Das italienische Kloster Bose als ökumenisches HoffnungszeichenEine einzigartige Gemeinschaft

Im Jahr 1956 gründete Enzo Bianchi im norditalienischen Bose eine monastische Gemeinschaft mit einem einzigartigen Profil. Bose, eine Gemeinschaft von Frauen und Männern, ist in hohem Maß ökumenisch ausgerichtet und pflegt Gottesdienst und Gebet in einer eindrucksvollen Art. Nicht zuletzt durch Kongresse ist Bose ein  Ort des ökumenischen Dialogs.

Wenn man per Auto oder Bahn durch das Aosta-Tal Richtung Italien fährt, gelangt man zur Stadt Ivrea. Dort, am Beginn der Poebene, befindet sich die Serra, ein aus Moränen gebildetes Mittelgebirge mit ausgedehnten Kastanienwäldern. Etwas versteckt darin liegt der Ort Magnano, zu dem das ehemalige Bauerndorf Bose gehört, das der dort angesiedelten monastischen Gemeinschaft ihren Namen gibt.

Trotz der abgeschiedenen Lage strömen im Lauf eines Jahres Tausende von Menschen dorthin, als Tagesbesucher, Mitglieder von Exerzitiengruppen, zu Tagungen oder stillen Einkehrtagen. Enzo Bianchi, Gründer und Prior des zur benediktinischen Gemeinschaft gehörenden Klosters, ist einer der fruchtbarsten und bekanntesten geistlichen Autoren in Italien und ein gefragter Ratgeber, dessen Wort bis in die höchsten Ebenen von Kirche und Gesellschaft Gewicht hat.

Man könnte das Phänomen Bose in die Reihe anderer geistlicher Gemeinschaften und Bewegungen Italiens stellen – so finden sich manche Parallelen mit der Kommunität Sant’ Egidio – doch ist Bose in vieler Hinsicht einzigartig. In dem regelmäßig erscheinenden „Brief an die Freunde“ definiert sich die Klostergemeinschaft folgendermaßen: „Bose ist eine monastische Kommunität von Männern und Frauen, die aus verschiedenen christlichen Kirchen stammen. Eine monastische Kommunität auf der Suche nach Gott im Zölibat, in der geschwisterlichen Liebe und im Gehorsam gegenüber dem Evangelium. Eine monastische Kommunität bereit für die Begleitung der Menschen und zu ihrem Dienst.“

Das Mitteilungsblatt wie auch der hauseigene Verlag tragen den Namen Qiqajon, die hebräische Bezeichnung für den Baum, den Gott dem Propheten Jona zuwachsen ließ, um ihm einen Augenblick der Freude und Erfrischung zu schenken. Dies ist für die Frauen und Männer von Bose ein Programm. Sie stellen sich damit in die älteste Tradition des östlichen und westlichen Mönchtums.

Aus dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils

Als Gründungsdatum des monastischen Lebens in Bose wird der 8. Dezember 1965 angegeben, der Tag des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils. Bereits vor Jahrhunderten gab es dort benediktinisches Mönchtum, von dem die zur damaligen Zeit noch ruinöse Kirche San Secondo in der Nähe des jetzigen Klosters Zeugnis gibt. Enzo Bianchi, Jahrgang 1943, ließ sich an diesem Tag in dem verlassenen Dorf nieder, um ein monastisches Leben zunächst in Einsamkeit zu beginnen. Zuvor hatte er in Turin Wirtschaftswissenschaften studiert, wobei er sich von Anfang an im politischen wie im religiösen Bereich stark engagierte. Es war die Zeit der beginnenden Studentenbewegung und des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Schon zu Studienzeiten formierte sich um Bianchi eine Gruppe von Studentinnen und Studenten unterschiedlicher Konfessionen, die sich unter anderem an der reformierten Gemeinschaft in Taizé orientierte, zugleich aber auch Kontakte zur Orthodoxie knüpfte. Der Weg vom jugendlichen Enthusiasmus der Aufbruchszeit bis zur stabilen Gemeinschaft in Bose war allerdings lang und beschwerlich. 1968 bildete sich eine erste kleine Gemeinschaft aus Männern und Frauen, 1973 wurden die ersten Gelübde von sieben Mitgliedern der Gemeinschaft abgelegt.

Die beiden Besonderheiten der Gemeinschaft – vita communis von Männern und Frauen sowie ökumenische Offenheit – stießen anfangs keineswegs auf Gegenliebe seitens der örtlichen kirchlichen Autoritäten insbesondere des zuständigen Bistums Biella, trotz der Förderung durch den Turiner Kardinal Michele Pellegrino. Erst nach und nach normalisierte sich das Verhältnis; heute bildet Bose als Zentrum religiöser und spiritueller Bildung einen wichtigen Bestandteil der Ortskirchen im Piemont. Die ortskirchliche Anbindung ist für das Selbstverständnis der Gemeinschaft wesentlich, daher strebte man auch keinen unabhängigen kirchlichen Status in der Art der klassischen Benediktinerabteien an.

Zu Beginn der siebziger Jahre verfasste die Kommunität eine Regel, in der die wichtigsten Orientierungspunkte festgehalten wurden, ohne dass man alles bis ins Kleinste festlegen wollte. So unterscheidet sich die Gemeinschaft von Bose etwa von den Benediktinerabteien in der Stellung des Vorstehers. Dieser ist nicht Abt im Sinne einer absoluten Autorität, sondern eher Diener an der Einheit unter Gleichen. Das entscheidende, allen gemeinsame Fundament ist die Taufe, die allein in die Radikalität der Christus-Nachfolge beruft.

Insofern verstehen sich die Brüder und Schwestern von Bose nicht als etwas Besonderes, sondern als „normale“ Christen mit einer besonderen Lebensform für den Dienst am Ganzen. Dieser „laikale“ Aspekt entstammt dem Mönchsideal des Basilius, von dem die Regel von Bose neben Benedikt und der frühen Zisterzienserbewegung viele Elemente entlehnt.

Inspiriert vom Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils wird die Ökumene in verschiedene Richtungen intensiv gepflegt: zum Protestantismus vor allem der reformierten Tradition, aber auch zum Anglikanismus sowie zur Orthodoxie. Regelmäßiger Kontakt besteht mit dem Ökumenischen Patriarchat in Istanbul sowie mit der Russisch-orthodoxen Kirche, außerdem mit den „altorientalischen“ Kirchen Syriens und Ägyptens. Das Fundament der ökumenischen Aktivitäten bildet die Bibel, als lebendiges Wort Gottes Mittelpunkt im Leben der Gemeinschaft von Bose. Die „lectio divina“ prägt den Ablauf eines jeden Tages.

Das benediktinische Ora et labora

Lebenslanges Studium, tägliche Meditation und liturgische Feier des Wortes Gottes machen die Männer und Frauen der Kommunität zu Fachleuten der Bibel, was sich auch darin zeigt, dass ein jeder und eine jede in der Lage ist, die Schrift bei der wöchentlichen lectio divina am Samstagabend der gesamten Kommunität auszulegen. Zudem sind einige der Mitglieder in orientalischen Sprachen und verschiedenen biblischen und patristischen Studien spezialisiert, so dass Bose auch ein wissenschaftliches Zentrum darstellt, das unter anderem über eine ausgezeichnete Bibliothek verfügt.

Dem steht freilich die selbstverständliche Praxis gegenüber, dass sich alle Mitglieder an den vielfältigen Arbeiten im Konvent und im Bereich der Gäste beteiligen. Das Ora et labora wird sehr konkret gelebt als eine Symbiose von Gebet, Muße und praktischer Tätigkeit. Zum Kloster gehört eine Landwirtschaft vor allem für die Deckung des Eigenbedarfs an Obst und Gemüse, aber auch für den Gästebetrieb sowie in Form verarbeiteter Produkte für den Klosterladen. Ebenfalls sind verschiedene Werkstätten anzutreffen, so eine Schreinerei, eine Töpferei und eine Werkstatt für Ikonenmalerei. Die in ihrer Architektur der Landschaft und dem piemontesischen Stil angepasste, 1999 eingeweihte Klosterkirche mit dem darunter liegenden Tagungssaal sowie der vor einigen Jahren errichtete Gästetrakt wurde von hauseigenen Architekten entworfen. Andere arbeiten beispielsweise als Ärzte in nahe gelegenen Krankenhäusern, die wenigen Priester der Gemeinschaft helfen in der Seelsorge der Umgebung mit.

Wer erstmals Bose besucht, ist zunächst von der Schönheit der Landschaft am Alpenrand und der Stimmigkeit der aus vielen Einzelgebäuden zusammengefügten Klosteranlage beeindruckt. Der offene dörfliche Charakter entspricht dem Selbstverständnis der Kommunität, die Leben teilen will, ohne sich hermetisch von der Außenwelt abzuschirmen. Dabei ist der Tagesablauf ähnlich wie in anderen monastischen Gemeinschaften streng geordnet. Bereits vor der Morgenhore um 6 Uhr nimmt man sich eine Stunde Zeit für die lectio divina. Nach Kapitel und persönlichem Gebet folgt eine Arbeitsphase von 8 bis 12 Uhr. Daran schließt sich entweder das Mittagsgebet an oder sonntags und donnerstags sowie an besonderen Festtagen die Eucharistie.

Dass diese nicht täglich gefeiert wird, hängt nicht mit Geringschätzung gegenüber der Hochform christlicher Liturgie zusammen, sondern gerade mit ihrer besonderen Wertschätzung. Die Abstinenz entspricht der allgemeinen altkirchlichen Tradition, der sich die Gemeinschaft aufgrund ihrer ökumenischen Ausrichtung in besonderer Weise verpflichtet fühlt.

Nach dem Mittagessen, dem ein besonderer Wert beigemessen wird (es gibt kein großes Refektorium, sondern man verteilt sich mit den Gästen auf einzelne kleinere Speiseräume), folgt eine zweite Arbeitsphase, der sich um 18.30 Uhr das Abendgebet anschließt. Nach dem Abendessen ist noch einmal eine Phase persönlichen Gebetes vorgesehen. An Sonntagen wird das Morgenoffizium als Feier der Auferstehung des Herrn festlich gestaltet, den Abend beschließt die Komplet.

Im Vergleich mit bekannten benediktinischen Ordnungen fällt die relativ geringe Zahl an Gebetszeiten auf. Dies entspricht einerseits der besonderen Zusammensetzung und beruflichen Einbindung der Brüder und Schwestern des Konvents, andererseits aber auch der starken Betonung der Lectio divina und des persönlichen Gebetes. Dennoch bilden die gemeinsamen Gebetszeiten und Eucharistiefeiern den erlebbaren Höhepunkt des klösterlichen Lebens. Auf der Basis der römisch-benediktinischen Tradition des Stundengebetes hat Bose eine eigene Ordnung entwickelt, die von der Wertschätzung der Heiligen Schrift bis in die kleinsten Nuancen hinein Zeugnis gibt.

Die musikalische Gestalt orientiert sich nicht an den modalen Tönen der Gregorianik wie der deutsche Liturgiegesang, sondern adaptiert die aus Frankreich bekannten Weisen (beispielsweise von Joseph Gelineau, Taizé) in Dur- und Molltonarten. Die Töne der Antiphonen und Verse sind einfach und daher leicht mitvollziehbar, was manchen freilich musikalisch zu anspruchslos erscheinen mag. Allerdings gibt es auch mehrstimmige Gesänge mit Anleihen aus der byzantinischen Tradition sowie solistischen Vortrag.

Die Frauen und Männer der Kommunität sitzen im vorderen Teil der Kirche einander gegenüber, die Gemeinde der Gäste findet im Kirchenschiff Platz. Der Raum selbst ist moderat modern und orientiert sich in mancher Hinsicht an der frühen Zisterzienserarchitektur. Dies gibt den Gottesdiensten eine Klarheit und Schlüssigkeit, die freilich nicht von ungefähr kommt. Jedes Detail ist auch liturgietheologisch wohl reflektiert. Dies gilt für Stundengebet wie Eucharistiefeier in gleichem Maße. Dies hat zur Folge, dass kaum jemand sich dem tiefen Eindruck der Liturgien in Bose entziehen kann.

Ein Studienzentrum für Ökumene und Liturgie

Die dezidiert ökumenische Ausrichtung, die auch die weitere Ökumene mit dem Judentum einbezieht, bringt einige Besonderheiten mit sich. Dazu gehört ein in seiner Art wohl einzigartiger liturgischer Kalender, der jedes Jahr neu herausgegeben wird. In einer Konkordanz, die neben dem Kalender von Bose den römisch-katholischen, den byzantinisch-orthodoxen, den koptischen, den anglikanischen sowie den jüdischen Kalender aufführt, wird die Logik des Eigenkalenders deutlich. Natürlich sind die Hauptfeiern im Jahr dem römischen Generalkalender entnommen.

Bewusst werden aber neben besonderen monastischen Gedenktagen aus Ost und West auch wichtige Gedenktage der anderen aufgeführten Traditionen übernommen. So ist am 28. September 2009 Jom Kippur verzeichnet, aber auch Konfuzius. Hier zeigt sich, dass der Horizont noch über die jüdisch-christliche Ökumene hinausweist. Auch nicht kanonisierte Persönlichkeiten wie Albert Schweitzer (10. September) oder Dag Hammarskjöld (17. September) sind als „Zeugen“ aufgeführt.

Das Phänomen Bose beweist, dass ökumenische und interreligiöse Weite nicht in Widerspruch zu einem klaren kirchlichen Profil stehen muss. Bose stellt kein multireligiöses Patchwork dar, sondern verkörpert Katholizität im ursprünglichen Sinne. Dies ermöglicht erst einen wirklichen Dialog, wie er bis in die Kirchenleitungen hinein in Bose geübt wird.

So finden seit Jahrzehnten regelmäßige ökumenische Kongresse mit Vertretern der orientalischen Theologie unterschiedlicher orientalischer Kirchen zu gemeinsamen Themenstellungen statt, seit etwa einem Jahrzehnt auch mit Fachleuten aus den Kirchen der Reformation. Seit 2003 werden regelmäßig Kongresse zu Fragen des Kirchenraums und der Liturgie gehalten. Auch hier ist die ökumenische Ausrichtung selbstverständlich. Durch wissenschaftliche Komitees ist zudem die internationale Ausrichtung gewährleistet.

Die mit mehr als 200 Teilnehmenden stets ausgebuchten liturgischen Kongresse sind stets mehrsprachig, die fremdsprachigen Beiträge werden ins Italienische, Französische und Englische simultan übersetzt. Die stattliche Anzahl der im eigenen Verlag herausgegebenen Tagungsbände zeigt die hohe Qualität der wissenschaftlichen Unternehmungen. Von den liturgischen Tagungen, die sich mit theologischen, architektonischen und künstlerischen Aspekten des Kirchenraums befassen, liegen bislang fünf Bände vor: Der Altar, Der Ambo, Liturgischer Raum und Orientierung, Das Baptisterium, Heilige Versammlung. Der Band des diesjährigen Kongresses „Kirche und Stadt“ wird im kommenden Jahr zum nächsten Kongress erscheinen.

Neben den Tagungsbänden der ökumenischen und liturgischen Studientagungen werden im Verlag des Klosters Bose außer den zahlreichen Schriften Enzo Bianchis verschiedene Reihen mit patristischen und weiteren geistlichen Schriften in italienischer Übersetzung betreut, die in Italien große Breitenwirkung haben. Sie spiegeln das Profil der in Bose gepflegten Kultur einer aus Bibel und Tradition gespeisten monastischen Theologie wider.

Teilnahme am „Mysterium in der Wolke“

Ein Höhepunkt im Kirchenjahr von Bose ist das aus dem Orient stammende Fest der Verklärung des Herrn am 6. August. An ihm finden die endgültigen monastischen Professen statt, die in diesem Jahr von drei Brüdern und einer Schwester abgelegt wurden. Monastisches Leben versteht sich als „Teilnahme am Mysterium in der Wolke, in der Gegenwart Gottes, miteinander teilhaftig am Leben Gottes durch Jesus, dem Sohn“, wie Prior Enzo Bianchi in seiner Predigt zu diesem Anlass sagte.

Darin stellte er vier zentrale Punkte gemäß der Regel von Bose heraus: Erstens sei es nötig, an die Liebe zu glauben (vgl. 1 Joh 4, 16). Zweitens müsse man im Gemeinschaftsleben sich „dezentrieren“, das heißt das Zentrum nicht in sich selbst, sondern im Herrn finden, der auch stets die Mitte der Gemeinschaft bilden muss (vgl. Mk 9, 36). Drittens komme es darauf an, dem Anderen Aufnahme zu schenken, indem man sich dafür entscheidet, ihn zu lieben, bevor man ihn kennt. Nur so könne man in einer großen Kommunität (Bose hat inzwischen etwa 80 Brüder und Schwestern) miteinander auskommen. Viertens komme es darauf an, sich dem Anderen zuzuneigen, um ihm zu dienen, ihm zu verzeihen.

Dies sind im Grunde Regeln, die für jeden Menschen, der nach dem Evangelium leben will, gelten. Dass sie auch in Bose im Konkreten schwer einzuhalten sind, wird von den Mitgliedern der Kommunität keinesfalls geleugnet. Dennoch bietet sich in diesem norditalienischen Kloster und seinen Dependancen (es gibt kleine Gemeinschaften in Ostuni/Süditalien, Jerusalem und neuerdings in Assisi) ein überzeugendes Bild eines vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägten offenen Katholizismus, der angesichts gegenwärtiger Irritationen hoffen lässt und durchaus auch für die Gestaltung christlicher Gemeinschaften und Gemeinden nördlich der Alpen Vorbildcharakter hat.

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