Vor dem Heiligen Geist und der Liturgie haben Protestanten großen Respekt. Mitunter scheint er so groß, dass sie beide Größen aus ihren theoretischen Überlegungen zum Religionsunterricht wegrationalisieren. Es wäre eine durchaus reizvolle Aufgabe, die Geschichte der evangelischen Religionspädagogik als eine Geschichte der Wiederentdeckung des Ur-Eigenen zu rekonstruieren. Im Falle der Performativen Didaktik käme man dabei beispielsweise auf die Wiederentdeckung der Eigendynamik biblischer Wortlaute – in ihrer literarischen Gestalt und in Formen ihrer gottesdienstlichen und religiösen Inszenierung.
Bemerkenswert an dieser neuerlichen Entdeckung ist, dass sie sich nahezu zeitgleich auch in der katholischen Religionspädagogik abspielt. Dies war damals – cum grano salis – bei den Symboldidaktiken ganz ähnlich, nur hatte hier die katholische Spielform (Hubertus Halbfas) einen deutlichen zeitlichen Vorsprung vor ihrer protestantischen Variante (Peter Biehl). Einig waren sich beide darin, dass sich der Gegenstand ihres Faches nicht in der funktionalisierenden Interpretation von Texten erschöpfen könne. Stattdessen sollten so genannte „Symbole“ Religion im emphatischen Sinne zu lernen geben. Die Kritik durch Michael Meyer-Blanck ließ Mitte der neunziger Jahre die theologischen Spannungen dieser Vermittlungsoption deutlich hervortreten. Als unhintergehbar erwies sich jedoch in der Folgezeit der symboldidaktische Impuls, Religion allererst über ihre Gebrauchszusammenhänge zu erschließen. Gegenüber einer „anästhetischen“ Leugnung von Wahrnehmung geriet dann mehr und mehr die Eigenart religiöser Texte in den Blickpunkt.
Die Performative Religionsdidaktik kann ihre Angemessenheit legitimieren
Angeregt durch die Kulturtheorie Umberto Ecos gehen nun die evangelischen Performanztheoretiker davon aus, dass der Gebrauch von Zeichen in der wechselseitigen Bezogenheit von Produktions- und Aneignungsprozess geschieht, gewissermaßen „benutzerdefiniert“ in Abhängigkeit vom jeweiligen Zeichengebrauch. Also: Wie kommt die Lerngruppe zur Sache? beziehungsweise Wie bringt sie diese in freiem Zugriff hervor? Diese erkenntnistheoretische oder rezeptionsästhetische Pointe wird bei einer allzu unkritischen Rezeption der Performativen Religionsdidaktik leicht übersehen. Reduziert man den performativen Zugriff auf die Gegenstände des Religionsunterrichts auf eine Methode, also auf einen Übertragungsweg, bei dem vorab feststehende „Inhalte“ lediglich zeitgemäß und schülernah transportiert werden, dann zeigt man schlicht an, dass man an der entscheidenden Stelle das Mitdenken eingestellt hat. Performatives Lernen vor diesem Hintergrund in eine Opposition zu rücken zu „intellektuellem Verstehen“ oder zu „Wissensvermittlung“ hebt das Gesamt neuzeitlichen Theaterschaffens implizit auf das Niveau einer Telenovela.
Es ist vermutlich ein zentraler Aspekt ihrer momentanen Attraktivität, dass die Performative Religionsdidaktik ihre Angemessenheit auf unterschiedlichen Ebenen begründen kann.
Zunächst einmal biblisch-theologisch: Nimmt man das Gros biblischer Sprachformen ernst, also „beim Wort“, dann drängen sich deren metatextliche Valenzen geradezu auf. So setzt eine Erzählung selbstredend darauf, erzählt zu werden. Und indem sie erzählt wird, reichert sich die Narration mit den Bildern und Ko-Texten ihres jeweiligen Erzählkontextes an. Die narrative Zuwendung zu den Hörern (jetzt!, hier!) spannt einen Deutungsraum auf, der von den Hörern begangen und eben darüber für wahr genommen werden will. Tradition erwächst aus lebendigem Tradieren. Zwingt man dagegen diesen vitalen leib-räumlichen Vorgang in das Prokrustesbett einer nichtssagenden Kopiervorlage, musealisiert man den Modell-Autor und entpersonalisiert zugleich den Modell-Leser als subjektneutralen „Inhalt“.
Gleiches gilt für die Rezeption biblischer Metaphern. Denn auch sie fordern geradezu die didaktische Performanz. Bei Metaphern versucht der Absender, mehr zu sagen als in der Situation sagbar ist. Unsägliches führt sich auf. Weder ein metaphorischer Sprechakt noch eine metaphorische Ausdruckshandlung erschöpft sich in einer reinen Repräsentationsfunktion, beide Äußerungsformen sind vielmehr auf vielfältige Weise in mögliche Lektürepragmatiken verstrickt. Metaphern zeichnen sich gewissermaßen ab; ihr Sinn kommt unter der Lektüre zum Ausdruck. Das Aha! ist gewissermaßen der fruchtbare Moment im metaphorischen Lernprozess. Denn ohne die kreativen Einträge eines Lesers kann eine Metapher nicht wirklich funktionieren.
Und Gleichnisse? Auch sie haben ja keineswegs nur die Funktion eines Mediums. Und natürlich führen auch Briefe, Evangelien und Psalmen die Merkmale ihrer werkgetreuen Aufführungspraxis mit sich – ganz zu schweigen von der impliziten Didaktik liturgischer Stücke. All diese Formen sind von Grund auf performativ verfasst; Performanz kommt hier nicht als anregende Methode hinzu. Es handelt sich bei den aufgezählten Sprachformen also nicht um „Texte“, sondern um Wortlaute, die setzen, was sie sagen. Das Problem ist also weniger, die biblischen Stücke vor unerlaubten Zugriffen zu schützen, wie Thomas Meurer mutmaßt, vielmehr sollten sie im Religionsunterricht allererst „werkgetreu“ inszeniert werden können. Geschieht dies, dann kann man der Heiligen Schrift getrost die Kraft unterstellen, sich selbst auszulegen.
Nicht unerwähnt kann bleiben, dass völlig unbeeinflusst von der Religionspädagogik auch die allgemeine Erziehungswissenschaft in den Sog des „performative turn“ geraten ist. So bestimmt zum Beispiel die so genannte „Operative Pädagogik“ nach Klaus Prange ihren Gegenstandsbereich als die pädagogischen Handlungen. Sie erkennt im Vorgang des Zeigens die Grundform des Erziehens. Kurzum: Die Theoriebildung im Kontext der Performativen Religionsdidaktik zeigt sich in hohem Maße anschlussfähig an die für die Religionspädagogik relevanten Wissenschaftsdiskurse. Dass dieser Ansatz nicht zuletzt auch der merklich gestiegenen Sensibilität der Schülerinnen und Schüler für ästhetische Formen entgegenkommt, ist vielfach kritisch angemerkt worden. Im „Trend“ zu liegen, diskreditiert aber nicht ohne weiteres eine auf lebendigen Unterricht bezogene Theorie, zumindest ist diese Gefahr erheblich geringer als im umgekehrten Fall.
Der bildende Impuls des Ansatzes
Sind damit die an der Arbeit mit den Sujets des Religionsunterrichts sich kondensierenden Inhalte schon „profanisiert“, wie Rudolf Englert jüngst konstatierte? Dieser Vorbehalt tangiert eine grundsätzliche Bestimmung im Blick auf das hier voraus gesetzte Schrift- und Religionsverständnis. In evangelischer Perspektive kennt der Sachverhalt, der in der Bibel mit dem Namen Jesus Christus angezeigt wird, keine eigenen Vokabeln für die Bezeichnung der ihm eigenen Sinnsicht. Hartnäckig verweist die Exegese darauf, dass er auf Benennungen aus anderen, in aller Regel „profanen“ Kontexten angewiesen ist. Erst ihre religiöse Ingebrauchnahme zeichnet sie ein in christliche oder kirchliche Semantiken. Geläufige sprachliche Wendungen erfahren in der religiös motivierten Darstellung eine Bedeutungswandlung, die über die einer fakultativen semantischen Variante weit hinausreicht.
Martin Luther bringt dieses Sprachereignis in seiner Disputation „De divinitate et humanitate Christi“ theologisch auf den Punkt: „Spiritus sanctus habet suam grammaticam“ (1540; WA 39II, 104, 24). Insofern es der Performativen Didaktik vorrangig um die Inszenierungsbedingungen von Religion geht, also um die Umstände, die eine Zeichenfolge zu einer möglicherweise religiösen Zeichenfolge werden lässt, hält sie profane und religiöse Semantiken als Lesarten didaktisch transparent. Von daher ließe sich auch Thomas Meurers erste Anfrage beantworten: Alle Gegenstände, die eine begründbare religiöse Lesart zulassen, können grundsätzlich behandelt werden; zunächst natürlich die Bibel, dann die geschichtlichen Ausformungen biblischer Deutungen (Kirchengeschichte, Liturgie, Dogmatik) und schließlich die Kulturformen des Religiösen (Kunst, Pop, Medien, Kulte). Auf einen materialen Kanon lässt sich die Performative Didaktik allerdings nicht reduzieren; dies hat sie mit den weitaus meisten religionsdidaktischen Zugängen gemeinsam.
Aber exakt hier liegt der bildende Impuls des performativen Ansatzes, wie Bernhard Dressler immer wieder betont. Denn religiöse Bildung, die die ihr aufgegebenen Gegenstände wie fixe Sachverhalte zu vermitteln sucht, die – einmal „behandelt“ und „abgefragt“ – dann an den Bestand eines Wissensdepots delegiert, wird das Schicksal eines Englischunterrichts teilen, der zwar Unmengen von Vokabeln vermittelt hat, darüber aber die Pragmatik aktiven Sprechens aus dem Blick verloren hat. Wer so Religion „gelernt“ hat, wird zwar alle Paulusbriefe der Reihe nach aufzählen können, aber hoffnungslos versagen bei Fragen nach der religiösen Imprägnierung der Popkultur oder der paganen Abseite kirchlicher Kasualien. Wer viel weiß, ist nicht unbedingt klug – auch wenn manche TV-Shows das Gegenteil suggerieren.
Performative Didaktik setzt auf alle sinnvollen Formen, in denen das Zeigen von Religion (Deixis) und religiöse Darstellung (Mimesis) Gestalt gewinnen. Nur so kann ihr Gehalt in Erscheinung treten und bildende Kraft freisetzen. Dies schließt ein, dass dabei biblische Texte durchaus auch plurale Deutungen erfahren können. Diese Deutungen müssen sich natürlich – wie bei jedem Theaterstück – anhand von Plausibilitäts- und Geschmackskriterien bewähren. Dabei spielt die theologische Urteilskraft des Lehrers eine zentrale Rolle. Er wird hoffentlich in seinem Theologiestudium gelernt haben, dass sich theologische Lehre in der Christentumspraxis immer sekundär an eine religiöse Praxis angeschlossen hat. So genannte „Basics“ wurzeln in Vorgängen. Erst im Spiel der jeweiligen „Fehldeutungen“ bewahrheiten sich die Lesarten des Glaubens.
Wie jedes religionsdidaktische Konzept kommt auch die Performative Religionsdidaktik nicht ohne einen schülernah operationalisierbaren Begriff von Religion aus. Hier ist Thomas Meurer mit seiner dritten Anfrage uneingeschränkt Recht zu geben. Es ist jedoch eine Stärke dieses Zugangs, dass er seine Gegenstände offen halten kann für funktionale wie für substantielle Bestimmungen von Religion. Gelänge es, deren je beschränkte Reichweiten in und mit der Klasse zu klären und dabei zu vermitteln, dass religiöse Differenzen und Zuordnungen nicht gegeben, sondern ausgehandelt werden, dann wäre schon ein wichtiges performatives Lernziel erreicht.