Die Meldungen über die Krise in der katholischen Kirche aus Anlass der Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der Pius-Bruderschaft, der Gründung von Erzbischof Marcel Lefebvre, haben sich in den vergangenen Wochen überschlagen. Die kritischen Berichte über Einzelheiten des Verfahrens und der verwickelten Personen stellten den Vatikan bloß. Die Stellungnahmen der Bischöfe und Bischofskonferenzen, die Irritationen zahlreicher Christen, die jüdischen Reaktionen über die Begnadigung eines Holocaust-Leugners sind ein Index für die Tiefe der Krise. Der Jubel über eine Versöhnungsgeste des Papstes mutet seltsam an. Die Schärfe und Vielfalt der Reaktionen verlangt nach einer nüchternen Analyse, um zu einem gewissen Verständnis der Situation und zu einer Klärung der Implikationen beizutragen.
Weiht ein ordinierter katholischer Bischof ohne Auftrag des Papstes irgendjemanden zum Bischof, so werden die Weihenden und der Geweihte mit der Exkommunikation bestraft. Die Exkommunikation schließt den Exkommunizierten von der Möglichkeit aus, irgendeinen Dienst bei der Feier der heiligen Messe oder anderen gottesdienstlichen Feiern zu übernehmen, Sakramente oder Sakramentalien zu empfangen oder zu spenden, kirchliche Dienste, Ämter, Aufgaben zu erlangen oder auszuüben. Der theologische Grund ist die verfassungsmäßige Einheit der Kirche als tieferer Ausdruck der Einheit der Kirche im Glauben bei gleichzeitiger Sendung zu allen Völkern.
Die Aufhebung einer Exkommunikation setzt einen ersten reumütigen Akt der Rückkehr des betreffenden, zwar gültig, aber illegitim geweihten Bischofs voraus. Dieser reumütige Akt ist für diesen ersten Schritt wesentlich (vgl. CIC can 1371;1358; 1347; 1341). Dem kann, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, als zweiter Schritt eine Aufhebung der Exkommunikation folgen, die zu einer Verhandlung führt, welche die Position des Betreffenden in der Kirche neu bestimmt. Aufhebung der Exkommunikation bedeutet also eine Anerkennung als zurückgekehrter Gesprächspartner, der Reue über sein Delikt zu erkennen gibt. Der Betreffende bleibt also solange suspendiert von irgendeiner Ausübung von Rechten, bis diese Verhandlungen abgeschlossen sind. Er ist aber in grundsätzlicher Weise in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen.
Wurzeln des Konflikts
Dem Dekret der Bischofskongregation, die auch das Exkommunikationsdekret ausgefertigt hatte, ist zu entnehmen, dass aufgrund eines Briefes vom 15. Dezember 2008, gerichtet an Kardinal Dario Castrillón Hoyos, Präsident der päpstlichen Kommission „Ecclesia Dei“ (die speziell für die Lefebvre-Gruppe zuständig ist), Bernard Fellay auch im Namen der anderen drei der am 30. Juni 1988 geweihten Bischöfe um die Aufhebung der Exkommunikation ersucht hat, welche für die Bischöfe am 1. Juli 1988 formal ausgesprochen worden war. Das Dekret zitiert den erwähnten Brief: „Wir sind immer vom festen Willen bestimmt, katholisch zu bleiben und alle unsere Kräfte in den Dienst der Kirche unseres Herrn Jesus Christus zu stellen, welche die römische katholische Kirche ist. Wir nehmen ihre Lehren mit kindlichem Geist an. Wir glauben fest an den Primat des Petrus und alle seine Vorrechte und deshalb lässt uns die aktuelle Situation sehr leiden“.
Es heißt dann weiter, dass der Papst entschieden habe, im Blick auf diesen Brief – und offensichtlich vorausgegangene Kontakte – die Strafe der Exkommunikation aufzuheben, die offenen Fragen „gründlich durchzugehen“, um so bald zu einer „vollen und zufrieden stellenden Lösung des Ursprungproblems“ zu gelangen. Es wird die Hoffnung ausgedrückt, dass auf Grund dieser Verhandlungen die „Verwirklichung der vollen Gemeinschaft mit der Kirche folge“. Unterzeichnet ist diese Erklärung mit dem Datum von 21. Januar 2009.
Die innerkirchliche Ebene der Auseinandersetzungen zeigt sich von 1970 ab: Das Zweite Vatikanische Konzil hatte eine Reihe von Positionsbestimmungen getroffen, die die Religionsfreiheit, die Ökumene, den Dialog mit anderen Religionen, das Verhältnis Papst-Bischöfe (Stichwort „Kollegialität“) betreffen, daneben andere Sachverhalte wie das gemeinsame Priestertum der Gläubigen etc. ins Licht gerückt. Erzbischof Lefebvre hatte am Konzil teilgenommen, gehörte zur konservativen Gruppe der Bischöfe, hatte am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils dieses und seine Dokumente gebilligt, von 1970 aber dann in Verbindung mit anderen Traditionalisten die Entscheidung für die Ökumene, für den interreligiösen Dialog, für die Gewissens- und Religionsfreiheit, wie sie im Zweiten Vatikanum gelehrt werden, als häretisch abgelehnt.
Der Erzbischof wurde nach mehreren vergeblichen Gesprächen von Paul VI. 1976 seines Amtes enthoben. Von Rom aus bemühte man sich weiter um ihn, und durch Indult der Ritenkongregation von 1984 wurde der Piusbruderschaft gestattet, unter bestimmten Bedingungen die Messe nach dem tridentinischen Ritus zu feiern. Man hoffte vergeblich, die Pius-Bruderschaft und Lefebvre dadurch integrieren zu können.
Es gab nochmalige Anläufe zu Einigungsversuchen. Gespräche zwischen dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger und Lefebvre führten 1988 zu einem Konsenspapier, das Lefebvre unterschrieb. Am folgenden Tag zog er die Unterschrift jedoch zurück. Stattdessen weihte Lefebvre am 30. Juni 1988 in Ecône im Wallis/Schweiz vier Priester seiner „Bruderschaft St. Pius X.“ zu Bischöfen. Er vollzog das Schisma und wurde durch Dekret der Bischofskongregation exkommuniziert, ebenso wie die vier geweihten Bischöfe.
Johannes Paul II. veröffentlichte in Begleitung zu dem Exkommunikationsdekret der Bischofskongregation ein Motu Proprio, um die Gründe für diesen Schritt darzulegen. Dort heißt es: „Die Wurzel dieses schismatischen Akts aber kann in einem unvollkommenen und in sich widersprüchlichen Begriff von Tradition selbst erkannt werden“. Es wird dann die Mahnung ausgesprochen, in Treue zur Überlieferung zu stehen, darüber nachzudenken, wie diese Überlieferung sich „vom Nicaenum bis zum Zweiten Vatikanum“ entfaltet. Der Vollzug der unerlaubten Bischofsweihe führt zum Schisma. Dies wird im Dekret der Bischofskongregation festgestellt. Den häretischen Grund dieses Schismas umschreibt Johannes Paul II. in seinem Motu Proprio. Beide Aspekte sind wichtig.
Warum spielt die Liturgiereform in diesem Streit eine Rolle? Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanums ist Zeugnis für die lebendige Entfaltung von Tradition wie ihrer Reinigung. Zugleich gilt in der Kirche die Maxime: Lex credendi – lex orandi. Die Regel des Glaubens ist die Regel des Betens. Die von Lefebvre inkriminierten Punkte sind deutlich sichtbar in die Neufassung der Liturgie aufgenommen worden.
Zwei Beispiele: In den Formulierungen der Karfreitagsbitten hieß es früher: „Lasst uns auch beten für die Häretiker und Schismatiker, dass unser Gott und Herr sie all ihren Irrtümern entreiße und zur heiligen Mutter der katholischen und apostolischen Kirche zurückrufen wolle.“ Das war das Gebet für die Protestanten und die Orthodoxen nach Trient. In der neuen Liturgie heißt es hingegen: „Lasst uns beten für alle Brüder und Schwestern, die an Christus glauben, dass unser Herr und Gott sie leite auf dem Weg der Wahrheit und sie zusammenführe in der Einheit der Heiligen Kirche.“ Dies ist nicht nur ein anderer Stil, es bedeutet zugleich auch, dass man vom gemeinsamen Glauben ausgeht und das gemeinsame Interesse an der Einheit des Glaubens bezeugt. Die volle Einheit wird als Geschenk von Gott erbeten.
Politisch-ideologische Problemfelder
In Bezug auf die Fürbitte für die Juden lautete der alte Text: „Lasst uns auch für die verblendeten Juden beten, dass Gott unser Herr die Decke von ihren Herzen nehme, damit sie Jesus Christus, unseren Herrn, anerkennen“. Und im Gebet nach dieser Intentionsangabe heißt es: „Allmächtiger, ewiger Gott, du schließt auch die Juden, die dir den Glauben verweigern, von deiner Erbarmung nicht aus. Erhöre unsere Bitten, die wir ob der Verblendung dieses Volkes vor dich bringen, damit sie das Licht deiner Wahrheit (...) erkennen und der Finsternis entrissen werden.“ Während es in der neuen Liturgie heißt: „Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat. Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.“
Dies sind nur zwei Beispiele, wie die neue Liturgie sich nicht lediglich auf irgendwelche Veränderungen der Riten bezieht, sondern auch inhaltlich neue Akzente setzt.
Die politischen Wurzeln der heutigen Konfliktlage bilden ein Geflecht mit den theologischen Argumenten gegen Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit, religiösen Dialog und Ökumene. Lefebvre selbst positionierte sich mit seiner Bruderschaft seit den siebziger Jahren deutlich in der Tradition der Action française. Diese Gruppe nannte sich katholisch, ihre führenden Mitglieder waren allerdings Atheisten. Sie kämpften leidenschaftlich gegen die französische Republik. 1926 wurde – auf Betreiben des Erzbischofs von Bordeaux – diese sich katholisch gebende Laienorganisation, zu der auch Priester gehörten, verurteilt. Anfang 1939, nach der Wahl Pius XII., unterwarf sie sich der Kirche und stand während der deutschen Besatzungszeit auf der Seite Pétains. Sie wurde nach der Befreiung 1945 aufgelöst.
Deutlich zeichnete sich die Verbindung Lefebvres zu dieser Tradition ab, wenn er für die französischen Traditionalisten die jährliche Wallfahrt zur Begräbnisstätte Pétains einführte. Von daher fanden viele ehemalige Pétain-Leute und Leute aus dem Umfeld von Jean-Marie Le Pen Verbindung zur Bruderschaft. Touffier, eine entscheidende Figur bei den französischen Judendeportationen, verurteilt wegen Zusammenarbeit mit Gestapo und SS, wurde vom Pariser Pfarrer der Lefebvre-Anhänger, Philippe Laguérie, nach seinem Tod im Gefängnis feierlich beerdigt und mit einer großen Würdigung bedacht. Ausgerechnet dieser Pfarrer, von Paris her erfahren in der Besetzung von Kirchen, wurde 2002 Pfarrer in Bordeaux, wo es wiederum eine Kirchenbesetzung gab, und geriet wegen Kritik an den Verhältnissen in Ecône im Priesterseminar im Wallis in einen großen Streit mit Bernard Fellay, seinem Superior. Er wird ausgeschlossen.
Mit einigen Sympathisanten der Piusbruderschaft wurde er am 8. September 2006 mit Rom versöhnt und direkt zum Oberen der von ihm gegründeten Gesellschaft des Apostolischen Lebens „Institut du Bon Pasteur“ päpstlichen Rechtes ernannt. Diese Gesellschaft richtete sofort ein traditionalistisches Priesterseminar ein, eröffnete ein weiteres in Chile, das inzwischen wieder geschlossen wurde, und hat eine Niederlassung in Rom.
Als sich 1988 abzeichnete, dass Erzbischof Lefebvre durch Bischofsweihen ins Schisma gehen würde, entschloss sich eine kleinere Gruppe von Lefebvre-Anhängern, nach Rom zu gehen und dort zu verhandeln, unter welchen Bedingungen sie in der Gemeinschaft mit Rom bleiben könnten. Ihre Verhandlungspartner waren der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, und der frühere Abtprimas der Benediktiner, Kardinal Augustin Mayer, damals zuständig für die Kontakte mit der Lefebvre-Gruppe.
Die Erklärung, die 1988 von den nicht ins Schisma gehenden Lefebvre-Anhängern unterschrieben wurde, umfasst folgende fünf Punkte:
Ein Treueversprechen gegenüber der katholischen Kirche und dem Papst in Rom, dem Haupt des Bischofskollegiums.
Die Erklärung, die Nummer 25 der dogmatischen Konstitution Lumen gentium des Zweiten Vatikanums über das kirchliche Lehramt anzunehmen.
Die Verpflichtung, unter Vermeidung jeder Polemik, sich zu einer Haltung des Studiums und der Kommunikation mit dem Heiligen Stuhl bezüglich der Punkte zu bekennen, die vom Zweiten Vatikanum gelehrt werden, beziehungsweise der späteren Reformen, die den Unterzeichnern nur schwer mit der Tradition vereinbar scheinen.
Die Gültigkeit der Messe und der Sakramente, die – mit der erforderlichen Intention gefeiert – entsprechend den Riten der Editiones Typicae, die von Paul VI. und von Johannes Paul II. promulgiert worden sind, anzuerkennen. (Das bedeutet die Anerkennung der Gültigkeit der Spendung der Sakramente und der Messfeier nach den Texten der Liturgiereform.)
Es wird versprochen, die allgemeine Disziplin der Kirche und die kirchlichen Gesetze zu achten, besonders jene, die im CIC von 1983 enthalten sind, unbeschadet der besonderen Disziplin, die der Bruderschaft durch Partikulargesetze gewährt werden.
Die Entwicklung seit der Wahl Benedikts XVI.
Auf der Basis dieser Erklärung wurde die Gründung der Petrusbruderschaft als Gemeinschaft päpstlichen Rechts und eines Priesterseminars in Wigratzbad/Allgäu von Rom gestattet. Kardinal Ratzinger besuchte dieses Seminar. Die Deutsche Bischofskonferenz, welche über die zugrunde liegende Treueformel nicht informiert worden war, lehnte einstimmig – inklusive des damaligen Erzbischofs Johannes Dyba von Fulda – eine Übernahme der dort Ausgebildeten in die Seelsorge der Diözesen ab. Es wird in der Darstellung der Geschichte der Petrusbruderschaft zwar das Motu Proprio „Ecclesia Dei“ zitiert und das dort bekundete Traditionsverständnis des Zweiten Vatikanums bejaht. Eine formale Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils ist mit der am 18. Juli 1988 gegründeten und am 18. Oktober 1988 erfolgten Errichtung der Petrusbruderschaft als „klerikaler Gesellschaft Apostolischen Lebens päpstlichen Rechtes“ offensichtlich nicht erfolgt. Ähnliche Gründungen erfolgten auf derselben Basis.
Im Frühsommer 2005 fand ein erstes Gespräch zwischen Bernard Fellay und dem neugewählten Papst statt. Offensichtlich hat Fellay hier Bedingungen gestellt, die der Versöhnung mit der Pius-Bruderschaft vorausgehen müssen, denn in einem Communiqué von 2006 heißt es: „Die Bruderschaft des Hl. Pius X. erinnert bei dieser Gelegenheit daran, dass sie sich keine Lösung der Gemeinschaftsfrage aneignen kann, wo die tridentinische Messe auf ein Sonderstatut eingeengt wird. Die Messe der zweitausendjährigen Tradition muss in der Kirche ein volles und ganzes Bürgerrecht haben: Sie ist nicht nur ein Privileg, das für einige reserviert wird, sie ist ein Recht für alle Priester und für alle Gläubigen der universalen Kirche. Deshalb lädt die Piusbruderschaft die Priester und Gläubigen ein, sich zu einer Gebetskampagne zu vereinen“ (Communiqué vom 8. September 2006).
2006 wurde dann das „Institut vom Guten Hirten“ mit Laguérie als Superior vom Vatikan approbiert. Der neuen Gesellschaft wird im römischen Errichtungsdekret zuerkannt, die tridentinische Messe, das Pontificale Romanum in der tridentinischen Fassung zur Spendung der Priesterweihe und das römische Brevier (jeweils die Ausgabe von 1962) als ihren eigenen Ritus zu gebrauchen: also nicht nur als Zugeständnis.
Zugleich steht in der von Rom approbierten Satzung, dass die Gesellschaft verpflichtet sei, daran zu „arbeiten, die Authentizität der Lehre (der Kirche, P.H.) herzustellen“. So der Generalsuperior bei der Vorstellung der neu errichteten päpstlichen Gesellschaft (Le Figaro, 12. September 2006). In seinem offiziellen Communiqué schreibt er dazu: Im Übrigen bekennt jedes Gründungsmitglied persönlich, „das authentische Lehramt“ des Heiligen Stuhles in „einer vollständigen Treue zum unfehlbaren Lehramt der Kirche“ (Statuten II, § 62) anzuerkennen. Darüber hinaus sind die Mitglieder verpflichtet, soweit es an ihnen ist, durch eine „ernsthafte und konstruktive Kritik ,des Zweiten Vatikanischen Konzils‘ dem Heiligen Stuhl zu ermöglichen, eine authentische Interpretation zu geben“.
Man wird diese Vorgeschichte im Blick haben müssen, wenn man den Brief verstehen will, mit dem Bischof Fellay um die Aufhebung der Exkommunikation nachsucht und der im Dekret der Bischofskongregation zur Aufhebung der Exkommunikation zitiert wird. Fellay hatte am 24. Januar seine Gefolgsleute informiert, er habe in diesem Brief an Kardinal Castrillón Hoyos unter anderem geschrieben: „Wir sind bereit, mit unserem Blut das Credo niederzuschreiben, den Antimodernisteneid zu unterzeichnen und das Glaubensbekenntnis von Pius IV. Wir akzeptieren und wir machen uns alle Konzilien bis zum Ersten Vatikanum zu eigen. Aber wir kommen nicht umhin, in Bezug auf das Zweite Vatikanum unsere Vorbehalte zum Ausdruck zu bringen. Dieses Konzil wollte ein Konzil sein, das sich ,von den anderen unterscheidet‘ (vgl. die Ansprachen der Päpste Johannes XXIII. und Paul VI.). In all diesem sind wir überzeugt, der Verhaltenslinie treu zu bleiben, welche uns durch unseren Gründer Erzbischof Marcel Lefebvre vorgezeichnet worden ist, und wir hoffen, dass er bald rehabilitiert ist“ (Brief des Generaloberen an alle Gläubigen der Priesterbruderschaft St. Pius X. vom 24. Januar 2009).
Das Glaubensbekenntnis Pius’ IV., das Fellay ebenso erwähnt, fasst die Lehren des Konzils von Trient knapp zusammen. Es dürfte selbstverständlich sein, dass in diesem Text nicht der ökumenische Standpunkt des Zweiten Vatikanischen Konzils vertreten wird, sondern dass am Ende bekräftigt wird, dass der Schwörende „alle Häresien, die von der Kirche verurteilt, verworfen und mit dem Anathema belegt wurden, verurteilt, verwirft und gleichfalls mit dem Anathem belegt“.
Wenn im Brief von Fellay um die Aufhebung der Exkommunikation diese sehr dezidierten Aussagen stehen, erhebt sich die Frage, wie der Papst und die mit der Angelegenheit befassten Kurienkardinäle zu der Auffassung kommen konnten, hier liege eine reumütige Umkehr vor.
Diese Frage spitzt sich noch zu, wenn man zwei weitere merkwürdige Sachverhalte berücksichtigt: Im Mitteilungsblatt der exkommunizierten Piusbruderschaft Jahrgang 2009, Nr. 2, findet sich der Brief, mit dem Fellay die Aufhebung der Exkommunikation bekannt gibt. Darin heißt es: „Wir drücken dem Heiligen Vater unsere kindliche Dankbarkeit für diesen Akt aus, welche über die Priesterbruderschaft St. Pius X.
hinaus eine Wohltat für die ganze Kirche sein wird. Unsere Bruderschaft wünscht, dem Papst immer mehr helfen zu können, die Heilmittel für die Krise anzuwenden, die ihresgleichen in der Vergangenheit nicht kennt und die gegenwärtige katholische Welt erschüttert. Papst Johannes Paul II. hatte sie als einen Zustand der ,schweigenden Apostasie‘ bezeichnet.
Über diese Dankbarkeit dem Heiligen Vater gegenüber hinaus und gegenüber all jenen, die ihm geholfen haben, diese mutige Tat zu vollziehen, sind wir glücklich, dass das Dekret vom 21. Januar ,Gespräche‘ mit dem Heiligen Stuhl als notwendig erklärt – Gespräche, die der Priesterbruderschaft St. Pius X. erlauben, die lehrmäßigen grundsätzlichen Ursachen darzulegen, die ihrer Auffassung nach die Quelle der gegenwärtigen Schwierigkeiten der Kirche darstellen.“
Das theologische Kernproblem
Die Aufhebung einer Exkommunikation kann nur erfolgen aufgrund einer substantiell reumütigen Bitte. Der Brief von Fellay bekräftigt die Haltung Lefebvres nochmals leidenschaftlich mit dem Satz, mit dem eigenen Blut den Antimodernisteneid und das Glaubensbekenntnis Pius IV. zu unterschreiben. Der Sinn dieses Satzes musste jedem, dem Papst wie den zuständigen Kardinälen, klar sein. Die seit 1970 sich hinziehenden Verhandlungen drehten sich immer um dieselben Punkte.
Die weiteren zitierten Texte von Fellay, die vor und nach der Aufhebung der Exkommunikation den gleichen Tenor haben, bestätigen, dass hier in keiner Weise eine Veränderung stattgefunden hat. Die vorausgehende päpstliche Approbation der Satzungen der Gesellschaft vom Guten Hirten ist wie ein Vorlauf, der jetzt auf die Pius-Bruderschaft ausgedehnt wird.
Die Aufhebung der Exkommunikation stellt so einen Akt dar, der einen Amtsfehler bedeutet. Er gewährt den leitenden Bischöfen der Piusbruderschaft ohne die kanonische Voraussetzung in grundsätzlicher Weise die Kirchengemeinschaft – die Aufhebung des Schismas –, allerdings ohne näher bestimmt zu haben, welchen Status sie in der Kirche haben werden. (Die Suspension vom Amt bleibt zunächst bestehen.)
Dieser Amtsfehler ist ein gravierender Amtsfehler, da er eine Dispens von der vollen Annahme des Zweiten Vatikanischen Konzils bedeutet. Die Nichtanerkennung wichtiger Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils ist in der Petition von Fellay deutlich ausgesprochen.
Dieser gravierende Amtsfehler richtet sich gegen fides et mores, gegen Glaube und Sitte, deren Wahrung dem Nachfolger Petri in besonderer Weise für die universale Kirche anvertraut ist.
Es stellt sich die Frage, ob ein Papst von einem gültig zustande gekommenen Konzil dispensieren kann, so dass dieses Konzil lediglich mit Aussparung wesentlicher Aussagen angenommen wird. Die Antwort ist ein glattes Nein. Papst und Kardinäle sind an ein gültiges und rezipiertes Konzil und seine Entscheidungen ebenso gebunden wie jeder Gläubige.
Es geht um wesentliche Bestimmungen des Verständnisses von Glauben und Kirche
Erzbischof Lefebvre wie Bischof Fellay haben sich nicht an dieser oder jener Äußerlichkeit des Konzils gestoßen, es ging und geht ihnen nicht um irgendwelche Bagatellen in den Konzilstexten, sondern um wesentliche Bestimmungen des Glaubens- wie des Kirchenverständnisses, welche das Konzil verbindlich vorgelegt hat. Offizielle Webseiten der Piusbruderschaft bekräftigen in diesen Tagen noch, dass Religionsfreiheit und eine Reihe anderer Aussagen des Zweiten Vatikanums dem Syllabus Pius IX. widersprechen. Ein Gleiches gilt für das Ökumene-Dekret des Zweiten Vatikanums: „Protestanten und andere Nicht-Katholiken haben keinen Glauben“ (Website der Piusbruderschaft, zitiert nach: The Tablet, 31. Januar 2009). Man ersieht daraus, welches Gewicht dem Bekenntnis von Fellay zum Antimodernisteneid und zum tridentinischen Glaubensbekenntnis in seinem Brief um die Aufhebung der Exkommunikation zukommt.
Die Aussagen des Zweiten Vatikanums betreffen unter anderem die Offenbarung Gottes in ihren geschichtlichen Etappen und Formen, die Schrift und ihr Verständnis, die vom Mysterium der Kirche her sich ergebenden Einsichten in die Grundlagen der Ökumene und des Volkes Gottes, die Beziehungen zu den anderen Religionen, zur heutigen Gesellschaft. Alle diese Aussagen sind nicht in der Form von Dogmen formuliert worden. Man kann meines Erachtens eine so hoch komplexe Problematik auch nicht in zehn oder fünfzehn Canones mit Anathem zusammenfassen. Es sind gleichwohl wesentliche Aussagen, die für die Kirche in der geschichtlichen Situation der Moderne unhintergehbar sind. Diese wesentlichen Bestimmungen sind ausführlich erörtert und hinsichtlich der Einwände und Schwierigkeiten beraten worden.
Sie sind Ausdruck des Konsenses, der aus der Anrufung des Geistes, dem Hören der Schrift, der Eucharistie, dem Gebet und der Reflexion der Konzilsväter entsprungen ist. In einem solchen Konsens glaubt die Kirche seit alters die Stimme des Geistes Gottes vernehmen zu können. Suspension dessen bedeutet die Weigerung, auf das zu hören, was der Geist zu den Gemeinden spricht. Wie wesentlich diese Punkte sind, sieht man unmittelbar, wenn man sie aus dem Leben der Kirche heute tilgen würde. Kann ein Papst von der Annahme solcher wesentlichen theologischen Sachverhalte als Voraussetzung der Aufhebung einer mit Häresie begründeten Exkommunikation dispensieren? Nein.
Zu diesen beiden Aspekten des Kernpunktes, der die Fides, den Glauben betrifft, gesellt sich in diesem Fall ein unmittelbar damit verknüpfter Aspekt, der die Mores, die Sitten betrifft.
Es ist kein Zufall, dass sich unter den vier Bischöfen ein seit Jahren notorisch bekannter Antisemit und Leugner des Holocaust befindet. Eine Person, die diesen ungeheuren Versuch eines Genozids des jüdischen Volkes leugnet, verharmlost, in irgendeiner Weise vertritt, ist ein öffentlicher Sünder. Ein solcher öffentlicher Sünder kann nicht ohne eindeutige, im Leben erwiesene Zeichen der Reue und Umkehr zum Sakrament der Busse zugelassen werden, mit der dann auch die Aufhebung der Exkommunikation verbunden sein könnte. Dazu genügen keine Lippenbekenntnisse. Wenn der Kardinalstaatssekretär am 4. Februar 2009 eine schnelle Widerrufserklärung von Bischof Richard Williamson verlangt, um ihn in die Aufhebung der Exkommunikation einzubeziehen, erinnert dies an eine Farce und öffentliche Missachtung der Bußordnung.
Das Ergebnis: Die Aufhebung der Exkommunikation stellt eine Amtsausübung des Papstes dar, die in einer gravierenden Weise gegen fides et mores, gegen Glauben und Sitten verstößt. Diese Entscheidung ist meines Erachtens nichtig, schon auf Grund von Can. 126/CIC: „Eine Handlung, die vorgenommen wurde aus Unkenntnis oder Irrtum, der sich auf etwas bezieht, was ihr Wesen ausmacht, oder eine für unverzichtbar erklärte Bedingung betrifft, ist rechtsunwirksam.“
Der Leitartikel des Osservatore Romano vom 26./27. Januar 2009 mit seiner bitteren Klage über ungerechtfertigte Angriffe auf den Papst und die Beteuerung, die Entscheidung des Papstes sei „vom neuen Stil in der Kirche inspiriert, welchen das Konzil gewünscht habe, eher nämlich die Medizin der Barmherzigkeit als Verurteilung“ anzuwenden, wirkt angesichts der Realitäten naiv. Der Papst selbst scheint die Tragweite seines langjährigen Handelns, das in der jüngsten Entscheidung kulminiert, nicht zu ermessen, wenn er in der Generalaudienz (vgl. Osservatore Romano, 29. Januar 2009) erklärt, er habe aus Barmherzigkeit gehandelt und zugleich beteuert, er verabscheue die Shoa. Ebensowenig genügt es, von Bischof Williamson die Widerrufung der Regensburger Aussage zu verlangen.
Hermeneutik des Zweiten Vatikanischen Konzils
Das grundlegende Problem der gegenwärtigen Krise besteht nicht darin, dass schlampig gearbeitet wurde, ein alter Kardinal hilflos überfordert war, mangelnde Kommunikation stattfand, dass wir es mit einem Pontifex zu tun haben, der zu einsamen Entschlüssen neigt. So etwas ist beklagenswert, weil es um weit reichende, folgenschwere Entscheidungen geht. Es betrifft nicht den Kern des Problems. Es geht auch nicht nur um den Antisemitismus von Bischof Williamson, so schlimm und widerwärtig dies ist. Der Kern des Problems ist vielmehr theologischer Natur und hat einen ekklesiologisch-kanonistischen, einen ekklesiologisch-theologischen und einen ekklesiologisch-moraltheologischen Aspekt.
Der Papst hat durch seine Amtsführung das Vertrauen der Gläubigen in den Dienst des Petrus als Zeugen von Glauben und Sitte zutiefst erschüttert. Zugleich bringt er durch seine Entscheidung die Kirche in die Gefahr, Bischöfe und Priester zu haben und künftige Bischöfe und Priester kirchlicherseits auszubilden, die sich nicht zu Glauben und Sitte der katholischen Kirche bekennen.
Er kann die authentische Auslegung des Zweiten Vatikanums nicht von Verhandlungen mit einer schismatischen und häretischen Gruppe abhängig machen. Es fällt von daher ein tiefer Schatten auf eine Anzahl von „authentischen Erklärungen“ der Glaubenskongregation zur Interpretation des Zweiten Vatikanums.
Zu diesem Sachverhalt, der sich auf die Amtsführung bezieht, gehört eine zweite Seite. Kurze Zeit nach seinem Amtsantritt hat Benedikt XVI. in der Weihnachtsansprache von 2005 an die römische Kurie dargelegt, wie er das Zweite Vatikanische Konzil versteht und auslegt. Er greift ausdrücklich unter den Stichworten „Hermeneutik der Diskontinuität“ – „Hermeneutik der Kontinuität“ die hier zugrunde liegende Problematik auf. Im Abschnitt über die Hermeneutik der Kontinuität betont er, dass es kontinuierlich die eine Kirche vor und nach dem Konzil mit ihrer vom Glauben her gegebenen Identität gibt.
Er erläutert die Änderungen, welche sich in der modernen Welt zugetragen haben, so dass die Kirche, vom Glauben geleitet, sich neu positionieren musste: „Mit der neuen Definition der Beziehung zwischen dem Glauben der Kirche und gewissen wesentlichen Elementen des modernen Denkens hat das Zweite Vatikanische Konzil einige historische Entscheidungen revidiert und auch korrigiert, aber in dieser anscheinenden Diskontinuität hat sie vielmehr ihre innere Natur und ihre wahre Identität bewahrt und vertieft“ (AAS 98 [2006] 51). Der Papst erläutert dies speziell am Beispiel der Religionsfreiheit, er charakterisiert die frühere Situation und setzt ihr die moderne Situation entgegen.
Man kann solchen Darstellungen nur zustimmen. Irritierend wirkt allerdings, dass er in dem Abschnitt über die Hermeneutik der Diskontinuität in keiner Weise auf die Traditionalisten anspielt, sondern lediglich auf „Progressisten“, die nur auf den Geist des Konzils setzten, den Text geringschätzen, weil er durchsetzt sei von überholten Formeln, die man lediglich aus Kompromissgründen übernommen habe. Es zeigt sich an diesem Text, dass Benedikt XVI. das Konzil bejaht, die Gefährdung der Rezeption des Konzils aber völlig einseitig sieht.
Dieser Papst ist kein Mensch, der das Zweite Vatikanische Konzil leugnete oder nicht verstehen würde. Er ist kein Mensch, der nicht tiefsinnig über den Glauben sprechen und meditieren könnte, der nicht alle Kraft für das Evangelium einzusetzen versuchte. All dies ist unbestritten. Aber in dem zitierten Text zeigt sich: Der Papst sieht die Akzeptanzkrise der Kirche in der modernen Welt und ist der Überzeugung, dass in der Rückgewinnung ganz traditioneller Kreise die Zukunft der Kirche liegt.
Ein skandalöser Amtsfehler
Es liegt, meines Erachtens – und ich betone: salvo meliori iudicio (vorbehaltlich eines besseren Urteils) –, ein skandalöser Amtsfehler im theologischen Sinne vor. Was ist der Weg aus der Krise? Es gibt kein Gericht, das den Papst – wie etwa irgendeinen Beamten – zur Rechenschaft ziehen und verurteilen könnte. Das gibt es ebenso wenig, wie es dies bei amtierenden Staatspräsidenten gibt. Es liegt keine Häresie vor. In solchem Fall wäre das Kardinalskollegium zuständig und müsste erklären, dass wir keinen Papst haben, denn durch Häresie verliert er ipso facto sein Amt.
Skandalerregende Fehler des Amtes gibt es in der Geschichte der Kirche und der Geschichte des Papsttums öfter. Die Lösung solcher Krisen war zumeist sehr mühselig und schwierig. Sie ist in diesem Fall besonders schwierig, weil eine Reihe von Kardinälen, Bischöfen, diese seit 1988 einsetzende Entwicklung gekannt und mitgetragen haben. So stellt die gegenwärtige Situation außergewöhnliche Anforderungen an Nüchternheit, Demut, Verzicht auf Eigensucht und Machtstreben von allen Beteiligten, kurz, gefordert ist eine Besinnung auf den Geist des Evangeliums. Gefordert sind das Volk Gottes, die Gläubigen, einschließlich des Papstes, der Kardinäle, Bischofskonferenzen, die Seelsorge, Priester und Diakone, pastorale Mitarbeiter.
Nur dadurch, dass der Amtsfehler gegen Glauben und Sitten der Kirche eingestanden und korrigiert wird, gewinnt die Kirche, gewinnen der Papst, gewinnen Kardinäle und Bischöfe die öffentliche Handlungsfreiheit zurück. Ein Papst, der sich und seinen Mitarbeitern Vorbedingungen von einer schismatischen und häretischen Gruppe geben lässt, ist nicht frei. Umgeht man diese Feststellung, dann ist der Eindruck unvermeidlich, die römischen Autoritäten hätten lediglich auf äußeren Druck reagiert und seien Puppen von öffentlicher Meinung und Medien. Traditionalistenkreise nehmen bereits in dieser Weise Stellung.
Dass die getroffenen Entscheidungen nichtig sind, ist unabdingbar. Auf die Frage, wie dies publiziert werden soll, gibt es eine Reihe von Antworten. Eine negative Abgrenzung scheint sich aufzudrängen. Es ist unzulänglich, wenn lediglich Kardinal Giovanni Battista Re, der das Dekret über die Aufhebung der Exkommunikation unterschrieben hat, diese Nichtigkeit erklärt. Der Papst hat diese Entscheidung öffentlich als seine Entscheidung charakterisiert.
Die zweite unmittelbar anschließende Frage hinsichtlich des Weges aus der Krise betrifft die schrittweise Reduktion des angerichteten Schadens, des angerichteten Vertrauensverlustes der Kirche in der Welt und in der Kirche. Die Kirche steht vor einem Scherbenhaufen ungeheuren Ausmaßes.
Die rechten Entscheidungen erfordern viel Gebet, Umkehr auf allen Ebenen, Stärkung durch den Heiligen Geist und seine sieben Gaben. Die konkreten Schritte, eine Selbstreinigung der Kirche, werden sehr schwierig sein.