EuropaÖkologie als Thema theologischer Reflexion

Ende August fand im irischen Limerick der siebte Kongress der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie statt. Thema war das Verhältnis zwischen Ökologie, Ökonomie und Theologie.

1989 war nicht nur für Europa, sondern auch für Europas Theologie ein Wendejahr. Vor 20 Jahren wurde die „Europäische Gesellschaft für Katholische Theologie“ gegründet. Seitdem hatte man sich im dreijährigen Turnus getroffen (vgl. HK, November 2007, 581ff.), diesen jetzt aber unter der Präsidentschaft von Lieven Boeve verkürzt, so dass jetzt bereits der Kongress im irischen Limerick stattfand: dem Wirkungsort des neuen Präsidenten Eamonn Conway. Vom 20. bis 23. August diskutierte man über „Perspektiven der Ökologie und Ökonomie“.

Der einleitende Vortrag des scheidenden Präsidenten Boeve, Fundamentaltheologe im belgischen Löwen, galt der Theologie, die ihren Platz im Geflecht von Hochschule, Kirche und Gesellschaft habe. Der Vortrag bezog sich also nicht direkt auf das Kongressthema, sondern spannte einen weiten Bogen, um die Theologie in der Schnittmenge dieser antagonistischen Größen zu verorten und zur Selbstbesinnung der katholischen Theologie in Europa beizutragen (vgl. HK, Januar 2009, 15ff.).

Bezüglich ihrer Stellung an der Hochschule strich Boeve die Problematik heraus, dass durch die theologische Finalität dieser Disziplin ein Legitimationsdruck von außen auferlegt wird, den andere Disziplinen wie zum Beispiel die Religionswissenschaft nicht kennen, weil sie sich keinem Wahrheitsanspruch stellen (müssen). Es sei daher die beständige Versuchung der Theologie, nur noch Religionswissenschaft zu treiben, um diesem Legitimationsdruck auszuweichen – was aber zum Verlust der eigentlich theologischen Substanz führe.

Eine andere Herausforderung für die Theologie sei die postmoderne Kritik an der traditionellen Rationalität, die zu einem pragmatischeren Verständnis von Wissenschaft geführt habe. Zugleich sehe sich die Theologie im Gefolge der Bologna-Reform einer Praxisüberprüfung durch Qualitätskontrollen ausgesetzt. Boeve sieht solche Entwicklungen nicht negativ, da sie die Theologie zwingen, sich an niveauvolle Standards zu halten und sie zugleich dazu herausfordern, reduktionistische Verhärtungen der empirischen Wissenschaften in Frage zu stellen. Genau das sei die Pointe an der pragmatischen Wende in der Wissenschaftstheorie.

Befördert die Bibel den Anthropozentrismus?

Demgegenüber bleibe unstrittig, dass Theologie und Kirche wechselseitig aufeinander angewiesen sind. Allerdings beklagte Boeve mit deutlichen Worten die Willkür römischer Behörden bei der Erteilung des „Nihil obstat“ oder bei Maßregelungen von Theologen wie Jon Sobrino (vgl. HK, April 2007, 184ff.). Wenn die römischen Behörden zu rasch in die Diskussion neuer Lösungsansätze eingriffen, würden notwendige Reflexionen unterbunden, die die Kirche dringend brauche. Keinesfalls dürfe sich Theologie darauf beschränken, Priester für den praktischen Dienst auszubilden und die Grundlagenreflexion zu vernachlässigen.

Mit Blick auf das Verhältnis von Theologie und Gesellschaft beobachte man zur Zeit eine zunehmende Enttraditionalisierung und Individualisierung, aber auch religiöse Pluralisierung, bei der es darauf ankomme, die Mitte zu halten zwischen Neotraditionalismus und Relativismus, der sich jeder Mode anpasse.

Sein Fazit: Auch wenn die Theologie im Schnittpunkt dreier Sphären keine von diesen mehr dominiert, sei doch gerade dies eine Möglichkeit zum eigenständigen Handeln.

Sean Freyne, Exeget in Dublin, bezog Texte des Alten und Neuen Testaments auf das Rahmenthema Ökologie und Ökonomie. Zunächst einmal stünden diese Texte im Verdacht, jenen Anthropozentrismus befördert zu haben, der wesentlich an der ökologischen Krise beteiligt zu sein scheint. Dieser wohlfeile Vorwurf halte einer näheren Überprüfung jedoch nicht stand.

Dem Menschen seien dem Alten Testament zufolge die Hege und Pflege der Schöpfung aufgetragen. Aus diesem Grunde richtete Freyne das Augenmerk auf die alttestamentliche Lehre von der Sünde, die für jenes ausbeuterische Verhältnis verantwortlich sei. Sünde betreffe nicht nur das Innere des Menschen, sondern auch die äußere Natur. Das menschliche Verhalten habe durchaus ökologische Konsequenzen.

In Bezug auf das Neue Testament solle man sich darüber hinaus hüten, Weisheit (als Immanenz Gottes in der Welt) und Apokalyptik (als Hinweis auf das jenseitige Heil) gegeneinander auszuspielen. In diesem Sinn forderte er eine neue Auslegung der Paulusbriefe und betonte abschließend, dass zwischen der modernen Naturwissenschaft und der biblischen Auffassung von der Natur „kein Gegensatz“ bestehe.

Technische Entwicklungen und ihre religiösen Motivationen

Allerdings hätte man doch gerne gewusst, wie sich die Sünde des Menschen in den Naturprozessen artikuliert. Ist schon das Fressen und Gefressenwerden eine Folge der Sünde – oder erst der Treibhauseffekt? Und wenn Ersteres, wie hat der Mensch die Natur in seine Sünde hineingezogen?

Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, dass postmodernes Denken in der gegenwärtigen Krise nicht viel ausrichtet, wäre der Vortrag der Theologin Stella Morra aus Rom ein besonders markantes Beispiel dafür gewesen.

Morra forderte ein neues Paradigma des Denkens und Handelns, verlor sich aber derart in ein kleinteilig-assoziatives, metaphern- und geistreiches Umkreisen des Themas, dass am Ende niemand wusste, worin denn nun der geforderte Paradigmenwechsel eigentlich bestehen solle. Es sei denn, ihre Berufung auf die Erdmutter Gaia oder die abschließende poetische Feier der Göttin Natur, die sie – alle traditionelle Ratio hinter sich lassend – anempfahl, sollten das neue Paradigma gewesen sein.

Das wäre nicht nur theologisch unhaltbar, sondern auch philosophisch desolat, kann doch nur die Vernunft des Menschen die Natur vor uns selber schützen. Wir haben zwar die ökologische Krise verursacht, aber nicht, weil wir vermeintliche Naturgötter missachtet hätten, sondern weil wir schlichtweg unvernünftig waren. In einer komplexen Umwelt wird ein irrationaler Kult des Naturhaften nichts ausrichten, sondern allein das prinzipiengeleitete Handeln.

Hans-Dieter Mutschler, Naturphilosoph in Krakau, strich in seinem Vortrag über „Die religiöse Basis der technologischen Entwicklung“ einen oft nicht beachteten religiösen Motivationshintergrund in der Technikentwicklung heraus. Gewöhnlich werde insbesondere die moderne Technik als ein rein diesseitiges Unternehmen angesehen, bei dem es einfach nur um Weltbewältigung gehe. Andere konstruierten einen Gegensatz zwischen der wachsenden Ermächtigung des Menschen durch die Technik und dem „hinnehmenden Charakter“ der Religion.

Aber gerade dieser Gegensatz führe zu einer merkwürdigen Dialektik: Die zunehmende Macht durch technische Weltbewältigung klappe die vertikale Dimension der traditionellen Religion in die horizontale des technischen Fortschritts, so dass nun plötzlich dieser Fortschritt sich mit religiösen Hoffnungen amalgamiere.

Es wurde gezeigt, dass solche genuin religiösen Hoffnungen den technischen Fortschritt motivierten, angefangen von der Verkehrstechnologie mit Dampflok und Automobil bis hin zu Weltraumraketen, Informationstechnologien und zur Nanotechnologie. Allerdings wurde nicht verschwiegen, dass diese transzendierende Motivation im Technisierungsprozess oft den Charakter einer Selbsterlösungsreligion annehme, die im Grenzfall sehr gefährlich sein könne.

Von der Schöpfungsspiritualität zur Nachhaltigkeit

Der neue Bischof von Brixen, Karl Golser, von Hause aus theologischer Ethiker, betonte wie Freyne in seinem abschließenden Vortrag den Bezug des Schöpfungsgedankens zur Sünde: Die drohende ökologische Katastrophe müsse durchaus als Folge eines sündhaften, verfehlten Lebensstils der westlichen Konsumgesellschaft gesehen werden.

In einem zweiten Teil ließ er sich, gemäß dem Grundsatz „lex orandi est lex credendi“, eine Schöpfungsspiritualität von der Osterliturgie vorgeben (ein Gedanke, den er der Schöpfungstheologie von Medard Kehl entnahm). Die Feier der Osternacht habe eben nicht nur eine christologische und ekklesiologische, sondern auch eine kosmologische Dimension.

In der östlichen Theologie sei der Mensch „Priester der Schöpfung“. Daraus ergebe sich, dass die Geschöpfe Gottes nicht allein nach ihrem Nutzwert betrachtet werden dürfen, sondern auch gemäß ihrer eigenen Würde. Angeregt durch den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I., wurde inzwischen in Italien ein Tag der Schöpfung eingeführt, der im September stattfindet.

Gut katholisch führte Golser die ethischen Prinzipien im engeren Sinne erst danach ein. Solche Prinzipien der ökologischen Ethik, die rein vernunftmäßig, also offenbarungsunabhängig sind, seien Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Nachhaltigkeit. Die ersten drei sind dem katholischen Denken wohlvertraut. Dass die vierte im gleichen Atemzug mit den drei anderen genannt wird, überrascht – durchaus positiv.

Andererseits passt das Prinzip der Nachhaltigkeit sehr gut zur Schöpfungsspiritualität. Zwar ist diese nicht von jedem Menschen zu fordern, aber der Christ hat von hier her eine besondere Verpflichtung jenen Entwicklungen in der Natur gegenüber, die eine Änderung des Lebensstils erforderlich machen.

Während des Kongresses war immer wieder Zeit ausgespart für parallele Sitzungen kleinerer Gruppen über „Ökologie und Taoismus“, „Sakramentalität und ökologische Krise“, über Teilhard de Chardin, das Anthropische Prinzip, „Schöpfung als Ort der Gotteserkenntnis nach dem Zweiten Vatikanum“ usw. Leider kam bei all dem die Ökonomie etwas zu kurz. Deren Verflechtung mit der Ökologieproblematik genauer herauszuarbeiten, wäre ein lohnendes Thema gewesen.

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