Zu den größten Hürden vor interreligiösen Gesprächen gehört die Sorge, der Dialog werde vom Anderen mit missionarischen Absichten geführt, gewissermaßen als sanfte Variante einer gezielten Bekehrungskampagne zur Gewinnung neuer Anhänger. Diese Befürchtungen gibt es – wie unterschwellig auch immer – gelegentlich auch dort, wo sich Christen mit Muslimen treffen.
Beide Weltreligionen haben sich faktisch innerhalb kurzer Zeit weit über ihr Entstehungsgebiet hinaus verbreitet, teilweise gewalttätig. Sie nehmen noch heute, weltweit gesehen, an Gläubigen zu; wachsen zu sollen, gehört zum jeweiligen Selbstverständnis. Mit umso mehr Nachdruck stellt sich da die Frage, welche Ziele auf beiden Seiten mit dem interreligiösen Dialog verfolgt werden – wenn man einmal von der Klärung der Bedingungen eines friedlichen Miteinanders absieht.
Bemerkenswert unaufgeregte Diskussionen
Vor diesem Hintergrund war es durchaus gewagt, dass sich das „Theologische Forum Christentum – Islam“, das an der Katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart angesiedelt ist, jüngst Anfang März unter dem Titel „Zeugnis, Einladung, Bekehrung – Mission im Christentum und im Islam“ die jeweiligen Missionsverständnisse diskutiert hat.
Beim „Theologischen Forum Christentum – Islam“, inzwischen eine wichtige Institution im christlich-muslimischen Dialog (vgl. auch die im Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, erscheinende Publikationsreihe), treffen sich seit 2005 Jahr für Jahr christliche und muslimische Theologen, um sich und die jeweils andere Religion besser kennen zu lernen.
Die Zahl der Teilnehmer, die sich jeweils durch eine intensivere akademische Beschäftigung mit dem Verhältnis von Christentum und Islam ausgewiesen haben, nimmt weiterhin kontinuierlich zu. Aufgrund der erreichten Kapazitätsgrenzen müssen Interessierte abgewiesen werden. Immerhin nehmen inzwischen rund 45 Prozent Muslime teil, vor allem mit türkischem und auch bosnischem Hintergrund – gleichwohl ist das Spektrum der ethnischen Prägungen breit gefächert.
Angesichts des heiklen Themas in diesem Jahr sind die Diskussionen der einschlägigen Fragen bemerkenswert unaufgeregt verlaufen. Dazu hat beigetragen, dass gleich im Eröffnungsvortrag eine Reihe notwendiger Differenzierungen vorgenommen wurden.
Der evangelische Missionswissenschaftler Henning Wrogemann, Professor für Missions- und Religionswissenschaft und Ökumenik an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, erinnerte an die Vielgestaltigkeit der Missionsbestrebungen im Islam wie im Christentum (vgl. auch Missionarischer Islam und gesellschaftlicher Dialog. Eine Studie zur Begründung und Praxis des Aufrufs zum Islam, Verlag Otto Lembeck, Frankfurt 2006).
So müsse man bereits in der Frühzeit des Islam zwischen militärisch gesicherter Ausweitung des Herrschaftsgebiets und der Ausbreitung der Religion unterscheiden. Der Islam wurde auch durch Händler oder Mitglieder des Sufi-Ordens friedlich verbreitet. Allerdings sei vom islamischen Herrschaftssystem ein permanenter Konversionsdruck ausgegangen, weil Juden und Christen als Schutzbefohlene in vielerlei Hinsicht nur Bürger minderen Ranges waren. Wrogemann fügte allerdings gleich hinzu, dass es in christlich geprägten Staatswesen ähnlich restriktive Regelungen gegen Angehörige anderer Religionen gegeben habe.
Selbst die islamischen Revitalisierungsbewegungen ab dem frühen 20. Jahrhundert setzten schließlich durchaus gegenläufige Akzente: Neben dem Ziel politischer Herrschaft gebe es Strömungen, die den Islam von solchen Ambitionen ausdrücklich reinigen wollen. Einerseits strebe man eine Islamisierung der Kultur an, andererseits werde gefordert, den Islam als Teil des modernen Pluralismus zu etablieren.
Keine apologetische Profilierung auf Kosten anderer
Umgekehrt kennt auch das Christentum eine Vielfalt der Formen missionarischen Eifers. Anders als im Islam habe es zwar eine längere Phase gegeben, in der sich die neue Religion ohne politische Unterstützung ausbreiten musste. Wo sie dann jedoch Staatsreligion wurde, haben auch Christen gewaltsame Mittel angewendet. Selbst hier sind allerdings Unterscheidungen unabdingbar: Denn während die Kreuzzüge – anders als von Muslimen oft wahrgenommen – nie Missionskriege gewesen und gewaltsame Bekehrungen nur in Ausnahmefällen vorgekommen seien, gebe es bei der späteren Kolonialisierung beides: sowohl Zwangstaufen, als auch friedliche und auf Freiwilligkeit basierende Missionen. Ab dem 19. Jahrhundert stehe dann im Vordergrund, dass die Missionsorden mit ihrem Engagement (Schulen, karitative Einrichtungen, christliche Publizistik) faktisch die europäisch-christliche Zivilisation auch in muslimische Länder exportiert haben.
Heute dürfe es angesichts dieser Vielschichtigkeit nicht zu einer apologetischen Profilierung auf Kosten anderer kommen, so Wrogemann in seinem Fazit. Unsachgemäße Vergleiche, indem man etwa Geschichtsverläufe zu quantifizieren versucht, seien unlauter. Er forderte demgegenüber die Bereitschaft zur Ideologie- wie zur Selbstkritik. Berechtigten moralischen Anfragen, die durchaus schmerzhaft sein könnten, müsse man sich aussetzen.
Zu beachten ist freilich auch, dass der Begriff Mission im Islam erst in jüngerer Zeit adaptiert worden ist. Die muslimische Tradition redet eher von „tabligh“ (Verkündigung) oder „da’wa“ (Ruf). Auf muslimischer Seite betonten vor diesem Hintergrund alle Referenten und Gesprächspartner, dass Mission nur bei uneingeschränktem Respekt für die Religionsfreiheit denkbar sei.
Besonders markant tat dies im muslimischen Eröffnungsvortrag Ataullah Siddiqui, der an der University of Leicester und dem muslimischen Markfield Institut of Higher Education lehrt. Ganz im Sinne des pluralismussensiblen Religionsdiskurs angelsächsischer Prägung vertrat er die These, dass „da’wa“ weniger mit dem Aufruf zur Konversion als zur Konversation beziehungsweise Kommunikation zu tun habe. Wie viele andere Muslime in Stuttgart bezog er sich wesentlich auf die koranische Aussage, dass es in der Religion keinen Zwang gebe (Sure 2:256).
Siddiqui wies darauf hin, dass viele muslimische Staaten keine freien Länder seien und die Beziehungen zum Christentum bedauerlicherweise oft mit Freund-Feind-Kategorien beschrieben werden. So wie Christen mehr über den Islam wissen sollten, müssten Muslime sich bemühen, Christen differenzierter wahrzunehmen. In der Auseinandersetzung mit den westlichen Traditionen, so seine Überzeugung, werde sich langfristig eine „verständnis- und vertrauensvolle Atmosphäre“ entwickeln.
Selbstrelativierung vermeiden
Gleichwohl wich man in Stuttgart den brisanten Punkten nicht aus. Das zeigte sich etwa im Anschluss an den Vortrag von Christine Lienemann-Perrin, Professorin für Ökumene, Mission und interkulturelle Gegenwartsfragen an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Basel. Sie hatte eine Matrix mit acht unterschiedlichen Verständnissen christlicher Mission vorgestellt, die mit Blick auf Akteure, Methoden, Adressaten und geographischer Verbreitung eingehend klassifiziert wurden: von evangelikalen Erweckungsbewegungen, den klassischen Auslandsmissionen und dem neueren Angebot an Glaubenskursen bis hin zum diakonischen Engagement oder dem Versuch, mit politischen Stellungnahmen der Kirchen auf die Öffentlichkeit einzuwirken.
An einem von einer Kenosis-Spiritualität geprägten Missionsverständnis, etwa bei Charles de Foucauld und seinen Anhängern, entzündete sich dann jedoch die Diskussion. So fragte Hamideh Mohagheghi, die Vorsitzende der Muslimischen Akademie in Deutschland ist und an der Universität Paderborn lehrt, ob hier nicht lediglich eine Offenheit für die andere Kultur vorgegaukelt werde, am Ende dann aber doch handfeste Missionsinteressen im Spiel seien.
Aber auch umgekehrt wurde die Frage gestellt, inwieweit in diesem Fall das christliche Profil überhaupt beibehalten werden könne. Lienemann nannte es eine Paradoxie, wie hier versucht werde, Absichtslosigkeit, Uneigennützigkeit und das Fehlen von Berechnung so zu leben, dass die zugrundeliegenden christlichen Intentionen nicht diskreditiert werden. Wie wäre anders ein ausgewogenes Missionsverständnis zu gewinnen?
Deutlich wurde in dieser Diskussion darüber hinaus, wie wichtig im Gespräch zwischen Islam und Christentum weiterhin die hermeneutischen Fragen sind: wie etwa die einschlägigen Bibelstellen früher christologischer Spitzenaussagen so verstanden werden können, dass sie einerseits andere nicht herabsetzen, andererseits aber Relativierung nicht zur Selbstrelativierung wird.
Gleichermaßen gilt dies jedoch auch für die Auslegung des Koran, bei der immer wieder darum gerungen werden muss, welche Passagen als historisch bedingt in unserer Zeit neu interpretiert werden können oder sogar müssen. Ganz in diesem Sinne lag Ömer Özsoy, Direktor des Instituts für Studien der Kultur und Religion des Islam der Universität Frankfurt, ausdrücklich daran, ein positives Verhältnis des Islam zur Pluralität der Weltanschauungen aus den Quellen der Tradition zu begründen (vgl. Herder Korres-pondenz Spezial, Die unbekannte Religion. Muslime in Deutschland, 2–2009, 35ff.; vgl. auch HK, April 2007, 193ff.).
Auch der Koran gehe davon aus, dass Menschen, die den Islam nicht kennen gelernt hätten, gerettet werden können, wenn sie in einem „metaphysischen“ Sinne universale Gesetze hielten. Die von Gott geschaffene Natur des Menschen transzendiere die Geschichte. Diese seien von Natur aus in der Lage, Gott zu verstehen und seine Schöpfung anzuerkennen, so dass es auch keinen Zwang zur Bekehrung geben müsse.
Gemeinsame Mission?
Christian Troll, Professor an der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt, plädierte schließlich im Schlussvortrag dafür, dass Mission heute ohne den interreligiösen und interkulturellen Dialog als eines ihrer wesentlichen Elemente nicht denkbar sei, wobei der Dialog niemals Strategie sein dürfe, um Bekehrungen zu produzieren: „Heute religiös zu sein heißt, interreligiös zu sein, in dem Sinne, dass in einer von religiösem Pluralismus geprägten Welt eine positive Beziehung mit Gläubigen anderer Religionen unumgänglich ist.“
Dem Tenor der Tagung entsprechend stellte er fest, dass die notwendige Bedingung der Möglichkeit positiver und fruchtbarer Beziehungen zwischen Islam und Christentum die effektive Anerkennung und integrale Praxis der Religionsfreiheit sei: einschließlich einer genuinen Akzeptanz der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, die auf den grundlegenden Menschenrechten sowie der recht verstandenen Trennung von Staat und Religion basiere.
Weniger selbstverständlich ist hingegen die Überzeugung, dass es vor diesem Hintergrund und ganz im Sinne der ersten Konferenz des katholisch-muslimischen Forums in November 2008 in Rom auch eine „gemeinsame ,Mission‘ von Christen und Muslimen“ gebe: „Muslime und Christen bekennen gemeinsam Gott als Schöpfer und Rechtleitung schenkenden Führer aller Menschen und wissen sich beide vor Gott als Richter aller Menschen persönlich verantwortlich“ (vgl. auch HK, Dezember 2008, 605ff.).
Das christlich-muslimische Team, das die Tagungen des „Theologischen Forums Christentum – Islam“ verantwortet, hatte zu Beginn eingeräumt, dass die Vorbereitung der diesjährigen Tagung, „nicht einfach“ gewesen sei. Immerhin ist es gelungen, das Thema Mission so zu diskutieren, dass in der Absage an Indoktrination, Zwang und Gewalt und dem Bekenntnis zu Respekt, Toleranz und Glaubensfreiheit weitgehende Einigkeit erzielt werden konnte. Dass ohnehin Gott letztlich die entscheidende Initiative überlassen werden müsse, wurde auf beiden Seiten mehrfach betont.