Neue Perspektiven auf den späteren Pius XII.Pacelli online

Derzeit werden alle rund 6500 Berichte, die Eugenio Pacelli während seiner Zeit als Nuntius beinahe täglich nach Rom geschrieben hat, online quellenkritisch ediert. Dadurch ergeben sich neue Perspektiven auf die Friedenspolitik, die Theologie, die spezifisch deutschen Erfahrungen und römischen Prägungen des späteren Pius XII.

Jetzt ist auch Pius XII. online. Da er zu Lebzeiten am technischen Fortschritt überaus interessiert war, wird er sich vermutlich darüber freuen. Unter www.pacelli-edition.de entsteht die vielleicht bedeutsamste Quellenedition zur Kirchengeschichte der Weimarer Zeit: Sukzessive werden alle rund 6500 Nuntiaturberichte mitsamt Anlagen, die Eugenio Pacelli während seiner Zeit als Nuntius in Deutschland 1917–1929 beinahe täglich nach Rom geschrieben hat, online quellenkritisch ediert, kommentiert und für jeden gratis zugänglich gemacht.

Unter der Leitung des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf und in enger Kooperation mit dem Deutschen Historischen Institut in Rom und dem Vatikanischen Geheimarchiv finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft dieses auf zwölf Jahre angelegte Projekt. Die Datenbank, die für die Forschung einen gewaltigen Sprung bedeuten dürfte, verspricht wegen der leichten Verfügbarkeit, über den engen Kreis der Wissenschaftler hinaus auch in die Breite zu wirken.

Pacellis Nuntiaturberichte eröffnen einen römischen Blick auf die deutsche Geschichte dieser Jahre, zu allererst natürlich auf die deutsche Kirchengeschichte. Dazu kommt aber, dass sie auch für die Forschung zum späteren Papst Pius XII. einen Meilenstein bedeuten. Früh schon wurde sein Pontifikat kontrovers diskutiert und haben sich die Fronten an seinem Verhalten im Weltkrieg und zum nationalsozialistischen Staat festgebissen.

Erst die erfolgten und noch ausstehenden römisch-vatikanischen Archivöffnungen haben das Potenzial, die Perspektiven zu verändern und substanzielle Fortschritte in der Forschung zu ermöglichen. Denn auch Pius XII. hat ein Recht auf eine ganze Biographie, nicht nur auf einen verkürzenden Blick auf wenige Fragen, und seien diese noch so bedeutsam. Hierzu stellt die neue Edition, deren erster Jahrgang, Pacellis erstes Nuntiaturjahr 1917, nunmehr online ist, eine entscheidende Voraussetzung bereit.

Es kommt nunmehr darauf an, auch in methodischer Hinsicht neue Fragehorizonte zu eröffnen. Historische Forschung kann nur so gut sein, wie die Fragen, die man an die historischen Quellen stellt. Ebenso wichtig wie neue Quellen sind deshalb veränderte, komplexere Frageperspektiven; erst beides zusammen wird festgefahrene Fronten überwinden können und die Antworten auf Fragen, die heute höchstens hypothetisch beantwortet werden können, präziser werden lassen.

Denn auch für Pius XII. gilt, dass viele bisherige Fixierungen in hohem Grad durch die Methodologie bedingt sind: Wie bei jeder historischen Rekonstruktion spielten auch in der Behandlung seines Pontifikats anachronistische Maßstäbe der Gegenwart eine wichtige Rolle. Zudem wurde die Praxis des Nuntius und Papstes nicht konsequent innerhalb seiner theologisch-ekklesiologischen Überzeugungen und Wertmaßstäbe interpretiert und diese umgekehrt nicht aus seiner Praxis erhoben; auch wurden Überzeugungen, die es zu erklären und zu verstehen gilt, als angeblich zeitlos katholisch gültig hypostatisiert und nicht historisch befragt; dies hatte letztendlich zur Folge, dass Pacelli nicht vor dem Hintergrund jener Konventionen und Erwartungen, innerhalb deren er stand, gedeutet wurde.

Dass die Forschung im Fluss ist, soll am Beispiel der Deutung der Politik des Nuntius im Jahr 1917, also im Ersten Weltkrieg, gezeigt werden. Die Ergebnisse sind nicht nur für seine Sicht des Zweiten Weltkriegs bedeutsam, sondern führen – wie auch andere Einschätzungen zum Wirken Pacellis als Nuntius in Deutschland – auf die Fragen nach miteinander ringenden impliziten oder expliziten Wertüberzeugungen, Ekklesiologien und Theologien.

Pacellis erstes Nuntiaturjahr stand im Schatten des Ersten Weltkriegs und im Zeichen des schließlich gescheiterten päpstlichen Vermittlungsversuchs, der so genannten Friedensinitiative Benedikts XV. zum dritten Jahrestag des Kriegsausbruchs, dem 1. August 1917. Die bisherige Geschichtsschreibung geht von der Neutralität des Papstes, zu der er sich schon zum Beginn seines Pontifikats bekannt hatte, von seinen Friedensappellen und seiner Gegnerschaft gegen den Krieg und schließlich von seinen humanitären Hilfsmaßnahmen aus. In dieser Perspektive erscheint der feierliche Vermittlungsversuch wie eine Steigerung dieser Diplomatie für Humanität und Frieden, nachdem der Krieg immer mehr Opfer fand.

Gescheitert sei die Initiative aber letztlich wegen des Sturzes des Reichskanzler Bethmann Hollweg und dem Starrsinn der deutschen Militärs, die sich nicht zur Unabhängigkeit des besetzten Belgiens, der vom Papst geforderten deutschen Vorleistung als Schlüssel für die Friedensverhandlungen, durchringen konnten.

Auch wenn diese bisherige Sichtweise durchaus korrekt ist, bleibt sie doch einseitig und lässt viele Fragen offen. Der offizielle Standpunkt der päpstlichen Überparteilichkeit darf nämlich keinesfalls so interpretiert werden, als hätte der Heilige Stuhl während des Kriegs nicht seine eigenen politischen Interessen verfolgt. Diese herauszuarbeiten bedeutet vielmehr den Schlüssel zum Verständnis der damaligen päpstlichen Außenpolitik. Nur wenn man die päpstlichen Zielsetzungen und die darin implizierten ekklesiologischen und politischen Wertigkeiten in ihrer nichtselbstverständlichen Kontingenz begreift, kann man den Erwartungshorizont rekonstruieren, unter dem der Beginn von Pacellis Wirksamkeit in Deutschland stand. Nur so lassen sich seine Individualität, seine Denkmuster und Entscheidungen profilieren.

Die katholisch-politischen Interessen des Papsttums

Als zentrales Interesse der päpstlichen Außenpolitik erweist sich dabei die römische Frage, also der durch die italienische Einigung bedingte Verlust des Kirchenstaates. Um die ungehinderte, unabhängige und zentralistische päpstliche Kirchenregierung zu gewährleisten, war das Hauptziel nach Kriegsausbruch zunächst, Italien vom Kriegseintritt abzuhalten. Den Sitz inmitten einer kriegführenden Partei zu haben, schien die Unabhängigkeit des Papstamtes trotz italienischer Zusagen zu bedrohen.

Nachdem dies gescheitert war, verfolgten Papst und Kurie bei aller Überparteilichkeit durchaus eine katholische Interessenpolitik. Die päpstliche Diplomatie kämpfte dafür, dass die katholische Bevölkerung in ganz Europa nach Möglichkeit in ihren Rechten nicht oder künftig nicht mehr von andersgläubigen Regierungen bedrängt würde, wobei der Maßstab dieser Rechte die ultramontane Ekklesiologie der letzten Jahrzehnte war.

Dies führte dazu, dass man etwa in Osteuropa intensiv katholische Interessen verfolgte, den Sturz des Zaren 1917 begrüßte und vermeiden wollte, dass Polen und Litauen unter direkter orthodoxer oder protestantischer Herrschaft stünden. Weiter wollte man künftige Friedensverhandlungen mit der römischen Frage verknüpfen, was nur zu gelingen schien, wenn man selbst – und nicht andere – die Rolle der Vermittlers spielen konnte.

Zwar kalkulierten katholische Kreise in Deutschland und Österreich, dass hier päpstliche Interessen lagen und eine latente bis offene Gegnerschaft zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien sowie der Entente bestand. Im päpstlichen Rom war man aber klug genug zu wissen, dass eine Lösung nur innerhalb eines Gesamtfriedenskonzepts und jedenfalls nicht gegen Italien durchgesetzt werden konnte. Deshalb verfolgte man neben humanitären Interessen in der Friedensdiplomatie auch die katholisch-politischen Interessen des Papsttums: Die entscheidende Friedensvermittlung musste vom Papst und nicht von anderen neutralen Mächten wie Spanien oder den USA (vor deren Kriegseintritt) ausgehen. Zugleich musste dies aber zum richtigen Zeitpunkt geschehen, da voraussichtlich nur ein einmaliger Versuch blieb; alles kam so auf die politisch-diplomatische Lagebeurteilung an.

Die Interessegeleitetheit der päpstlichen Außenpolitik hatte aber noch einen weiteren Aspekt, der die grundsätzliche Beurteilung des Krieges und die Kriegsschuldfrage betraf. In der Instruktion des päpstlichen Staatssekretariats für Pacelli und dessen Vorgänger Aversa ist zu lesen, der Krieg sei von der Freimaurerei geplant worden. Im späten 19. Jahrhundert hatte sich die massive weltanschauliche Gegnerschaft zwischen Kirche und Loge noch vertieft. Die Regierungen der Entente, besonders auch die italienische, galten ideologisch und auch personell eng mit der Freimaurerei verbunden.

Öffentlich stellte solche Zusammenhänge etwa der Jesuit Hermann Gruber her. Nach diesem standen sich im Krieg die liberal-demokratischen Systeme und diejenigen mit monarchischer Autorität gegenüber, damit zugleich die Feinde der Kirche und deren Stützen. Besonders gegen die letzte katholische Monarchie, das österreichische Kaiserhaus, ziele die Loge. Diese Sichtweise musste dazu führen, dass viele kuriale Kreise eher zu den Mittelmächten hielten und der Entente die Schuld am Ausbruch des Krieges gaben.

Genau diese Sicht äußerte auch der bulgarische Zar bei seinem Münchenbesuch am 17. Juni 1917 gegenüber Pacelli in einer langen Unterredung, die der Nuntius für sehr bedeutsam hielt. Auch Bethmann Hollweg schlug bei den entscheidenden Verhandlungen vor dem päpstlichen Friedensappell zwei Wochen später in Berlin diese Klaviatur an.

In den Nuntiaturberichten Pacellis scheinen Stereotype durch

Angesichts dessen stellt sich die Frage, inwiefern diese Überzeugungen für Rom handlungsbestimmend wurden und die römische Politik von katholisch-ultramontanen Stereotypen und Feindbildern geprägt war, die mitunter die konkrete Situationsbeurteilung beeinflussten. Von besonderem Gewicht ist in diesem Kontext auch die weltanschauliche Konkurrenz zum Sozialismus gewesen. Von kirchlichen Kreisen wurden Nuntius und Kardinalsstaatssekretär 1917 zur Friedensvermittlung gedrängt, um diese nicht den Sozialisten zu überlassen, die ansonsten die Früchte ernten würden; besonders der auf Juli 1917 angesetzte sozialistische Friedenskongress in Stockholm bereitete hier Sorgen. Am 10. Juni 1917 meldete Pacelli gegenüber Kardinalstaatsekretär Pietro Gasparri sogar, es sei eine Notwendigkeit, dass man diesem zuvorkomme; einen solchen päpstlichen Schritt hin für einen Frieden wünschten die Katholiken Deutschlands und Österreichs.

Tatsächlich argumentierten der österreichischen Außenminister Graf Czernin, Matthias Erzberger und sogar Wilhelm II. gegenüber dem Nuntius in diese Richtung. Mit der sozialistischen Friedenskonzeption war in den Augen des kurialen Rom dabei eine Demokratisierung der Verfassungen Deutschlands und Österreichs ebenso verbunden wie die Gefahr antikirchlicher Entwicklungsprozesse in Rom. Tatsache und Zeitpunkt des päpstlichen Appells scheinen also auch eine antisozialistische Komponente gehabt zu haben.

Weitere in den Nuntiaturberichten Pacellis durchscheinende Stereotype sind das Misstrauen gegenüber den Protestantismus, das das Bild des Nuntius vom Nachfolger Hollwegs als Reichskanzler, Georg Michaelis, zumindest teilweise bestimmte. Aber auch der Vertrauensvorschuss, den der katholische Georg von Hertling erhalten hat, als dieser wiederum Michaelis ablöste, gehört in diesen Zusammenhang. Romanisch-katholische Klarheit und Präzision stand in den Augen Pacellis in einer Antithese zu deutscher Weitschweifigkeit, umständlicher Kompliziertheit und Unklarheiten.

Natürlich haben all diese Stereotypen eine longue durée: Dennoch ist die Frage zu stellen, inwieweit sie die päpstliche Deutschlandpolitik bestimmt haben, wie stark Pacelli in seiner konkreten Diplomatie wirklich durch sie geprägt war und wie sich diese römisch-ultramontane Brille im Lauf der Zeit auch veränderte.

Zu den ungelösten Rätseln gehört es auch, warum die päpstliche Außenpolitik sich schon lange vor der Friedensnote exklusiv auf den Plan festgelegt hat, erst die Deutschen zu einem Verzicht auf Belgien zu bewegen; dieser Schritt, so glaubte man, zwänge auch die Entente zu Friedensverhandlungen, und die weitgehende Restitution des Vorkriegszustandes zumindest in West- und Mitteleuropa sei dann durch päpstliche Vermittlung realisierbar.

Für diesen Plan schloss man sich anderen Friedensinitiativen während der Zeit des Krieges bewusst nicht an oder hielt zu diesen zumindest Distanz. Am Belgienplan hielt man in Rom fest, obwohl Deutschland mehrfach im Vorfeld der Friedensnote zu verstehen gab, dass man prinzipiell Belgien nicht annektieren wolle, dass aber gleichzeitig Garantien vereinbart werden müssten, dass Belgien nicht wirtschaftlich, politisch und militärisch im Gegenzug in völlige Abhängigkeit von Frankreich und England gerate.

Die belgische Frage war andererseits seit Kriegsbeginn jene Flanke, die die öffentliche Meinung gegen Deutschland einnahm und damit auch gegen die vatikanische Neutralitätspolitik, wurde hier doch ein neutraler Staat erobert und deutsche Kriegsverbrechen aus den besetzten Gebieten berichtet. Auch wenn Kardinalstaatssekretär Gasparri in seiner Weisung für den Münchener Nuntius Giuseppe Aversa und Pacelli diese Meldungen zunächst einmal als nicht überprüfbare Propaganda der Entente-Presse relativierte, schien er doch ein Interesse daran gehabt zu haben, diesen Angriffspunkt auf seine Politik zu sanieren.

Kampf- und Schlüsselbegriff war der von Pius X. verurteilte „Modernismus“

Diese Faktoren, die Verknüpfung mit der römischen Frage, die antiliberalen, antifreimaurerischen, antisozialistischen und antiprotestantischen Interessen des Papsttums, sowie die Konzentration auf die moralisch-ideelle Perspektive führten nun aber auch dazu, dass nicht alle Kriegsparteien dem Papst als Vermittlungsinstanz Wohlwollen entgegenbrachten.

Von deutscher und österreichischer Seite wollte man sich deshalb aber umgekehrt zwar den päpstlichen Interessen als natürlicher Verbündeter anempfehlen. Im selben Augenblick aber, als der Papst sich aus der Deckung gewagt und seinen konkreten Vermittlungsvorschlag unterbreitet hat, wollte die deutsche Regierung unabhängig davon Geheimverhandlungen direkt mit England beginnen. Dies zeigt, dass man dort nicht grundsätzlich gegen einen Verständigungsfrieden war, wenn auch zu letztlich irrealen, an einem maximalistischen Begriff der „deutschen Ehre“ orientierten, Konditionen, dass man aber eine Vermittlung des Papstes in Wahrheit als nicht unproblematisch empfand. Das Papsttum war eben kein unbeschriebenes und rein überparteiliches Blatt, sondern eine Institution mit Eigeninteressen, die die Situation scheinbar zu verkomplizieren drohten.

Pacellis erste diplomatische Erfahrungen aber können gerade dort genauer profiliert werden, wo seine Urteile mit jenen seiner römischen Weisungsgeber partiell nicht übereinstimmten, etwa als er sich aufgrund seiner Sondierungsgespräche für eine weniger rigide Formulierung der deutschen Zugeständnisse verwandte oder als er dann durch den Verweis in der deutschen Antwort auf die Friedensresolution des Reichstags – im Gegensatz zu Gasparri – doch eine gewisse Akzeptation zu erkennen glaubte. Ob dies wirklich als Naivität zu interpretieren ist oder nicht auch als Verhandlungsrealismus, wäre zu fragen.

Die päpstliche Friedensinitiative war also weder alternativlos, noch eine Selbstverständlichkeit; sie implizierte ein ganz spezifisches System von Überzeugungen und Werturteilen: Implizit oder explizit sind deshalb Theologie und kanonistische Ekklesiologie jene Felder, die die Grundlage bilden für die Friedensdiplomatie von Papst und Nuntius. Diese Felder müssen deshalb bearbeitet werden. Denn diese Positionen sind keine zeitlosen uniformen und monolithischen Hypostasen; Papst und römische Kurie vertraten ein Spektrum theologischer Prämissen und Denkmuster, die es in einer Form erneuerter Theologiegeschichtsschreibung herauszuarbeiten gilt. Innerhalb dieses Spektrums ist auch Pacelli einzuordnen.

Ein zuverlässiges Verständnis seiner Nuntiaturtätigkeit ist deshalb gerade in theologischer Hinsicht vor dem Hintergrund der Tätigkeit seiner Vorgänger im Amt, besonders aber vor den Erwartungshorizonten, die die führenden Repräsentanten der römischen Kirchenleitung mit seiner Tätigkeit verbanden, zu gewinnen. Kampf- und Schlüsselbegriff, den es in theologischer Hinsicht zu bekämpfen galt, war dabei der von Pius X. verurteilte „Modernismus“. Doch welche Phänomene darunter fielen, wie weit oder eng der Begriff gefasst wurde, machte den Unterschied aus.

Gleich zu Beginn seiner Nuntiaturtätigkeit hatte Pacelli sich mit einem Frontalangriff des Rektors des römischen Bibelinstituts, Leopold Fonck, gegen die deutsche Exegese auseinanderzusetzen, ja die Zukunft der staatlichen Universitätsfakultäten in Deutschland stand in Rom auf dem Prüfstand. In Pacelli schlug das theologisch konservative Herz des römischen Antimodernismus, zugleich aber war er kein Extremist und versuchte seine Ziele evolutiv und durch kirchenrechtliche Absicherungen schrittweise zu erreichen.

Auf die theologischen Konfliktfälle Joseph Wittig, Arnold Rademacher, Johannes Hessen und Ernst Michel fällt so neues Licht. Es waren die römischen Prägungen Pacellis, die deutschen Erfahrungen und die Netzwerke, die er knüpfte, so zu Jesuiten wie Augustinus Bea und Jesuitenschülern wie Ludwig Kaas, die einen Hauptanstoß dafür gaben, alle theologischen Universitätsfakultäten weltweit päpstlich-römisch zu regeln, zu uniformieren, aber auch Mindeststandards vorzuschreiben (vgl. Klaus Unterburger, Vom Lehramt der Theologen zum Lehramt der Päpste? Pius XI., die Apostolische Konstitution „Deus scientiarium Dominus“ und Reform der Universitätstheologie, Freiburg 2010).

In dieser Zeit sind bereits jene Schlachten geschlagen worden, die nach dem Zweiten Weltkrieg um die Nouvelle théologie erneut aufflammten; Kontinuitäten und Diskontinuitäten zur Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils sind hier grundgelegt.

Aufs Ganze gesehen werden die römischen Quellen, die nun sukzessive online ediert werden, für die Deutung der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts deshalb einen unverzichtbaren Meilenstein bedeuten. Dadurch wird das so umkämpfte Bild von Pius XII. an Klarheit gewinnen. Es geht nicht nur darum, die Quellen zu ihm, die bislang von niemandem in ihrer Ganzheit systematisch studiert werden konnten, auszuwerten und zu einem Gesamtbild zu integrieren.

Die Deutung der Quellen ist nur durch ein breit angelegtes Verstehen Pacellis vor den Konventionen und Erwartungen seines Umfelds, auf das hin er agierte und reagierte, zu leisten. Pacelli als Nuntius ist in seiner Eigenart erst im methodischen Vergleich mit anderen Nuntien und der päpstlichen Gesamtpolitik zu deuten. Konsequenterweise wurde in Münster mit der Präsentation des ersten Jahrgangs der Edition deshalb Ende März auch ein internationales Forschernetzwerk initiiert. Ein Breiten- und Tiefenblick in eine ganze kirchliche Epoche mit ihrem Reichtum und ihren Grenzen wird so möglich.

Anzeige: Geschichte der Päpste seit 1800. Von Jörg Ernesti

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