1946 antwortete der Paderborner Dompropst Paul Simon, ein enger Freund des verfolgten Reichskanzlers Heinrich Brüning und bis 1933 Professor für Philosophie und Apologetik in Tübingen sowie letzter gewählter Rektor der Tübinger Universität vor der Machtergreifung, auf eine Anfrage bezüglich der Haltung der Katholisch-Theologischen Fakultäten im Nationalsozialismus: „Ich kannte alle theologischen Fakultäten ihrem Personalbestand nach ziemlich genau. (…) Im Gegensatz zu den evangelisch-theologischen Fakultäten haben die katholisch-theologischen Fakultäten den Einbruch des NS, man darf wohl sagen vollkommen, abgewehrt. (…) Deshalb hatte auch die Partei etwa um das Jahr 1935 herum beschlossen, die katholisch-theologischen Fakultäten aussterben zu lassen. Es gab keine neuen Privatdozenten mehr und Ernennungen zu ordentlichen Professoren sind nicht mehr erfolgt. (…) Die Partei hätte diese Politik der kalten Unterdrückung nie angewandt, wenn sie nicht so viel Furcht vor den Fakultäten gehabt hätte.“
Stimmt das hier gezeichnete Bild? Oder mischen sich bei näherer Betrachtung – wie so oft – nicht auch hier dunkle Töne unter die hellen Farben? Die Diözese Rottenburg-Stuttgart sah sich vor einiger Zeit gezwungen, das Stuttgarter Karl-Adam-Haus, benannt nach dem bekannten, als Protagonist einer modernen, zeitgemäßen, ökumenisch-orientierten Theologie geltenden Tübinger Dogmatiker, in Rupert-Mayer-Haus umzubenennen; die Stadt Tübingen zog nach und will aus ihrer „Karl-Adam-Straße“ eine „Johannes-Reuchlin-Straße“ machen.
Adam – übrigens ein guter Bekannter, ja Freund Simons – hatte sich in der NS-Zeit eng an den Nationalsozialismus angelehnt, 1933 Hitler enthusiastisch als messianischen Führer begrüßt und versucht, die Vereinbarkeit, ja wesenhafte Zusammengehörigkeit von Nationalsozialismus und Katholizismus zu erweisen. Noch 1939, als vielen frühen „Brückenbauern“ längst die Augen aufgegangen waren, bekannte Adam sich zu derartigen Vorstellungen. Am verhängnisvollsten, weil am verirrtesten, war wohl sein (allerdings nicht allzu laut vorgetragener) Versuch, einen arischen (nichtsemitischen) Jesus zu konstruieren.
Adam war kein Einzelfall. Aber beschränkt sich der Kreis nationalsozialistischer Akteure, Sympathisanten und Mitläufer innerhalb der Theologie tatsächlich auf die üblichen „Verdächtigen“? Die Braunsberger Theologen Karl Eschweiler und Hans Barion stellten sich dem nationalsozialistischen Staat als Gutachter, Berater und Vollstrecker zur Verfügung; Michael Schmaus und Joseph Lortz in Münster versuchten sich früh im Brückenbau und in der Werbung für das Regime; dem Paderborner Moraltheologen Joseph Mayer wird die Befürwortung der nationalsozialistischen Euthanasiemaßnahmen zur Last gelegt. Waren die deutschen Katholisch-Theologischen Fakultäten – und die von ihnen vertretene Theologie – etwa stärker vom Nationalsozialismus durchdrungen als bislang angenommen?
Dass die prominenten „affinen“ Theologen von Zeit zu Zeit das öffentliche Interesse wecken, wundert nicht – vielleicht aber lenken sie davon ab, tiefer zu sehen. Schließlich mussten alle ihren Weg gehen, sich zu ihrer Zeit, zu einem sie umgebenden System, zu den von außen diktierten „Leitideen“ und „Diskursen“ verhalten – wie auch immer.
Obwohl die Literatur zum Thema Kirche und Katholizismus im Nationalsozialismus boomt – es sind vor allem „Gesamtdarstellungen“, Synthesen, Bilanzierungsversuche, die auf den Markt drängen – fällt die Theologie fast durchweg als „Leerstelle“ auf. Einen Diskurs über das Schicksal und die Entwicklung der Theologischen Fakultäten, über die Fragen von Affinität und Anpassung, Widerspruch und Resistenz der Theologen, über Verformung und Weiterentwicklung der Theologie – vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Totalität und Gleichschaltung durchaus naheliegend – gibt es kaum. Geht man unhinterfragt davon aus, die katholische Theologie sei – anders als die evangelische, auch anders als Philosophie, als Biologie und Medizin, Volkskunde oder Geschichte – von der nationalsozialistischen Weltanschauung weitgehend unberührt geblieben? Oder tut man sich im Katholizismus noch immer schwer, diesen Teil der eigenen Geschichte genauer in den Blick zu nehmen?
In vielen Wissenschaftsbereichen gab es in den vergangenen Jahren mitunter heftige und kontroverse Diskussionen darüber, ob und wie man sich mit seiner eigenen Vergangenheit zwischen 1933 und 1945 auseinandersetzen solle. Ob Biologie, Medizin oder Jura, Philosophie, Volkskunde oder Geschichtswissenschaft: Alle haben inzwischen – auf recht unterschiedliche Art und Weise – die wissenschaftliche, kritische Aufarbeitung ihrer jüngsten Geschichte in Angriff genommen. So drängt sich auch die eingehende Beschäftigung mit der Thematik „Katholische Theologie im Nationalsozialismus“ mit Vehemenz auf.
Neben älteren und neueren Studien zu einzelnen Persönlichkeiten (von Gabriele Lautenschläger über Lortz, Lucia Scherzberg über Adam, Thomas Marschler über Barion und Eschweiler) versucht das in Würzburg angesiedelte Forschungsprojekt „Katholische Theologie im Nationalsozialismus. Strukturen – Disziplinen – Personen“ die Frage nach der wissenschaftlichen Theologie im Nationalsozialismus, ihrer Rolle, nach der Haltung der Theologie treibenden Institutionen und Personen flächendeckend und systematisch anzugehen.
Strukturelle Zurückdrängung der Theologie
In einem ersten Forschungsschritt ging es nicht vorrangig um Personen und Theologien. Der Fokus war vielmehr darauf gerichtet, die theologischen Ausbildungsstätten zwischen 1933 und 1945 in institutioneller und struktureller Perspektive zu untersuchen. Die Ergebnisse liegen inzwischen in zwei Bänden auf insgesamt über 1200 Druckseiten vor.
Es handelt sich um eine Bestandsaufnahme der sehr differenzierten Gesamtlandschaft von Ausbildungsstätten, die bei den Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten beginnt und über die staatlichen Philosophisch-Theologischen Hochschulen bis hin zu den Kirchlichen Hochschulen und Ordenshochschulen reicht. Viele der behandelten Fakultäten wurden auf breiter Quellenbasis erstmals oder neu erarbeitet.
Die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik war bekanntlich früh daran gegangen, die Rahmenbedingungen an den Universitäten und Hochschulen zu verändern. Ihnen waren auch die Theologischen Fakultäten unterworfen. Es kam zu vielfältigen, teils tief greifenden gesetzlichen und organisatorischen Veränderungen, die dem Nationalsozialismus Handlungsspielräume eröffneten: so unter anderem durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, die Implantierung des Führerprinzips bei gleichzeitiger Öffnung für die Einflussnahme außeruniversitärer Akteure, die organisatorische Gleichschaltung und Abhängigmachung der Studenten- und Dozentenschaft, die Zentralisierung der Weisungskompetenz im neu geschaffenen „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ oder die gesetzliche Möglichkeit zur willkürlichen Versetzung von Professoren und Dozenten (von der auch ausgiebig Gebrauch gemacht wurde). Auch wenn die nationalsozialistische Hochschulpolitik insgesamt scheiterte: im konkreten Fall zeigten die veränderten Rahmenbedingungen durchaus Auswirkungen.
Hinsichtlich der Theologie lassen die Forschungen zwei Ziele nationalsozialistischer Kirchenpolitik im Rahmen der Wissenschaftspolitik zutage treten: Das erste bestand in der strukturellen Zurückdrängung der Theologie überhaupt, das zweite in ihrer inhaltlichen „Gleichschaltung“. Der Durchsetzung beider Ziele diente ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die teilweise auch bei anderen Wissenschaftszweigen angewandt wurden, teilweise aber theologiespezifisch waren.
Zur Realisierung des ersten Zieles einer strukturellen Reduktion war die Aufhebung ganzer Fakultäten vorgesehen. Von Regierungsseite lief dies unter der Chiffre „Planung“ oder „Gesamtplanung“ (1938–1940). Diese waren von großer Bedeutung für die theologischen Fakultäten. Es handelte sich um Überlegungen zur strukturellen Neuorganisation der deutschen Hochschullandschaft. Insbesondere ging es um Schwerpunktbildungen und um die inhaltliche Umwidmung bestehender Stellen. Da die katholisch-theologischen Fakultäten – im Gegensatz zu den meisten evangelisch-theologischen Fakultäten – außerordentlich starke Hörerzahlen aufwiesen, kündigte das Reichswissenschaftsministerium an, die Prüfung bei den Lehrstühlen in den theologischen Fakultäten werde „insbesondere auch unter Berücksichtigung der politischen Gesichtspunkte“ erfolgen.
Lehrstühle wurden gestrichen
Da der Theologie hinsichtlich der Weltanschauung eine wichtige (negative) Funktion zugewiesen wurde, war sie in den Augen des Nationalsozialismus langfristig nicht nur zu entbehren, sie war sogar schädlich und sollte deshalb staatlich nicht mehr finanziert werden. Durchaus konkordatswidrig war vorgesehen, eine Reihe katholisch-theologischer Fakultäten zusammenzulegen, das heißt zu schließen. Ein erster vom Reichswissenschaftsministerium Ende 1938 vorgelegter Vorschlag sah folgende Maßnahmen vor: Schließung von Innsbruck und Salzburg, Verlegung von München nach Würzburg, von Tübingen nach Freiburg, von Bonn nach Münster, von Regensburg nach Passau.
Aufgrund dieses Vorschlags kam es zu langwierigen Verhandlungen zwischen Martin Bormann, dem Reichswissenschaftsministerium und dem Reichskirchenministerium. Dabei trat zutage, dass die Vorstellungen der Beteiligten stark differierten. Einig war man jedoch in der Ansicht, dass die theologische Forschung „weniger eine freie Wissenschaft, als vielmehr eine konfessionelle Zweckforschung“ sei, ein „Fremdkörper“ in der Universität.
Obwohl die „Planungen“ nicht mehr vollständig zur Durchführung kamen und auf die Zeit nach dem Krieg verschoben wurden, dienten sie intern immer wieder als Begründung dafür, freiwerdende theologische Lehrstühle nicht mehr definitiv zu besetzen.
Tatsächlich kam es so zu einer „Verschlankung“, einer sukzessiven „Austrocknung“ der Theologischen Fakultäten; einzelne freiwerdende Lehrstühle wurden nicht mehr zugewiesen, sondern aufgehoben oder umgewidmet: Bereits 1936 musste die Freiburger Fakultät eines ihrer beiden Ordinariate für Dogmatik an die Staatswissenschaftliche Fakultät abtreten. Dasselbe geschah 1937 in Bonn, als eine der beiden Dogmatikprofessuren eingezogen und in einen Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichte in der Philosophischen Fakultät umgewandelt wurde. In Tübingen wurde 1938 das Alte Testament gestrichen, die Fundation des Lehrstuhls für die Ausstattung eines Lehrstuhls für Rassenkunde verwendet. 1939 wurde in Bonn die Christliche Archäologie in Spätrömische Archäologie umbenannt und in die Philosophische Fakultät verlegt. Dasselbe passierte 1939 auch in Freiburg, wo die Theologische Fakultät neben dem Ordinariat für Christliche Archäologie auch das Kirchenrecht an die Philosophische Fakultät abgeben musste.
1941 ging in Bonn auch der Lehrstuhl für Pastoraltheologie verloren, 1941 musste die Fakultät schließlich auch den Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre an die Philosophische Fakultät abtreten. Noch im August 1944 wurde in Braunsberg die Vergütung des Lehrstuhls für Kirchenrecht eingezogen und an die Philosophische Fakultät der Universität Halle überwiesen. Auch der Tübinger Lehrstuhl für Kirchenrecht wurde 1944 nicht einmal mehr vertretungsweise besetzt. Anders als Bonn, Freiburg, Tübingen und Braunsberg konnte die Würzburger Fakultät alle ihre Lehrstühle behalten, gewann 1939 mit der Transferierung des Münchener Johann Baptist Aufhauser sogar noch eine etatmäßige außerordentliche Professur für Missionswissenschaft hinzu.
Teil der vom Nationalsozialismus intendierten Ausdünnung der Fakultäten waren außerdem willkürliche Versetzungen durch das Reichwissenschaftsministerium, Nichtmehrverbeamtung der Theologieprofessoren und die mögliche Reduzierung des Priesternachwuchses.
Gleichschaltung der Theologie
Das zweite Ziel der Umpolung und „Gleichschaltung“ der Theologie sollte in erster Linie durch eine gezielte Berufungspolitik erreicht werden. Hierfür standen ebenfalls unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Nicht ausdrücklich theologiespezifisch waren Zwangspensionierungen aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, parteiamtliche Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit von Neuzuberufenden, Ausschaltung des freien Selbstergänzungsrechts der Fakultäten sowie Verpflichtung der Habilitierten zum Besuch der „Dozentenlager“.
Die Theologie im Speziellen betrafen jedoch weitere Maßnahmen: Die Infiltrierung der Theologen durch eine „umgepolte“ Philosophie, indem etwa die so genannten Konkordatslehrstühle zurückgedrängt wurden, sowie die Ausschaltung des römischen Einflusses durch Verbot von Auslandsstudien und durch die Weigerung, ausländische Doktordiplome zu nostrifizieren.
Wie gesagt: Nicht alle Maßnahmen griffen. So konnte etwa das Führerprinzip die Mitwirkung der Fakultäten bei Regelung ihrer Angelegenheiten nicht wirklich ausschalten. Rektoren, Dekane und Dozentenführer blieben eben doch weitgehend in die Korporation der Universität eingebunden; persönliche Kontakte und alte Bekanntschaften milderten die theoretischen Härten des Systems. Gleichwohl agierte der eine oder andere Dekan – etwa Hans Barion in Bonn oder Rupert Geiselmann in Tübingen – an seiner Fakultät vorbei. Andererseits gelang es etwa der Freiburger Fakultät – zumindest in den letzten Jahren – eine relativ geschlossene Front gegen den Nationalsozialismus aufzubauen.
Der Versuch, den wissenschaftlichen Nachwuchs in den verpflichtend vorgeschriebenen Dozentenlagern zu infiltrieren, war ebenfalls wenig erfolgreich. Die erhoffte „Umpolung“ der Theologie blieb insgesamt aus. Vor allem eine geprägte Grundresistenz gegen weltanschauliche Überformung – selbst bei jenen, die im politischen Bereich dem Nationalsozialismus Zugeständnisse zu machen bereit waren – dürfte dies verhindert haben.
Ob beziehungsweise inwieweit in diesem Zusammenhang die von Simon auch angedeuteten kirchlichen Disziplinarmittel eine Rolle spielten, lässt sich schwer sagen. Im Sinne aktiver Eingriffe von kirchlicher Seite wohl kaum – derer gab es nur wenige. Man darf nicht verkennen, dass die Möglichkeiten der Kirche, ihren Rechtsstandpunkt durchzusetzen, gegen Null tendierten, wie sich an vielen Beispielen zeigte. Der Versuch Kardinal Michael von Faulhabers, die Beachtung seiner Verweigerung des Nihil obstat für Barion zu erzwingen, führte bekanntlich zur Auflösung der Münchener Theologischen Fakultät. Immerhin könnte die frühe kirchliche Maßregelung von Eschweiler und Barion in Braunsberg (1934) für alle „Brückenbauer“ ein warnendes Signal gewesen sein.
Auch das komplexe politische Begutachtungswesen war damals – und ist auch für den Historiker heute – wenig aufschlussreich. Die Praxis zeigt, dass man sich im Ministerium keiner überzogenen Erwartungen an die Theologen hingab. Man glaubte in dieser „Bekenntniswissenschaft“ nicht an weltanschauliche Überläufer – und suchte deshalb auch gar nicht nach ihnen. Wohl aber wurde auf verdächtige politische Betätigungen geachtet.
Der „politische Katholizismus“ sollte getroffen werden. Da war es schon viel, wenn jemand als Gegner oder Nichtmitglied des früheren Zentrums, als „männlich“, „aufgeschlossen“ oder gar „antirömisch“ charakterisiert wurde. Selten wurde bei Berufungen eine explizite Zustimmung der Kandidaten zum Nationalsozialismus verlangt oder mit einer solchen argumentiert. Auch die Frage der Parteizugehörigkeit war in der Regel kein Thema, konnte es auch gar nicht sein, da das Reichskonkordat Priestern jede parteipolitische Betätigung untersagte.
Darauf wies Hitler im Oktober 1934 noch einmal explizit hin: neuen Aufnahmegesuchen von Pfarrern könne aufgrund der ausdrücklichen Vereinbarung im Reichskonkordat nicht stattgegeben werden. „Dagegen solle hierdurch die Mitgliedschaft der bis da in die Partei Aufgenommenen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.“ Eine weitere Anordnung vom 10. Mai 1939 stellte noch einmal klar, dass Geistliche und „sonstige Volksgenossen, die konfessionell stark gebunden sind“, nicht in die Partei aufgenommen werden könnten. Gleichwohl gab es unter den Theologieprofessoren eine ganze Reihe von Parteimitgliedern.
Die Theologischen Fakultäten überlebten in ihrer Mehrheit relativ unbeschadet
Auch das Beurteilungswesen in den Fakultäten selbst zeigt, dass das Politische fast ausnahmslos keine explizite Rolle spielte. Bei der Erstellung von Berufungslisten beschränkte man sich meist auf fachliche Argumente. Gleichwohl können fachliche Argumente freilich politisch gelesen werden, etwa wenn man auf den ersten Listenplatz einen wohlbestallten Fachvertreter setzte, dem eine größere Nähe zum Nationalsozialismus nachgesagt wurde, man sich dann aber für „junge Nachwuchskräfte“ stark machte. War das nun ein Ausdruck wirklicher Gesinnung oder nur ein taktisches Manöver? Politischen Beurteilungen von Theologen selbst schenkten die Nationalsozialisten ohnehin wenig Glauben. So artikulierte etwa Joseph Roth, selbst Priester, überzeugter Nationalsozialist und Referent im Reichskirchenministerium, 1941 sein tiefes, grundsätzliches Misstrauen gegenüber den Dekanen der Theologischen Fakultäten: Diese seien eben katholische Geistliche und „meist solche, die letzten Endes doch nur kirchliche Interessen im Auge haben“.
Andererseits: Die Dekane wurden „von oben“ bestimmt und man wird mit Grund folgern dürfen, dass nur jene Professoren dazu bestellt wurden, die größere Affinitäten zum Nationalsozialismus hatten. Gegen den Tübinger „Dauerdekan“ Rupert Geiselmann erhob die Fakultät 1945 zum Beispiel heftigste Anklagen und bezichtigte ihn, die Fakultät nationalsozialistisch terrorisiert zu haben. Die Frage stellt sich also verschärft: Schufen die Dekane den Fakultäten durch verbales oder tatsächliches Einschwenken und durch Vorspiegelung falscher Tatsachen gegenüber Staat und Partei Freiräume, oder waren sie an der nationalsozialistischen Durchdringung der Theologie selbst interessiert und beteiligt?
Alles in allem lässt sich feststellen: Die Theologischen Fakultäten überlebten in ihrer Mehrheit relativ unbeschadet. Auf der Verlustseite stehen die Schließung der Münchener Fakultät (1938) sowie der Universitäten Innsbruck, Salzburg und Graz im Zuge der Annektierung Österreichs 1938, die kurzfristige Schließung der Würzburger Fakultät und – mit Kriegsbeginn – das Ende der Philosophisch-Theologischen Hochschulen in Bayern.
Dies hatte freilich eine unbeabsichtigte Kehrseite, die den eigentlichen Intentionen des nationalsozialistischen Staates entgegenstand: Die restriktiven Maßnahmen führten indirekt zur Stärkung der theologischen Ausbildung im abgegrenzten, kirchlichen Rahmen, und wurden insofern zur Bedrohung der vom Staat zumindest weitgehend mitgeleiteten und kontrollierten Theologie.
Die große Zahl der zunächst noch nicht zum Wehrdienst eingezogenen Theologen zwang zu Ersatzlösungen: Das Reichskirchenministerium gab die kirchlichen Hochschulen in Paderborn, Fulda, Eichstätt und Weidenau frei, Trier öffnete selbstständig seine Pforten und für Bonn wurde durch die kirchliche Behörde eine eigene provisorische kirchliche Anstalt eingerichtet, wo ein Teil des Studiums absolviert werden konnte. Die Aachener Theologen besuchten – mit Billigung des Reichskirchenministeriums – nicht mehr die Bonner Universität, sondern die Paderborner Hochschule.
In Bayern, wo auch die Würzburger Fakultät kurzfristig geschlossen blieb und nur die bischöfliche Hochschule in Eichstätt weitergeführt werden durfte, drängte alles nach Eichstätt; die ganze Stadt war mit Theologen „völlig überfüllt“. In Bamberg und Dillingen wurden daraufhin rein kirchliche Anstalten geschaffen, in denen das ganze Studium absolviert werden sollte.
Diese neue Situation ließ Hans Barion auf den Plan treten. Er brachte das Problem am 19. Januar 1940 im „Ausschuss für Religionsrecht“ zur Sprache und warnte vor den negativen Auswirkungen auf die Rechtslage der staatlichen Fakultäten und Hochschulen. Intention des Staates sei stets gewesen, die theologische Ausbildung im staatlichen Rahmen zu halten, um seinen Einfluss auf die künftigen Priester geltend machen zu können. Mit der jetzigen Situation werde jedoch indirekt das traditionelle kirchliche Streben nach binnenkirchlicher Ausbildung gestützt. Barion nutzte die Gelegenheit der Aussprache, auf das unabhängig davon an den Universitäten zu beobachtende Bestreben hinzuweisen, die theologischen Fakultäten als Fremdkörper innerhalb der Universitäten zu stigmatisieren.
So war etwa in Tübingen das bisherige, freilich „nur noch historisch begründbare und wohl auch überlebte Recht auf Vortritt vor allen anderen Fakultäten“ beseitigt worden. Überhaupt werde versucht, die theologischen Fakultäten aus der Gruppe der Geisteswissenschaften herauszulösen und hinter dieser und den Naturwissenschaften als eigene Gruppe aufzuführen; damit solle „die angebliche Unmöglichkeit ihrer Eingliederung in die Universität nach außen kundgetan werden“.
Die Vorlesungsverzeichnisse von Breslau, München und Tübingen trennten zwischen „theologischen“ beziehungsweise „konkordatären“ und „wissenschaftlichen“ Vorlesungen. Es gelang Barion schließlich, den Ausschuss davon zu überzeugen, dass die universitäre Theologie geschützt werden müsse. Der Ausschussvorsitzende brachte die Sache schließlich auf den Punkt: „Gerade von der Politik des heutigen Staates aus ist der Schritt, die Münchner Fakultät zu schließen, überhaupt nicht zu verstehen. Damit gibt der Staat alles aus der Hand. Nehmen wir an, es würden überall die staatlichen Anstalten geschlossen, dann macht die Kirche, was sie Lust hat“.
Persönliche „Opfer“ der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik gab es übrigens auf verschiedenen Ebenen; auch sie hängen mit strukturellen Problemen zusammen. Der Freiburger Dogmatiker Engelbert Krebs, der Breslauer Kirchenhistoriker Berthold Altaner, der Münsteraner Missionswissenschaftler und Kirchenhistoriker Joseph Schmidlin, der Tübinger Kirchenrechtler Josef Löhr verloren vorzeitig ihren Lehrstuhl. Der Münsteraner Sozialwissenschaftler Heinrich Weber wurde gegen seinen Willen nach Breslau versetzt und verlor sein in Münster aufgebautes Institut, der ebenfalls gegen seinen Willen versetzte Münsteraner Kirchenhistoriker Georg Schreiber ließ sich „krankheitshalber“ emeritieren.
Nicht zum Zug kam beispielsweise – trotz Versprechungen – der Tübinger Alttestamentler Fridolin Stier und begann daraufhin, Medizin zu studieren. Auch der Tübinger Kirchenhistoriker Hermann Tüchle wurde in seiner Karriere behindert. Dazu kamen weitere, deren wissenschaftliche Leistungen nicht anerkannt wurden, weil sie im Ausland – etwa in Rom – erbracht worden waren. Was den wissenschaftlichen Nachwuchs überhaupt angeht, auf den Paul Simon 1946 zurecht hinwies, so fehlen gerade hier noch eingehende Studien.