Der 1956 geborene dänische Filmemacher Lars von Trier ist bekannt dafür, dass er seinen Zuschauern nichts erspart. Im deutschsprachigen Raum wurde er mit dem Film „Breaking the Waves“ (1996) einem breiteren Publikum bekannt. Bereits dieses Werk überfiel die Zuschauer mit einer Abgründigkeit und gleichzeitig geballten Ladung religiöser Thematik und Symbolik, die im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend gewesen sind.
Erzählt wurde die Geschichte eines naiven jungen schottischen Mädchens, das den Arbeiter einer Ölplattform heiratet. Sie wünscht sich seine baldige und endgültige Heimkehr, und als dieser Wunsch durch einen Unfall, bei dem der Mann querschnittgelähmt wird, sozusagen in Erfüllung geht, gibt sich die junge Frau die Schuld an diesem Unglück. Aus Naivität und wohl auch schlechtem Gewissen erfüllt sie den Wunsch ihres Mannes, sie möge mit möglichst vielen anderen Männern schlafen. So rutscht sie langsam, aber sicher in den Abgrund der Prostitution ab, in dem sie schließlich ums Leben kommt.
Immer wieder inszenierte Lars von Trier die Frau als Opfer, und dies in doppelter Hinsicht: einerseits als ein Objekt von Gewalt, andererseits als ein Wesen, das bereit ist, sich für die Erlösung anderer zu opfern. Ist es im Film „Dancer in the Dark“ (2000) eine erblindende Frau, die sich für ihr ebenfalls sehbehindertes Kind aufreibt und schließlich aufgrund tragischer Umstände ebenfalls umkommt (vgl. HK, November 2000, 547), wird in „Dogville“ (2003) eine vor Gangstern flüchtende Frau von der Dorfgemeinschaft eines vermeintlich sicheren Orts zur Sex- und Arbeitssklavin degradiert und entwürdigt. Erst gegen Ende des Films wandelt sich die Frau vom Opfer zur Rächerin, indem sie das ganze Dorf der Vernichtung anheimfallen lässt.
Ambivalenz der Frau als Täterin und Opfer
So ist bereits in „Dogville“ die Ambivalenz der Frau als Täterin und Opfer angelegt, die Lars von Trier auch in seinem neusten Film „Antichrist“ wieder aufgreift. Seine Handlung lässt sich eigentlich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Während sich ein namenloses Paar leidenschaftlichem Sex hingibt, klettert ihr kleiner Sohn aus dem Bettchen und stürzt durch das von einem Windstoß geöffnete Fenster hinunter auf die Straße. Die Frau kommt nicht über den Tod des Kindes hinweg, sodass ihr Mann, von Beruf Psychiater, gegen jedes Standesethos beschließt, die Frau in einem Waldstück namens „Eden“, in dem das Paar eine Hütte besitzt, selbst zu therapieren.
Die Zeit in der Hütte entwickelt sich immer mehr zu einem Alptraum. Die Frau – eben noch Opfer ihrer Trauer und Ängste – entwickelt immer bösartigere Züge. Ihr Mann entdeckt auf Fotos, dass sie das Kind körperlich misshandelt hat. Schließlich verletzt sie auch ihn auf äußerst bestialische Weise. Eine Flucht des Schwerverletzten scheitert. Dennoch gelingt es ihm in einem wiederum extrem brutalen Endkampf, die Frau zu besiegen, sie umzubringen und ihren Körper auf einem großen Scheiterhaufen zu verbrennen. So endet sie wie die als Hexen gebrandmarkten Frauen, über deren Verfolgung sie ihre Dissertation schreiben wollte.
Nach diesen drastischen Zumutungen dürften die meisten Zuschauer wohl ziemlich geschlaucht das Kino verlassen und sich gefragt haben, was das Ganze eigentlich soll. Warum diese Orgie der Gewalt, garniert mit einer kruden, bisweilen an die Ästhetik von Horrorfilmen und Psychothrillern erinnernde Natursymbolik?
Die Antwort dürfte in einem Satz liegen, den die Frau im Streit mit ihrem Mann fallen lässt: „Die Natur ist Satans Kirche“. Diese Aussage könnte im Grunde als Schlüssel zum ganzen Verständnis des Films dienen. Denn Lars von Trier – der übrigens in den neunziger Jahren zum katholischen Glauben konvertierte – erweist sich als geradezu meisterhafter Übersetzer der Gnosis in die Sprache einer beunruhigenden Naturmystik. Wie das? mag man überrascht fragen, denn von der antiken Gnosis ist im ganzen Film mit keinem Wort die Rede. Und doch ist das Werk von einer zutiefst gnostischen Welt- und Menschensicht durchzogen.
Denn hinter dem Bild von der Natur als Satans Kirche steckt die Vorstellung, dass es sich bei der materiellen Schöpfung nicht um das gute Werk eines ebenso guten Gottes, sondern das verachtens- und hassenswerte Treiben bösartiger Schöpferwesen handelt, die sich zwischen den Menschen und den liebevollen, aber fernen und daher unbekannten Gott geschoben haben. Die den Geist des Menschen in materiellen Kerkern wie etwa dem Körper gefangen halten, in den der Geist aus den Sphären des Lichts in die grobstoffliche Dunkelheit gestürzt ist. Grundlegend für die Gnosis ist ja ein Dualismus, der alles durchzieht: göttliches Licht und teuflische Finsternis. Alles Geistige wird der Sphäre des göttlichen Lichtes zugeordnet, alles Materielle und damit auch die Welt, die Natur und der menschliche Körper der Sphäre der teuflischen Finsternis.
Das Christentum hat die Gnosis teilweise in das eigene Weltbild integriert
In der Welt als Sphäre finsterster Gottesferne fühlt sich der Gnostiker ebenso fremd, verlassen, verängstigt und gefangen wie in seinem eigenen Körper. Aufgabe und wohl auch einziger Lebenszweck des Menschen ist es, diese Gefangenschaft auf der Grundlage von Erkenntnis – eben: Gnosis – zu durchbrechen und den in ihm vorhandenen göttlichen Geistesfunken zu befreien, um in das Lichtreich des guten Vatergottes aufzusteigen und zurückzukehren. Der Gnostiker sieht sich daher in einem permanenten Kriegszustand; unablässig kämpft er um seine Befreiung und damit gegen alles Weltlich-Materielle, also auch gegen sich selbst und seine körperlichen Triebe, an erster Stelle die Sexualität.
Der Manichäismus wies diese Merkmale der Gnosis in besonders ausgeprägter Form auf, vor allem was die extreme Welt- und Leibfeindlichkeit betrifft. In einer manichäischen Homilie heißt es: „Du bist verflucht du Körper (…) Du hast mich gequält. Du hast mich zum Weinen gebracht (…) all die Jahre. Ich verehre dich nicht (…) Du bist verflucht. Verflucht ist der, der dich geschaffen hat (…) Möge ich siegen (…) siegen über alle Kräfte des Körpers“.
Freilich: Tendenzen der Leibfeindlichkeit gab es auch im Christentum zur Genüge, umso mehr, als gnostisches Gedankengut eben auch das Christentum infiziert hat. Dass das Christentum sich so vehement gegen die Gnosis wehren musste, ist kein Beweis gegen diese These, eher im Gegenteil. Denn in der Gnosis, die sich ja oft genug als das bessere Christentum verstand, fand der christliche Glaube seinen eigenen Dualismus, seine eigene Tendenz zur Leib- und Weltfeindlichkeit wieder. Der Orientalist Franz Cumont schrieb über das Verhältnis von Christentum und Gnosis: „Mit Erstaunen gewahrten die beiden Gegner, wie ähnlich sie sich in vieler Hinsicht waren, ohne sich von den Ursachen dieser Ähnlichkeit Rechenschaft geben zu können. Und darum klagten sie den Geist der Lüge an, dass er ihre heiligen Bräuche habe parodieren wollen.“
Dem Christentum gelang es zwar, den Kosmos und die Schöpfung von den negativen Vorzeichen, die ihr die Gnosis verliehen hatte, zu befreien, was aber blieb, war eine ausgeprägte Distanz zur Welt und zum Leib, und es kann daher nicht verwundern, dass schon etwa Heinrich Heine der Gnosis eine wichtige Rolle bei der Ausbildung des Christentums zuschrieb. Der Befund also lautet, dass das Christentum die Gnosis zwar gezähmt und als eigenständiges religiöses Deutungssystem letztendlich „besiegt“ hat, dies aber um den Preis, sie zumindest in Teilaspekten in sein eigenes Weltbild integriert zu haben.
Teilt man diese Auffassung, vermag es nicht zu überraschen, dass es in der Geistesgeschichte des Abendlandes vor gnostischen Momenten nur so wimmelt: Dies gilt für die Weltangst eines Martin Heidegger ebenso wie für die Tiefenpsychologie eines C.G. Jung, die Esoterik, Anthroposophie und Theosophie, den Satanismus oder auch eine so krude Hybridideologie wie die Scientology eines L. Ron Hubbard. Der Verdacht auf gnostisches Gedankengut ist immer dann gerechtfertigt, wenn in einem Denksystem eine Welt- und Lebensangst sowie der daraus resultierende Wunsch zu Tage treten, gegebenenfalls unter dem Primat reiner, makelloser Geistigkeit die Welt, das Leben, die Materie oder den Körper zu entwerten, zu überwinden oder sogar zu vernichten, ist doch die Gnosis „eine Religion der Angst und ein mythisch codiertes Programm zur Entweltlichung und Weltvernichtung“ (Harald Strohm).
Gnostisches Gedankengut ist also alles andere als unzeitgemäß, und gerade Lars von Triers „Antichrist“ zeugt davon auf eindrucksvolle Weise. Die typisch gnostische Diffamierung der Natur als böse (eben: als „Satans Kirche“) wurde bereits erwähnt. Doch schon die vielleicht eindrucksvollste Szene des Films atmet sozusagen gnostischen Geist: Man sieht zu Beginn in ebenso quälender Langsamkeit wie eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Sequenzen die beiden Szenen, mit denen das Unheil seinen Lauf nimmt: einerseits den sexuellen Akt der Eltern und andererseits den in der Ekstase des Orgasmus offenbar unbemerkten Sturz des Kindes aus dem Fenster.
Das alles wird untermalt von Georg Friedrich Händels „Lascia ch’io pianga“. Interessant ist der Text des Gesangs: „Lass mich weinen, über mein grausames Schicksal, und lass mich für Freiheit seufzen. Möge der Kummer brechen, die Fesseln meiner Qual, wenn auch nur um des Mitleids willen.“ Solche Klagerufe lassen sich auch in der gnostischen Literatur immer wieder antreffen: „Warum habt ihr mich von meinem Orte weg in die Gefangenschaft gebracht und in den stinkenden Körper geworfen?“, heißt es in einem Text der Mandäer. Und an anderer Stelle: „Wer hat mich in das Leid der Welt geworfen, wer mich in die böse Finsternis versetzt?“ Folgerichtig ist die Trias aus Trauer, Schmerz und Verzweiflung als die Befindlichkeiten eines typisch gnostischen Leidens an der Welt und der eigenen Existenz ganz explizit Leitmotiv des Films.
Wesentlich stärker tritt die gnostische Mythologie jedoch in der Parallelisierung von Sexualität und Unheil in Form des Sturzes aus dem Fenster zutage. Das Motiv des Sturzes als Ursache allen Übels ist typisch für die Gnosis, denn einige ihrer Strömungen sahen im Fall des göttlichen Lichts in die Finsternis ein, wie es Hans Jonas formuliert hat, „schuldhaftes ,Sich-Neigen‘ der ,Seele‘ (als eines mythischen Gesamtwesens) zum Niederen hin“, und dies „aus unterschiedlichen Motiven, wie Neugier, Eitelkeit, sinnlicher Begierde“. Sinnliche Begierde als Ursache des Falls – nichts anderes zeigt „Antichrist“! Denn es ist ja gerade die scheinbare Selbstvergessenheit der sexuellen Lust, die den Sturz des Jungen aus dem Fenster erst ermöglicht.
Der gnostische Hass richtet sich gegen die Frau
Aus Sicht der Gnosis ist die Dämonisierung der Sexualität allerdings nicht nur geboten, weil sie als Ausdruck des verabscheuten Sieges körperlicher Bedürfnisse über den Willen des Geistes gesehen wird, sondern weil durch die Sexualität in Form der Zeugung menschliches Leben und damit die Gefangenschaft der Seele im Fleisch perpetuiert wird. In „Antichrist“ wird daraus der Hass der Frau auf die Zeugungskraft ihres Mannes, der darin gipfelt, dass sie ihm in ihrer Gewaltorgie die Hoden zerquetscht. Darüber hinaus wird im Verlauf des Films aber auch deutlich, dass die Frau das Kind, über dessen Tod sie kaum hinwegzukommen scheint, körperlich misshandelt hat, indem sie ihm die Schuhe verkehrt anzog.
In erster Linie richtete sich der gnostische Hass allerdings gegen die Frau, die durch ihre Funktion als Empfangende, Gebärende und Mutter dazu beiträgt, dass immer neue Seelen in den leiblichen Kerker geraten. Gnostiker seien „Frauenhasser“ und „falls der Gnostiker ,Gebrauch‘ von der Frau machen will, dann soll sie allein als Öffnung zu höheren Wesenheiten und Bewusstseinszuständen dienen“, schrieb der Satanismus-Experte Peter-R. König.
Interessanterweise wurde die von den Gnostikern verabscheute Finsternis mit dem griechischen Wort „Hyle“ bezeichnet – ein Wort, das gemäß Harald Strohm mit der „Grossen Mutter“ und der Erde assoziiert wurde: „Die Erde war es nach uralter und weltweit verbreiteter Auffassung, die alles abgestorbene Leben in sich aufnahm und neues gebar“, schrieb er. Und „eben diesem fruchtbringenden Mutterleib der Erde galt die manichäische Kriegserklärung“.
Verzicht auf jegliche Moral
Auch Epiphanius von Salamis (um 315–403), ein erklärter kirchlicher Gegner der Gnostiker, berichtete von einer negativen Konnotation des kosmischen Mutterschoßes, denn dieser sei nach Auffassung der von ihm beobachteten Gnostiker aus einer Verbindung der bösen Finsternis und des Geistes hervorgegangen; „aus dem Mutterschoß aber (...) wurde ein hässlicher Äon hervorgebracht, er vereinigte sich mit dem Mutterschoß“ und „aus diesem hässlichen Äon und dem Mutterschoß sollen Götter, Engel, Dämonen und sieben Geister entstanden sein“. Damit musste dem Mutterschoß, egal ob irdisch oder kosmisch, seitens der Gnosis ein gnadenloser Krieg erklärt werden, strebte sie doch nach nichts anderem, als alles Irdisch-Materielle endgültig zu vernichten.
In „Antichrist“ wird der Hass auf die Frau (und Mutter) schon im Titel auf äußerst plakative Weise sichtbar: Das zweite „t“ von „Antichrist“ ist nämlich ein „w“ und damit das Symbol für das Weibliche. Im Verlauf des Films entwickelt sich der Hass auf die Frau zu einem immer stärkeren Motiv und kulminiert in ihrer Tötung und der Verbrennung ihrer Leiche auf einem Scheiterhaufen. Zum Ausdruck kommt aber auch ein ausgeprägter Selbsthass der Frau, der sich in einer der vielen grausigen Szenen darin entlädt, dass sie sich die Klitoris abschneidet.
Interessant ist, dass der Film diesem Hass – übrigens auch und gerade dem Hass des Zuschauers! – dadurch eine Legitimationsbasis gibt, dass sich der Charakter der Frau im Lauf der Handlung grundlegend wandelt: Erscheint sie zuerst als ein schwaches und schutzbedürftiges, von Angst und Trauer um ihr totes Kind völlig gefangenes und gelähmtes Wesen, tritt immer stärker ihre Bösartigkeit zu Tage. Man erfährt, dass sie ihr Kind misshandelt hat. Man wird Zeuge, wie sie ihrem Mann schwerste Verletzungen zufügt und ihn sogar umbringen will – und schließlich enthüllt der Film, dass dem Blick der Frau während des sexuellen Aktes durchaus nicht entgangen war, dass das Kind zum Fenster lief und in die Tiefe fiel, der Tod des Jungen also zu vermeiden gewesen wäre.
Dies ist eine der beiden überraschenden Pointen des Films, die andere ist die freimütige Aussage der Frau, dass sie, die über die Hexenverfolgung promovieren will, in diesem Akt der Gewalt kein Verbrechen sieht. Denn wenn es richtig sei, dass die Natur böse ist, dann sei es auch die Frau und ihre Vernichtung damit gerechtfertigt. Was in diesem Moment also in aller niederschmetternden Offenheit zu Tage tritt, ist das freimütige Bekenntnis der Frau zu ihrer eigenen Bösartigkeit.
Spätestens jetzt stürzt der Film selbst in den Abgrund – nämlich in den Abgrund der Absenz jeglicher Moral, und folgerichtig geht es jetzt zwischen Mann und Frau nur noch um den Kampf um das nackte Überleben und damit die Frage, wer wen zuerst umbringt. Dieser Verzicht auf jegliche Moral ist auch in der Logik der gnostischen Weltsicht anzutreffen: Denn wenn die Welt und ihr Schöpfergott verachtet, ja sogar bekämpft werden und in der Welt nach gnostischem Verständnis ohnehin nichts Gutes existieren kann, gibt es auch keinen Grund, den restriktiven moralischen Maßstäben der Welt und des verhassten Schöpfergottes zu folgen.
Dazu Hans Jonas: „Das Fehlen einer Tugendlehre in der gnostischen Lehre steht im Zusammenhang mit der antikosmischen Haltung, das heißt mit der Weigerung, den Dingen dieser Welt und entsprechend auch den Handlungen des Menschen irgendeinen Wert einzuräumen.“ Da „die Welt und die eigene Zugehörigkeit zu ihr (…) nicht erst genommen“ werden, fühlten sich manche Gnostiker zu einer „Missachtung aller moralischen Hemmungen im praktischen Leben“ berechtigt. Mehr noch: Da moralisches Fehlverhalten Teil der Rebellion gegen die verhasste kosmische Ordnung ist, erscheint die Sünde auf einmal als Medium der Erlösung.
In einem gnostischen Dokument heißt es daher folgerichtig: „Keiner vermag der Macht der Engel, welche diese Welt gebildet haben, zu entgehen (…); es sei denn, dass er das Maß seiner Verfehlungen erfüllt hat.“ Und so wird die Frau auf dem Scheiterhaufen erst dann ihrer leiblichen Hülle ledig, als sie ihrerseits das Maß ihrer Verfehlungen erfüllt hat.
Ein gleichzeitig grandioser wie gescheiterter Film
Zum Schluss nochmals die Frage: Was ist von alldem zu halten? Zweifellos ist Lars von Trier ein Film gelungen, der sich unauslöschlich auf die Netzhaut und ins Gedächtnis brennt, auch wenn man ihn nur einmal gesehen hat. Das liegt sicher nicht zuletzt an den hervorragenden Hauptdarstellern Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg. Den Film einfach als frauenfeindlich abzutun, greift zu kurz. Im Grunde zelebriert er keine simple Frauen-, sondern eine Welt-, Natur- und Lebensfeindlichkeit, indem er in packenden Bildern, die an die Grenzen des Zumutbaren gehen oder sie sogar überschreiten, eine typisch gnostische Orgie der Weltvernichtung inszeniert, die den Zuschauer rat- und hilflos hinterlässt.
Insofern ist der Titel „Antichrist“ durchaus berechtigt, denn dem Heilsgeschehen in Form einer Versöhnung von Schöpfer und Schöpfung durch das Erlösungswerk Jesu Christi wird das Un-Heil der Vernichtung der Natur und durch die Natur entgegengesetzt. „Chaos regiert!“, schreit es im Film denn auch aus der Kehle eines Fuchses, der sich selbst zerfleischt. Für die unabhängige ökumenische Filmjury, die von den internationalen Filmorganisationen der evangelischen und katholischen Kirche eingesetzt wird, war das (gottes-)lästerliche Leinwandtreiben jedenfalls Grund genug, im Falle von „Antichrist“ zum ersten Mal einen Anti-Preis zu verleihen. Zu Recht?
Das Werk ist ein gleichzeitig grandioser wie gescheiterter Film: Grandios, weil er die gnostische Logik in aller Konsequenz zu Ende denkt – und gescheitert, weil die fast schon libidinös besetzte Welt- und Lebensvernichtung sich selbst ad absurdum führt, denn die von der Gnosis postulierte Erlösung qua Vernichtung will sich am Ende des Films nicht greifen lassen. Daher wohl auch die Ratlosigkeit, wenn man das Kino verlässt. Stattdessen droht der Film in die Falle der für die Gnosis typischen autistischen Selbstreferenz ihres Selbsterlösungswahns abzurutschen. Eine solche autistische Selbstreferenz ist auch in Splatter-Movies und Pornofilmen anzutreffen, in denen der Trieb keinen anderen Sinn mehr hat als seinen eigenen Selbstzweck. Nicht umsonst weist „Antichrist“ Elemente dieser beiden Genres auf. Oder anders gesagt: Ähnlich wie die Pornografie löst auch die Gnosis ihr Versprechen der Selbsterlösung nicht ein, und diese Erkenntnis gilt dementsprechend auch für „Antichrist“.
Vielleicht trifft sogar zu, was Eric Voegelin über Gnostiker im Allgemeinen geschrieben hat: „Gnostiker sind krank am Geiste, aber sie sind nicht dumm; sie wollen Unmögliches, aber sie wissen, was sie wollen.“ Lars von Trier wollte mit „Antichrist“ wohl auch etwas „Unmögliches“ und musste daran zwangsläufig scheitern. Eines zumindest hat er jedoch bewiesen:
Die Gnosis ist nicht irgendein fernes Phänomen des ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, sie ist aktueller denn je. Jetzt hat sie sogar schon die Kinos erreicht.