Die Pluralität innerhalb der muslimischen Community in Deutschland ist eine zentrale Feststellung der statistischen Erhebungen und qualitativen Untersuchungen, die in den letzten fünf Jahren durchgeführt wurden. Die hierzulande existierende muslimische Vielfalt umfasst auch die Anhänger des Salafismus. Noch bis 2006 beschrieben die Wissenschaft und Medien die salafistisch orientieren Muslime schlicht als „(Neo)Fundamentalisten“. Ihre Weltanschauung wurde oftmals als Teilbereich des „Islamismus“ betrachtet – meistens ohne auf die Merkmale hinreichend einzugehen, die diesen Teilbereich auszeichnen und ihn von anderen abgrenzen.
Seit dem Jahr 2006 ändert sich dieser Umstand fortwährend. Dazu tragen einerseits die Intensivierung der Propagandaaktivitäten salafistischer Akteure sowie sich überlagernde Prozesse der Expansion, Professionalisierung und Ausdifferenzierung salafistischer Propaganda hierzulande bei. Diese und weitere Entwicklungen begründen das wachsende Interesse an der Auseinandersetzung mit dem salafistischen Gedankengut. In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, den Salafismus definitorisch zu bestimmen und seine theologischen Grundlagen aufzuzeigen, damit salafistisch orientierte Muslime von anderen Anhängern der islamischen Religion unterschieden werden können.
Der wahre Islam und seine Entstellung
Der zeitgenössische Salafismus ist eine religiös-puritanische, revisionistische, rückgewandte Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaft, die in diversen – in programmatischer Hinsicht differenten – Strömungen des sunnitischen Islamismus existiert. Den Kern des Salafismus bildet die Grundüberzeugung, dass die islamische Religion zu den Lebzeiten der „rechtschaffenen Altvorderen“ (as-salaf as-salih, kurz: salaf) „authentisch“ und „rein“ gewesen sei und deswegen optimal praktiziert werden konnte. Die Salaf-Generationen umfassen den Propheten Muhammad (gest. 632) und seine Gefährten (sahaba) sowie die Schüler der Prophetengefährten (tabi’un) und diejenigen, die von diesen Schülern unterwiesen wurden (tabi’i at-tabi’n). Nach salafistischer Auffassung markiert das Jahr 855, das Sterbejahr des sunnitischen Rechtsgelehrten Ahmad Ibn Hanbal, das Ende der gesegneten Salaf-Epoche.
In den nachfolgenden Generationen sei der „wahre“ Islam jedoch gewissen Entstellungsprozessen ausgesetzt, die bis in die Gegenwart fortwirken würden. Dies habe zum tendenziellen Niedergang des Islam und der politischen Ohnmacht der Muslime weltweit geführt. Um die Reinheit und Wahrhaftigkeit des Islam wieder herstellen beziehungsweise gewährleisten zu können, sei es unumgänglich, die religiöse Praxis, die Lebensführung sowie Staats- und Rechtsordnung an Koran und Sunna (Prophetentradition) – so wie sie vorgeblich von den rechtschaffenen Altvorderen verstanden wurden – auszurichten. Zur Entstehung und zusammenhängenden Entwicklung des zeitgenössischen Salafismus trugen einflussreiche muslimische Religionsgelehrte wie etwa Ahmad Ibn H.anbal (gest. 855), Taqi ad-Din Ahmad ibn Taimiyya (gest. 1328) und Muhammad ibn Abd al-Wahhab (gest. 1792) erheblich bei.
Salafisten lassen sich allgemein beschreiben als sunnitische Muslime, die in den Bereichen der rituellen Pflichthandlungen und der religiös bestimmten Umgangsvorschriften der Menschen untereinander der Glaubenslehre der rechtschaffenen Altvorderen folgen und ihre Methode anwenden, um religiöse Rechtsurteile aus Koran und Sunna abzuleiten.
In Abgrenzung zu der Mehrheit der Muslime lehnen Salafisten jede Anpassung der Interpretation religiös-autoritativer Quellen (Koran und Sunna) an veränderte gesellschaftliche und politische Gegebenheiten kategorisch ab. Sie betrachten dies als „unstatthafte Neuerung“ (bid’a, Plural: bida’). Neuerungen führen gemäß der salafistischen Weltsicht zwangsläufig zum „Unglauben“ (kufr). Zudem wird die Salaf-Epoche in den salafistischen Diskursen als die „goldene Ära“ (al-’asr az-zahabi) der muslimischen Gemeinschaft dargestellt, in der ein islamisches Weltreich begründet wurde. Diese Glorifizierung steht der Abwertung der zeitgenössischen, als „dekadent“ empfundenen Gesellschaften und Spaltung der Muslime weltweit gegenüber, die auf Fehlentwicklungen in der Religionspraxis zurückzuführen seien.
Die islamischen Überlieferungen schreiben den rechtschaffenen Altvorderen einen frommen Lebenswandel sowie eine hohe Einsatzbereitschaft für die Sache des Glaubens und der muslimischen Gemeinschaft der Muslime (umma) zu. Deshalb kommt diesen Generationen von Gläubigen eine Vorbildfunktion für die Mehrheit der Muslime auf der Ebene der Ethik und Moral zu. Salafisten gehen genau an diesem Punkt weiter. Sie ikonisieren die Salaf-Generationen und sind der Ansicht, dass das geistige Erbe der rechtschaffenen Altvorderen das beinhalte, was einzig als der „richtige“ Islam (al-islam as-sahih) gelten könne. Sie fordern vehement die akribische Nachahmung der rechtschaffenen Altvorderen in allen Lebensbereichen. Es gelte daher, vermeintliche unstatthafte Neuerungen, die nicht in Koran, Propheten- und Gefährtentradition zu belegen sind, zurückzuweisen und konsequent aus der religiösen Praxis und Lebensführung zu verbannen.
Selektiv blenden Salafisten jedoch jene Überlieferungen aus, die von Konflikten, Spaltungen und Uneinigkeiten unter den Muslimen während der Lebzeit der Salaf berichten – vor und nach dem Tod des Propheten. Deswegen lässt sich das Idealbild der Salaf, an dem sich Anhänger der salafistischen Weltanschauung kompromisslos orientieren wollen, in vielerlei Hinsicht als „Utopie“ beschreiben.
Das salafistische Projekt sieht vor, den „authentischen“ Islam wieder herzustellen und einen auf dessen Grundlage verfassten Staat zu errichten. Somit sollten Muslime zu ihrer alten Stärke zurückfinden. Dies sei nur anhand der bedingungslosen Orientierung an den grundlegenden Quellen des Islam und der akribischen Nachahmung der Salaf in allen Lebensbereichen möglich. Da der Salafismus im Namen des „wahren“ Islam die Errichtung einer allein religiös legitimierten Gesellschafts- und Staatsordnung anstrebt, muss er als eine Unterkategorie des Islamismus verstanden werden.
Bekenntnis zum Einssein Gottes
Grundlegend für den Salafismus ist sein spezifisches Gottesbild. So misst er dem Bekenntnis zum „Einssein“ Gottes eine zentrale Bedeutung zu. Das hier zugrunde liegende Konzept ist das des „Tauhid“. Tauhid, abgeleitet von dem arabischen Verb „wahhada“, bedeutet „Vereinigen/Vereinheitlichen“ beziehungsweise etwas zu „wahid (eins)“ machen und umschreibt den „Glauben an die Einheit und Einzigkeit Gottes“ (Tilman Nagel, Geschichte der islamischen Theologie – von Mohammed bis zur Gegenwart, München 1994, 12).
Für die Mehrheit der Muslime ist das Bekenntnis zur Einheit Gottes und zum Prophetentum Muhammads ausreichend, um als Muslim anerkannt zu werden. Für salafistische Muslime ist Tauhid jedoch nicht nur das mündliche Bekenntnis zur Einheit und Einzigkeit Gottes, sondern die konsequente Verinnerlichung, Verwirklichung und Aufrechterhaltung dieses Bekenntnisses in allen rituellen und profanen Handlungen, die direkt oder indirekt mit Gott zu tun haben. Charakteristisch für den Salafismus ist darüber hinaus die Strenge in der Forderung, Einhaltung und Umsetzung des Tauhid in der Glaubensgemeinschaft und im Leben des Individuums.
Die Mehrheit der Muslime werten jegliche Anbetung von weiteren Gottheiten neben dem einen Gott als Polytheismus und Vielgötterei (shirk). Salafisten gehen genau an diesem Punkt weiter und argumentieren, es gebe Formen des Beigesellens von Partnern zu Gott, die sich nur dann als solche enttarnen lassen, wenn man sie an Kriterien des Tauhid misst. Der Begriff „Shirk“ erfährt daher im Salafismus eine konzeptionelle Erweiterung als Gegenstück von Tauhid. Shirk käme zustande, wenn der Verrichtung einer Handlung nicht ausschließlich die Absicht zugrunde liege, dem einen Gott zu dienen.
Den Hintergrund dieser strikten Auffassung findet man in der salafistischen Weltanschauung, die jede menschliche Handlung für eine Form der Anbetung erklärt. Belegt wird diese Auffassung mit der literalistischen Auslegung von Koranversen (Beispiel: „Sprich: Mein Gebet und meine Opferung, mein Leben und mein Tod gehören Gott, dem Herrn der Menschen in aller Welt. Er hat keinen Teilhaber an der Herrschaft. Dies zu bekennen, wurde mir befohlen. Und ich bin der erste von denen, die sich ergeben haben.“ [Koran: Sure 6, Vers 162–163]). Demzufolge machen sich viele Muslime des Shirk schuldig – auch wenn sie sich durch das Aussprechen des Glaubensbekenntnisses zur Existenz einer einzigen Gottheit bekennen. Denn sie verletzen entweder direkt oder indirekt beziehungsweise offen oder verdeckt den Universal- und Absolutheitsanspruch Gottes auf Herrschaft und Verehrung. Da der Shirk zum Abfall vom Islam führe und einen Akt der Rebellion gegenüber dem einen Gott, dem einzigen Schöpfer und Herrscher des Universums, gleichkäme, würde er nach salafistischer Auffassung durch Gott mit der Auslöschung aller guten Taten, die zuvor eine Person ausführte, und der ewigen Verdammung in der Hölle geahndet.
Salafisten verwerfen die von Menschen geschaffenen Organe der Legislative, Judikative und Exekutive als institutionalisierte Formen des Shirk. Vom weltlichen Herrscher wird verlangt, dass er nur nach dem salafistischen Verständnis von Koran und Sunna regiert. Anderenfalls wird er als Götze (taghut, wörtlich: etwas/jemand, das/der Grenzen überschreitet) bezeichnet und die Unterwerfung unter seine Herrschaft beziehungsweise Rechtsordnung als Götzendienst (’ibadat at-taghut) abqualifiziert. Für Salafisten gebühren Herrschaft (hakimiyya) und Unterwürfigkeit (’ubudiyya) nur dem einem Gott, dem absolut Souveränen.
Sowohl die Gewaltenteilung und die menschliche Gesetzgebung als auch die Rechtsprechung und Vollstreckung der von Menschen gemachten Gesetze und Urteile werden von salafistischen Gelehrten als Aggression gegen die „Hakimiyyat Allah“ auf Erden verurteilt. Denn sie bestätigen demnach die Herrschaft der Menschen statt der Gottesherrschaft. Dabei werden konkurrierende Gesetze, die neben den göttlichen wirken und von Koran und Sunna abweichen, als Erlassen von Gesetzen neben (denen von) Gott (tashri’ min dun-i-llah) aufgefasst. Auch das Unterlassen des Richtens beziehungsweise Regierens mit den Gesetzen Gottes (tark l-hukm bi-ma anzala Allah), indem der weltliche Herrscher sie durch andere Rechtsgrundlagen (al-hukm bi-ghair ma anzala Allah) ersetzt, werden als Häresie aufgefasst.
Diese Häresie entspringt der Suspendierung von Gottes absoluter Souveränität. So werden die Geschöpfe an der Herrschaft des Schöpfers beteiligt. Dies ist aus der salafistischen Weltanschauung nicht tragbar. Es besteht unter allen Salafisten Einigkeit darüber, dass das Rechtssystem, das von den Regeln abweicht, die in Koran und Sunna festgelegt worden sind, eine Übertretung gegen das System Gottes ist. Die Anfertigung, Anwendung oder Anerkennung von Gesetzen, die Gottes Urteilen widersprechen, seien demzufolge Shirk. Dies gilt für jene Gesetze, die beispielsweise Polygamie verbieten oder das Steinigen von Ehebrechern und das Abtrennen der Hand für barbarische Taten halten und unter Strafe stellen.
Die Welt wird in zwei sich feindlich gegenüberstehende Sphären unterteilt
Der „wahre Muslim“ wird hingegen als ein gehorsamer Knecht Gottes (’abd) propagiert, der sich in allen Lebensbereichen dem Willen seines einzigen Schöpfers vollständig unterwirft. Dieser Schöpfer ist gleichwohl der absolute Herrscher, dessen göttlicher Wille Koran und Sunna – ausschließlich nach der Leseart der Salaf – entnommen werden kann. Dies ist die Konsequenz dessen, dass die Altvorderen das Wort Gottes genauso wie der Prophet verstanden und in allen Lebensbereichen in die Tat umsetzten und dass jegliche Abweichung davon als Bid’a zurückzuweisen ist.
Das Bekenntnis zum Tauhid und die Denunziation des Shirk stehen somit im Zentrum der salafistischen Glaubenslehre (al-’aqida as-salafiyya). Jede Glaubenslehre, die sich zwar auf den Islam berufe, aber dem Tauhid keinen zentralen Stellenwert beimesse, sei falsch, würde von Gott nicht angenommen und könne ihre Anhänger daher vor der zeitlich begrenzten oder der ewigen Bestrafung mit dem Höllenfeuer im Jenseits nicht bewahren.
Die salafistische Glaubenslehre umfasst grundlegende Dogmen, die den Kern des Glaubens bilden. So beschäftigt sie sich mit entscheidenden Fragen wie der Natur Gottes und des Koran, der Rolle der menschlichen Vernunft, der Deutung der im Koran und in der Sunna enthaltenen göttlichen Gebote und Verbote sowie der Art und Weise von deren Umsetzung. Sie bietet zudem Ordnungsprinzipien und einen Referenzrahmen für die Herausbildung von religiösen Rechtspositionen zu aktuellen Themen. Die salafistische Glaubenslehre gibt somit ein festes Gerüst vor, welches jegliche Abweichung oder Differenz nicht duldet.
Rasterartig wird jedes menschliche Verhalten gemäß dem Wortsinn der Koranverse und dem Tauhid-Verständnis in Kategorien eingeteilt und zur Einstufung von Individuen in wahrhafter Gläubiger (mu,min), Heuchler (munafiq), Frevler (fasiq), Polytheist (mushrik) oder Ungläubiger (kafir) herangezogen. Man konstatiert daher in der weltanschaulichen Wahrnehmung der salafistischen Glaubenslehre eine Dichotomie. Diese Dichotomie unterteilt die Welt in zwei sich feindlich gegenüberstehende Sphären: islamkonform und nicht-islamkonform beziehungsweise Glaube (iman) und Unglaube (kufr).
Das salafistische Spektrum reicht weltweit von missionarisch agierenden Akteuren und Gruppen über regierungsnahe Religionsgelehrte und legalistisch auftretende politische Personen und Parteien bis hin zu jihadistischen Netzwerken. Zu dieser Vielfalt tragen die Diversität soziopolitischer Kontexte, in denen Salafisten sich bewegen, sowie die Prioritäten- und Schwerpunktsetzung der jeweiligen salafistischen Autoritäten und Gruppen bei. Trotz ihrer Diversität hinsichtlich der Formen des politischen Handelns teilen alle salafistischen Strömungen dieselben religiösen Grundsätze und rezipieren überwiegend dieselben Vordenker.
Darüber hinaus teilen salafistische Strömungen aller Couleur dieselben Auffassungen in Bezug auf Gesellschaft und Staat. Sie streben je nach Strömung kurz- oder langfristig die vollständige Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und individuellem Lebensvollzug jedes einzelnen Menschen nach gewissen Normen an, die sie als „gottgewollt“ postulieren. Daher sind die angestrebten politischen und gesellschaftlichen Ziele bei allen salafistischen Strömungen gleich. Sie unterscheiden sich vor allem in der Wahl der Mittel, mit denen ihre Ziele verwirklicht werden sollen.
Obwohl die Grundsätze des Salafismus konstant sind, werden sie zur (De-)Legitimation von Gesellschafts-, Herrschafts- und Rechtsordnungen variabel eingesetzt. Dies ist vor allem abhängig von der jeweiligen politischen Ausrichtung der meinungsführenden salafistischen Religionsgelehrten sowie der sich daraus ergebenden Positionierung der jeweiligen Strömung zu Gesellschaft und Staat.
Vier Typen salafistischer Strömungen
Die empirisch prüfbare soziale Realität des Salafismus belegt, dass vier Typen salafistischer Strömungen existieren: Pietistisch orientierte Salafisten zeichnen sich durch ihre pragmatische, temporäre Unterlassung der politischen Betätigung aus. Sie berufen sich auf die Lehrmeinung: „Zur guten Politik gehört es heute, die Politik bleiben zu lassen“, die auf den salafistischen Großgelehrten Nasir ad-Din al-Albani (gest. 1999) zurückzuführen ist. Sie sehen daher den Vorrang zunächst in der Reinigung (tazkiyya) der Religion von unstatthaften Neuerungen. Die Reinigung von „unislamischen“ Elementen bezieht sich ebenfalls auf den Charakter des Individuums und der Gesellschaft.
Darauf basierend folgt die Erziehung (tarbiyya) des Einzelnen und der Gemeinschaft zum „wahren“ Islam mittels Da’wa. Ihrer Auffassung zufolge ist die Existenz einer „wahren“ und deswegen vital-islamischen Gemeinschaft nach dem Idealbild der Salaf die Grundvoraussetzung für die Errichtung eines mächtigen islamischen Staates. In der Phase der Tazkiyya und Tarbiyya lehnen sie den politischen Aktivismus und gar die Gewaltanwendung im Namen des Jihad ab, da das Scheitern dieser Ambitionen die Unterdrückung und Verfolgung der Muslime zur Folge haben könnte.
Ferner existiert eine Gruppe von salafistischen Religionsgelehrten, die eine staatstragende Rolle im politischen System einnehmen und als Vehikel zur Stützung der herrschenden Elite fungieren. In Saudi-Arabien sind sie gar ein wesentlicher Teil der politischen Elite. Hingegen streben legalistisch politisch agierende Salafisten die gewaltfreie Änderung der politischen und der sozialen Ordnung an. Im Gegensatz zu ihnen forcieren jihadistische Salafisten die Gewalt zur Errichtung eines islamischen Staates.
Diese vier Strömungen lassen sich als „Fraktionen“ einer in theologischer Hinsicht kohärenten Bewegung beschreiben. Diese theologische Kohärenz, die trotz Differenzen in Bezug auf Formen des politischen Handelns besteht, erleichtert den Anhängern den Wechsel zwischen den salafistischen Strömungen und macht die Übergänge zwischen diesen fließend.
Die Propagierung der Salaf-Generationen als soziales, normatives Idealbild, an dem sich jeder Muslim in allen Lebenssituationen zu orientieren habe, birgt Konfliktpotenzial. Die Legitimität individueller Unterschiede und kultureller Differenzen zwischen Menschen wird verneint. Eine Selbstentfaltung des Individuums tritt somit gegenüber seiner Funktionalisierung als Vollstrecker des Willens Gottes und der Bestimmungen einer vermeintlich islamischen Ordnung in den Hintergrund.
Nach dem Tauhid-Verständnis der Salafisten ist Gott allein Souverän, nicht das Volk. Die logische Konsequenz dieses rigiden Verständnisses ist es, Gesetze und Normen, die Ergebnisse demokratischer Prozesse sind, sowie die in Deutschland vorherrschende rechtsstaatliche Ordnung als Usurpation der Souveränität Gottes zu betrachten und die Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und individuellem Lebensvollzug jedes einzelnen Menschen nach gewissen, als „gottgewollt“ postulierten Normen anzustreben. Dies ist nicht nur als Glaubensanschauung, sondern als politisch motivierte Propaganda aufzufassen.
Diese Propaganda impliziert die dichotomische Einteilung der Welt in „gut“ und „böse“ beziehungsweise „islamkonform“ und „nicht islamkonform“. Nach Auffassung der Salafisten jeglicher Ausrichtung sind die Deutschen „Ungläubige“; Schiiten, Mystiker, Anhänger anderer Glaubensrichtungen und Denkschulen sowie säkular orientierte Muslime, die für sich den Anspruch erheben, auch Muslime zu sein, keine „richtigen Muslime“. Die Verbreitung der Auffassung ist dazu geeignet, die Herausbildung von Parallelgesellschaften – auch in Deutschland – zu befördern.