Für die Religionen Judentum, Christentum und Islam ist die Berufung auf die biblischen Patriarchen zentral – und damit auch auf gemeinsame Wurzeln des Gottesglaubens. Dennoch unterscheiden sich die „abrahamitischen“ Religionen in ihren wesentlichen Glaubensaussagen voneinander, sind nicht zuletzt ihre Gottesbilder so unterschiedlich geprägt, dass je nach spiritueller Tradition der jeweiligen Weltreligionen die Gemeinsamkeiten nicht immer sofort zu erkennen sind.
Zu den Aufgaben der zuletzt intensiver gewordenen Beschäftigung mit dem Islam gehört im christlich-muslimischen Dialog deshalb die Markierung von Überschneidungen und Differenzen der jeweiligen Gottesrede. Das „Theologische Forum Christentum – Islam“, das an der katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart angesiedelt ist, hat sich jetzt Anfang März unter dem Titel „Der stets größere Gott“ den verschiedenen Gottesvorstellungen gewidmet, nachdem man sich im vergangenen Jahr mit dem heiklen Thema des Missionsbegriffs in beiden Weltreligionen auseinandergesetzt hatte (vgl. HK, April 2010, 225 ff.).
In diesen Gesprächen erwies sich als gemeinsame Einsicht, dass religiöse Rede, ob im Christentum oder im Islam, wesentlich metaphorische Rede ist, deren Bedeutung nicht ohne Weiteres wortwörtlich verstanden werden kann, sondern der Auslegung bedarf. Diese Überzeugung bestimmte den gesamten Spannungsbogen der Veranstaltung.
Besonders markant äußerte sich in diesem Sinne der bosnische Theologe Rešid Hafizović, Professor an der islamischen Fakultät der Universität Sarajevo, im Eröffnungsvortrag, der von Esnaf Begic, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für interkulturelle Islamstudien an der Universität Osnabrück, präsentiert und kommentiert werden musste.
Hafizović konnte selbst nicht anreisen, weil er und seine Familie aufgrund seiner vergleichsweise liberalen theologischen Haltung jüngst Anfeindungen von salafitischen Kreisen in Bosnien aus-gesetzt waren. Gegen eine Übermacht spekulativer Theologie, so seine These, müsse es heute darum gehen, die symbolische Sprache der Offenbarung ernster zu nehmen und dabei auch von den mystischen Traditionen im Islam zu lernen.
Erol Pürlü, im März noch Sprecher des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland, war in seinem Grußwort davon ausgegangen, dass Gott nur dann recht verstanden werde, wenn man ihn jenseits aller Bilder und Vorstellungen ansiedele. Gottes Erhabenheit lasse, ganz im Sinne des jüdischen wie des islamischen Bilderverbots, alle theologischen Zuschreibungen als problematisch erscheinen. Deshalb sei man letztlich in erster Linie auf die „primärreligiösen“ Quellen verwiesen.
Mit anderer Akzentuierung setzte am Ende Ahmad Milad Karimi, Freiburger Islamwissenschaftler und Koranübersetzer, den Schlusspunkt der Tagung, indem er darauf insistierte, dass der heilige Text der Muslime in erster Linie gesprochenes und nicht geschriebenes Wort sei. Als „lebendiges Wort Gottes“ müsse er vorgetragen und diese Rezitation als „Liebeserklärung“ an die Menschen verstanden werden, die wie jedes Bekenntnis dieser Art durch und durch poetisch sei – auch wenn über diese Lesart des Koran unter Muslimen noch gestritten wird.
Im Mittelpunkt des theologischen Gesprächs über die Inhalte der jeweilige Gottesrede stand vielfach das Verhältnis zwischen Gottes Allmacht und der ihm zugeschriebenen Barmherzigkeit. Ulrike Bechmann, Professorin für Religionswissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Graz, betonte für die christliche Seite, dass die Bibel bei aller Widersprüchlichkeit unterschiedlicher Gottesbilder bewusst mit der Schöpfung der einen Welt beginne, an denen sich alle Positionen messen lassen müssten, die die jeweils anderen ausgrenzen wollen.
Mit Blick auf die als „dunkle Seite“ Gottes erfahrene Gewalt im Alten Testament hob sie hervor, dass Gottes Gerechtigkeit um der Menschen willen zum Gericht führe – ganz im Sinne von Mt 25,40 („Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“). Wo hingegen nur das Verhältnis des Menschen zu Gott auf dem Spiel stehe, lasse Gott Barmherzigkeit walten. Die Hoffnung der Christen sei freilich, dass im Eschaton das Leiden am Kreuz sich als Barmherzigkeit Gottes gegenüber jedem Menschen erweise. Auch auf diese Weise komme es zu einer Entgrenzung des Heils, die der schöpfungstheologischen Grundlegung entspreche.
Was aber bedeutet das für Gottes Möglichkeiten, handelnd in die Welt einzugreifen? Nach Reinhold Bernhardt, Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Basel, impliziert die Behauptung einer Allwirksamkeit nicht, dass Gott die Freiheit der Menschen missachte, zu der er ansonsten in Konkurrenz gerate – von einer Verschärfung der Theodizeeproblematik einmal ganz abgesehen. Gott müsse vielmehr als Transzendentalursache verstanden werden: als Urgrund für alles, das ist. Mitten in der Welt sei Gott jenseitig, oft genug wirke Gott allein durch seine Anwesenheit; seine Macht sei damit die seiner Gegenwart.
Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik in Münster, stellte seinerseits eine muslimische Gotteslehre vor, der ganz ähnliche Überzeugungen zugrunde lagen. Er strich heraus, dass die Barmherzigkeit Gottes für den Menschen zugänglich, erlebbar und erfahrbar sein müsse. Gott habe sich selbst auf sein Barmherzigsein verpflichtet, sodass Zwang und Manipulation nicht mit dem islamischen Selbstverständnis vereinbar seien. Gott gewähre die Freiheit des Menschen: Dies sei sein Weg, in die Welt eingreifen und das Gute bewirken zu können.
Theologisches Gespräch auf Augenhöhe
Seine Barmherzigkeit habe Gott schließlich nicht nur im Koran offenbart, sondern in der Schöpfung selbst. Jeder Akt der Barmherzigkeit in dieser Welt könne deshalb als eine Manifestation der Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes verstanden werden. In diesem Sinne sei der jeweils größere Gott der barmherzige: Zorn und strafende Gerechtigkeit seien dieser absoluten Barmherzigkeit untergeordnet. Khorchide konnte im Übrigen auf einen Hadith hinweisen, in dem der Prophet Muhammad eine Position vertritt, die unmittelbar an die Rede Jesu in Mt 25 erinnert.
Angesichts einer vielfach geforderten Aufklärung des Islams ist dieser Ansatz muslimischer Theologie ein Beispiel für eine sich abzeichnende „anthropologische Wende“ des Gottdenkens in der muslimischen Theologie – zumindest einmal im hiesigen Kontext. Schon Bülent Ucar, Professor für Islamische Religionspädagogik in Osnabrück, hatte zuvor die Koransure 50,16 zitiert („Ich bin dem Menschen näher als seine Halsschlagader“) und darauf aufmerksam gemacht, dass auch in der muslimischen Theologie die Reflexion auf den Menschen das Gottdenken vorantreibe – ohne dadurch zwangsläufig in eine Art Pantheismus zu verfallen.
Karimi allerdings war es, der in seinen Ausführungen zum Abschluss der Tagung genauso deutlich die Schwierigkeiten des christlich-muslimischen Gesprächs markierte: Für Muslime, an Aristoteles und seinen Satz vom zu vermeidenden Widerspruch geschult, sei schlicht nicht zu verstehen, wie Gott als der ganz Andere Mensch geworden sein solle. Angesichts dieses christlichen Glaubenssatzes erweise sich der Islam geradezu als „aufgeklärte Verstandesreligion“.
Zumindest unterschwellig standen ganz in diesem Sinne die christologischen und vor allem trinitätstheologischen Axiome des christlichen Glaubens an allen drei Tagen der Gespräche als eigentliche Schwierigkeit für den christlich-muslimischen Dialog im Raum – mit durchaus signifikanten Konstellationen.
Denn während die Erläuterung der trinitätstheologischen Aussagen des christlichen Glaubens von den muslimischen Dialogpartnern gelegentlich mit Vehemenz eingefordert wurde, war man auf christlicher Seite gerade um einer gemeinsamen Gesprächsebene willen eher darum bemüht, diese Differenzen nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Bei einer ganzen Reihe von Redebeiträgen – nicht zuletzt angesichts der Vielfalt theologischer Ansätze – auch eine gewisse innerchristliche Verunsicherung spürt man, wie denn dieses Proprium des eigenen Glaubens am besten auf den Punkt gebracht werden könne.
Angegangen wurde die „Provokation Trinität“ (Christian Troll) am intensivsten in einem der Workshops, die sich -daneben den Traditionen mystischer Gotteserfahrung, den überraschend -ähnelnden feministisch-theologischen Ein-sprüchen gegen die Geschichte männlicher Gottes-prädikate oder der Gewaltproblematik in den beiden monotheistischen Religionen gewidmet haben.
Felix Körner, Dekan der Missionswissenschaftlichen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, legte dort seinen Ansatz dar (vgl. auch: Kirche im Angesicht des Islam. Theologie des interreligiösen Zeugnisses, Stuttgart 2008). „Dreifaltigkeitstheologie ist keine Beschreibung Gottes mit einer Eigenschaft, sondern die Erkenntnis Gottes in seiner Bindung an Jesus und sein Volk“, lautete seine Ausgangsthese, die er behutsam entfaltete. Immer wieder machte er dabei auch auf das Vorläufige, Unvollkommene und erst im Eschaton Vollendete der christlichen Glaubenshoffnung aufmerksam. Erst dort, wo alle Menschen in Freiheit diesen Glauben teilen, sei Gottes Wirklichkeit zu ihrer Erfüllung gekommen.
Das „Theologische Forum Christentum – Islam“ hat es in diesem Jahr zum ersten Mal erreicht, dass von den mehr als 120 Theologen die Hälfte Muslime waren, darunter auch viele Frauen. Eine Reihe von christlichen Interessenten konnten aus Platzgründen nicht teilnehmen. Anwesend waren hingegen viele Absolventen der christlich-islamischen Studienwoche für junge Wissenschaftler, die in den vergangenen Jahren jeweils im Sommer an der katholischen Akademie stattgefunden hat.
Neben der intensiven Arbeit am theologischen Thema der jeweiligen Jahrestagung hat sich das Forum insgesamt zu einer bemerkenswerten Börse im theologischen Gespräch zwischen Christen und Muslimen entwickelt. So konnten auch in diesem Jahr in Stuttgart wieder eine Reihe von universitären und anderen Forschungsvorhaben, aber auch konkreten Dialogprojekten präsentiert werden. Das Forum ist auf diese Weise auch mit Blick auf den Nachwuchs für das Fach islamische Theologie, der in den kommenden Jahren ausgebildet werden muss, von Bedeutung. Das gilt nicht zuletzt, wie Mitinitiator Ucar betont, weil schon die Vorbereitung der Tagungen zwischen den christlichen und den muslimischen Verantwortlichen bei der Organisation auf Augenhöhe erfolge.