Ein Gespräch mit Rabbiner Walter Homolka über den jüdisch-katholischen Dialog„Frage der inneren Nähe“

Die Aufhebung der Exkommunikation traditionalistischer Bischöfe hat nicht nur wegen der Holocaust-Leugnung von Bischof Richard Williamson Auswirkungen auf das jüdisch-katholische Verhältnis. Wie können die jüngst entstandenen Irritationen ausgeräumt werden? Darüber sprachen wir mit Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam. Die Fragen stellte Stefan Orth.

HK: Rabbiner Homolka, die ersten Wellen der öffentlichen Erregung nach der Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der Pius-Bruderschaft sind vorbei. Benedikt XVI. hat sich zwischenzeitlich in einem Brief an alle Bischöfe gewandt, um jüngste Fehler des Vatikans einzugestehen. Wo stehen die jüdisch-katholischen Beziehungen nach diesem Erklärungsversuch?

Homolka: Das Schreiben Benedikts XVI. vom 12. März ist auf vielerlei Weise aufschlussreich. Benedikt XVI. gibt einem außergewöhnlich hohen öffentlichen Druck nach, wo bislang immer abgewiegelt worden war. Juden haben aus dieser eindeutig spürbaren Gegenreaktion auf den Papst durchaus Trost geschöpft. Wir haben aus den Reaktionen auch erkennen können, dass es für einen Weg in die Vergangenheit keine breite Mehrheit in der katholischen Kirche gibt. Weil der Papst am Schluss seines Briefs seine Annäherung an die Piusbruderschaft rechtfertigt, erhält der Verdacht neue Nahrung, seine Kritiker seien auf einem so falschen Weg nicht gewesen.

HK: Dankt der Papst nicht ausdrücklich seinen jüdischen Freunden, die geholfen hätten, „das Missverständnis schnell aus der Welt zu schaffen und die Atmosphäre der Freundschaft und des Vertrauens wiederherzustellen“?

Homolka: Das muss eine sehr überschaubare Gruppe von Juden sein. Es sind solche naiven Äußerungen aus Rom, die das jüdisch-katholische Verhältnis nachhaltig beschädigt haben, auch weil der Vatikan immer wieder versucht, leere Bilder der Beschwichtigung zu inszenieren, wo er eine klare Aussage vermissen lässt. Das kommt innerjüdisch nicht gut an. Es reicht nicht aus, bestimmte Gruppen oder gar einzelne Vertreter exculpatorisch vor die Kamera zu holen. Das mag für die nicht-jüdische Öffentlichkeit so wirken, als hätte man sich doch wieder vertragen. Aber innerjüdisch weiß ja jeder, welches Gewicht der eine oder andere im Vatikan empfangene jüdische Vertreter tatsächlich hat. Nehmen Sie nur die einer weiteren Öffentlichkeit völlig unbekannte Pave-the-Way-Foundation des Gary Krupp aus Long Beach und ihren Einsatz für die Seligsprechung Pius XII. Solche jüdischen Testimonials aus fragwürdiger Quelle sind eigentlich Muster ohne Wert. Die Tatsache, dass Israel und der Vatikan aus je eigennützigen Gründen am geplanten Papstbesuch festhalten, wurde als Beruhigung der Lage gewertet, heißt aber nicht viel. In den für meine Kollegen und mich zentralen Fragen weicht man immer sehr geschickt aus.

„Müssen Juden durch Jesus Christus zum Heil gebracht werden?“

HK: Immerhin hatte der Vatikan Bischof Richard Williamson frühzeitig zur Revision seiner Holocaust-Leugnung aufgerufen und hat sich mit dessen bisher ausweichenden Erklärungen auch nicht zufrieden gegeben.

Homolka: Die Frage, ob Williamson seinen Aussagen abschwört oder nicht, ist völlig irrelevant. Es geht doch nicht darum, ob man in der katholischen Kirche den Holocaust leugnen darf. Wir wussten vorher schon, dass das für die katholische Kirche nicht akzeptabel ist. Der Fall Williamson hat zumindest bestätigt, dass eine solche Position gesellschaftlich nicht vermittelbar ist – wobei Juden mit Interesse beobachten, welche Gruppierungen es innerhalb der katholischen Kirche darüber hinaus auch noch gibt. Hier wird geschickt ein Nebenschauplatz zu eröffnen versucht, der das Interesse von Benedikt auf Williamson umlenken soll. Eine Informationspanne um den Holocaustleugner war aber nicht das eigentliche Thema. Wer glaubt schon, dass es sich nur um ein bloßes Kommunikationsproblem handelt? Es geht meines Erachtens um einen Kampf zwischen konservativen und liberalen Strömungen in der Kirche – und die Liberalen scheinen an Einfluss zu verlieren.

HK: Was ist aus jüdischer Sicht der Kern der gegenwärtigen Diskussionen, die nicht zuletzt für das jüdisch-christliche Verhältnis so gravierende Auswirkungen haben?

Homolka: Wir wissen bis jetzt nicht schlüssig, ob die heutige katholische Kirche glaubt, Juden seien schon bei Gott und müssten nicht erst durch Jesus Christus zum Heil gebracht werden. Deshalb freut es mich, dass der Gesprächskreis „Juden und Christen“ des Zentralkomitees der deutschen Katholiken eine eindeutige Zurückweisung der Judenmission aus katholischer Sicht erarbeitet hat, die dieser Tage veröffentlicht wird. Die jüdische Kritik an der Pius-Bruderschaft richtet sich auf deren Aussagen, dass die Juden Gottesmörder seien und Judenmission nicht nur erlaubt, sondern sogar verpflichtend sei. Ob Williamson besonders extreme Überzeugungen vertritt und der Papst das gewusst hat oder nicht, spielt dabei gar keine Rolle. Die grundsätzliche Position der Pius-Bruderschaft hat der Papst sicher gekannt, schon aus seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation. 2005 hat er dann Bernard Fellay eine Privataudienz gewährt. Insofern frage ich mich, warum die Aussagen des Papstes sich nur auf die Holocaust-Leugnung beziehen. Auch wenn das orthodoxe Oberrabinat in Israel auf einer solchen Distanzierung den Schwerpunkt gelegt hat: Mir reicht das aus handfesten theologischen Gründen nicht.

„Die Belange des Judentums finden in Rom an höchster Stelle wenig Gehör“

HK: Inwiefern hat sich denn durch die Aufhebung der Exkommunikation jener vier Bischöfe, deren kirchlicher Status völlig offen ist, an der Haltung der katholischen Kirche etwas geändert?

Homolka: Es geht um die Frage, ob das Judentum weiterhin in einem gültigen Bund mit Gott steht. Schon durch die Debatte über die Ausweitung der tridentinischen Messe und dann die Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte für den außerordentlichen Ritus von höchster Stelle ist der Verdacht entstanden, dass das Judentum in der katholischen Kirche wieder als eine defizitäre Religion gesehen wird. Nicht zuletzt mit seiner Kritik an Erich Zengers Rede bei der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille zu Beginn der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit hat der katholische Theologe Klaus Berger diese Überzeugung erneut bekräftigt. Aktuell von Bedeutung sei nur der neue Bund, ohne Novellierung sei der alte Bund nicht mehr gültig. Diese Meinung kann offensichtlich in der katholischen Kirche vertreten werden. Und sie wird – so mein Misstrauen – nicht nur von einzelnen Grüppchen vertreten, sondern vom Papst selbst. Zumindest bekommen wir in diesem Zusammenhang auf die Fragen, die sich hier stellen, keine schlüssigen Antworten – auch nicht in dem jetzt vorliegenden Schreiben des Papstes.

HK: Reicht die Interpretation von Kardinal Walter Kasper im vergangenen Jahr nach den Diskussionen über die neue Formulierung für die Karfreitagsfürbitte im außerordentlichen Ritus nicht aus?

Homolka: Walter Kasper hat dazu vor einem Jahr in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt, man müsse die Karfreitagsfürbitte eschatologisch verstehen, als würden diese Fragen erst in der Endzeit irgendwann einmal entschieden. Ob es so viel charmanter ist, wenn Juden erst am Ende der Zeiten hören werden, dass ihre Religion defizitär war, lasse ich dahingestellt. Kasper ist immerhin höflich genug, das Problem zumindest für die aktuelle Situation auszusparen. Nur ist damit noch nicht geklärt, was der Papst selbst denkt. Kasper hat als zuständiger Ratspräsident immer wieder redlich versucht, kosmetische Veränderungen anzubringen. Aber er selbst betonte ja mehrmals, dass er weder mit der Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte noch mit der Aufhebung der Exkommunikation direkt befasst war, sondern die Dinge quasi nur aus der Zeitung erfährt. Seine Bemühungen will ich durchaus anerkennen. Doch es vermittelt sich der Eindruck, dass die Belange des Judentums gegenwärtig in Rom an höchster Stelle wenig Gehör und Berücksichtigung finden. Und das auch unter Inkaufnahme weitreichender Verstimmung.

HK: Bei den gegenwärtigen Versuchen, die Diskussionen der vergangenen Wochen einzuordnen, wird gelegentlich vorgebracht, dass es sich um eine typisch deutsche Diskussion mit ihren hinlänglich bekannten antirömischen Affekten gehandelt habe. Wie sieht das in der jüdischen Welt aus?

Homolka: Wenn sich der Diskurs und die Kritik nur auf Deutschland beschränkt hätte, würde Benedikt XVI. nicht die Notwendigkeit gesehen haben, sich in einem persönlichen Schreiben an alle Kollegen im Bischofsamt zu wenden, um Fehlleistungen und Pannen zu benennen und zu bekennen. Auch jüdischerseits gab es nicht nur deutsche Reaktionen. Für die amerikanischen Rabbiner handelt es sich vielleicht um eine weniger brisante Frage, weil die evangelikale Bedrohung durch die Freikirchen als viel größer eingeschätzt wird. Die katholische Kirche gilt dort auf der Stufenleiter möglicher Eskalationen um die Judenmission als relativ moderat. Das ist allerdings ein Trugschluss, weil es gerade in den USA eine Reihe von entschiedenen katholischen Verfechtern der Judenmission gibt. Mitteleuropa ist immerhin geographisch durch das Dritte Reich besonders betroffen gewesen. Deshalb ist man hier logischerweise besonders sensibel, wenn es um jüdische Themen geht.

HK: Ist man deshalb auch in anderen Weltgegenden weniger empfindlich, wenn die Frage, inwiefern es heute eine Judenmission geben darf, offengelassen wird?

Homolka: In manchen Weltgegenden steht der christliche Anspruch auf Judenmission oft gar nicht außer Frage, zum Beispiel in Afrika. In der europäischen Geistesgeschichte aber haben wir einen Punkt erreicht, wo die Absolutheit des Christentums durch eine Neubewertung des Verhältnisses zu anderen Religionen zu einem modifizierten Bild geführt hat. Wir Juden haben immer geglaubt, dass das Zweite Vatikanische Konzil uns – wie den Muslimen und anderen – verbriefte Zusicherungen gegeben hat: dass in unserer Religion auch aus Sicht der katholischen Kirche ebenfalls Wahrheit enthalten ist – und mehr noch: dass die göttliche Zusicherung an sein Volk ungebrochen ist.

HK: Was bedeuten die jetzt aufkommenden Zweifel an der bisher vorherrschenden Interpretation der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils für die Zukunft des jüdisch-katholischen Dialogs?

Homolka: Vielleicht ist das einfach die Diskussion darüber, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Aus den freundlichen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils kann offenbar auch der Schluss gezogen werden, dass es sich beim Judentum und anderen Religionen nur um ein Fünkchen Wahrheit handelt und entscheidend letztlich doch die Hinwendung zum Katholizismus ist. Da hat sich gefühlsmäßig vor allem in den vergangenen zwei, drei Jahren, also im Pontifikat BenediktXVI., einiges geändert. Ein halb volles Glas ist eben auch halb leer! Aber wenn man dann nicht mehr mit dem geneigten Auge, sondern mit einem misstrauischen und kritischen Auge auf das jüdisch-katholische Verhältnis blickt, stellt man nicht mehr so viele Gemeinsamkeiten fest, wie man früher vielleicht angenommen hatte ...

HK: Warum hat diese Entwicklung der letzten Jahre solch erhebliche Konsequenzen im Umgang miteinander?

Homolka: Das hat vor allem atmosphärisch eine erhebliche Bedeutung. Vor 20 Jahren ist es schon mal vorgekommen, dass Juden mit Christen gemeinsam das Vater Unser gesprochen haben – aus der Erkenntnis Schalom Ben-Chorins heraus, dass es eigentlich ein jüdisches Gebet sein könnte. Wenn sich Juden heute davor scheuen, dann vor allem, weil sich das geistige Umfeld gewandelt hat und man heute eher das Gefühl hätte, durch ein so christlich besetztes Hauptgebet ins Schema des Anderen überzuwechseln. Es geht dann gar nicht um die Worte selbst.

HK: Was müsste denn passieren, dass sich Juden und Christen wieder annähern, das gemeinsame Gespräch und der interreligiöse Dialog wieder in Schwung kommt? Wie könnte der Papst dazu beitragen?

Homolka: Ich sage ganz ehrlich: Was das Verhältnis zu den Juden angeht, erwarte ich in diesem Pontifikat keine bahnbrechenden Verbesserungen. Die Haltung Benedikts XVI., deren Konturen mittlerweile recht deutlich zutage treten, wird sich sicher nicht mehr wenden. Ganz gegen seine eigene Wahrnehmung haben wir verschiedene Eindrücke sammeln können, wie unsensibel der Papst sich auf jüdischem Terrain bewegt: von der eigentümlichen Geschichtsschau in Auschwitz, wo er das Phänomen des Nationalsozialismus auf einige Verführer reduziert hat und damit die Kirche in eine Opferrolle bringen wollte, bis zur Regensburger Rede, deren Anstößigkeit man nachträglich versucht hat zu verbrämen. Wenig wahrgenommen in der katholischen Kirche wurden auch die jüdischen Reaktionen auf eine weitere Herabwürdigung des Islam: Es hat uns sehr unangenehm betroffen, dass durch den Papst gerade in der Osternacht Magdi Allam, ein prominenter italienischer Muslim, vor der Weltöffentlichkeit getauft wurde. Wir haben uns gefragt, ob im darauffolgenden Jahr dann ein Jude dran wäre. In dieser Entwicklung ist – bis hin zu der unseligen Debatte um die Seligsprechung von Pius XII. – gar kein Ende abzusehen. Das führt bei jüdischen Vertretern meines Erachtens zu dem Schluss, dass vielleicht noch graduelle Veränderungen möglich sind.

HK: Vermag die jüngst in Berlin gezeigte Ausstellung über Pius XII., die das Päpstliche Komitee für die historischen Wissenschaften organisiert hat, daran nichts zu ändern?

Homolka: Die Berliner Ausstellung hat dem Thema keinen großen Dienst erwiesen, weil durch Glättung und Aussparung der entscheidenden Fragen ein hehres Andachtsbild der Person Pius’ XII. entsteht. Für uns Juden hat Rabbiner David Rosen, Präsident des Internationalen Jüdischen Komitees für den interreligiösen Dialog eine konsensfähige Positionsbeschreibung gefunden: Er war weder ein Mitläufer, noch war er ein Held.

„Welche praktische Relevanz hat das Judentum für den katholischen Glaubensvollzug?“

HK: Immerhin ist das ein anderes Bild, als Rolf Hochhuth, John Cornwell, Daniel Jonah Goldhagen und andere, die den Papst zu einem Parteigänger Hitlers machen wollten, gezeichnet haben ...

Homolka: Aber das macht aus der Person noch keinen Heiligen. Pius XII. war Papst. Er war wahrscheinlich – wie wir alle – ein bisschen feige. Deshalb muss man aus ihm weder einen Seligen noch einen Heiligen machen. Papst gewesen zu sein, ist doch auch schön. Warum ihn nun auf ein Podest der Vorbildlichkeit stellen? Eine objektive Betrachtung ist sowieso kaum mehr möglich. Es geht heute in der öffentlichen Wahrnehmung darum, ob man ein Signal gegen das Judentum setzen will – oder ob man eben unsere Befürchtungen und Besorgnisse ernst nimmt und auf eine Seligsprechung verzichtet. Wer seine Dinge politisch durchdrückt und Tabuzone um Tabuzone verletzt, muss sich nicht wundern, wenn sich das Verhältnis zueinander immer weiter verschlechtert. Das Vorhaben sollte man deshalb aus jüdischer Sicht begraben.

HK: Was müsste passieren, dass Sie Ihr entschiedenes Urteil über das gegenwärtige Pontifikat doch noch revidieren?

Homolka: Ich glaube nicht, dass öffentliche Erklärungen noch viel bringen werden. Der Papst hat sich ja mehrfach geäußert. Uns geht es um die Frage der inneren Nähe.

HK: Könnten von der Israelreise des Papstes Impulse für einen Neuanfang der Gespräche ausgehen?

Homolka: Die Reise hat eine ganz spezifische Funktion für beide Seiten. Der Staat Israel erhofft sich davon Öffentlichkeitswirkung nach dem letzten Waffengang in Gaza. Die Reise wird sicher beiderseits als Erfolg gewertet werden, aber atmosphärisch nichts daran ändern, dass Juden weltweit misstrauisch geworden sind. Hier schließe ich das orthodoxe Oberrabinat in Israel durchaus ein – jenseits aller diplomatischen Konkordienformeln, die wir von dort im Vorfeld der Besuche zu hören bekommen.

„Ich sehe kein inhaltliches Interesse der katholischen Seite am zeitgenössischen Judentum“

HK: Eine Reihe deutscher Bischöfe hatte sich unmittelbar nach der vatikanischen Entscheidung recht kritisch geäußert, und die Bischofskonferenz hat in ihrer Erklärung nach der Frühjahrsvollversammlung in Hamburg auf die Bedeutung des jüdisch-christlichen Dialogs aufmerksam gemacht. Können solche Aussagen Perspektiven für das gemeinsame Gespräch sein?

Homolka: Die Bischöfe haben gemeinsam deutlich gemacht, dass für Holocaust-Leugnung in der Kirche kein Platz ist und bei der Nivellierung des Zweiten Vatikanums durch reaktionäre Kreise bestimmte Grenzen erreicht sind, was der breiten Basis noch vermittelbar ist. Gerade in der zweiten Frage aber zeigen sich unterschiedliche Lager. Da gibt es einige aktive Verfechter des jüdisch-christlichen Verhältnisses wie Kardinal Karl Lehmann und Bischof Heinrich Mussinghoff, der die entsprechende Unterkommission der Bischofskonferenz leitet. Aber es gibt auch ein großes Mittelfeld. Die Frage, ob Juden die Brüder im Glauben sind, oder wie Benedikt XVI. jetzt formuliert hat, sogar die Väter des Glaubens, hat in meiner Beobachtung keine praktische Relevanz für ihren katholischen Glaubensvollzug. Das Judentum bleibt da mehr historische Reminiszenz als Herausforderung und Stimulanz: Juden halten da einen Ehrenplatz, so wie man auf die Vorfahren aus grauer Vorzeit mit einem gewissen Respekt schaut. Und die Freisinger Bischofskonferenz macht ein drittes Feld ganz rechts auf: da werden Verteidiger des Zweiten Vatikanums mit Lehrzuchtverfahren bedrängt und kommt es auffallend häufig zu Entgleisungen: vom Vergleich des Gazastreifens mit dem Warschauer Ghetto über die Mission an Juden heute bis hin zum Vergleich von Abtreibungen mit dem Holocaust.

HK: Was wären denn jenseits der historischen Bedeutung aktuelle Anknüpfungspunkte im Judentum, ausgehend von denen man in den Dialog gehen könnte oder sogar müsste?

Homolka: Die oft verwendete Floskel vom jüdisch-christlichen Abendland verkennt, dass das Judentum nicht die bloße Vorform des Christentums ist. Weshalb tritt man mit dem zeitgenössischen Judentum nicht in einen Diskurs, der auch wahrnimmt, dass wir in wichtigen Grundfragen oft eine andere Position einnehmen als die katholische Kirche? Beispielsweise bei Fragen wie Empfängnisverhütung, Stammzellenforschung, Ehescheidung, der jüdischen Ablehnung eines Pflichtzölibats und der Unterscheidung zwischen Priestern und Laien, bei der Abtreibung und bei der Gleichberechtigung der Frau oder der Ordination von homosexuellen Kandidaten ins geistliche Amt. Wir haben zum Beispiel weltweit einen Frauenanteil von über 50 Prozent bei den neuordinierten Rabbinern in den drei nichtorthodoxen Richtungen des Judentums. Vielleicht ist die Zeit gekommen, solche markanten Unterschiede auch einmal mutig zu thematisieren.

HK: Wie erklären Sie sich, dass es zur Diskussion über diese teilweise sehr großen Unterschiede nicht kommt, obwohl sie doch eine Menge Gesprächsstoff böten?

Homolka: Man nimmt gar nicht wahr, dass das heutige Judentum vielgestaltig und quicklebendig ist. Daran wird sich nur dann etwas ändern, wenn die Bezeichnung Benedikts XVI. des Judentums als „Väter im Glauben“ Ausgangspunkt für einen ernsten Austausch ist. Ich sehe momentan jedoch kein besonderes inhaltliches Interesse der römischen Seite am zeitgenössischen Judentum. Dazu kommt die Frage, wie der Dialog der katholischen Kirche mit dem Islam weitergehen wird. Wo Christen das Judentum vereinnahmen wollen, werden wir verstärkt auf die enge Verbundenheit des Judentums mit dem muslimischen Halbbruder hinweisen müssen.

HK: Hat die katholische Kirche den jüdisch-christlichen Dialog also bisher nur halbherzig betrieben?

Homolka: Viele Menschen in der katholischen Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg haben über viele Jahre hinweg aufrichtig und interessiert dieses Gespräch gesucht und vorangetrieben. Aber auch wir haben uns darauf ehrlich eingelassen. Zum Beispiel haben wir als Rabbinerseminar über Jahre Akzente in diese Richtung gesetzt: Exkursionen nach Rom an die Rota, Vorträge katholischer Theologen, Begegnungen von jüdischen Rechtsgelehrten und Kirchenrechtlern, Mitarbeit im Gesprächskreis Juden und Christen des ZdK, Besuche in Priesterseminaren, etwa dem von Lublin. Zurzeit werden unsere Rabbinerstudenten an der katholischen Medienakademie Wien fit für die Öffentlichkeit gemacht. Wir suchen und wir wollen die Begegnung mit der katholischen Kirche. Nicht immer treffen wir im Episkopat auf entsprechendes Interesse und vergleichbare Neugier auf die „älteren Brüder“.

HK: Zumindest auf der Ebene der Expertengespräche, wie sie an Universitäten, katholischen Akademien und anderen Institutionen geführt werden, wurde in den vergangenen Jahren doch eine ganze Menge erreicht.

Homolka: Es handelt sich, auch auf internationaler Ebene, leider nur um einen kleinen Expertenzirkel. Der Dialog ist nicht in die Breite gegangen, schon gar nicht mit der katholischen Kirche.

HK: Wie sieht es im deutschen Protestantismus aus, wo das Thema Judenmission an der Basis durchaus ein Thema ist, wie beispielsweise auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart vor einigen Jahren heftig diskutiert wurde?

Homolka: Das hat eine ganz andere Qualität. Seinerzeit hatten sich Rabbiner geweigert, am Stuttgarter Kirchentag teilzunehmen. Dass sich auf dem Markt der Möglichkeiten eine judenmissionarische Gruppe darstellen durfte, war für mich damals als Rabbiner kein Grund, auf eine Teilnahme zu verzichten. Vor dem Katholikentag im vergangenen Jahr in Osnabrück hatte dann jedoch nicht irgendeine Gruppierung, sondern der Papst selbst ein dramatisches Zeichen gesetzt, dass Judenmission wieder zu einer denkbaren Möglichkeit wird. Da das vom Oberhaupt der katholischen Kirche so missverständlich geäußert wurde, habe ich abgesagt. Ich nehme da die Rolle des Papstes sehr ernst. Man hat das hie und da als eine nicht angemessene Reaktion gesehen. Für mich war das eine Frage der Glaubwürdigkeit. Gut war, die Gegenwehr so vieler katholischer Christen und das Unverständnis bei hochrangigen Vertretern der protestantischen Kirchen zu erleben.

HK: Was heißt das für die Zukunft des jüdisch-katholischen Dialogs? Hat es angesichts der römischen Entscheidungen keinen Sinn mehr, auf nationaler Ebene miteinander zu sprechen?

Homolka: Die Begegnung von Rabbinern und Bischöfen am Rande der Frühjahrsvollversammlung der DBK in Hamburg hat gezeigt, dass wir miteinander im Gespräch bleiben. Es war unsererseits die Chance, ganz klar Stellung zu nehmen, dass wir die Eskapaden des Bischofs von Regensburg sehr negativ vermerken. Wir sind dem deutschen Episkopat insgesamt sehr dankbar für seine klare Haltung in Bezug auf die Pius-Bruderschaft. Das ändert jedoch nichts daran, dass ich die Rückzugsgefechte der Liberalen im deutschen Episkopat mit Sorge beobachte. Das bedeutet nichts Gutes für das jüdisch-katholische Gespräch in der Zukunft. In jedem Fall sind viele Grundfragen, die wir vor Jahrzehnten schon gelöst glaubten, plötzlich wieder aufgebrochen. Das ist keine gute Situation.

HK: Von der Normalität sind wir also weit entfernt ...

Homolka: Micha Brumlik spricht von einer Eiszeit, in die uns der Papst hineinmanövriert hat. Es wird Jahre dauern, bis sich wieder eine entspanntere Gesprächsebene einstellen wird. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein haben Juden und Christen keine gemeinsame Basis gehabt. Im Grunde ist das christlich-jüdische Gespräch der Scham über die Shoa geschuldet. Die Scham klingt ab, das Unrechtsbewusstsein der katholischen Kirche als Mitläufer und Handlanger des Dritten Reiches schrumpft. Das belastet die Offenheit und das Vertrauen der Beziehungen zwischen Katholizismus und Judentum. Ich betrachte das mit einer Mischung aus Ironie, Verwunderung und großer Melancholie.

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