Religion und Kirche in Ungarn im Spiegel einer neuen UntersuchungDurchwachsene Bilanz

Ungarn macht derzeit vor allem wegen der Auseinandersetzungen um die ungarische Minderheit in der Slowakei von sich reden. Das Land wurde voll von der Wirtschafts- und Finanzkrise erfasst und ist politisch alles andere als stabil. Die Kirchen genießen, so eine neue Untersuchung, in der Gesellschaft durchaus einiges Ansehen, haben aber mit etlichen hausgemachten Problemen zu kämpfen.

Am 23. August dieses Jahres feierte die Diözese Pécs (Fünfkirchen) in Südungarn ihr tausendjähriges Bestehen. Es ist das einzige Bistum in Ungarn, dessen Gründungsdatum auf den Tag genau bekannt ist: laut später angefertigten Abschriften soll der erste ungarische König, der Heilige Stephan, am 23. August 1009 in der Burg von Györ (Raab) die Gründungsurkunde in Anwesenheit des päpstlichen Legaten unterschrieben und gleichzeitig die Grenzen des Bistums festgelegt haben. Als ersten Bischof setzte er Bonipert ein. Seine Herkunft ist unbekannt, man weiß von ihm aber, dass er Bischof Fulbert von Chartres um Bücher für Latein gebeten hat. Boniperts Nachfolger war der Benediktinerabt von Pannonhalma, der Heilige Mór (1036–1075), nach dem heute die in den letzten Jahren in die Schlagzeilen geratene Diözesanschule in Fünfkirchen benannt ist. Er war gleichzeitig der erste lateinisch schreibende Autor in Ungarn.

Im 13. Jahrhundert wirkte der damalige Diözesanbischof bei der Gründung des einzigen ungarischen Mönchsordens, der Pauliner, mit. Vor der Türkenzeit waren in der Stadt bereits drei Bettelorden ansässig: die Franziskaner, die Dominikaner und die Karmeliter. Im 14. Jahrhundert wurde in Fünfkirchen die erste ungarische Universität gegründet. Unter den Bischöfen der folgenden Jahrhunderte finden sich große Humanisten, vor allem Janus Pannonius, und Mäzene der Künste und Wissenschaften wie György Szatmári und György Klimo. Letzterer richtete im 18. Jahrhundert in Fünfkirchen eine öffentliche Bibliothek ein und gründete eine Druckerei sowie ein Planetarium. Andere waren Diplomaten und Politiker, zwei starben auf dem Schlachtfeld: Henrik von Alben 1444 bei Várna und Móré Fülöp 1526 bei Mohács.

Die Niederlage von Mohács eröffnete eine 150-jährige osmanische Herrschaft in Ungarn. In dieser Zeit besuchte kein Bischof die Stadt, selbst Priester wurden vertrieben, verschleppt oder ermordet. Das Glaubensleben wurde durch Laienseelsorger, den so genannten Lizenziaten, gewährleistet. Dies war der Höhepunkt des Laienapostolats – spottet man heutzutage – in der tausendjährigen Geschichte des ungarischen Christentums.

Ist das Christentum in Ungarn auf dem Weg in die Marginalität?

Nach der osmanischen Herrschaft gab es nur eine einzige brauchbare Kirche in Fünfkirchen, auch auf dem Lande wurden die meisten Kirchen zerstört, in Moscheen umgebaut oder von den Protestanten übernommen. Die Herrschaft der Habsburger und damit die Gegenreformation führten zu einem Erstarken der katholischen Kirche. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Kathedrale gänzlich umgebaut und erhielt ihre heutige prächtige Form mit den vier Türmen. Anfang des 20. Jahrhunderts gelang es Bischof Zichy, die Universität von Pozsony (Bratislava) wieder nach Fünfkirchen zu verlegen.

Während des Zweiten Weltkrieges setzte sich Bischof Virág für die verfolgten Juden ein und initiierte eine antifaschistische Bewegung. József Cserháti hatte die geschrumpfte Diözese – der südliche Teil ging an die kroatische Diözese Djakovo über – in der schwierigen Zeit des Sozialismus zu leiten. Er war ein raffinierter Diplomat, verstand sich mit den kommunistischen Machthabern, ohne ihnen unterwürfig zu sein, gleichzeitig war er Befürworter und Vorkämpfer einer vorsichtigen konziliaren Erneuerung. Sein noch amtierender Nachfolger, Mihály Mayer, wurde kurz vor der Wende ernannt.

Tausend Jahre – eine „lange, imposante historische Epoche, in der sich gute und schlechte, fruchtbare und schwierige Zeiten wechselten“, wie dies der päpstliche Legat bei den Millenniumsfeierlichkeiten, Kardinal Christoph Schönborn, der Erzbischof von Wien, in seiner Festpredigt sagte. Was zu feiern gelte, sei die Treue Christi, der versprochen habe, jeden Tag bis zum Ende der Welt bei uns zu bleiben. Die Treue Christi aber könne uns von der Frage nicht abhalten, was das Bistum Fünfkirchen, was Ungarn aus ihrer Taufe gemacht hätten, führte er mit Anspielung auf die Formulierung von Johannes PaulII. anlässlich seines Pastoralbesuchs in Frankreich 1980 weiter aus. „Was ist aus dem christlichen Ungarn geworden? Was ist aus Europa geworden? Haben sie sich von ihren christlichen Wurzeln nicht längst entfernt? Ist Ungarn, wie auch ganz Europa, nicht Opfer der postkommunistischen und postkapitalistischen Säkularisation, die von der Idee eines christlichen Europa kaum etwas übriglässt? Ist das Christentum in Ungarn und in Europa nicht auf dem besten Weg in die Marginalität?“

Rund 60 Prozent der ungarischen Bevölkerung gehören der katholischen, 18 Prozent der reformierten und etwa drei Prozent der evangelisch-lutherischen Konfession an. Der Großteil von ihnen gibt an, auch der jeweiligen Kirche anzugehören, was in Ungarn keine unmittelbaren Folgen etwa in Form von Kirchensteuer hat. Diese wird nämlich auf zweifache Weise entrichtet: zum einen kann jeder Steuerzahler ein Prozent seiner persönlichen Einkommenssteuer einer Kirche oder Religionsgemeinschaft zuweisen (eine Art Kultursteuer), außerdem kann jede Pfarrei einen jährlichen Betrag für die auf ihrem Territorium wohnenden Gläubigen festsetzen.

Die erste Möglichkeit ist in der Vereinbarung mit dem Vatikan vorgesehen und wurde später auch auf andere Religionsgemeinschaften ausgedehnt, ist aber anonym. Somit können die Kirchen nicht feststellen, wer ihnen diese Steuer überwiesen hat und wer nicht. In der Tat machen nur etwa 15 Prozent der Steuerzahler von dieser Möglichkeit Gebrauch, aber der Staat kommt praktisch für den ganzen Fehlbetrag auf, womit der Sinn der ganzen Regelung in Frage gestellt wird. Die zweite Variante ist nicht überall eingeführt und gibt vor allem dem Gemeindepfarrer ein Mittel in die Hand: er kann sakramentale Handlungen (Taufe, Eheschließung, Begräbnis) verweigern, wenn seine Schäflein mit der zweiten Kirchensteuer im Rückstand sind. Die Mehrheit von denen, die sich zur Kirchenmitgliedschaft bekennen, ist „auf ihrer eigene Art religiös“, etwa ein Viertel „gemäß der Lehre der Kirche“, aber selbst von denen besucht nur die Hälfte regelmäßig die Gottesdienste.

Gründe für den Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche

Diese Zahlen sind ähnlich wie in vielen Ländern Europas und können die Marginalitätsthese des Wiener Kardinals auch für Ungarn stützen. Laut einer im letzten Jahr durchgeführten repräsentativen Untersuchung (Márta Korpics/János Wildmann, Vallások és egyházak az egyesült Európában. Magyarország / Religionen und Kirchen im gemeinsamen Europa, Pécs 2009) stimmt mehr als ein Drittel der Ungarn voll und ein weiteres Viertel teilweise der Aussage zu, dass sich ihr Land und Europa in einer Glaubenskrise befinden. Eine Kirchenkrise können etwas weniger Menschen erkennen, vor allem solche, die nicht religiös sind.

Den Befragten, die die Kirchenkrise bejaht haben, wurde eine Liste von möglichen Ursachen vorgelegt. In der gesamten Stichprobe rangiert an erster Stelle – wie bei Kardinal Schönborn – die nicht näher bestimmte säkularisierte Lebensweise, allerdings dicht gefolgt vom Glaubwürdigkeitsverlust der Kirchen, wovon der päpstliche Legat in Fünfkirchen nicht sprach. Die Kluft zwischen Priestern und Laien, langweilige Zeremonien oder eine unsichere Lehre scheinen dabei nur untergeordnete Rollen zu spielen.

Das Bild ist allerdings differenzierter, wenn wir die Kirchenmitgliedschaft in Betracht ziehen: für Kirchenmitglieder bleibt die Säkularisation die wichtigste Ursache für die Kirchenkrise, der Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche liegt mit Abstand an zweiter Stelle. Für Nicht-Kirchenmitglieder ist es genau umgekehrt. Noch krassere Unterschiede gibt es nach den Kategorien der Religiosität: während nur 15 Prozent der im kirchlichen Sinne religiösen Befragten die langweiligen Zeremonien für die angebliche Kirchenkrise mitverantwortlich machen, ist dieser Anteil bei den Nicht-Religiösen fast viermal so groß; den Glaubwürdigkeitsverlust macht nur ein gutes Viertel der Kirchlich-Religiösen, aber über drei Viertel der Nicht-Religiösen für die vermeintliche Kirchenkrise mitverantwortlich.

Der Glaubwürdigkeit der Kirche schaden am meisten Skandale um Priester, war in einem weiteren Block der Untersuchung zu erfahren. Weit weniger wurden als Belastungen für die Kirche ihre Sexuallehre, die nicht zeitgemäße Verkündigung oder gewisse päpstliche Äußerungen genannt. Diese Rangfolge gilt sowohl für Kirchenmitglieder als auch für Nicht-Kirchenmitglieder, für religiöse und nicht religiöse Personen, wobei die Nicht-Kirchenmitglieder und Nicht-Religiösen im Allgemeinen mehr Anstoß am unnötigen Kirchengepäck nehmen als die Nahestehenden.

Es ist natürlich schwierig zu sagen, ob die ferner Stehenden die Kirchen nur kritisieren, oder aber ob sie sich von ihr entfernt haben, weil sie an ihr Anstoß genommen haben. Bischöfe und Priester in Ungarn betonen oft nur das Erstere. „Auf die Kirche wurde immer geschimpft, auch heute schimpft man auf sie, weil sie eine andere Welt verkündet, als die menschlichen Instinkte verlangen, als dem Menschen angenehm ist“, sagte der ehemalige Bischof von Szeged, Endre Gyulay, in einem Interview.

In Wahrheit aber kann die ungarische Gesellschaft kaum als kirchenfeindlich betrachtet werden. Negative Aussagen zu den Kirchen, wie: „sie suchen vor allem ihren eigenen Nutzen“, „legen Wert auf Pomp und Äußerlichkeiten“, seien „weltfremd“ oder „rückständig“ fanden nur bei einem Fünftel der befragten Personen uneingeschränkte Zustimmung. Die Hälfte der Befragten lehnte solche Behauptungen kategorisch ab. Mehr bemängelt wurde die Kommunikation der Kirchen, weil sie die Gesellschaft eher belehren als mit ihr in Dialog treten; aber eine knappe Mehrheit war immerhin mindestens teilweise davon überzeugt, dass die Kirchen die Menschen mehr oder weniger erreichen. Auch bei diesen Themen gibt es selbstverständlich deutliche Unterschiede in den Beurteilungen von Kirchenmitgliedern und Nicht-Kirchenmitgliedern, Kirchlich-Religiösen und Nicht-Religiösen.

Die Kirche in der Gesellschaft

Mehr Zustimmung finden positive Aussagen. Dass die Kirchen in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielten, bejahen über fünfzig Prozent der Befragten gänzlich und zusätzlich dreißig Prozent teilweise. Selbst ein Drittel der Nicht-Kirchenmitglieder ist mit dieser Aussage ganz und ein weiteres Drittel teilweise einverstanden. Noch mehr Anerkennung wird den Kirchen gezollt, wenn konkrete positive „Funktionen“ erwähnt werden. So sind zum Beispiel drei Viertel der interviewten Personen der Ansicht, dass die Kirchen vielen Menschen eine geistige Stütze bieten oder zur Gottes- und Menschenliebe erziehen.

Ein weiteres Fünftel stimmt diesen Aussagen immerhin noch teilweise zu. Die Mehrheit sieht in den Kirchen mindestens zum Teil den Anwalt der Armen und Unterdrückten und ist sogar davon überzeugt, dass sie den Menschen die Wahrheit lehren. Nur die Kirchenfernen und gar nicht Religiösen beurteilen die Kirche als Vermittlerin der Wahrheit ganz anders. Weitgehend anerkannt werden – soweit überhaupt bekannt – überdurchschnittliche Leistungen kirchlicher Institutionen wie Schulen, soziale und medizinische Einrichtungen.

Die ungarische Gesellschaft sei keine feindliche, sondern eine „lebendige und atmende“, wie ein Theologe es im Interview formulierte. Sie sei „weder Freund noch Feind, sondern ist uns die Nächste, sicherlich nicht die Fernste. Die Nächste in der Weise, dass sie die Fähigkeit bewahrt hat, einem gut formulierten Wort und vor allem einer kräftigen Sprache ihr Ohr zu schenken und zuzuhören. Nicht einem aggressiven Wort, sondern einem, das sich mit der Kraft des Geistes hörbar macht, das nicht unbedingt eine hitzige Rede ist; es kann auch ein kluges Reden sein. Gleichzeitig entsteht natürlich bei zahlreichen Mitgliedern oder in einer Hälfte der Seele vieler Mitglieder auch die Möglichkeit, dass sie dem widerstehen oder anders denken, oder dass ihre Aufmerksamkeit ganz einfach nachlässt, so oft, wie unsere Gegebenheiten ein unterschiedliches Verhältnis zu Nachrichten überhaupt möglich machen.“

Bis vor einem Jahr waren die Themen der sozialistischen Vergangenheit, der Kirchenfinanzierung und des Verhältnisses der Kirchen zur Politik in den Medien ständig auf der Tagesordnung. Die Finanz- und Wirtschaftskrise aber drängten sie in den Hintergrund. Vor zwei Jahren wurde im Internet eine Namensliste derer veröffentlicht, die angeblich Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes gewesen sein sollen. Darunter fanden sich mehrere Bischöfe, unter ihnen auch Mihály Mayer, der Bischof von Fünfkirchen. Sie dementierten energisch, aber eine offizielle Durchleuchtung ließen die meisten nicht zu.

Staatliche Finanzierung kirchlicher Einrichtungen

Die Ungarische Bischofskonferenz setzte daraufhin eine Kommission unter der Leitung des Benediktiners Asztrik Várszegi, Erzabt von Pannonhalma, ein, die die sozialistische Vergangenheit der katholischen Kirche aufarbeiten soll. Ein Regisseurpaar widmete sich der Frage und drehte unter aktiver Mithilfe von Várszegi einen Film, dessen verkürzte Version in einem Kino, später auch im Fernsehen gezeigt wurde. Darin sind viele Bischöfe und Priester als Denunzianten der ehemaligen kommunistischen Machthaber entlarvt worden. Die Leiter des Päpstlichen Ungarischen Instituts in Rom sind ausnahmslos Informanten des ungarischen Geheimdienstes gewesen. Über den letzten Leiter des Instituts, Erzbischof Csaba Ternyák, der dieses Amt noch vor der Wende antrat, später Sekretär der Kleruskongregation und kürzlich Erzbischof von Eger (Nordungarn) wurde, schweigt sich der Film aus.

Ein weiteres Thema, das bis vor einem Jahr in den Medien oft behandelt wurde, ist die Kirchenfinanzierung. Sie beinhaltet außer den erwähnten zwei Formen der Kirchensteuer vor allem die staatliche Finanzierung kirchlicher Einrichtungen. Gemäß der Vereinbarung mit dem Vatikan ist die ungarische Regierung verpflichtet, die katholischen Institutionen im Bildungs- und Sozialbereich sowie im Gesundheitswesen genauso zu finanzieren wie die staatlichen. Ähnliche Regelungen gelten auch für andere Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Die nächste Streitfrage zeichnet sich bereits ab

Die staatliche Finanzierung ihrer Anstalten war für die Kirchen unter jeder Regierung von höchster Priorität und das Ausmaß ihrer Zufriedenheit ein Gradmesser der Beziehung von Kirche und Staat. Rechtsbürgerliche Regierungen waren dabei großzügiger als sozialistisch-liberale, die hie und da sogar versuchten, den Kirchen diese oder jene Unterstützung zu verweigern. Die nächste Streitfrage zeichnet sich bereits ab: im Budget für das nächste Jahr ist die Finanzierung des Religionsunterrichtes nicht mehr vorgesehen, sie fiel wahrscheinlich in der Zeit der Wirtschaftskrise dem strengen Sparkurs der Regierung Bajnai zu Opfer. Allerdings ist diese Frage in der Vereinbarung mit dem Vatikan nicht geregelt. Eben aus diesem Grund gewährte die Regierung Horn den Kirchen nach der Unterzeichnung der Vereinbarung diese Gelder nicht mehr, aber das Kabinett von Ministerpräsident Viktor Orbán führte sie wieder ein.

Laut unseren Umfragergebnissen ist die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung mit der staatlichen Finanzierung der Kirchen einverstanden. Allerdings wird nicht deutlich, ob diese Zustimmung nur für die erwähnte Aufgabenfinanzierung gilt oder ob auch die staatliche Ergänzung der Kirchensteuer mitgemeint ist. Die Mehrheit der Nicht-Kirchenmitglieder und Nicht-Religiösen lehnt die Kirchenfinanzierung massiv ab, aber sie sind insgesamt in der Minderheit. Etwas kritischer waren die Befragten, als es um die Beziehung von Kirche und Politik ging.

Die Hälfte der befragten Personen war mindestens teilweise der Meinung, dass die Kirche aus jeder politischen Konstellation Nutzen ziehen wolle. Überraschenderweise dachten weniger, dass umgekehrt auch die Politik die Kirchen instrumentalisiere und wenn, dann sollen dies eher rechte als sozialistisch-liberale Regierungen getan haben. Dieses Resultat ist umso bemerkenswerter, als sich letztere in der übergroßen Mehrheit der Gesellschaft nach der sogenannten „Lügenrede“ des sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány gänzlich diskreditiert haben. Selbst Kirchenmitglieder erkannten Instrumentalisierungsversuche eher von rechter als von links-liberaler Seite.

Einzig die Gruppe der kirchlich-religiösen Personen war den sozialistisch-liberalen Regierungen gegenüber kritischer eingestellt als der politischen Rechten. Dies deutet auf eine massive Verknüpfung von Religiosität und politischer Sympathie bei kirchlich-religiösen Menschen hin (ähnlich wie bei Personen auf der untersten Bildungsstufe).

Mit dem letzten Satz wird auch ein weiteres Problem der ungarischen katholischen Kirche angedeutet: die mangelnde theologische und gesellschaftliche Bildung von Klerikern und Laien. Es ist noch verständlich – aber keineswegs zufriedenstellend – dass sechzig Prozent der befragen Christen vom Zweiten Vatikanischen Konzil nichts wissen. Schließlich sind sie nicht unbedingt Kirchgänger; aber selbst richtungweisende theologische Begriffe werden vom Klerus missverstanden, wenn nicht sogar missbraucht.

Der bereits zitierte Theologe erwähnt als Beispiel den Begriff des wandernden Volkes Gottes, der immer wieder im Munde geführt wird, weil er wohlklingend ist: „Aber eine Kirche, die immer wieder zu den eigenen geschichtlichen Vorbildern zurückkehrt, gerät in ihrer Selbstdefinition in den Sog eines Kreislaufes, der sich beispielhaft als gegensätzlich erweist zum Unsicherheitsfaktor des Wanderns, zu seiner Richtung nach vorn, zum weiten Horizont, zur Bereitschaft zur Begegnung mit dem Unbekannten und zum Grundtrieb zur Offenheit für das Anderssein, das ohne Zweifel denjenigen kennzeichnet, der unbekannte Pfade beschreitet“.

Im Katholizismus des frühen 20. Jahrhunderts stecken geblieben

Es ist kein Wunder, wenn laut den Umfragergebnissen die Menschen von Papstreisen und von einer starken, autoritären Kirchenführung mehr Nutzen für die Kirchen erhoffen als von der möglichen Einbeziehung der Laien, ja der Frauen in das Leben der Kirche, geschweige denn von den spirituellen Bewegungen. Es versteht sich von selbst, dass sowohl die Papstreisen als auch die starke Kirchenführung am meisten von Katholiken gewünscht werden. Nach der bekannten ungarischen Philosophin Agnes Heller ist der ungarische Katholizismus „unglaublich tief im 19. Jahrhundert steckengeblieben. Der ungarische Episkopat, die ungarische Hierarchie ist festgefahren im Katholizismus des Anfangs vom 20. Jahrhundert. Also, sie hat das nicht durchgemacht, was die katholische Kirche in den meisten Ländern durchgemacht hat. Sie ist zurückgeblieben. Nun, man kann das mit dem Kommunismus erklären, unter dem jede Kirche eingefroren wurde wie Dornröschen. Sie sind aus ihrem 50-jährigen Schlaf erwacht und haben dort weitergemacht, wo sie aufgehört haben, weil sie während der 50 Jahre nichts dazugelernt haben“.

Was hat wohl Kardinal Schönborn bei den Millenniumsfeierlichkeiten gedacht, als er darüber sprach, dass die Kirche Ungarns aus der Wende 1989 schwach, gedemütigt, verspottet, verarmt, unsicher und müde herauskam? Dachte er nur an die einstigen Bedrängnisse von außen, etwa durch die kommunistischen Machthaber oder durch die Herausforderungen der modernen Welt? Oder dachte er auch an die hausgemachten Probleme, die die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht zuletzt in Fünfkirchen untergraben? Stand er nur der feierlichen Eucharistiefeier vor oder hatte er einen besonderen Auftrag? Impulse zur theologischen und innerkirchlichen Erneuerung haben die Christen in Fünfkirchen von ihm kaum erwartet, zumal sie in solchen Angelegenheiten wahrscheinlich weniger aufgeschlossen sind als der päpstliche Legat.

Viele haben aber darauf gehofft, dass er mit Rückendeckung des Papstes die offensichtlichen Missstände im tausendjährigen ungarischen Bistum wenn auch nicht öffentlich, aber gegenüber der Diözesanleitung und den anwesenden Bischöfen zur Sprache bringen, vielleicht sogar dafür faire Lösungsvorschläge präsentieren würde. Denn in den letzten Jahren kamen Vorkommnisse ans Tageslicht, die der Kirche enorme Schäden zugefügt haben. Die Liste der angeblichen Delikte reicht von dubiosen wirtschaftlichen Geschäften über Einbehaltung von Löhnen, Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung bis hin zur Urkundenfälschung in der Diözesanleitung. Sogar die Polizei hat sich kürzlich wiederholt eingeschaltet, aber die Untersuchung wurde aus unbekannten Gründen eingestellt.

Vor zwei bis drei Jahren protestierten Hunderte von Eltern und Lehrern vor dem Bischofspalast wegen der Entlassung der Direktorin der nach dem Heiligen Mór benannten Diözesanschule, die die Missstände der Diözesanleitung beim Namen nannte. Andere sandten Briefe nach Rom, aber außer dass der damalige Sekretär der Kleruskongregation, Erzbischof Ternyák, die Bistumsleitung über die eingereichten Klagen und deren Verfasser eilends informierte, geschah nichts. „Alles wird unter den Teppich gekehrt“, teilte ein hoher kirchlicher Vertreter bei den Millenniumsfeierlichkeiten vertraulich mit. Aber eben dies wollen die Gläubigen in Fünfkirchen nicht hoffen.

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