Die seit Beginn des Jahres bekannt gewordenen Fälle sexuellen Missbrauchs vor allem durch Ordensleute und Priester haben die katholische Kirche in Deutschland in eine Krise geführt, deren Überwindung noch nicht abzusehen ist (vgl. zuletzt HK, Mai 2010, 223ff.). Sie spielte deshalb auf dem Ökumenischen Kirchentag eine wichtige Rolle (vgl. dieses Heft, 271ff. und 282ff.).
Denn auch in den vergangenen Wochen wurden weiterhin frühere Missbrauchsfälle durch Kleriker öffentlich. Zugleich bestätigte sich, dass die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland momentan deutlich höher als in vergleichbaren Vorjahreszeiträumen liegt (vgl. dieses Heft, 274f.).
Vorwürfe gegen Bischof Mixa
In diesem Zusammenhang, wenn auch nicht aufgrund von Vorwürfen sexueller Gewalt ist der Augsburger Bischof Walter Mixa jetzt zurückgetreten. Die Umstände dieses Vorgangs waren dramatisch und in der deutschen Nachkriegsgeschichte ohne Beispiel – auch wenn der Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal nur vermittelt ist.
Im Nachbarland Belgien war Mitte April mit dem Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe, zum ersten Mal ein Bischof aufgrund von Vorwürfen gegen seine Person zurückgetreten. Er hatte eingestandenermaßen mindestens einen Jungen sowohl als Priester als auch als Bischof sexuell missbraucht. Der Rücktritt wurde vom Papst postwendend angenommen. Zudem wurde jetzt bekannt, dass die Gründe für den Rücktritt des aus Deutschland stammenden Bischofs von Trondheim, Georg Müller, der diesen im vergangenen Jahr angeboten hatte, im Missbrauch eines norwegischen Ministranten durch den Bischof lagen.
Der „Fall Mixa“ dagegen ist anders gelagert: Ende März berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ über Vorwürfe ehemaliger Heimkinder in Schrobenhausen, der damalige Stadtpfarrer Walter Mixa habe sie mehrfach geschlagen. Weitere eidesstattliche Versicherungen über Vorwürfe gewalttätiger Handlungen an Kindern kamen hinzu, wie auch Meldungen, dass Mixa Gelder der Waisenhausstiftung für eigene Anschaffungen verwendet habe. Immerhin sollen umgerechnet mehrere 10000 Euro für satzungsfremde Zwecke ausgegeben worden sein.
Mixa, der darauf mit Rücktrittsforderungen konfrontiert wurde, war von 1975 bis 1996 Pfarrer in Schrobenhausen. Danach wurde er Bischof von Eichstätt, bis er 2005 zum Bischof von Augsburg ernannt wurde. Das war die erste Bischofsernennung in Deutschland durch den seinerzeit frisch gewählten Papst Benedikt XVI. Seit 2000 ist Mixa auch katholischer Militärbischof.
Als die ersten Vorwürfe erhoben wurden, hat Mixa jede Form von Gewalt kategorisch abgestritten; er habe „zu keiner Zeit gegen Kinder und Jugendliche körperliche Gewalt in irgendeiner Form angewandt“. Nach katholischer Lehre seien Priesteramt und die Ausübung von Gewalt unvereinbar. Nach mehr als zwei Wochen räumte er dann allerdings ein, dass es durchaus die „ein oder andere Watsch’n“ gegeben haben könne. Das sei zur damaligen Zeit „vollkommen normal“ gewesen. Auch gab er „finanztechnisch unklare Zuordnungen von Ausstattungsgegenständen“ zu, deren Untersuchung er anordnete.
Das eigentliche Problem waren damit jedoch nicht mehr die Ohrfeigen des ehemaligen Stadtpfarrers, sondern der Umgang mit diesen Vorwürfen als Bischof – und zwar in einer Zeit, in der katholische Bischöfe mit großen Mühen versuchen, für Transparenz, Ehrlichkeit und Beharrlichkeit bei der Aufklärung der gegen kirchliche Mitarbeiter erhobenen Vorwürfe zu werben. Einen weiteren Glaubwürdigkeitsverlust wegen verschleppter Aufarbeitung von Vergehen können sich die Bischöfe – auch unabhängig von Vorwürfen sexuellen Missbrauchs – tatsächlich nicht mehr leisten.
Beispielloser Vorgang
In einem beispiellosen Vorgang wurde Bischof Mixa schließlich sowohl von Erzbischof Robert Zollitsch, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, als auch von Erzbischof Reinhard Marx, dem Vorsitzenden der Freisinger Bischofskonferenz, am 21. April nach mehreren persönlichen Gesprächen öffentlich nahegelegt, eine Auszeit zu nehmen. Wörtlich war mit Blick auf die „derzeit schwierige Situation im Bistum Augsburg“ von einer „Zeit der geistlichen Einkehr und der räumlichen Distanz“, die „hilfreich sein könne“, die Rede.
Für die meisten überraschend hat Mixa am selben Abend Benedikt XVI. seinen Rücktritt sowohl als Augsburger Diözesanbischof als auch vom Amt des Militärbischofs angeboten. Die Kette singulärer Ereignisse riss damit freilich noch nicht ab. Nur eine Woche später waren sowohl Zollitsch, Marx als auch der Augsburger Weihbischof Anton Losinger bei Benedikt XVI., um die Lage zu beraten.
Dieser nahm das Rücktrittsgesuch von beiden Ämtern, das Mixa zwischenzeitlich erwogen haben soll zurückzunehmen, Anfang Mai und damit in vergleichsweise kurzer Zeit an. Die Leitung der katholischen Militärseelsorge wird bis zur Ernennung eines Nachfolgers der Generalvikar des Militärbischofs, Walter Wakenhut, innehaben. Zum Augsburger Diözesanadministrator wurde – wie schon vor der Ernennung Mixas – Weihbischof Josef Grünwald vom Domkapitel gewählt.
Als eine der letzten Amtshandlungen enthob Mixa Dirk Hermann Voß seiner Verantwortung für die Medienarbeit der Diözese. Voß, der im Generalvikariat weiterhin für diverse Rechtsfragen zuständig bleibt, wurde vor allem angelastet, auf die ersten Vorwürfe ehemaliger Heimkinder zur Einschüchterung mit rechtlichen Schritten gedroht zu haben. Auch bleibt der Jurist Geschäftsführer des bistumseigenen Sankt Ulrich Verlags und damit auch Verleger der in mehreren Diözesen mit Bistumsteil erscheinenden „Katholischen Sonntagszeitung“ (vgl. HK, April 2010, 171ff.).
Der Sonderermittler bestätigte die Vorwürfe
Nicht zuletzt weil parallel zum Crescendo der Rücktrittsforderungen gegenüber dem Augsburger Bischof Mitte April stark ansteigende Kirchenaustrittszahlen bekannt wurden, war die Erleichterung über den Schritt in weiten Teilen der Kirche, auch unter Bischöfen, deutlich zu vernehmen.
In die Meldungen über die bevorstehende Annahme des Rücktrittsgesuchs durch den Papst platzte dann noch die Nachricht, dass gegenüber Mixa auch Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs aktenkundig seien.
Mit Hinweis auf die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz hatte das Bistum Augsburg selbst die Staatsanwaltschaft über aus dem Bistum Eichstätt erhobene Vorwürfe informiert. Die zuständige Ingolstädter Staatsanwaltschaft hat das Verfahren jedoch inzwischen eingestellt, weil sich die Verdachtsmomente nicht erhärten ließen.
Ganz im Unterschied allerdings zu den Vorwürfen, gegenüber Heimkindern gewalttätig geworden zu sein: Der Sonderermittler der Katholischen Waisenhausstiftung, Sebastian Knott, berichtete Mitte Mai abschließend, dass es nach glaubhaften Zeugenaussagen keinesfalls nur Ohrfeigen im Affekt waren, die der damalige Stadtpfarrer Mixa sich zu Schulden hat kommen lassen. Mehrere Opfer hätten von wiederholten „Prügelattacken“ berichtet. Auch die rechtswidrige Verwendung von Geldern sei nachzuweisen. Darüber hinaus stehen weiterhin Gerüchte über unangemessene Beziehungen des Bischofs zu Seminaristen im Raum.
Der Runde Tisch ist konstituiert
Immerhin konnte nach Mixas Rückzug von seinen Ämtern die erste Sitzung des von der Bundesregierung eingerichteten Runden Tisches zum Thema Missbrauch in vergleichsweise ruhiger Atmosphäre stattfinden. Der Runde Tisch mit dem sperrigen Titel „Sexueller Missbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ hat sich Ende April zum ersten Mal getroffen – nachdem auch die anfänglichen Kompetenzstreitigkeiten unter den Kabinettsmitgliedern geklärt werden konnten.
Nach dem Bekanntwerden von Fällen in der katholischen Kirche in den vergangenen Monaten war schnell auch deutlich geworden, dass sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen kein spezifisch kirchliches Problem ist, sondern etwa auch (Privat-)Schulen, Sportvereine und Familien betroffen sind. Insgesamt wird die Zahl der Missbrauchsfälle auf 100000 Fälle im Jahr geschätzt, davon 90 Prozent in Familien.
Ende April trafen sich vor diesem Hintergrund rund 60 Vertreter von Bund, Ländern, Kirchen, Verbänden und Opferschutzorganisationen in Berlin zur ersten Sitzung des Runden Tisches. In der Arbeitsgruppe von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) geht es um die Aufklärung und Aufarbeitung vergangener Missbrauchsfälle, vor allem um die Fragen nach einer Verlängerung der Verjährungsfristen und die Beteiligung der Staatsanwaltschaft. Immerhin gibt es bisher in Deutschland, nicht zuletzt auf Drängen der Opferverbände, keine Anzeigepflicht. Allerdings hat die Freisinger Bischofskonferenz bei ihrer Frühjahrsvollversammlung entschieden, dass in ihren Bistümern jeweils zwingend die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Finanzielle Entschädigungen, denen sich die Bischöfe nicht per se verschließen wollen, werden ebenfalls Thema dieser Arbeitsgruppe des Runden Tisches sein.
In der Arbeitsgruppe von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) wird es um Schutz und Prävention gehen, ad hoc geschaffen wurde noch eine dritte unter der Leitung von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), die sich um die Erforschung von pädosexuellem Verhalten kümmern wird.
Von mehreren Politikern wurde in den vergangenen Wochen die Ernsthaftigkeit gelobt, mit der innerhalb der katholischen Kirche jetzt Aufklärungsarbeit betrieben werde. Bei den Fällen, die neu bekannt geworden sind, hat man zuletzt unmittelbar und umfassend informiert. Über die Hotline der Deutschen Bischofskonferenz, die Ende März eingerichtet wurde, wurden nach Angaben des zuständigen Trierer Bischofs Stephan Ackermann bis Anfang Mai rund 1800 Gespräche geführt.
Keine Angaben gibt es bisher über die genaue Zahl der bis jetzt bekannten Fälle in allen 27 Bistümern; nicht zuletzt weil einheitliche Regelungen fehlen. Ende April hat der Ständige Rat über einen Entwurf der revidierten Leitlinien diskutiert, die – wie auf dem Ökumenischen Kirchentag zu hören war – erst im Herbst verabschiedet werden. Sie sollen nach dem Willen der Bischöfe deutlich machen, dass die Kirche keinen Rechtsraum losgelöst vom staatlichen Recht beanspruche und die Opfer-Perspektive stärkere Berücksichtigung finden müsse. Auch wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die die Prävention an katholischen Schulen, Internaten und Kindertageseinrichtungen koordinieren soll.
Die Vertrauenskrise der katholischen Kirche hält gleichwohl weiter an. Durchaus offen ist, wie viele weitere Fälle in den kommenden Monaten, nicht zuletzt angestoßen durch die jüngere Berichterstattung, noch öffentlich werden. Das Gleiche gilt mit Blick auf die Diskussion der Hintergründe und Kontexte des Problems: die Frage nach der Notwendigkeit des Pflichtzölibats und der Bewertung von Homosexualität, aber auch den Leitungsstrukturen und der Gewinnung von Führungspersonal in der katholischen Kirche. Sie alle haben durch den Fall Mixa noch einmal an Schärfe gewonnen.