Am letzten Wochenende im Juli feierten Staat und Kirche in der Ukraine das 1020-jährige Jubiläum der „Taufe der Kiewer Rus“, des ersten Staatsgebildes auf dem Boden des späteren Russland. Im Jahr 988 hatte sich Großfürst Wladimir von oströmischen Missionaren taufen lassen, was nach damaliger Praxis die Christianisierung der gesamten Bevölkerung nach sich zog. Vor 20 Jahren gab es groß angelegte Feierlichkeiten zum tausendjährigen Jubiläum dieses Ereignisses. Damals bestand noch die Sowjetunion und hieß der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Michail Gorbatschow.Es gab noch keine selbstständige Ukraine und die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine war noch nicht offiziell wieder zugelassen. (vgl. HK, Juli 1988, 320ff.).
Inzwischen hat sich die kirchliche Landschaft in der Ukraine erheblich verändert. Zum einen hat die griechisch-katholische („unierte“) Kirche nach ihrer Wiederzulassung 1989 eine eindrucksvolle Wiedergeburt erlebt. Sie zählt vor allem in der Westukraine, im früher habsburgischen und dann polnischen Galizien, Millionen von Gläubigen. An ihrer Spitze steht Kardinal Lubomyr Husar (geb. 1933), der den Titel eines „Großerzbischofs von Kiew und Halitsch“ trägt und seinen Sitz inzwischen von Lemberg in die ukrainische Hauptstadt verlegt hat.
Das Jubiläum als Katalysator
Als Folge von Auseinandersetzungen nach der Entstehung einer unabhängigen Ukraine konkurrieren dort drei orthodoxe Kirchen miteinander. Da ist zum einen die dem Moskauer Patriarchat unterstehende „Ukrainisch-Orthodoxe Kirche“ unter Leitung von Metropolit Volodimir, zum anderen die „Ukrainisch–Orthodoxe Kirche – Kiewer Patriarchat“, geleitet von Patriarch Filaret, der früher zum Moskauer Patriarchat gehörte und von diesem exkommuniziert wurde. Dritte im Bunde ist die kleinste orthodoxe Gemeinschaft in der Ukraine, die „Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche“. Sie hat seit 2000 keinen Patriarchen mehr und wird derzeit von Metropolit Mefodij geleitet.
Seit Jahr und Tag gibt es Bestrebungen, diese Aufsplitterung durch Schaffung einer einzigen orthodoxen Kirche für die Ukraine zu überwinden. Kardinal Husar hatte vor Jahren seinerseits den Vorschlag lanciert, in diese ukrainische Kirche auch die griechisch-katholische Kirche, die ja die Liturgie ebenfalls im byzantinischen Ritus feiert, einzubeziehen (vgl. HK, Juli 2004, 330).
Die jetzigen Jubiläumsfeierlichkeiten Ende Juli boten allen Beteiligten die Gelegenheit zu Stellungnahmen zum Thema Kircheneinheit in der Ukraine und erwiesen sich als Katalysator für entsprechende Positionsbezüge. Beteiligt waren dabei nicht nur die Oberhäupter der Kirchen in der Ukraine, sondern auch der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko sowie vor allem Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel, seines Zeichen Ökumenischer Patriarch und Ehrenoberhaupt aller orthodoxen Kirchen, und Patriarch Alexij II. „von Moskau und ganz Russland“, dessen Kirche schon wegen ihrer Größe, aber auch wegen ihrer Verbindung zur Großmacht Russland, eine besondere Rolle innerhalb der Weltorthodoxie spielt. Der Ökumenische Patriarch war Berichten zu Folge Mitte Juni in Konstantinopel mit den Oberhäuptern der orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats und der Autokephalen Kirche zusammengetroffen. Vor seinem Besuch der Jubiläumsfeierlichkeiten in Kiew gab es Spekulationen in der ukrainischen Presse, Patriarch Bartholomaios könnte aus diesem Anlass die beiden nicht Moskau treuen Kirchen der Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats unterstellen.
Bei seiner Ankunft am 24. Juli auf dem Kiewer Flughafen wurde Bartholomaios vom ukrainischen Präsidenten empfangen. Bei den Jubiläumsfeierlichkeiten gab Viktor Juschtschenko der Hoffnung auf eine geeinte ukrainische Kirche Ausdruck: „Ich vertraue darauf, dass die Spaltungen zwischen den ukrainischen Gläubigen nicht von Dauer sein werden. Ich vertraue darauf, dass als Gottes Geschenk eine nationale Ortskirche in der Ukraine entstehen wird.“ In seiner Predigt beim Festgottesdienst am 27. Juli auf dem Kiewer Wladimirs-Hügel, dem er zusammen mit dem Patriarchen von Moskau vorstand, erinnerte der Ökumenische Patriarch an die jahrhundertelange Bindung der Kiewer Metropolie an Konstantinopel und nannte es eine dringende Aufgabe, die gegenwärtigen kirchlichen Trennungen in der Ukraine zu überwinden: „Die Mutterkirche von Konstantinopel leidet mit der hochgeschätzten Tochterkirche der Ukraine angesichts der gefährlichen Spaltungen in ihrem kirchlichen Leib und bemüht sich, als wäre es ihr eigener Leib, um die schnelle und volle Wiederherstellung der gewünschten und Gott gefälligen Einheit.“
Für einen Dialog aller Beteiligten
Kurz vor den Jubiläumsfeierlichkeiten hatte im Kiewer Höhlenkloster die Synode der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats getagt. Dabei hat sie auf Botschaften der Kirche des Kiewer Patriarchats wie der Autokephalen Kirche reagiert. In ihrer Antwort an die Adresse der Kirche des Kiewer Patriarchats bezeichnete sie das innerorthodoxe Schisma in der Ukraine als schmerzliche Tragödie. Man sei sich der Notwendigkeit bewusst, die Trennungen so bald als möglich zu überwinden und setze dabei auf Dialog und Kooperation aller Betroffenen.
Dieser Dialog müsse aber in Übereinstimmung mit den kanonischen Normen erfolgen, die für die gesamte orthodoxe Kirche gültig seien. Das Bestehen eines unabhängigen ukrainischen Staates sei kein zwingender Grund für die Schaffung einer unabhängigen Kirche. Die ukrainische Kirche des Moskauer Patriarchats habe einen Status, der mit dem einer autokephalen Kirche faktisch identisch sei und bewahre gleichzeitig die geistliche Verbindung mit der Russischen Orthodoxen Kirche. Ähnlich argumentiert die Kirche des Moskauer Patriarchats auch in ihrer Antwort auf eine entsprechende Erklärung der Autokephalen Ukrainischen Kirche. Auch hier heißt es, man sei bereit zum weiteren Dialog über die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit in der Ukraine.
Die Kirche des Kiewer Patriarchats wiederum reagierte positiv auf die Stellungnahme der mit Moskau verbundenen Kirche in der Ukraine. Diese Erklärung sei Ergebnis eines Kompromisses innerhalb der „Moskauer“ Kirche; deren Haltung habe sich verändert, sie sei pragmatischer geworden und entspreche besser der gegenwärtigen Situation. Man verstehe, dass die Führung der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats heute zwischen zwei Fronten stehe, den Pressionen aus Moskau einerseits und der Rücksicht auf die Realität in der Ukraine andererseits. Man hoffe, dass der Kontakt zwischen den beiden Kirchenleitungen weiter gehe. Nach einer im Zusammenhang mit dem Jubiläum veröffentlichten Umfrage betrachten 32,6 Prozent der Ukrainer die Kirche des Kiewer Patriarchats als historischen und rechtmäßigen Nachfolger der vor 1020 Jahren in der Kiewer Rus entstandenen orthodoxen Kirche, 15,6 Prozent die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (ein Drittel wollte sich dagegen nicht festlegen).
Der einzige „legitime Erbe“
Zu diesen insgesamt hoffnungsvollen Signalen aus den jurisdiktionell getrennten orthodoxen Kirchen der Ukraine passt auch das Ergebnis eines Gesprächs der Patriarchen von Konstantinopel und Moskau, das anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten in Kiew stattfand. Bartholomaios und Alexij waren sich darin einig, dass alle Kontroversen zwischen ihren Kirchen durch Diskussion und Dialog gelöst werden müssten. Die beiden Patriarchen verständigten sich bei der 50-minütigen Unterredung darüber, an der Verbesserung der Beziehungen zwischen ihren Kirchen zu arbeiten; man sei gemeinsam verantwortlich für die „Einheit der Orthodoxie und das gemeinsame orthodoxe Zeugnis gegenüber der Welt“.
Die Synode der ukrainischen Kirche des Moskauer Patriarchats reagierte bei ihrer Tagung Mitte Juli auch auf die Vorschläge von Kardinal Husar, Großerzbischof der griechisch-katholischen Kirche, die ukrainischen Kirchen, die sich auf die Taufe Wladimirs beriefen, zusammenzuführen. Man müsse zwischen der Frage der orthodox-katholischen Einheit einerseits und der Wiederherstellung der Einheit von Orthodoxen und Orthodoxen sowie mit den Katholiken des byzantinischen Ritus in der Ukraine andererseits unterscheiden. Husars Vorschlag für die Einheit zwischen Katholiken und Orthodoxen liefen aus das Modell der „Union“ hinaus, dem der offizielle katholisch-orthodoxe Dialog eine Absage erteilt habe. Aufgrund ihrer Einheit mit der katholischen Kirche unter dem Papst habe die griechisch-katholische Kirche der Ukraine nicht die Möglichkeit, rechtliche oder liturgische Einheitsvorstellungen vorzuschlagen, die den Normen der katholischen Kirche widersprechen würden. Die Erklärung der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats spricht sich allerdings für den Vorschlag aus, einen Rat aller Kirchen zu schaffen, die sich auf die Taufe Wladimirs berufen und betrachtet es als gutes Zeichen, dass die griechisch-katholische Kirche sich diese Initiative zu eigen mache. Eine solche Struktur könne zum Ort einer fruchtbaren Zusammenarbeit der beiden Kirchen werden. Direkter und unmittelbarer Erbe der Taufe Wladimirs sei allerdings nur die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats in der Ukraine. Alle anderen orthodoxen Kirchen, ebenso die griechisch-katholische, seien nur indirekte Erben.