In seinem posthum veröffentlichten Buch „Die Religion der Gesellschaft“ schrieb der Soziologe Niklas Luhmann: „Der moderne Individualismus wird an die Religion von außen herangetragen und macht ihr zu schaffen.“ Was das konkret bedeuten kann, lässt sich derzeit in der Neuapostolischen Kirche (NAK) beobachten, die sich schon seit einigen Jahren in einem ebenso spannenden wie schwierigen Reformprozess befindet (vgl. HK, Juli 2005, 364ff.). Schon der inzwischen pensionierte „Stammapostel“ Richard Fehr hatte einen Öffnungsprozess eingeleitet, der von seinem seit 2005 amtierenden Nachfolger Wilhelm Leber fortgesetzt und sogar noch intensiviert wird. Doch was, so könnte man fragen, geht diese Entwicklung eigentlich die anderen Kirchen an?
Rigide Strukturen werden zunehmend infrage gestellt
Zum einen zählt die NAK mit rund 370 000 Mitgliedern zu den größeren deutschen Glaubensgemeinschaften, ist also nicht nur irgendein Grüppchen unter vielen, zum andern ist es ihr erklärtes Ziel, „ökumenefähig“ zu werden. Dieses Ansinnen führt in Gemeinden anderer Kirchen bisweilen zu Irritationen und wirft Fragen auf: Wie etwa soll man reagieren, wenn die NAK-Gemeinde vor Ort, die man stets als sehr verschlossen und zurückgezogen erlebt hat, plötzlich anfragt, ob ihr Chor in der evangelischen Kirche ein Weihnachtskonzert geben darf? Dass der Informationsbedarf in Sachen NAK auf lokaler Ebene sehr hoch ist, zeigte sich am Stand der „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ (EZW) anlässlich des letzten Kirchentags in Köln. Dort zählte die NAK zu den am häufigsten thematisierten Gemeinschaften, typisch waren Fragen wie „Sagen Sie mal, ist das eigentlich noch eine Sekte?“
Was man wohl sagen kann: Zumindest ist die NAK ihr Sektenimage leid – überall auf der Welt werde sie als Kirche wahrgenommen, nur nicht in Europa, klagte „Stammapostel“ Fehr anlässlich der Pressekonferenz zur Amtsübergabe an Nachfolger Leber. Das große Vorbild der NAK sind ganz offensichtlich die „Siebenten-Tags-Adventisten“, die sich so weit „entsektet“ und zu einer Freikirche entwickelt haben, dass sie mittlerweile Gaststatus in der „Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen“ (ACK) genießen und auf dem „Markt der Möglichkeiten“ evangelischer Kirchentage mit eigenen Ständen vertreten sein dürfen.
Der NAK-Leitung ist durchaus bewusst, dass die Gemeinschaft an ihrem Sektenimage zu einem erheblichen Teil selbst schuld ist. Sie habe sich, so Fehr, in den sechziger und siebziger Jahren zu sehr in einer „Igelposition“ befunden. Ausschlaggebend für die Einstufung als Sekte waren jedoch vor allem die rigiden Strukturen innerhalb der NAK, die selbst vor einer Kontrolle des Privatlebens ihrer Mitglieder nicht zurückschreckte. Doch diese Strukturen werden zunehmend infrage gestellt – einerseits vor allem von der jüngeren Generation in den eigenen Reihen, andererseits aber auch von ehemaligen Mitgliedern, die über eine exzellente Vernetzung im Internet verfügen. Wie die Führung der NAK selbst zugibt, haben die Aussteiger damit immer wieder für erhebliche Unruhe gesorgt und nicht unwesentlich zur Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen beigetragen. Zunächst hatte die NAK allerdings versucht, das Rumoren auszusitzen und Kritik, wie sie etwa von dem ehemaligen NAK-Pfarrer Siegfried Dannwolf in seinem Buch „Gottes verlorene Kinder“ geäußert wurde, zu ignorieren.
Erst ganz allmählich zeigte sich die Kirchenleitung bereit, zu den strittigen Fragen Stellung zu nehmen und Reformen einzuleiten. So wurde etwa die Überwachung des Privatlebens durch unangemeldete Hausbesuche dahingehend gelockert, dass die Amtsträger der NAK ihre Gemeindemitglieder jetzt nur noch nach vorheriger Anmeldung aufsuchen sollen. Die „Stammapostel“ Fehr und Leber haben es auch immer wieder verstanden, durch das Setzen symbolträchtiger Zeichen ihre Reformbereitschaft zu bekunden. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass der „Stammapostel“ dem Vatikan zum Tod des Papstes sein Beileid und zur Wahl des neuen seine Gratulation ausspricht. Dass er dies 2005 tat, habe ihm in den eigenen Reihen viel Anerkennung, aber auch herbe Kritik eingetragen, berichtete Fehr. Einige Mitglieder hätten ihm „Verrat“ vorgeworfen und ihn gefragt, ob sie nun ihren Glauben begraben sollten. Ebenso undenkbar wäre es gewesen, dass sich ein „Stammapostel“, wie Leber dies im Juni 2006 tat, einem Interview des evangelikalen Magazins „idea Spektrum“ gestellt und sich dabei wohltuend selbstkritisch gezeigt hätte. So kam es, dass der NAK in den letzten Jahren insgesamt ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde: „Und sie bewegt sich doch!“, lautete etwa der Titel einer EZW-Publikation des NAK-Experten Andreas Fincke.
Allerdings dürfen alle Bekenntnisse zu Reform und Selbstkritik nicht darüber hinwegtäuschen, wie schwierig und tückisch der ganze Prozess für die NAK ist. Dies liegt vor allem in der Natur ihres Selbstverständnisses begründet: Die NAK versteht sich – zumindest war dies bisher der Fall – als die einzige Kirche, in der die Tradition der „apostolischen Urkirche“ gewahrt sei, so dass sie, wie es der NAK-Kenner Helmut Obst formulierte, als „Heilsmittlerin im umfassenden Sinn und (...) exklusiv als alleinige wahre Kirche Jesu Christi in der Endzeit“ wirke. Im Glaubenbekenntnis der NAK heißt es: „Ich glaube, dass der Herr Jesus seine Kirche durch lebende Apostel regiert bis zu seinem Wiederkommen, dass er seine Apostel gesandt hat und noch sendet mit dem Auftrag, zu lehren, in seinem Namen Sünden zu vergeben und mit Wasser und dem Heiligen Geist zu taufen. Ich glaube, dass sämtliche Ämter in der Kirche Christi nur von Aposteln erwählt und in ihr Amt eingesetzt werden und dass aus dem Apostelamt Christi sämtliche Gaben und Kräfte hervorgehen müssen, auf dass, mit ihnen ausgerüstet, die Gemeinde ein lesbarer Brief Christi werde.“ Damit kommt den Aposteln, insbesondere aber dem „Stammapostel“ eine Bedeutung zu, die kaum überschätzt werden kann. Er ist die „oberste geistliche Autorität“ und galt lange, zumindest bis 1998, als „Repräsentant des Herrn auf Erden“. Allen, die das nicht so sehen, wurde mit einer recht ausgeprägten Überheblichkeit begegnet: „Es gibt sicher Menschen“, erklärte ein „Apostel“ noch im Sommer 1998, „die können im Stammapostel (...) den Herrn Jesus nicht erkennen. Aber das liegt an ihnen.“
Können „Stammapostel“ irren?
Doch natürlich sind auch „Stammapostel“ (nur) Menschen – was also, wenn einem „Stammapostel“ Fehler unterlaufen? Genau um diese Frage ist innerhalb der NAK beziehungsweise zwischen ihr und den ehemaligen Mitgliedern eine heftige Debatte entbrannt. Als der „Stammapostel“ Johann Gottfried Bischoff zu Weihnachten 1951 verkündete, dass Jesus noch zu seinen Lebzeiten wiederkommen werde, irrte er sich ganz offensichtlich, denn Bischoff starb, ohne dass sich die Wiederkunft Christi ereignet hätte. Die NAK rechtfertigte diesen Lapsus immer damit, dass Gott seine Pläne offenbar geändert habe. Von einem Irrtum Bischoffs auszugehen lag jenseits aller Vorstellungskraft. „Stammapostel“ Fehr erklärte noch 1995: „Wir halten daran fest, dass der Stammapostel sich nicht geirrt hat.“
Umso mehr erhofften sich die Reformkräfte innerhalb und die Kritiker außerhalb der NAK eine Revision der Bewertung von Bischoffs Prophezeiung. Dies schon deshalb, weil es in der Amtszeit Bischoffs zu einer der größten Abspaltungen in der NAK gekommen war. Der „Stammapostel“ hatte 1955 einen seiner Kritiker, den rheinländischen „Bezirksapostel“ Peter Kuhlen, ausgeschlossen, doch waren Kuhlen 25 000 NAK-Mitglieder gefolgt und hatten eine eigene apostolische Gemeinschaft (Vereinigung Apostolischer Gemeinden in Europa – VAG) gegründet. Der Riss, den dieses Schisma verursachte, verlief quer durch viele neuapostolische Familien und hinterließ großes persönliches Leid. Am 4. Dezember 2007 präsentierte die 1999 eingerichtete Arbeitsgemeinschaft „Geschichte der Neuapostolischen Kirche“ (GNK) unter Leitung des „Apostels“ Walter Drave an einem so genannten „Informationsabend“ in Zürich die mit Spannung erwartete Aufarbeitung der damaligen Ereignisse. Doch was als Schritt zur Versöhnung gedacht war, geriet mehr oder weniger zu einem Fiasko. Denn im Bericht der GNK wurde unter anderem behauptet: „Die fehlende Ausrichtung einiger Apostel am Stammapostel ist (...) als eine der tieferen Ursachen der Konflikte zu betrachten. (...) Die Botschaft des Stammapostels Bischoff (...) ist nicht die Ursache für die oben beschriebenen Probleme. (…) Die Verantwortlichkeit für die Entwicklung und Probleme sowie die daraus resultierenden Folgen der Neuapostolischen Kirche von 1938 bis 1955 tragen im Wesentlichen einige Apostel, deren Ausrichtung auf den Stammapostel und deren Zusammenarbeit mit ihm defizitär waren.“ Die GNK versuchte also zu belegen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: Nicht „Stammapostel“ Bischoff trug die Schuld an den Zerwürfnissen, sondern seine Kritiker, allen voran der geächtete Peter Kuhlen.
Angesichts einer solchen Interpretation konnte der Sturm der Entrüstung nicht lange auf sich warten lassen, und er fiel heftig aus: In den Internet-Foren der NAK-Kritiker und -Aussteiger überschlugen sich die wütenden Reaktionen, doch auch treue Kirchenmitglieder reagierten mit Fassungslosigkeit und Entsetzen. So hätten einige Mitglieder die Übertragungsräume, in denen der Informationsabend weltweit mitverfolgt werden konnte, vorzeitig verlassen, auch sei es zu Kirchenaustritten und Amtsniederlegungen gekommen. Der ehemalige niederländische „Apostel“ Gerrit J. Sepers,der sein Amt 2004 niedergelegt hatte, schrieb: „Ich schäme mich unendlich für dieses Verhalten der obersten neuapostolischen Kirchenleitung an diesem Abend. (...) Diese Kirche ist nicht mehr meine Kirche.“ Und selbst der stets um Fairness bemühte Helmut Obst stellte fest, dass „eine solche Urteilsbildung (...) sprachlos machen“ könne, und fragte: „Warum jetzt diese Studie mit dieser Rechtfertigung des umstrittenen neuapostolischen Stammapostels und seiner stammapostolischen Theokratie?“
Die eigene Geschichte aufarbeiten
Ganz offensichtlich rächte es sich jetzt, dass die GNK keine externen Historiker hinzugezogen hatte, die vielleicht zu einem ausgewogeneren Urteil beigetragen hätten, und dass – wie Sepers monierte – auch die einschlägige Literatur offenbar unberücksichtigt geblieben war. Auch auf die sicherlich sehr wertvolle Befragung von Zeitzeugen hatte man verzichtet. Erschrocken musste die Leitung der NAK um „Stammapostel“ Leber feststellen, dass mit dem missglückten Informationsabend ein immenser Flurschaden angerichtet worden war, der unter anderem dazu führte, dass der Rücktritt Draves vom Amt des Leiters der GNK gefordert wurde und die „Apostel“ und Bischöfe der VAG, jener durch den Ausschluss Kuhlens entstandenen Abspaltung von der NAK, ihren Dialog mit dieser für beendet erklärten. Einmal mehr setzte „Stammapostel“ Leber deshalb auf die Überzeugungskraft deutlicher Zeichen und traf sich mit dem Sohn Kuhlens zu einem Gespräch. Außerdem appellierte er an die VAG, die „Entscheidung zum Abbruch der gemeinsamen Gespräche zu überdenken. Ich versichere Ihnen, dass es uns tatsächlich darum geht, die Wahrheit, soweit überhaupt möglich, herauszufinden und uns ihr zu stellen. Eine Verweigerungshaltung hilft jetzt, wie ich meine, nicht weiter.“
Das Dilemma der NAK ist offenkundig: Wenn sie sich nicht deutlich von der Prophezeiung Bischoffs distanziert, wäre das für ihre Kritiker und die reformwilligen Kräfte innerhalb der Kirche der Beweis, dass sie zu Reformen nicht willens und/oder fähig ist – kommt es jedoch zu einer Distanzierung, besteht angesichts der jahrzehntelangen Rechtfertigung die Gefahr, dass die NAK nicht nur das bisher sakrosankte Amt des „Stammapostels“ diskreditiert, sondern auch jene, vor allem ältere Mitglieder desavouiert, die stets bereit waren, die Rechtfertigung Bischoffs gegen alle Kritik mitzutragen. „Stammapostel“ Leber weiß um diese unbequeme Lage seiner Kirche, dennoch sieht es so aus, als leite er eine behutsame Distanzierung von Bischoff ein: Im bereits erwähnten Interview mit „idea Spektrum“ meinte er auf die Frage „War es eine falsche Prophetie Bischoffs“, dass er kein „abschließendes Urteil fällen“ wolle. „Vielleicht hat Stammapostel Bischoff etwas falsch gedeutet, oder es wurden Bedingungen genannt, die wir nicht kennen.“ Darüber hinaus hat die Kirchenleitung begriffen, dass sie in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte und deren Vermittlung sorgfältiger vorgehen muss.
Im März 2008 schrieb Leber in der NAK-Zeitschrift „Unsere Familie“: „Wir sollten uns hüten, zu schnell und einseitig Schuldzuweisungen vorzunehmen. Und es ist immer nötig, miteinander zu reden. (...) Es ist mir ernst mit dem Willen zur Versöhnung.“ Die Kirche will jetzt auch externen Historikern anbieten, das von der GNK eingesehene Archivmaterial einzusehen und für eigene Forschungsprojekte auszuwerten. Ob dies ausreichen wird, ist allerdings fraglich, denn es wäre im Interesse der Glaubwürdigkeit des ganzen Aufarbeitungsprozesses dringend erforderlich, auch innerhalb der GNK Historiker beizuziehen, deren Blick nicht durch neuapostolische Scheuklappen behindert wird. Nun könnte man die Frage nach der Einordnung des „Stammapostels“ Bischoff und seiner Prophezeiung getrost der NAK oder religionsgeschichtlich interessierten Historikern überlassen, hätte das Ganze nicht auch eine ökumenische Dimension: Denn an der Frage, wie die Ära Bischoff bewertet wird, wird sich entscheiden, ob es der NAK möglich ist, ihre Überhöhung der „Stammapostel“ als „heilsnotwendige“ Institution und damit ihre Exklusivität aufzugeben, um sich als „ökumenefähig“ zu erweisen. Dass sie sich damit nach wie vor äußerst schwer tut, zeigte sich im April 2006 in Hamburg, als drei Diakone der Gemeinde Blankenese ihres Amtes enthoben wurden, weil sie es gewagt hatten, die Exklusivität der NAK in Frage zu stellen. Doch trotz solcher Rückschläge im Reformprozess sind die ökumenischen Gespräche inzwischen ein gutes Stück vorangekommen. 1999 hatte die NAK-Leitung eine Projektgruppe „Ökumene“ ins Leben gerufen, woraus sich Gespräche mit der ACK Baden-Württemberg sowie ein vergleichbarer Dialog in der Schweiz ergaben. Dieser Dialog mündete in eine von der ACK Baden-Württemberg herausgegebene „Orientierungshilfe“ (ack.drs.de/lila/NAK-ACK.pdf).
Wie weit kann die ökumenische Zusammenarbeit gehen?
Das Papier befasst sich mit ganz praktischen Fragen für das Gemeindeleben vor Ort, will also Kirchengemeinden helfen, der NAK in angemessener Weise zu begegnen. Zur Frage der gegenseitigen Taufanerkennung heißt es: „Die NAK anerkennt seit Anfang 2006 die in christlichen Kirchen gespendeten Taufen, vorausgesetzt, dass diese rite, d. h. im Namen des dreieinigen Gottes und mit Wasser vollzogen wurden. Eine zusätzliche Bestätigung der Taufe durch einen Apostel der NAK ist danach für die Gültigkeit nicht mehr erforderlich. Unverändert bleibt aus Sicht der NAK jedoch die Zuordnung der Taufe zum Sakrament der Heiligen Versiegelung. Danach ist die Taufe ,die erste und grundlegende Gnadenmitteilung des dreieinigen Gottes an den Menschen‘, sie führt in ,ein erstes Näheverhältnis zu Gott‘; erst gemeinsam mit der Heiligen Versiegelung bewirkt sie ,die Wiedergeburt aus Wasser und Geist‘ und damit die Gotteskindschaft. In vielen Mitgliedskirchen der ACK in Baden-Württemberg ist deshalb die Übernahme eines Patenamtes durch ein Mitglied der NAK nicht möglich. Umgekehrt anerkennen die meisten Mitgliedskirchen der ACK die Taufe der NAK, weil sie rite (...) vollzogen ist.“ Hinsichtlich gemeinsamer Veranstaltungen wird festgehalten, dass man zwar „die guten nachbarschaftlichen Beziehungen zum Ausdruck bringen, aber nicht den Eindruck eines ökumenischen Miteinander erwecken“ sollte, „auf das hin die Kirchen erst noch unterwegs sind.“
Daher sind „gemeinsame Gottesdienste und Segenshandlungen (...) von beiden Seiten her nicht möglich. Die NAK räumt aber inzwischen bei bestimmten Anlässen (z. B. Taufen, Trauungen, Trauerfeiern) die Möglichkeit ein, dass sich außerhalb der eigentlichen Segenshandlung ein Geistlicher/Pastor anderer Kirchen und christlichen Gemeinden beteiligt, und zwar in Form eines Gebetes, eines Grußwortes oder der Übermittlung von Segenswünschen. Wenn Gläubige einer ACK-Mitgliedskirche um diese Beteiligung bitten, um ihrer eigenen Kirchenzugehörigkeit Ausdruck zu geben, sollte dieser Bitte entsprochen werden. Wenn in vergleichbarer Weise Geistliche der NAK bei Gottesdiensten der ACK-Mitgliedskirchen mitwirken wollen, ist dies aus besonderen seelsorglichen Gründen am Ende oder außerhalb der liturgischen Handlung denkbar.“ Und zur Frage von Ehen zwischen Christen aus ACK-Mitgliedskirchen und neuapostolischen Christen wird festgehalten, dass diese „aus der Sicht der NAK ohne weiteres möglich“ sind, aber „der nicht-neuapostolische Partner bedenken“ sollte, „dass viele Mitglieder der NAK sehr intensiv in das Gemeindeleben ihrer Kirche eingebunden sind. Empfehlenswert ist es, schon zu Beginn der Ehe zu klären, in welchem Glauben die Kinder erzogen werden sollen. Das Brautpaar sollte im Vorfeld mit Seelsorgern beider Kirchen das Gespräch suchen.“
Die Orientierungshilfe sorgte vor und nach ihrer Veröffentlichung insbesondere auf ACK-Seite für Diskussionsstoff: Umstritten war, ob solch eine Handreichung zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt schon angebracht sei, könne sie doch suggerieren, dass alle strittigen Fragen zwischen den ACK-Mitgliedskirchen und der NAK bereits gelöst seien. Tatsächlich wird in dem Papier behauptet, dass es in der NAK „bemerkenswerte Lehränderungen etwa im Hinblick auf das (...) Amt des Stammapostels und die bis 2006 sehr exklusiv formulierte Heilslehre gegeben“ habe. Dies ist zumindest sehr wohlwollend formuliert, denn ob aus den Debatten innerhalb der NAK tatsächlich Lehränderungen resultieren, wird sich erst noch zeigen müssen, und nicht zuletzt der „Informationsabend“ vom 4. Dezember 2007 hat neue Zweifel daran geweckt, ob die NAK tatsächlich von der Heilsnotwendigkeit des Apostelamts Abstand nehmen kann.
Vor diesem Hintergrund sind viele evangelische und katholische Weltanschauungsbeauftragte auch nicht sehr glücklich darüber, dass die NAK in Memmingen und Aschaffenburg von der örtlichen ACK bereits den Gaststatus erhielt. Der Präsident der bayrischen Landes-ACK, Regionalbischof Hans-Martin Weiss, reagierte auf diesen Schritt „sehr skeptisch, weil die Neuapostolische Kirche (…) noch keinen substantiellen Schritt von einer Sekte hin zu einem Mitglied der weltweiten ökumenischen Gemeinschaft der Christen getan“ habe. Deshalb sei er auch „ein Gegner einer Gastmitgliedschaft der Neuapostolischen Kirche, wie er in den ACK Memmingen und ACK Aschaffenburg praktiziert wird. Die regionalen ACKs sind in dieser Frage jedoch autonom. Es gibt keine Struktur, die ein Eingreifen der Landes-ACK ermöglichen würde.“
Auch die ACK Deutschland schloss eine kurzfristige Aufnahme der NAK auf Bundesebene aus. Ihr Vorsitzender, Landesbischof Friedrich Weber, unterstrich, dass man zwar die weitere Entwicklung der NAK aufmerksam verfolgen wolle, momentan seien die Vorgänge innerhalb der Gemeinschaft jedoch sehr widersprüchlich. Diese Beobachtung ist sicher zutreffend, zumal die NAK kein monolithischer Block ist, in dem eine absolute „unité de doctrine“ herrscht. So gibt es NAK-Gemeinden und -Bezirke, denen es mit der Aufnahme in die ACK offenbar gar nicht schnell genug gehen kann, andere stehen dem Reformund Öffnungsprozess distanzierter, vielleicht auch desinteressierter und furchtsamer gegenüber. Deshalb bittet die NAK ihre Gesprächspartner in der ACK um Geduld, denn die Amtsträger und Gemeinden bräuchten Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Angesichts der zahllosen Spaltungen im Spektrum apostolischer Kirchen und Gemeinschaften ist die Führung der NAK sicherlich gut beraten, ihren Mitgliedern nicht zu viele Neuerungen auf einmal zuzumuten.
Allerdings könnte die Zeit des Lavierens auch schneller vorbei sein, als es der NAK lieb ist. Wie dem auch sei: Um eine eindeutige Positionierung in Sachen Exklusivität, Heilsnotwendigkeit und Beurteilung der eigenen Geschichte wird die NAK langfristig nicht herumkommen, dafür ist der Druck auf die Kirchenleitung von innen und außen, aber auch die Erwartungshaltung auf Seiten der anderen Kirchen bereits viel zu groß.