beiträgen der von Rabbiner Walter Homolka und dem Münsteraner Bibelwissenschaftler Erich Zenger herausgegebene Band „... damit sie Jesus Christus erkennen“ – die neue Karfreitagsfürbitte in der Diskussion, Freiburg 2008.)
Die Karfreitagsfürbitte für die Juden hat über viele Jahrhunderte die unsägliche Missachtung des unaufkündbaren Gottesbundes mit seinem ersterwählten Volk zentral repräsentiert und zu schlimmsten Zeiten die versöhnende Hingabe Jesu am Kreuz zum Kampfaufruf gegen die Juden pervertiert. Spätestens seit den Erkenntnissen des Zweiten Vatikanischen Konzils steht es jedem Papst gut an, das Volk Gottes unmissverständlich zu lehren, in Gedanken, Worten und Werken für die einst geschundenen älteren Brüder im Gottesbund einzutreten und ihnen ehrfürchtige Achtung zu erweisen. Dass dies für alle Zeit geschehe, „lasset uns beten“!