Polen nach der Wahl von Bronis?aw KomorowskiEin neuer Präsident

Fast gleichzeitig wurden vor kurzem in Polen und Deutschland neue Präsidenten gewählt. Die Wahl von Bronisław Komorowski ist aus deutscher Sicht ein erfreuliches Signal. Der neue polnische Präsident ist ein überzeugter Europäer und setzt auf die Vertiefung der Integration Polens in der EU wie der deutsch-polnischen Freundschaft.

Das Unglück in Smolensk hat nicht nur die politische Situation in Polen verändert, sondern ist mit Sicherheit eine der dramatischsten Erfahrungen, die Polen seit langem gemacht hat. Viele sprechen vom schlimmsten Ereignis seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dem polnischen „11. September“ oder vom „zweiten Katyn“, wenn sie die gesellschaftliche Erschütterung beschreiben wollen. Das Flugzeug war auf dem Weg zu einer für Polen entscheidenden Gedenkfeier für die Opfer von Katyn beim Landeanflug bei dichtem Nebel verunglückt. Bei diesem Flugzeugabsturz kamen neben dem Präsidentenehepaar 94 Personen ums Leben, von denen die meisten zu den politischen, militärischen und kirchlichen Eliten gehörten oder als Vertreter der Katyn-Opferverbände mitgereist waren.

Die Verknüpfung einer der schmerzlichsten polnischen Erfahrungen – die Ermordung von etwa 22000 polnischen Offizieren und Intellektuellen im russischen Katyn und an weiteren Orten im Frühling 1940 durch den russischen Geheimdienst NKWD auf Anordnung Stalins – mit dem heutigen Tod von Teilen der polnischen Elite an ebendiesem Ort hat das Land in eine Art Schockstarre versetzt. „Polen wollte der Toten von Katyn gedenken und muss jetzt um die Toten von Smolensk trauern“ beschrieb dies die Journalistin Joanna Rother (Zeit online vom 13. April 2010).

Eine Woche lang herrschte offizielle Staatstrauer, während der sich die Bevölkerung in Kirchen und vor dem Präsidentenpalast versammelte, betete und der Opfer gedachte. Viele trugen in den Straßen von Warschau und Krakau schwarz. Diese gemeinsame Trauerphase währte aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als die Entscheidung des Krakauer Kardinals Stanisław Dziwisz und der Angehörigen bekannt wurde, das Ehepaar Kaczyński in der Königsgruft auf dem Wawel in Krakau zu beerdigen. Dies führte umgehend zu einer größeren innergesellschaftlichen Debatte. An diesem Ort haben Könige und Dichter wie Stefan Báthory oder Adam Mickiewicz ihre letzte Ruhe gefunden – für eine Reihe Polen war der umstrittene und zum Zeitpunkt des Flugzeugabsturzes auch politisch schon schwache Lech Kaczyński kein Held, der diesen Ort, der als polnisches Nationalheiligtum gilt, verdient hatte.

Die Trauerzeit nach Smolensk hat den Wahlkampf beeinflusst

Es gab kleinere Demonstrationen, Statements von verschiedenen Akteuren des öffentlichen Lebens und Aufrufe in Zeitungen und im Internet. Die klare Entscheidung der großen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, aus Respekt vor den Angehörigen die Debatte in der Zeitung abzubrechen, bewirkte, dass die Entscheidung weitgehend toleriert wurde. Der Beerdigung auf dem Wawel ging am Tag vorher eine Trauerfeier für alle Opfer des Flugzeugunglücks in Warschau voraus.

Die Folgen des Flugzeugunglücks sind vielfältig. Neben den persönlichen Verlusten ihrer nächsten Angehörigen, die tausende Polen zu beklagen haben, wirkt diese Katastrophe innen- und außenpolitisch, gesellschaftlich und moralisch fort. Innenpolitisch hieß es vor allem, dass der Staat trotz der großen Verluste weiter funktionieren musste. Der damalige Parlamentspräsident Bronisław Komorowski übernahm vorläufig die Präsidentschaftsfunktionen und konnte sich – im Wahlkampf um das Präsidentenamt – in dieser Funktion beweisen. Ein wichtiges stabilisierendes Moment war mit Sicherheit die seit drei Jahren bestehende und von einem großen Teil der Bevölkerung positiv bewertete Regierung der Bürgerplattform (PO) unter Donald Tusk. Und es wurde deutlich, dass Polen nach 20 Jahren Demokratie in der Lage ist, mit einer derart dramatischen Ausnahmesituation umzugehen.

Die Trauerzeit nach Smolensk hat den Wahlkampf stark beeinflusst. Mit der Entscheidung Jarosław Kaczyńskis, als Präsidentschaftskandidat das Erbe seines Bruders anzutreten, ergab sich für ihn, aber auch für seine Gegner eine ganz spezifische Gemengelage. Normalerweise bedeutet ein Wahlkampf harte Auseinandersetzungen mit der Konkurrenz, ein Kräftemessen, eine Abrechnung mit der bisherigen Politik. Aber durch die Trauersituation im Land und beim Präsidentschaftskandidaten selbst und der Unmöglichkeit, die vorausgegangene Präsidentschaft des Verstorbenen kritisch zu bewerten, der inzwischen immer mehr zu einem nationalen Mythos der polnischen Opfernation wurde, verlief dieser Wahlkampf kaum nach normalen Maßstäben.

Kaczyński habe im Wahlkampf „doppelten Schutz“ genossen. Zum einen durch „das natürliche Mitleid der Wähler mit einem Mann, von dem jeder weiß, wie eng sein Verhältnis zu dem Toten war“. Es habe „bis zuletzt kein Konkurrent gewagt (…), ihn im Wahlkampf frontal anzugreifen. (…) Die Aufnahme des betrauerten Bruders in den Pantheon der Helden vom Wawel hat diesen Schutzschirm noch verstärkt“ (Konrad Schuller, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. Juli 2010). Auf dieses Bedürfnis nach Historisierung und Mystifizierung in der Bevölkerung hat auch Bronisław Komorowski in seinem Wahlkampf reagiert. Als Nachkomme eines alten Adelsgeschlechts wies er immer wieder auf mutige Taten und den Einsatz seiner Vorfahren für das Vaterland hin und sah sich selbst in der Solidarność-Tradition.

Allein der dritte, mit 36 Jahren wesentlich jüngere Präsidentschaftskandidat und Vorsitzender der linken SLD Grzegorz Napieralski hat gerade beim Bruch mit dieser Trias „Glaube–Vaterland–Familie“ angesetzt. Dies ist ein Grund, dass er bei jungen Wählern zwischen 18 und 39 Jahren besonders erfolgreich war und insgesamt zu dem unerwartet positiven Ergebnis von 13,6 Prozent der Stimmen im ersten Wahlkampf kam. Er plädierte unter anderem für eine stärkere Trennung von Kirche und Staat und die Abschaffung des Religionsunterrichts. Beflügelt von diesem Ergebnis reiste er nach seiner Wahl durch die Regionen und dankte für die Unterstützung. Dieser Überraschungserfolg wird zu einer Stärkung seiner Position innerhalb der SLD führen.

Ihm und weniger der Partei ist dieser Erfolg zuzuschreiben. Sowohl der frühere Präsident Kwasniewski als auch der ehemalige Ministerpräsident Cimoszewicz hatten nicht ihn im Wahlkampf unterstützt, sondern eine Empfehlung für Komorowski ausgesprochen. Inwiefern dies ein Wandel der Partei von einer postkommunistischen zu einer neuen sozialdemokratischen Kraft bedeuten wird, bleibt abzuwarten. Für die zweite Wahlrunde verzichtete Napieralski auf eine Empfehlung zugunsten Kaczyńskis oder Komorowskis. So buhlten die beiden konservativen Kandidaten mit unterschiedlichen Themen um die Gunst der linken SLD-Wähler. Gleichzeitig konnte man im Wahlkampf beobachten, wie sich die bisher als kaum überwindbar geltenden Gräben zwischen SLD und den liberal-konservativen Parteien etwas zu schließen beginnen. Ein Grund ist mit Sicherheit, dass bei einem Vorsitzenden vom Jahrgang 1974 die Bezeichnung „Postkommunist“ nicht mehr greift. Aber auch Kaczyński hat im Wahlkampf stark auf soziale Themen gesetzt und in dem Sinne seine Partei „Recht und Gerechtigkeit“ als „linke“ Partei bezeichnet.

Wieder wurde die Kluft im Land deutlich

Der Sieg Komorowskis ist auch, aber nicht allein sein eigenes Verdienst. Es ist auch eine Anerkennung der Politik von Donald Tusk, ein Vertrauensvorschuss und eine Verpflichtung, die 500 Tage bis zu den nächsten Parlamentswahlen für wichtige Reformvorhaben im Land zu nutzen. Man muss sich deutlich vor Augen führen, dass es ohne den Verzicht auf seine von vielen erwartete Präsidentschaftskandidatur keinen Präsidenten Komorowski gegeben hätte. Gleichzeitig ist dank dieser Entscheidung Tusk „als unangefochtener Parteichef, Ministerpräsident eines Landes mit 38 Millionen Einwohnern und kräftigem Wirtschaftswachstum, Freund des Staatsoberhauptes und Held der Umfragen – (…) der vielleicht stärkste Regierungschef Europas“ (Schuller, FAZ vom 5. Juli 2010).

Aber auch die Sorge vor dem „ewigen Krieg“, die man mit Kaczyński aus der Zeit der so genannten Vierten Republik von 2005 bis 2007 verbindet, hat viele für Komorowski stimmen lassen, der zwar als etwas steif, aber proeuropäisch, zuverlässig, international sehr geachtet und verantwortungsbewusst wahrgenommen wird. Während der Kohabitation in den letzten Jahren verhinderte Lech Kaczyński viele Gesetzesvorhaben mit seinem Vetorecht. Außerdem hat es oft dem internationalen Ansehen Polens geschadet, wenn der interne Streit um politische Kompetenzen nach außen drang. Demnach konnte Kaczyński nach erst schwachen Prognosen noch überraschend viele Wähler davon überzeugen, dass sein im Wahlkampf eingeschlagener Kurs der Mäßigung und des Neuanfangs auch seine Politik als Präsident bestimmen würde.

Der Mitleidsfaktor war mit Sicherheit auch ein Wahlgrund. Mit fast 47 Prozent der Stimmen verfügt Kaczyński nun über eine sehr gute Ausgangsbasis in seiner Partei für die Parlamentswahlen nächstes Jahr und stärkt „Recht und Gerechtigkeit“ als Oppositionskraft. Aber schon kurz nach Abschluss der Wahlen ist plötzlich wieder der „altvertraute“ Kaczyński mit seinen Attacken und seiner Aggression zu erleben. Der Wolf scheint sein wahltaugliches Schafsfell abgeworfen zu haben und wird dem Duo Tusk und Komorowski ein starker Widersacher sein.

Wie bei den vorhergehenden Wahlen wurde in ihrem knappen Ausgang, auch im Wahlverhalten die Kluft im Land deutlich. Die Wahlschneise zwischen Kaczyński und Komorowski verläuft wie schon in den Präsidentschaftswahlen vor fünf Jahren zwischen Ost- und Westpolen, zwischen Stadt und Land, Alt und Jung. Bei den Auslandspolen in Europa konnte sich Komorowski durchsetzen, in den USA und Kanada gewann Kaczyński. Wenn man bedenkt, dass es in Polen immer noch keine Briefwahl gibt und außerdem der zweite Wahlgang in die Urlaubszeit fiel, dann ist eine Wahlbeteiligung von 55 Prozent überraschend hoch.

Die jetzige politische Konstellation mit einem Ministerpräsidenten und einem Premier aus dem gleichen politischen Lager wird das Regieren für Donald Tusk um vieles einfacher machen, ihn aber auch unter Erfolgsdruck setzen. Als brennende Themen gelten die Reform des Gesundheitssystems, die wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen Gebiete und insgesamt ein stabiler Haushalt. Obwohl Polen als einziges Land Europas voraussichtlich ein Wachstum von 2,7 Prozent in diesem und 3,5 Prozent im nächsten Jahr zu verzeichnen hat und bisher ohne konjunkturellen Schaden durch die Wirtschaftkrise gekommen ist, sind Arbeitslosigkeit und Armut in bestimmten Regionen das zentrale Problem. Während in Warschau oder Krakau nur wenige ohne Arbeit sind, gibt es viele Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit bei über 20 Prozent liegt. Die geteilte Gesellschaft und ein starkes Auseinanderdriften ist nicht nur ein Wahlphänomen, sondern eine gesellschaftliche Realität. Darüber kann auch die gemeinsame, verbindende Trauer nicht hinwegtäuschen.

Ein Schritt zur polnisch-russischen Versöhnung

Aber das Flugzeugunglück von Smolensk hat nicht nur innenpolitisch und innergesellschaftlich tiefgreifend gewirkt. Einer der wenigen positiven – wenn man das sagen darf – Effekte des Unglücks betrifft den neuen Ton zwischen Polen und Russland. Schon in den Monaten vor dem Unglück waren vom russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und dem russischen Premier Wladimir Putin überraschende Signale gekommen. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs auf der Westerplatte in Danzig hatte sich Putin zwar nicht für den Hitler-Stalin-Nichtangriffspakt entschuldigt, aber in einem offenen Brief in der Gazeta Wyborcza den Pakt verurteilt und an Katyn erinnert.

Von polnischer Seite gibt es seit dem Regierungsantritt von Premierminister Tusk 2007 das deutliche Bekenntnis zu einer neuen Sachlichkeit gegenüber Russland. Sehr positiv wurde daher Anfang dieses Jahres die Einladung an Tusk von Putin zu den Gedenkfeiern in Katyn wahrgenommen. Obwohl der Premierminister eingeladen war, erklärte der damalige Präsident und scharfe Russlandkritiker Lech Kaczyński, dass er ebenfalls an den Gedenkfeierlichkeiten teilnehmen werde. Als Kompromiss wurde eine Zweiteilung gefunden – eine offizielle Begegnung von Tusk und Putin am 7. April 2010 und der Besuch der Gedenkstätte von Kaczyński mit zahlreichen Akteuren aus Politik, Militär und Gesellschaft drei Tage später.

Schon im Vorfeld der Begegnung von Tusk und Putin wurde der berühmte Katyn-Film von Andrzej Wajda im Russischen Kulturkanal am Karfreitag gezeigt. Dies wurde in Polen als ein ganz wesentlicher Schritt für das historische Bewusstsein der russischen Bevölkerung bewertet, die bis zum offiziellen Eingeständnis der Alleinschuld durch Gorbatschow im April 1990 mit der Vorstellung der deutschen Verantwortung für die Ermordungen von Katyn gelebt hatte. Von polnischer Seite erhofft man sich in Russland vor allem eine neue Auseinandersetzung mit der Person Stalins und seinen Verbrechen.

Die Begegnung Putins mit Tusk an diesem Ort wurde insgesamt als ein wichtiger Schritt hin zur polnisch-russischen Versöhnung bewertet, besonders positiv wurden Putins klare Sätze über den stalinistischen Terror wahrgenommen. In diese Situation hinein wirkte der Flugzeugabsturz wie ein weiterer Katalysator – nach Adam Michnik, Gründer der Gazeta Wyborcza, sei so der Damm zwischen den beiden Ländern endgültig gebrochen. Die spontane Umarmung von Putin und Tusk am Unglücksort, die Solidaritätsbekundungen der russischen Bevölkerung, eine weitere Ausstrahlung des Katyn-Films zur besten Sendezeit, offizielle Staatstrauer in Russland – Polen schaute voller Erstaunen und Dankbarkeit auf das mittrauernde Nachbarland.

Und auch die polnische Zivilgesellschaft nahm den Ball auf und forderte die Bevölkerung auf, am 9. Mai auf russischen Soldatenfriedhöfen in Polen Kerzen in Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges anzuzünden. Ebenfalls gab es von der Russischen Orthodoxen Kirche mit dem Besuch von Metropolit Kyrill in der Gedenkstätte Katyn ein deutliches Signal – diese solle ein „Ort des gemeinsamen Gebetes der Russen und Polen“ werden. Auch der Krakauer Kardinal Stanisław Dziwisz rief in einer Trauermesse nach dem Unglück zur polnisch-russischen Aussöhnung auf und bezog sich dabei auf den Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder 1965.

Diese Versöhnungsgesten, das Bemühen um einen neuen Anfang in den seit Jahren verfahrenen russisch-polnischen Beziehungen wirkt auch vier Monate nach dem Unglück noch nach. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS bezeichnen 29 Prozent der Befragten die polnisch-russischen Beziehungen als gut, 52 Prozent als weder gut noch schlecht, 15 Prozent als schlecht. Wenn man die Werte von September 2009 zum Vergleich nimmt, dann sieht man deutlich die positive Entwicklung: im September beschrieben nur 4 Prozent die Beziehungen als gut, dafür 40 Prozent als schlecht – der Wert bei „weder gut noch schlecht“ blieb fast unverändert. Dennoch führt Russland immer noch die Skala bei der Frage, „vor welchen Ländern sollte Polen am meisten Angst haben“ mit 50 Prozent an. Im Vergleich nannten 17 Prozent Deutschland und 7 Prozent „Irak, Afghanistan, die arabischen Staaten“. Positiv ist aber, dass 48 Prozent aller befragten Polen davon ausgehen, dass sich die Beziehungen nach Smolensk verbessern werden (CBOS-Umfrage, BS/74/2010, Juni 2010).

Komorowski setzt auf den Dialog zwischen Deutschland und Polen

Neben der emotionalen Dimension, die durch das Unglück ausgelöst wurde, stellt sich die Frage nach den politischen Gründen für den veränderten Ton. Ein wesentlicher Faktor ist für die russische Seite der wachsende Einfluss Polens in der EU und die damit verbundenen Möglichkeiten einer für Russland negativen Beeinflussung der Ostpolitik der EU. Der langjährige russische Versuch, Polen zu isolieren, hat immer weniger gegriffen. Ein konstruktives Gestalten der Beziehungen soll aus russischer Sicht das Störpotenzial Polens reduzieren und die EU für Russland zu einem verlässlicheren Partner machen.

Ein Anlass war mit Sicherheit auch die polnisch-schwedische Initiative der Östlichen Partnerschaft, die eine politische und wirtschaftliche Annäherung zwischen EU und den angrenzenden Ländern Belarus, Ukraine und Moldau einerseits und den Kaukasus-Republiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan vorsieht. Für Polen geht es bei seiner pragmatischeren Russlandpolitik auch nicht allein um Russland. Mit einem störungsärmeren und konstruktiven Verhältnis zum östlichen Nachbarn verbessert Polen sein Image und somit sein Gewicht in der EU. Dies macht es leichter, Unterstützung von anderen EU Ländern bei für Polen relevanten Politikfeldern zu erhalten.

Im Sommer 2011 übernimmt Polen die EU-Präsidentschaft. Hierfür braucht das Land eine starke und wenig kontroverse Rolle in dem Bündnis der 27. Außerdem ist mit der neuen politischen Situation in der Ukraine unter dem prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch die langjährige, immer wieder beschworene strategische Partnerschaft zum Nachbarland noch einmal schwieriger geworden.

Zu den aktuellen konkreten polnisch-russischen Entwicklungsfeldern gehören eine Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen, der Kontakt auf politischer, aber auch zivilgesellschaftlicher Ebene, die stärkere Anbindung Russlands an die Östliche Partnerschaft über ein „Freunde der Östlichen Partnerschaft“-Format und eine Verstetigung des Dialogs zu umstrittenen historischen Themen. Russland ist auch ein wichtiger Faktor im deutsch-polnischen Verhältnis. So wurde von Polen die – im Vergleich zu Gerhard Schröder – kritischere Haltung Angela Merkels positiv zur Kenntnis genommen. Regelmäßig setzt sie das Thema Menschenrechte auf die deutsch-russische Gesprächsagenda. Dass die deutsche Kanzlerin außerdem die Östliche Partnerschaft unterstützt, ist auch ein positiver Impuls für das deutsch-polnische Verhältnis.

Auch die Wahl Komorowskis gilt als positiver Faktor für die Beziehungen zum westlichen Nachbarland. Im Gegensatz zu seinem Widersacher Kaczyński ist Komorowski Deutschland wohlgesinnt. Schon als Sejmmarschall machte er sich für die deutsch-polnische Annäherung stark, ist überzeugt, dass der Versöhnungsprozess vollbracht ist und setzt auf einen engen deutsch-polnischen Dialog in europäischen Fragen. Dass mit Christian Wulff fast zeitgleich in Deutschland ebenfalls ein neuer Präsident sein Amt antritt, wird von beiden als positive Chance begriffen. Nach einem Kurzbesuch in Brüssel und Paris reiste Wulff weniger als zwei Wochen nach seiner Wahl nach Warschau und traf dort Komorowski, Tusk und den Nestor der deutsch-polnischen Beziehungen Władysław Bartoszewski.

Wulff bringt aus seiner Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen gute Kontakte nach Niederschlesien mit und war schon einige Male in der Europäischen Begegnungsstätte in Kreisau. Sehr positiv wurde jetzt von polnischer Seite wahrgenommen, dass Warschau zu den ersten offiziellen Besuchszielen gehörte. Wulff hob deutlich die zentrale Rolle der Solidarność-Bewegung für das Ende der DDR hervor und betonte deutlich die besondere historische Verpflichtung Deutschlands gegenüber dem Nachbarland – auch dies wurde von der Presse gewürdigt. Beide Präsidenten haben angeboten, die Schirmherrschaft für das Deutsch-Polnische Jugendwerk zu übernehmen und wollen Konferenzen zur europäischen Integration in Kreisau anregen. Komorowski wird nach seiner offiziellen Ernennung am 6. August 2011 eine ähnliche Reiseroute wie sein deutscher Kollege einschlagen. Nach einem Besuch in Brüssel will er nach Paris und Berlin reisen. Diese Gemeinsamkeit zeige „dass wir beide ähnlich denken und handeln. Ich hoffe, das bleibt unsere ganze Amtszeit so“.

Für beide in den fünfziger Jahren geborene Präsidenten ist die europäische Integration ein wirkliches Anliegen – hier betonte Komorowski, dass es besonders für die Bevölkerung neue Motivationen und Inspirationen für den Integrationsprozess geben müsse. Ihm schwebt auch eine Belebung des Weimarer Dreiecks, der polnisch-deutsch-französischen Zusammenarbeit vor. Polens aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklung wird heute international sehr positiv beurteilt. Wenn diese Ausstrahlungskraft ein immer ebenbürtigeres und gleichberechtigtes deutsch-polnisches Verhältnis schafft und stärkend für Europa wirkt, dann ist die Aufnahme Polens in die Europäische Union vor sechs Jahren eine wirkliche Erfolgsgeschichte.

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