KulturSpannungen zwischen Glaube und Vernunft

In lockerer Folge veranstaltet die Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz Fachgespräche zu grundsätzlichen Fragen des kirchlichen Engagements. Zuletzt stand Ende Januar das Thema „Christlicher Glaube und öffentliche Vernunft“ im Mittelpunkt.

Ende Januar fand im Bundespresseamt in Berlin eine bemerkenswerte Podiumsdiskussion statt, bei der das Verhältnis zwischen dem christlichen Glauben und der pluralen Gesellschaft diskutiert wurde – auch wenn der Austausch weniger kontrovers vonstatten ging, als das manche erwartet haben mögen.

Immerhin stand in Berlin, das auch als „Hauptstadt der Konfessionslosen“ gilt, die Frage „Humanismus – mit und ohne Gott“ auf dem Programm. Auf dem Podium: ein katholischer Bischof, ein Theologieprofessor derselben Konfession und ein als Christentumskritiker bekannt gewordener Philosoph, die sich allesamt der Frage stellten, welche Rolle der christliche Glauben im öffentlichen Ringen um die humane Gestaltung der Gesellschaft spielen könne.

Christliche Ethik wesentlich für die Gesellschaft

Herbert Schnädelbach, der mit seinen sieben Thesen über den „Fluch des Christentums“ im Jahr 2000 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ für Furore sorgte, sich zwischenzeitlich aber auch zu Differenzierungen bereit gezeigt hat, bemängelte, dass der Glaube zu schnell politisch zu vereinnahmen sei. Religion solle sich deshalb auf die Privatsphäre beschränken. Glaubensbekenntnisse in der Öffentlichkeit, die immer von Pluralität geprägt sei, empfinde er als exhibitionistisch.

Demgegenüber hob der Erfurter Bischof Joachim Wanke, Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, hervor, dass Christen aufgrund der Geschichte zwar keinen Grund hätten, sich zu überheben. Eine christliche Ethik der Nächstenliebe sei jedoch wesentlich für die humane Gestaltung der Gesellschaft – freilich ohne selbst Garant des Guten sein zu können. Denn auch wenn der Glaube sich nicht darauf reduzieren lasse, wolle er ethisch und damit in die Gesellschaft hinein wirken.

Ähnlich wie Wankes Plädoyer für eine empathiegeleitete Ethik aus christlichem Geist forderte der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet eine Selbstbeschränkung des Glaubens angesichts der pluralen Gesellschaft. Man müsse anerkennen, dass humanes Engagement nicht allein mit dem Glauben begründet werden könne. Grundsätzlich sei ein Humanismus ohne Gott denkbar und der Glaube in erster Linie eine zusätzliche Quelle der Motivation.

Striet ging aber auch noch einen Schritt weiter: Eine „moralisch sensible Moderne“ entpuppe sich gar als „Vollendungsgestalt des biblischen Glaubens“. In diesem Sinne habe die Vernunft den Glauben gereinigt – und nicht umgekehrt. Gott entfalte seine Größe in der freien Gesellschaft, so wie die „entfaltete Moderne“ Gott angemessener sei als jede andere Gesellschaftsform.

Schnädelbach seinerseits wiederum zeigte sich abermals gemäßigt – und übte vor allem Kritik am Humanistischen Verband, der im Berliner Religionsdisput von größerer Bedeutung ist (vgl. HK, Mai 2006, 227ff.). Zwischen Humanismus und Humanismus, so Schnädelbach, sei durchaus zu unterscheiden. Er könne gar in Stalinismus umschlagen, wenn er den Menschen als höchstes Wesen einsetze. Dagegen versteht sich Schnädelbach als Vertreter eines skeptischen Humanismus, dem es in erster Linie darum gehe, mit den Menschen solidarisch zu werden (vgl. auch HK, Juli 2009, 364ff.).

Die Veranstaltung mit knapp 300 Zuhörern war der Abschluss eines Fachgesprächs, das die Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, deren Vorsitz Bischof Wanke demnächst abgeben wird, in lockerer Folge veranstaltet. In der Katholischen Akademie ging es zuvor im kleinen Kreis und unter Beteiligung einer Reihe von Bischöfen vor allem um die Bedeutung einzelner Stimmen und Strömungen im gegenwärtigen Gespräch um Glaube und öffentliche Vernunft.

Denn auch wenn sich die Debatten im vergangenen Jahrzehnt intensiviert haben: Angesichts der Bedeutung der Theologie an den Universitäten, aber auch des vergleichsweise hohen Bildungsniveaus der kirchlichen Akteure findet die interdisziplinäre Auseinandersetzung über die Ressourcen für das gesellschaftliche Zusammenleben insgesamt zu wenig statt.

Was kann der Glaube zu diesen Auseinandersetzungen beitragen, wo müsste er intensiver gehört werden? Welche vorherrschenden Widerstände sind unbegründet und wo werden die Kirchen durch diese auch mit Recht zu Diskussionen über ihre Rolle herausgefordert? Und inwieweit erschweren die Phänomene des Traditionsabbruchs das Gespräch?

Am Beginn stand die soziologische Vergewisserung der gewandelten Ausgangslage durch Hans Joas, Leiter des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt und Professor an der University of Chicago. Mit Verweis auf entsprechende Untersuchungen sieht Joas angesichts des viel diskutierten Abbruchs kirchlicher Traditionen mehr Milieuwandel als dessen radikale Auflösung. Einmal abgesehen davon, dass das viel beschworene Milieu immer schon ambivalent gewesen sei, zeige sich etwa auf dem Heiratsmarkt, dass Gläubige zwar nicht mehr unbedingt auf die Konfession achten, ihnen aber sehr wohl weiterhin an einem ebenfalls gläubigen Partner liege.

Umgekehrt werde die empirisch fassbare Religiosität außerhalb der Kirchen in den Medien weit übertrieben. Diese mehr oder weniger esoterischen Formen, die auch keinesfalls die kirchlichen Verluste kompensierten, hätten so gut wie keine quantitative Bedeutung. Höchstens ein bis zwei Prozent der Bevölkerung seien hier engagiert, weil diese parareligiösen Praktiken nur in kurzen biographischen Phasen interessant seien.

Vor allem aber erinnerte er – gegen die geläufige Übertreibung der Säkularisierungstendenzen in Deutschland – an die von Philip Jenkins aufgezeigte zunehmende „Globalisierung des Christentums“ – wobei hier freilich angesichts der grassierenden Vernunftskepsis von Pfingst- und anderen Freikirchen, die weltweit am stärksten wachsen, gerade mit Blick auf die diskutierten Rationalitätsansprüche des Glaubens auch eigene Schwierigkeiten zu beobachten sind.

Allerdings ging es Joas weniger um die gesellschaftliche Analyse als um die intellektuellen Herausforderungen, die der gegenwärtige Wandel für das christliche Engagement in der Gesellschaft aufwirft. Er ist überzeugt: Das Christentum kann sich heute nur verständlich machen, wenn ihm die „Übersetzung in die Gegenwart“ in „ganz elementarer Weise“ neu gelingen wird.

Vorherrschaft von Utilitarismus und Individualismus

Mit Bezug auf Thesen von Ernst Troeltsch, die auch nach 100 Jahren immer noch aktuell seien, zeigte er sich zuversichtlich, dass das Christentum mit seinem „radikalen Liebesethos“ gerade angesichts der Vorherrschaft von Utilitarismus und expressivem Individualismus in den vergangenen Jahrzehnten eine gerade heute interessante Alternative darstelle. Nicht zuletzt die Finanzkrise habe hier Selbstverständlichkeiten erschüttert, die die geforderte Sensibilität für das Leid anderer plausibler erscheinen lasse.

Ähnlich spreche angesichts des gesellschaftlich gepflegten Verständnisses von Spiritualität als Möglichkeit individueller Selbstverwirklichung viel für Troeltsch’ Hinweis auf den Zusammenhang von religiöser Erfahrung und gemeinsamem Kult, den Charles Taylor jüngst unter dem Titel „Network of Agape“ aufgegriffen habe.

Vor allem müsse das Christentum der Gefahr der Transzendenzvergessenheit begegnen und deren spezifische Vermittlung in Jesus Christus, wie sie etwa in der Trinitätstheologie oder im Eucharistieverständnis geleistet werde, präziser herausstellen.

Das 20. Jahrhundert sei in diesem Sinne weniger ein Zeitalter der Säkularisierung als der Detranszendentalisierung gewesen. Transzendenz müsse mehr sein als das „radikal Unbestimmte“. Hier sei eine fundamentale Reformulierung notwendig, nicht zuletzt um magische Missverständnisse bei der Aneignung der christlichen Tradition zu vermeiden.

Klaus Müller, Professor für Philosophische Grundfragen der Theologie in Münster, setzte sich über seine bisherigen Auseinandersetzungen mit den naturalistischen Strömungen in der Philosophie hinaus (vgl. schon HK Spezial, Getrennte Welten? Der Glaube und die Naturwissenschaften, Oktober 2008, 9ff.) vor allem mit Peter Sloterdijk und seinem jüngsten Bestseller „Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechnik“ (Frankfurt 2009) auseinander.

Religion sei ein „Ensemble von Techniken der Selbstvervollkommnung“, so die Behauptung des einflussreichen, mit einer eigenen Fernsehshow geadelten Philosophen, der Religion und Transzendenz als illusionär entzaubern wolle.

Dies sei, so Müllers Kritik, ein Fehler, der schon Ludwig Feuerbach unterlaufen sei. Durst sei nicht der Beweis für die Nicht-Existenz von Wasser. Außerdem setze Sloterdijk Religion mit Ethik gleich und forciere damit „das Problem der ethischen (Selbst-)Überforderung“, auf das die Religion jene Antwort gebe, die ihr Spezifikum ausmache: „Du musst dir dein Dasein nicht machen, verdienen, rechtfertigen, auch nicht durch moralisches Spitzenverhalten, weil du daran sowieso scheiterst, sondern es genügt, dass es dich gibt, weil Gott gesagt hat: ,Ich will, dass du bist‘.“

Weil der „Egalitarismus“ genau aus diesem Grund zur Essenz des Christentums gehöre, liege der Philosoph auch in der von ihm angezettelten Debatte über die Schattenseiten des deutschen Sozialstaats falsch und müsse mit christlichen Einspruch rechnen. Zudem schaffe es auch die subtilste Anthropotechnik nicht, das Ärgernis des Todes aus der Welt zu schaffen.

Kritik an Jürgen Habermas

Müller plädierte angesichts dieser Infragestellungen für die Kirche als Garanten der Vernunfterschließung von Religion, die – von der ausfallenden Auseinandersetzung mit der Moderne abgesehen – immerhin ein wesentliches Anliegen von Benedikt XVI. sei. Striet sekundierte, die Kirchen seien der Raum, in dem menschliche Autonomie eingeübt und Kriterien für die öffentliche Kritik an jedem inhumanen Denken entwickelt werden können.

Unterstützung gab es schließlich auch vom Frankfurter Fundamentaltheologen Knut Wenzel, der Kirche als den Ort definierte, an dem jeder Mensch als jemand anerkannt werde, der sich selbst verwirklichen könne. Aus diesem Grund sei die menschliche Freiheit Grundlage dafür, den christlichen Glauben zu denken – in Wenzels Vortrag freilich dezidiert transzendentalhermeneutisch durchgeführt (vgl. HK, April 2009, 202ff.). Auch Wenzel forderte mit Verweis auf Benedikt XVI. einen intensiveren Bezug des theologischen Denkens auf philosophische und säkulare Strömungen, der heute gerade nicht mehr selbstverständlich sei.

Während in den Diskussionen durchaus umstritten war, ob man sich mit Populärphilosophen wie Sloterdijk überhaupt ernsthaft auseinander setzen solle, steht dies im Fall von Jürgen Habermas, der den gesamten Tag über als virtueller Gesprächspartner präsent war, außer Frage. Unmittelbar angesprochen wurde die vielzitierte Forderung, die Gehalte des christlichen Glaubens dem säkularen Denken „übersetzen“ zu müssen, von Joachim Hake. Der Direktor der Katholischen Akademie Berlin verglich die schwierige Aufgabe des Übersetzens von Gedichten mit dem von Habermas geforderten Prozess zwischen den Gläubigen und der säkularen Gesellschaft.

Gleichzeitig wurde in den Repliken aber auch mehrfach davor gewarnt, Habermas als Kirchenvater des 21. Jahrhunderts zu überschätzen. Seine Rede von der „Opazität des Religiösen“, so Joas, sei insofern ärgerlich, als auch das säkulare Denken für sich selbst nicht in jeder Hinsicht durchsichtig sei. Müller sah hier gar eine problematische „Lizenz“ für fundamentalistische Äußerungen in den Kirchen.

Auch Schnädelbach zeigte sich verwundert über die überwältigende Zustimmung der Theologen zum Ansatz von Habermas – und markierte in seinem Resümee der Diskussionen seinerseits Mindestbedingungen für eine Religion, die sich vor dem Forum öffentlicher Vernunft behaupten könne: Sie solle die Menschen nicht dümmer oder unfreier machen, in jedem Fall aber sensibler für die Nöte anderer.

Religion, darauf wäre freilich grundsätzlich gegenüber Schnädelbach zu bestehen, darf nicht zur Privatsache verkümmern. Gerade angesichts der  Bestrebungen, als Kirche stärker missionarisch zu wirken, von der in Berlin mehrfach die Rede war, ist sie aber auch gezwungen, sich stets neu selbst aufzuklären, um einem latenten Gewaltverdacht, dem „Talibanisierungsvorwurf“ gegenüber dem Christentum (Wanke), überzeugend antworten zu können. Für Joas freilich ist es keine Frage, dass Christen heute intellektuell konkurrenzfähig sind. Man müsse allerdings die defensive Rhetorik ablegen.

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