Die Serbische Orthodoxe Kirche nach der Unabhängigkeit des KosovoZwischen Hilflosigkeit und Wut

Durch die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ist nicht zuletzt die Serbische Orthodoxe Kirche herausgefordert. Sie hat bisher einseitig Partei für die serbische Minderheit im Kosovo ergriffen, unter Berufung auf die fast schon mythische Bedeutung des umstrittenen Territoriums für die geschichtliche und religiöse Identität Serbiens.

Seit der Proklamation der Unabhängigkeit durch das kosovarische Parlament am 17. Februar haben bis Anfang Mai 38 von 192 UN-Mitgliedsstaaten Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt. Jede neue Anerkennung wurde in albanischen Zeitungen und Internetforen begeistert begrüßt. Aber nicht nur auf albanischer Seite, auch auf serbischer Seite wurde genau Buch geführt – unter umgekehrten Vorzeichen: Eine Vielzahl serbischer Zeitungen veröffentlichte Listen von mit Serbien befreundeten Staaten – solche, die die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen – und von feindlich gesonnenen Staaten, die gegen die territoriale Integrität des Landes agieren, indem sie die albanischen Politiker in Prisstina unterstützen. Insofern stellte die Zeitschrift des serbischen Patriarchats „Pravoslavlje“ („Orthodoxie“) keine Ausnahme dar, als sie in ihrer ersten Ausgabe nach der Unabhängigkeitserklärung die internationale Staatenwelt in Gegner und Freunde Serbiens einteilte. Zur ersten Gruppe zählen mittlerweile die meisten europäischen Länder (18 von 27 EU-Mitgliedsstaaten), die USA, Kanada, Australien und Japan. Die zweite Gruppe, die der „Freunde Serbiens“, wird von Russland angeführt, das die Bildung eines eigenständigen kosovarischen Staates scharf kritisiert hat. Von den EU-Staaten haben sich Rumänien, die Slowakei, Spanien sowie Griechenland und Zypern gegen eine Anerkennung ausgesprochen, da sie befürchten, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo einen gefährlichen Präzedenzfall für die jeweiligen Minderheiten im eigenen Land darstellen könnte. Neben diesen beiden Gruppen wurde in „Pravoslavlje“ allerdings noch eine dritte Gruppe aufgeführt: sie umfasste die Länder, deren zukünftiges Verhalten noch ungewiss erschien – darunter auch der Vatikan. In den folgenden Ausgaben von „Pravoslavlje“ wurde dann ausführlich über weitere Stellungnahmen von anderen Kirchen zur Unabhängigkeitserklärung Kosovos berichtet. Allein diese Auflistungen verdeutlichen bereits zweierlei: Erstens werden von serbischer (wie auch von albanischer) Seite die Reaktionen der Kirchen und Religionsgemeinschaften hinsichtlich der Kosovo-Problematik ähnlich genau verfolgt wie diejenigen der Staatenwelt. Zweitens zeigen die Artikel in der serbischen Kirchenpresse, dass die Serbische Orthodoxe Kirche im Kosovo-Konflikt keineswegs eine neutrale Position einnimmt, sondern sich als Vertreterin und Fürsprecherin der Interessen der serbischen Nation versteht.

Die albanischen Katholiken im Kosovo haben die Unabhängigkeit begrüßt

Daher ist es kaum verwunderlich, dass noch am Abend des 17. Februar, als in Pristina die Unabhängigkeitsfeiern liefen, der Hl. Synod der Serbischen Orthodoxen Kirche in Belgrad zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentrat und die Deklaration des kosovarischen Parlaments aufs Schärfste verurteilte. In seiner offiziellen Stellungnahme betonte der Hl. Synod, dass „Kosovo und Metohija integraler Bestandteil Serbiens war und bleiben muss“. Deshalb halte die Kirche den einseitigen Akt Kosovos für null und nichtig – er sei ein Akt der Gewalt über Recht und Gerechtigkeit.

Dieser Verurteilung schlossen sich die meisten anderen orthodoxen Kirchen an; in Solidaritätsadressen unterstützten sie die Position der serbischen Kirche. Die Georgische Orthodoxe Kirche schickte Ende Februar sogar eine offizielle Delegation nach Serbien, um der serbischen Kirche ihre „brüderliche Verbundenheit“ zu bekunden. Dass dieser Besuch keineswegs ganz uneigennützig war, dürfte vor dem Hintergrund der abtrünnigen und nach Unabhängigkeit strebenden georgischen Provinz Abchasien nur zu verständlich sein. Deren politische Führung hatte nämlich bereits kurz nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos ein ebensolches Sezessionsrecht für die eigene Provinz reklamiert. In der katholischen Welt fielen die Reaktionen auf die Unabhängigkeitserklärung gemischter aus: Während der Vatikan beide Konfliktparteien zur Mäßigung und Gewaltverzicht aufrief, begrüßten die albanischen Katholiken im Kosovo einhellig die Unabhängigkeit der Provinz. Diese zweifache Resonanz dürfte der Grund dafür sein, dass die Kirchenzeitschrift „Pravoslavlje“ dem Vatikan hinsichtlich seiner endgültigen politischen Haltung skeptisch gegenübersteht. Der diplomatischen Stellungnahme des Vatikans widersprachen nämlich die Äußerungen des Apostolischen Administrators von Prizren, Dodë Gjergji. Dieser zeigte zwar Verständnis für die Enttäuschung und Verärgerung der Kosovo-Serben, andererseits war er überzeugt, dass auch diese „bald einsehen werden, dass es besser ist, die ausgestreckte Hand zur Versöhnung anzunehmen, als bei der Suche nach nicht existierenden Mythen der Vergangenheit zu verharren“. Der serbischen Kirche warf Gjergji mangelnde Bereitschaft zur Versöhnung vor – daher seien auch die Vermittlungsbemühungen der katholischen Minderheit bisher nicht erfolgreich gewesen.

Um die Haltung der Serbischen Orthodoxen Kirche im Kosovo-Konflikt besser zu verstehen, lohnt ein Blick auf die verwandte Namensbezeichnung in der oben zitierten Erklärung des Hl. Synods: Während in westlichen Zeitungen schlicht von „Kosovo“ gesprochen wird, heißt die Provinz im offiziellen serbischen Sprachgebrauch „Kosovo und Metohija“. Das Wort Metohija leitet sich vom griechisch-byzantinischen „metochion“ ab und bedeutet „Klosterland“. Als „Klosterland“ wird heute noch immer der Westteil des Kosovo bezeichnet, in dem sich bedeutende Klosteranlagen aus der Blütezeit des mittelalterlichen serbischen Reiches (13. Jh.) befinden, die einstmals bedeutende Ländereien besaßen. Am berühmtesten sind dabei das Patriarchatskloster in Pe c und das Kloster Visoki Decˇani. Aufgrund seiner Kulturschätze erklärte die UNESCO das Kloster 2004 zum Weltkulturerbe – wegen der instabilen Sicherheitslage setzte sie Decˇani aber gleichzeitig auch auf die „Rote Liste des gefährdeten Welterbes“.

Ihre zahlreichen Kirchen und Klöster sieht die serbische Kirche in einem unabhängigen Kosovo nicht ausreichend geschützt. Dabei verweist sie auf die Entwicklung seit 1999: Trotz Schutzmaßnahmen der UN-Verwaltung sind in den ersten drei Jahren nach Kriegsende 110 (nach anderen Berichten 138) orthodoxe Kirchen und Klöster beschädigt oder komplett zerstört worden. Bei den antiserbischen Unruhen am 17./18. März 2004 wurden weitere 30 Kirchen und Klöster zerstört oder beschädigt.

Die Ereignisse von 2004 haben ein Trauma hinterlassen

Besonders schlimm wüteten die albanischen Randalierer dabei in Prizren: Das gesamte serbische Viertel in der Altstadt wurde in Schutt und Asche gelegt, darunter jahrhundertealte Kirchen und Klöster. Etwa 4500 Serben, Roma und Ashkali (eine den Roma verwandte Gruppe) mussten flüchten, ihre Häuser (rund 900) wurden niedergebrannt oder beschädigt. Laut Angaben von „Human Rights Watch“ sind 250 000 Serben und Angehörige anderer Minderheiten zwischen 1999 und Februar 2008 aus dem Kosovo geflohen und nicht zurückgekehrt.

Dass die Ereignisse vom März 2004 sich geradezu traumatisch in das kollektive Gedächtnis der serbischen Kirche eingebrannt haben, zeigen die alljährlich stattfindenden Gedenkveranstaltungen: Jedes Jahr am 17. März finden Totenmessen für die Opfer der Unruhen in allen Diözesen des Landes statt. Dieses Jahr fielen die Gedenkveranstaltungen wegen der vorangegangenen Unabhängigkeitserklärung besonders emotional aus. Bischof Artemije von Raˇska-Prizren erklärte im Kloster Gracˇanica: „Wir haben auch für uns, die wir hier geblieben sind und leben, gebetet, auf dass wir das Kosovo-Vermächtnis bewahren mögen. (...) Was wir in den letzten zehn Jahren erlebten, dürfen und können wir nicht vergessen, aber wir müssen uns bemühen und für unsere zukünftige Generation kämpfen, damit sie in Frieden, Glück und Wohlstand in Kosovo und Metohija leben können.“ An der Rede von Artemije lässt sich gut die zwiespältige Rolle der Kirche im Kosovo-Konflikt ablesen, die bei Lösungsstrategien für die Region einen Umgang mit ihr schwierig macht: Auf der einen Seite hat zwar nicht zuletzt Bischof Artemije auf seinen zahlreichen Auslandsreisen die Bereitschaft der Kirche zum Ausdruck gebracht, nach Lösungen für ein friedliches Miteinander mit der albanischen Bevölkerungsmehrheit zu suchen. Im Mai 2006 fand gar eine interreligiöse Konferenz im Patriarchatskloster in Pec statt, an dem hochrangige Vertreter der orthodoxen Kirche, des albanischen Islams und der römisch-katholischen Kirche im Kosovo teilnahmen. Die Vertreter aller drei Glaubensgemeinschaften verurteilten dabei die Zerstörung von Gotteshäusern und sprachen sich für eine intensivere Kommunikation untereinander aus. Das von internationalen religiösen Organisationen angeregte Treffen fand aber erst am Anfang März 2008 eine Fortsetzung, als sich erstmals nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo Vertreter der serbischen Orthodoxie und der albanischen Muslime und Katholiken – wiederum unter Vermittlung von außen – in Berlin zu einer Gesprächsrunde trafen. Zwar betonten alle Seiten ihre Dialogbereitschaft, doch herrschte Sprachlosigkeit unter den Teilnehmenden angesichts der dringenden aktuellen Probleme.

Diese Sprachlosigkeit und die momentane Unfähigkeit in strittigen Detailfragen zu einem modus vivendi zwischen Serben und Albanern im Kosovo zu gelangen, verweist auf die andere, eher problematisch zu nennende Seite der serbischen Kirche im Kosovo-Konflikt. Denn trotz aller Beteuerungen, mit den Kosovo-Albanern zu einem friedlichen Miteinander gelangen zu wollen, hält die Serbische Orthodoxe Kirche mit Rekurs auf den mittlerweile hinlänglich bekannten Kosovo-Mythos daran fest, dass Kosovo das Herz Serbiens ist, das man dem Land nicht entreißen dürfe. In diesem Sinne rief auch Bischof Artemije am 17. März die Gläubigen bei der Totenmesse dazu auf, das „Kosovo-Vermächtnis“ zu bewahren. Mit diesem Vermächtnis ist die Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) von 1389 verbunden, bei der der serbische Fürst Lazar mit seinen Truppen einem osmanischen Invasionsheer unterlag und den Tod fand. Verbunden mit der Schlacht von 1389 ist auch die Erinnerung an den Untergang des mittelalterlichen serbischen Reiches, mit dem die 500-jährige osmanische Herrschaft – das „türkische Joch“ – und die Leidenszeit der Serben begonnen habe.

Die Brisanz des Kosovo-Mythos

Hinsichtlich seiner Bestandteile wie Märtyrertum, Opferbereitschaft und Leidenszeit unterscheidet sich der Kosovo-Mythos nicht grundlegend von den Mythen anderer europäischer Nationen; seine bis heute andauernde Brisanz erhält er vielmehr dadurch, dass im Laufe der Geschichte die Albaner als Nachfolger beziehungsweise Kollaborateure der „Türken“ den konkreten Erinnerungsort, den Kosovo, in Besitz genommen haben und deswegen zu „Erbfeinden“ der serbischen Nation stilisiert wurden. Vor diesem mythologischen Hintergrund erscheint der Kosovo dann nicht mehr als eine „normale“ Konfliktregion zwischen zwei Bevölkerungsgruppen – mit Konflikten, die grundsätzlich verhandelbar wären –, sondern als ein Gebiet, auf dem der jahrhundertelange „Kampf zwischen Christentum und Islam“ seine gegenwärtige Fortsetzung erfährt. Eine solche sakral-mythologisch aufgeladene Geschichtswahrnehmung schränkt aber den Verhandlungsspielraum von vornherein äußerst ein. Das zeigt sich an den Lösungsvorschlägen, die die Serbische Orthodoxe Kirche während des gut zweijährigen Verhandlungsprozesses zur Statusfrage des Kosovo unterbreitet hat. Zu Beginn der Status-Verhandlungen im Februar 2006 veröffentlichte die von den serbischen Bischöfen eingesetzte Kommission für Kosovo und Metohija zehn „Grundsätze“, die es bei der Lösung der Kosovo-Frage zu beachten gelte. Im Kern lassen sich die Grundsätze dabei in drei Forderungen zusammenfassen: Schutz der Kirchen und Klöster sowie der im Kosovo lebenden Serben, Sicherheit der serbischen Rückkehrer und Dezentralisierung (vgl. HK, Juni 2006, 298ff.). Die ersten beiden Punkte zielen auf die Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte im Kosovo sowie deren Überwachung durch internationale Organisationen. Deutlich erkennbar ist das Misstrauen der serbischen Kirche gegenüber den kosovarischen Behörden, denen sie nicht zutraut, sich ausreichend für die Sicherheit ihrer Gotteshäuser und Gläubigen einzusetzen. Angesichts der prekären Sicherheitslage im Kosovo ist dies wohl eine realistische Einschätzung. Von Realitätsferne zeugt dagegen der dritte Punkt – die Forderung nach Dezentralisierung. Mit diesem ist die politische Lösung umrissen, die der Kirche für das Kosovo vorschwebte: Der Provinz sollten zwar Autonomierechte zugestanden werden, aber sie sollte im Verbund mit Serbien bleiben. Durch eine Dezentralisierung des Kosovo sollten zudem die Einflussmöglichkeiten der serbischen Gemeinden im Kosovo gestärkt und der Handlungsspielraum der Regierung in Pristina beschnitten werden.

Aufgrund der Bevölkerungsstruktur des Kosovo mit einer albanischen Mehrheitsbevölkerung über 90 Prozent war aber kaum zu erwarten, dass die albanische Seite auf solch einen Vorschlag eingehen würde. Dessen Annahme hätte nämlich bedeutet, dass die serbische Minderheit einen bedeutenden Teil der Provinz selbst verwaltet und dazu noch gesonderte Beziehungen mit Belgrad unterhalten darf. Dass die serbische Kirche dennoch der Öffentlichkeit diesen Plan immer wieder als einzig akzeptablen präsentiert hat, dürfte mit der skizzierten mythologischen Geschichtswahrnehmung in Zusammenhang stehen, die die Kosovo-Albaner nur als Bedrohung in den Blick kommen lässt und kaum als eine Gruppe, mit der man ein friedliches Zusammenleben im Kosovo gestalten muss.

Die eingangs erwähnte Stellungnahme des Hl. Synods zur Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zeigt dies auch noch einmal: Wie die Regierung Serbiens kritisierte auch der Hl. Synod die Verletzung internationalen Rechts. Die einseitig ausgerufene Unabhängigkeit des Kosovo verstoße gegen die Charta der Vereinten Nationen und gegen die nach dem Kosovo-Krieg 1999 verabschiedete UN-Resolution 1244, die zwar eine „substantielle Autonomie“ des Kosovo fordere, aber gleichzeitig die „Souveränität und die territoriale Unversehrtheit“ Serbiens garantiere. Als weitere Belege für die Zugehörigkeit der Provinz zu Serbien führte der Hl. Synod die internationalen Abkommen von 1913, 1918 und 1945 an.

Daher sei die Abtrennung des Kosovo ein gewalttätiger Akt: eine „erneute Legitimierung der jahrhundertelangen osmanischen Gewaltherrschaft und ihrer Folgen in der ganzen Region sowie eine Wiederholung der faschistischen Lösung der Kosovo-Frage, als im Zweiten Weltkrieg Kosovo-Metohija dem so genannten Großalbanien angegliedert wurde und Tausende von orthodoxen Serben aus ihren Häusern vertrieben wurden – so wie 1999, mit dem Ziel, dass sie nie wieder zurückkehren“.

Die Kirche sieht die serbische Bevölkerung als primäre Opfergruppe

Tonfall und Rhetorik der Stellungnahme machen deutlich, dass die Kirche die serbische Bevölkerung als primäre Opfergruppe im Kosovo ansieht; andere Bevölkerungsgruppen geraten nicht in den Blick. Für die politische Situation nach 1999 trifft die benachteiligte Stellung der Kosovo-Serben zweifellos zu, da es vor allem die serbische Minderheit war, deren Rechte häufig systematisch missachtet und verletzt worden sind. Allerdings hat der Kosovo-Konflikt nicht erst 1999 begonnen, sondern weist eine fast 90-jährige Geschichte auf, die in der kirchlichen Stellungnahme äußerst einseitig dargestellt wird. So sanktionierte das angesprochene Abkommen von 1913 zwar die Eroberung des Kosovo durch das damalige Königreich Serbien nach über 500-jähriger osmanischer Herrschaft, doch ging die neue Staatsmacht bei der Eingliederung des Kosovo in ihr Territorium mit brutalen Mitteln vor: Schätzungen zufolge wurden im Verlauf des ersten Balkankrieges 20 000 Albaner getötet. Und nach der Annexion des Gebietes traten rund 60 000 Muslime die Flucht an. In der Folge unternahmen die jeweiligen Staatsführungen – mit Ausnahme der Zeit von 1968 bis 1981/88 im sozialistischen Jugoslawien – wenig bis gar nichts, um die albanischen Untertanen in den serbischen Staat zu integrieren. Vielmehr setzte Belgrad häufig auf eine gewalttätige Assimilierungs- und Vertreibungspolitik. Die albanische Seite antwortete hierauf, sofern sich die Gelegenheit bot, mit Gegengewalt, so etwa während des Zweiten Weltkriegs zwischen 1941 und 1944.

In der komplexen Beziehungsgeschichte zwischen Serben und Albanern haben beide Seiten immer wieder Gewalt erfahren müssen, die von Angehörigen der anderen nationalen Gemeinschaft ausgingen. Das Unabhängigkeitsstreben der Kosovo-Albaner ist so untrennbar mit den Bedrohungsängsten verknüpft, die mit der Perspektive einer erneuten serbischen Herrschaft über die Region verbunden werden. Gleiches gilt aus umgekehrter Sicht für die Kosovo-Serben, die sich nur in einem staatlichen Verbund mit Serbien sicher fühlen. In diesem Zusammenhang ist die Rhetorik der kirchlichen Stellungnahme als historisch einseitig und konfliktverschärfend zu bewerten; erinnert sie doch fatal an die späten achtziger, frühen neunziger Jahre, als die orthodoxe Kirche im Verbund mit der nationalistischen Politik von Slobodan Miloˇsevic Feindbilder produzierte, die zur ideologischen Vorbereitung der anschließenden Kriege beitrugen. Zwar hat sich die Kirche später von Miloˇsevic distanziert, doch hinsichtlich der Kosovo-Problematik scheint sie weiterhin alte Feindbild-Klischees zu bedienen. Insgesamt schwanken die Reaktionen der Serbischen Orthodoxen Kirche nach der Unabhängigkeitserklärung zwischen Hilflosigkeit und Wut: In einer offiziellen Erklärung der Bischöfe riefen diese Bischof Artemije, seine Priester und Mönche sowie die gesamte serbische Bevölkerung in Kosovo-Metohija auf, in ihren Häusern und bei den heiligen Stätten zu bleiben – im Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit. Von den gewalttätigen Ausschreitungen nach der anfänglich friedlichen Protestkundgebung in Belgrad am 21. Februar hat sich die Kirchenführung deutlich distanziert. Sie verurteilte die Krawalle als „schändlich und verantwortungslos“ und rief die Bevölkerung zu besonnenem Handeln auf.

Statt auf Gewalt setzt ein Teil der Kirchenführung auf eine Obstruktionspolitik gegenüber den kosovarischen Behörden und der neuen EU-Mission: So rief Bischof Artemije den orthodoxen Klerus im Kosovo auf, keinen Kontakt zu Angehörigen der EU-Mission, zu den Institutionen in Pristina oder zu den Vertretern jener Staaten zu unterhalten, die die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo anerkannt haben. Stattdessen sollte die Zusammenarbeit mit Belgrad intensiviert werden; zu diesem Zweck traf Bischof Artemije Anfang März mit dem serbischen Religionsminister, Radomir Naumov,im Kloster Gracˇanica zusammen. Dabei sicherte der Minister zu, dass die serbische Regierung die Priester und Mönche finanziell unterstützen werde. Dies sei bereits im Staatsbudget vorgesehen – ebenso wie die Förderung von Kulturarbeit und der Wiederaufbau von Sakralbauten. Der Bischof ergänzte in diesem Zusammenhang, dass mit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo die Vereinbarungen mit der internationalen Gemeinschaft bezüglich des Wiederaufbaus von zerstörten Gotteshäusern hinfällig seien. Man müsse daher neue Verhandlungen führen, aber „falls sie interessiert sind“, könnten die Internationalen helfen.

Bleibt es beim Konfrontationskurs?

Das Ziel dieses Vorgehens liegt anscheinend darin, durch finanzielle und politische Mittel den serbisch dominierten Norden und die Enklaven dem Zugriff der kosovarischen Behörden zu entziehen und noch enger an Serbien anzubinden. Faktisch läuft dieses Vorgehen langfristig auf eine Teilung des Kosovo hinaus. Innerhalb der Kirche scheint solch ein radikaler Kurs allerdings nicht unumstritten zu sein, denn Anfang März äußerte Metropolit Amfilohije von Montenegro, dass „ohne Kommunikation eine Existenz unseres Volkes, unserer Heiligtümer und aller jener, die hier leben, nicht möglich ist“. Bischof Artemije exponierte sich auch im serbischen Wahlkampf, nachdem die bisherige Regierungskoalition unter Ministerpräsident Vojislav Koˇstunica zerbrochen war. In einem Interview mit der Tageszeitung „Glas Javnosti“ begrüßte er die vorgezogenen Neuwahlen vom 11. Mai ausdrücklich. Auf die Frage, welcher außenpolitischen Option er dabei den Vorzug gebe – entweder der Option „Sowohl Europa als auch Kosovo“ oder aber „Nach Europa nur mit Kosovo“ –, sprach sich der Bischof eindeutig für letztere aus. Mit dieser Formel lässt sich das Wahlprogramm von Ministerpräsident Koˇstunica und seiner Partei zusammenfassen, wonach Serbien nur dann in ein engeres institutionelles Verhältnis zur EU treten soll, wenn diese Serbien in seinen verfassungsmäßigen Grenzen – also einschließlich der Provinz Kosovo – anerkennt. Laut Artemije sei dieses Programm „verständlich und logisch“ und das einzige, das Serbien akzeptieren könnte. Dagegen sei das Programm „Sowohl Europa als auch Kosovo“ von Präsident Boris Tadic ein „Kindermärchen“. Zwar lehnt auch Tadic die Unabhängigkeit des Kosovo ab, doch will er deshalb nicht auf eine Zusammenarbeit mit der EU verzichten. Für Artemije brächte ein Wahlsieg Tadics Serbien zwar vielleicht näher an die EU, aber gleichzeitig „würde er Serbien von seinen historischen und geistlichen Wurzeln entfernen und entfremden – dies wäre die größte Tragödie für das serbische Volk“.

Die Parlamentswahlen vom 11. Mai hat das pro-europäische Wahlbündnis unter Führung von Präsident Tadic knapp gewonnen, allerdings steht eine schwierige Regierungsbildung bevor, so dass abzuwarten bleibt, wer die Geschicke des Landes zukünftig bestimmen wird. Inzwischen tagte in Belgrad die Bischofsvollversammlung, das höchste Organ der Kirche. Dabei ging es vor allem um die Frage, wer die Serbische Orthodoxe Kirche in Zukunft leiten soll, da der 93-jährige Patriarch Pavle seit Mitte November 2007 im Krankenhaus liegt und kaum mehr in der Lage ist, die Kirche in der gegenwärtigen schwierigen Situation zu führen. Nach tagelangen hitzigen Debatten hat die Bischofsversammlung am 17. Mai beschlossen, dass sie vorerst sämtliche Führungsaufgaben des Patriarchen an den Hl. Synod mit Metropolit Amfilohije an der Spitze überträgt. Patriarch Pavle hatte sich bis zuletzt geweigert zurückzutreten – denn er sei auf Lebenszeit gewählt. Sollte Pavle weiterhin schwer krank bleiben, wird vermutlich im Oktober ein neues Kirchenoberhaupt gewählt. Für diesen Fall gibt es mehrere aussichtsreiche Kandidaten, aber da es mehrere Fraktionen mit unterschiedlichen Interessen in der Bischofsvollversammlung gibt, ist noch nicht abzusehen, wer am Ende zum neuen Patriarchen gewählt werden könnte. So bleibt auch abzuwarten, welchen Kurs die Serbische Orthodoxe Kirche in Zukunft hinsichtlich der Kosovo-Problematik einschlagen wird: Setzt sie auf einen Konfrontationskurs oder findet sie zu einem neuen, pragmatischeren Umgang mit der albanischen Seite?

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