Es herrscht Aufbruchstimmung in Paraguay. Knapp 41 Prozent der Wähler hatten für „Monseñor Lugo” gestimmt, wie er aus Respekt vor seinem Bischofsamt noch immer genannt wird. Die Kandidatin der regierenden Colorado-Partei, die frühere Bildungsministerin Blanca Ovelar, erzielte etwa 10 Prozent weniger, und der Putschgeneral Lino Oviedo blieb mit 22 Prozent abgeschlagen. Eine einfache Mehrheit reichte Lugo laut paraguayischer Verfassung zum Präsidentenamt.
„Das ganze Land ist jetzt meine Kathedrale”
„Das ganze Land ist von nun an meine Kathedrale”, so erklärt Fernando Lugo immer wieder. Es scheint, dass er, vormals Bischof der Diözese San Pedro de Ycuamandyjú, unter einem großen Rechtfertigungsdruck steht, weil er das geistliche Amt verlassen hat und in die Politik gegangen ist. Er selbst sah keine andere Möglichkeit. Zu oft hatte er erkennen müssen, dass er nur mit moralischen Appellen nicht mehr weiter kam. Wenn er die himmelschreiende Ungerechtigkeit im Land beseitigen wollte, musste er an die Schalthebel der politischen Macht.
Rom wollte verhindern, dass der Kirchenmann in die Politik geht. Laut Kirchenrecht (Canon 285, Paragraf 2, CIC) ist es Klerikern verboten, „öffentliche Ämter anzunehmen, die eine Teilhabe an der Ausübung weltlicher Gewalt mit sich bringen”. Doch Bischof Lugo ließ sich nicht abhalten. Sein Amtsverzicht Ende 2004 kam überraschend. Gesundheitliche Gründe waren genannt worden, aber auch schon politische Ambitionen. Die Patriotische Allianz für den Wechsel (APC) trug ihm im Dezember 2006 offiziell die Präsidentschaftskandidatur an. So musste er Rom um seine Entpflichtung bitten. Die Verfassung von Paraguay schreibt in Artikel 235 nämlich vor, dass religiöse Würdenträger vom Präsidentenamt ausgeschlossen sind. Rom zierte sich, verfügte aber am 20. Januar 2007 seine Suspendierung „a divinis”, seine Entbindung von den priesterlichen Aufgaben. Damit war der Weg zur Kandidatur frei.
In der Folge fand in der paraguayischen Bischofskonferenz ein Klärungsprozess statt. Sollte man den Mitbruder in seinem Anliegen unterstützen oder sich grundsätzlich aus der Politik heraushalten, wenn so etwas überhaupt möglich ist? Die Bischöfe entschieden sich für die Neutralität. Im November 2007 und wieder kurz vor der Wahl, im März 2008, meldeten sie sich mit Hirtenbriefen zu Wort und betonten, dass die Kirche keinen Kandidaten vorschlage oder unterstütze. Über die Kandidatur von Bischof Lugo sprachen sie als von „einem ausreichend bekannten Fall” und vermieden die Nennung seines Namens. Gleichwohl bezogen immer wieder einzelne Bischöfe, etwa der Bischof von Concepción, Zacarias Ortíz, oder Priester und Priestergruppen Position zu Gunsten von Bischof Lugo. Die Lage war bis zuletzt zum Zerreißen gespannt.
Nach der Wahl ergriff Lugo klug die Initiative. Über die Medien bat er Papst und Kirche um Entschuldigung, dass er dem Kirchenrecht nicht gehorcht und dadurch der Kirche Schmerz zugefügt habe. Die Hand zur Versöhnung war ausgestreckt und wurde dankbar angenommen. Die Bischofskonferenz erklärte sofort, dass sie Lugo als designierten Präsidenten anerkenne und mit ihm zusammenarbeiten wolle. Rom versprach, eine kirchenrechtliche Lösung für den Präzedenzfall zu suchen. Paraguay zählt heute zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas. Nach der jahrzehntelangen Diktatur des deutschstämmigen Generals Alfredo Stroessner (von 1954 bis 1989) und der seither ununterbrochenen Herrschaft von dessen Colorado-Partei ist die Korruption im Land institutionalisiert. Die Mehrheit der Bevölkerung sucht noch immer als Kleinbauern ein Auskommen, doch inzwischen machen internationale Agrarkonzerne im Land ihre Geschäfte. Nachdem der Urwald weitgehend abgeholzt ist, wird neben der Rinderzucht auf riesigen Flächen Soja für den Export angebaut. Obwohl die Weltmarktpreise ständig steigen, kommen die Gewinne dem Land kaum zugute.
Die Vision eines neuen Paraguays treibt Fernando Lugo an. Er setzt auch in der Politik auf Anstand und Moral und verspricht Gerechtigkeit, die Bekämpfung der Armut, sowie die Förderung der Gesundheitsversorgung und des Bildungswesens. Er will die Souveränität und Identität des Landes gegen die Macht der Konzerne und der großen Nachbarländer bewahren und fordert Neuverhandlungen des bilateralen Vertragswerkes mit Brasilien über das Wasserkraftwerk Itaipú. In den zusätzlichen Millionen sieht er die finanzielle Basis für den Neubeginn. Klare und gerechte Gesetze sollen die Würde der Person garantieren und die Wirtschaft des Landes auf Gemeinwohl und Umweltschutz verpflichten. Dafür steht Lugo mit seiner Person und seinem bisherigen Werdegang. Fernando Armindo Lugo Mendez wurde am 30. Mai 1951 in San Solano im südparaguayischen Städtchen San Pedro del Paraná als jüngster Sohn von sechs Kindern geboren. Schon von klein auf lernte er im Elternhaus den Geschmack der Politik kennen. Sein Onkel Epifanio Méndez Fleitas, Schriftsteller, Musiker und damals eine der Führungsfiguren in der Colorado-Partei, prägte mit seinen politischen Ideen das Familienleben. Doch nach der Machtergreifung von General Stroessner im Jahre 1954 fiel die ganze Familie in Ungnade. Seine Eltern wurden immer wieder verhaftet und seine Brüder gingen ins Exil. Die schulische Laufbahn von Fernando Lugo begann im Kolleg der „Blauen Schwestern” (Steyler Schwestern) in San Pedro. In der Provinzhauptstadt Encarnación besuchte er später das Gymnasium und die Lehrerakademie, die er 1969 als ausgebildeter Grundschullehrer verließ. Am 1. März 1970 trat er ins Noviziat der Missionare des Göttlichen Wortes (Steyler Missionare – SVD) ein. In diesem international ausgerichteten Orden, der Ende der zwanziger Jahre vom Papst mit der Mission am Rio Paraná beauftragt worden war, erhielt er in der Folge seine weitere Prägung. Er studierte an der Katholischen Universität in Asunción Religionswissenschaften. Seine Priesterweihe erfolgte am 15. August 1977.
Es war dies die Zeit nach der Zweiten Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Medellín 1968. Die paraguayische Kirche suchte die Auseinandersetzung mit der Diktatur von General Stroessner. Über einige Jahre zog sich der Kirchenkampf. Die Bischöfe schreckten sogar vor der Exkommunikation des Innenministers und des Polizeichefs nicht zurück. In die internationalen Schlagzeilen kam 1975 ein Überfall von Militäreinheiten auf die Christliche Bauernliga von San Isidro de Jejui in der Nähe von San Pedro, weil sich Mitarbeiter des US-amerikanischen Catholic-Relief-Service in dem Projekt aufhielten. Ein viel beachteter Hirtenbrief der paraguayischen Bischöfe von 1978 trug den bezeichnenden Titel „Zwischen den Verfolgungen der Welt und Gottes Trost”.
Fernando Lugo ging – unter dem Eindruck dieser Ereignisse – als Missionar nach Ecuador. Er arbeitete in der Andendiözese Bolívar von Riobamba, wo Bischof Leónidas Proaño eine Kirche der Indios aufgebaut hat. Lugo erlebte dort die Kirchlichen Basisgemeinden als Orte der Glaubensverkündigung und des gesellschaftlichen Engagements. Bischof Proaño, so sagt Lugo später, ist sein Lehrer und Meister. Mitte 1982 kehrte Lugo nach Paraguay zurück. Noch immer war General Stroessner an der Macht; so verließ er 1983 schon wieder die Heimat, um an der Gregoriana in Rom Soziologie zu studieren. In Italien erlebte er fasziniert die Organisationsmacht der Gewerkschaften. Zurück in Paraguay wurde er 1987 Professor im Nationalen Priesterseminar in Asunción, Mitglied der Glaubenskommission der Paraguayischen Bischofskonferenz und Mitglied in der Theologischen Arbeitsgruppe des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM.
Der folgenreiche Besuch des Papstes
Der Paraguaybesuch von Johannes Paul II. im Mai 1988 brachte Bewegung ins politische System. Dem greisen Diktator wurden im Tauziehen um das Besuchsprogramm seine Grenzen aufgezeigt. Die Zeit war reif für den Wandel. Am 3. Februar 1989 wurde General Alfredo Stroessner durch General Andrés Rodríguez, den Schwiegervater seines Sohnes, abgesetzt. Das Land öffnete sich der Demokratie. Am 11. September 1992 wurde Fernando Lugo zum Provinzial der Steyler Missionare in Paraguay und zum Vizepräsidenten der Vereinigung der Ordensleute in Paraguay ernannt. Beide Ämter übte er bis zu seiner Bischofsernennung aus. Die Bischofsweihe fand am 17. April 1994 in der Kathedrale von Asuncion statt. Seine Diözese San Pedro am Oberlauf des Rio Paraguay gilt als das Armenhaus des Landes. Sie ist erst am 5. Juni 1978 aus der Diözese Concepción ausgegliedert worden und umfasst die gleichnamige Provinz, ein Gebiet mit 20 000 Quadratkilometern Fläche und nur rund 315 000 Einwohnern. Die Diözese ist bisher von der Entwicklung des Landes im wahrsten Sinne des Wortes abgeschnitten. Nicht einmal zur Bischofsstadt gibt es eine Asphaltstrasse. Bei jedem Tropengewitter verwandelt sich die Zufahrt in ein Schlammloch. Schon bald wurden die Gummistiefel ein Markenzeichen von Bischof Lugo.
Der neue Bischof baute auf dem auf, was seine Vorgänger hinterlassen hatten, die „Laienkirche” von San Pedro. Vater dieser Kirche ist der legendäre Bischof Aníbal Maricevich von Concepción. Auch der erste Bischof von San Pedro, Oscar Páez, setzte ab 1978 radikal auf diesen Ansatz. Es herrschte großer Priestermangel (es gab nur 4 Diözesanpriester und 11 Ordenspriester) – die Organisation der Kirchlichen Basisgemeinden, die Arbeit der Laien als Gemeindeleiter und der Ausbau der Sozialpastoral sind jedoch vorbildlich. Eine besondere Auszeichnung erfuhr die Diözese, als im August 1996 in San Pedro das Lateinamerikanische Basisgemeindentreffen stattfand.
Im Büro von Bischof Lugo hing in dieser Zeit eine große Diözesankarte. Mit bunten Fähnchen waren darin die pastoralen Zonen, Pfarreien und Basisgemeinden eingezeichnet. Doch zunehmend musste der Bischof neue Stellen markieren, nämlich Landbesetzungen. Landlose Kleinbauern drangen planmäßig in Ländereien ein, die von ihren Eigentümern nicht genutzt wurden. Es war dies der einzige Weg, um an ein eigenes Stück Land zu kommen. Zeitweise waren auf der Karte bis zu fünfzig Landbesetzungen eingetragen. Oft genug eskalierte die Situation. Das Militär ging gewaltsam gegen die Landbesetzer vor. Es gab Tote, die schnell als Märtyrer galten. Hier war der Bischof als Vermittler gefragt. Lugo erhielt selbst mehrfach Todesdrohungen und wurde im ganzen Land als Bischof der Armen bekannt.
Nun wird Monseñor Lugo Präsident. In Paraguay sind die Hoffnungen groß, doch im Ausland gibt es Befürchtungen. Besonders das Schreckgespenst des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez malen viele an die Wand. Fernando Lugo verweist auf seine christliche Motivation. Doch schon früher haben in Lateinamerika Kirchenmänner als politische Hoffnungsträger gegolten und sind gescheitert. Dazu gehören der Arbeiterpriester Jean-Bertrand Aristide,der es zum Präsidenten des mittelamerikanischen Inselstaates Haiti brachte, und der nicaraguanische Befreiungstheologe und Dichter Ernesto Cardenal,der Kulturminister seines Landes war. Es bleibt zu wünschen, dass es Monseñor Presidente Lugo gelingt, Paraguay auf einem eigenständigen Weg der Gerechtigkeit und des Friedens zu führen. Am 15. August 2008, auf den Tag genau 31 Jahre nach seiner Priesterweihe, wird er offiziell in sein Amt als Staatspräsident eingeführt und hat dann fünf Jahre Zeit, seine Vision eines neuen Paraguays zu verwirklichen.