Annäherungen zwischen Evangelikalen und KatholikenKoalition der Missionare?

Ökumene ist ein Prozess mit verschiedenen Facetten. Zu ihnen gehört nicht zuletzt, dass sich im Verhältnis zwischen evangelikal geprägten Protestanten und der katholischen Kirche einiges verändert hat. Es finden nicht nur offizielle Gespräche statt, sondern das Verhältnis profitiert von der Herausbildung einer transkonfessionell orientierten Gesinnungsökumene.

Zwar ist es nicht falsch von einer heute beobachtbaren ökumenischen Stagnation zu sprechen. Auch der Papstbesuch in Deutschland 2011 hat daran nichts geändert (vgl. dieses Heft, 69 ff.). Gleichzeitig gibt es Entwicklungen, die die pauschale Redeweise von ökumenischer Stagnation in Frage stellen. Vor allem im konservativen Protestantismus evangelikaler und charismatischer Prägung vollzieht sich gegenwärtig ein durchaus grundlegender Wandel in der Verhältnisbestimmung zur römisch-katholischen Kirche, der seine Entsprechung in der Wahrnehmung Evangelikaler durch die katholische Kirche findet.

In einer ökumenischen Studie zu transkonfessionellen Bewegungen aus dem Jahr 1976 wurde darauf hingewiesen, dass die Herausforderung der evangelikalen Bewegung für die historischen Kirchen darin liege, „angesichts einer oft formellen, unverbindlichen Christlichkeit und kirchlichen Zugehörigkeit (…) die Notwendigkeit persönlicher Entscheidung und Verpflichtung zu erkennen und zu betonen (…) Raum zu lassen für den unmittelbaren, spontanen Zugang eines jeden Christen zur Heiligen Schrift (…) und alle Formen kirchlichen Lebens, christlichen Zeugnisses und kirchlichen Dienstes (…) unter die Norm der Heiligen Schrift zu stellen.“

Die Herausforderung der charismatischen Bewegung an die Kirchen bestehe darin, „die oft unpersönlichen, konventionellen und starren Formen des Gottesdienstes zu verlebendigen, (…) angesichts einer oft einseitig zweckorientierten, intellektualisierten Frömmigkeit der Dimension des Lobpreises (…) ein größeres Recht einzuräumen; (…) nicht nur in theologischen Aussagen, sondern auch im Leben der Gemeinschaft dem Wirken des Heiligen Geistes mehr Raum zu geben, damit (…) das Glaubensleben des Einzelnen wie der Gemeinschaft gestärkt wird“. (Neue transkonfessionelle Bewegungen, Frankfurt 1976, 39). Im Blick auf die aktionszentrierte Bewegung wird festgehalten, dass deren Herausforderung an die Kirchen darin liege, „sich von einer falschen … Innerlichkeit … zu lösen“ und sich zu fragen, „inwieweit und in welcher Form sie aufgrund ihrer Verflochtenheit mit gesellschaftlichen Strukturen und von ihrem Auftrag her eine aktive und verändernde Rolle im Blick auf die gesellschaftlichen Strukturen überall in dieser Welt zu erfüllen hat“ (38 f.).

Diese Sätze bringen auch heute noch Treffendes zum Ausdruck. Die in der Studie vorgenommene Deutung transkonfessioneller Bewegungen geht davon aus, dass diese auch dann, wenn sie in Einzelfragen kritisch zu beurteilen sind, als Indikatoren kirchlicher Defizite zu betrachten sind und deshalb als Herausforderung ernst genommen werden müssen.

Eine transkonfessionelle und internationale Missions- und Erneuerungsbewegung

Transkonfessionelle Bewegungen sind im Kontext des Spannungsfeldes von Charisma und Institution wahrzunehmen und zu interpretieren. Die Chiffren Charisma und Institution scheinen eine Reihe polemischer Gegensätze zu beinhalten: institutionsloses Charisma gegen geistlose Institution, geisterfüllte Erfahrung gegen herzloses und erlebnisarmes Kopfchristentum, gezähmte und kirchlich kanalisierte Vermittlung göttlichen Heils gegen charismatisch-prophetische Unmittelbarkeit. Zugleich sind die beiden Stichwörter auch geeignet, das scheinbar Gegensätzliche und Auseinanderlaufende zusammenzuhalten und in seiner Angewiesenheit aufeinander zu bedenken.

Die evangelikale Bewegung versteht sich als transkonfessionelle und internationale Missions- und Erneuerungsbewegung. Geht man von einem weiten Begriff des Evangelikalismus aus, was in der englischsprachigen Welt üblich ist, so muss auch die charismatische Bewegung als eine mögliche Ausprägung des Evangelikalismus gelten. Denn auch Charismatiker machen sich die zentralen Anliegen Evangelikaler zu eigen: die Betonung der Notwendigkeit persönlicher Glaubenserfahrung in Buße, Bekehrung und Heiligung sowie die Suche nach Heils- und Glaubensgewissheit, die Betonung der Geltung der Heiligen Schrift als höchster Autorität in Glaubens- und Lebensfragen, die Betonung von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, die Betonung des Gebetes und Zeugendienstes als Zentrum der Frömmigkeitspraxis, die Betonung des Evangelisations- und Missionsauftrages. Darüber hinaus praktizieren sie eine auf den Heiligen Geist und die Charismen (vor allem Zungenrede, Prophetie, Heilung) bezogene Frömmigkeit.

In unterschiedlichen Kontinenten hat die evangelikale Bewegung verschiedene Profile. In Europa geht es neben konfessionsübergreifenden missionarischen und evangelistischen Aktivitäten unter anderem auch darum, überschaubare Ergänzungen und Alternativen zu evangelisch landes- beziehungsweise volkskirchlichen Einrichtungen zu entwickeln. In Südafrika setzen sich evangelikale Kreise kritisch mit ihrer eigenen Tradition auseinander und sind darum bemüht, Evangelisation und soziale Verantwortung in einen engen Zusammenhang zu bringen. Sowohl die Frömmigkeitsformen wie auch die theologischen Akzente im Schriftverständnis, in den Zukunftserwartungen, im Verständnis von Kirche und Welt weisen kein einheitliches Bild auf. Insofern kann man fragen, mit welchem Recht von den Evangelikalen gesprochen werden kann, da sich die Bewegung in unterschiedliche Typen ausdifferenziert: klassischer Typ, fundamentalistischer Typ, bekenntnisorientierter Typ, charismatischer Typ, …).

In konfessioneller Hinsicht sind Evangelikale dem Protestantismus zuzuordnen, in Deutschland gleichermaßen dem landeskirchlichen wie dem freikirchlichen Protestantismus. Die Pluralität des Protestantismus (lutherisch, reformiert, methodistisch, baptistisch, mennonitisch …) spiegelt sich auch in der evangelikalen Bewegung, die in den Ausdrucksformen der Frömmigkeit in mancher Hinsicht vergleichbar ist mit neuen geistlichen Bewegungen, den „Movimenti“, auf römisch-katholischer Seite: Es geht um ganzheitliche Glaubenserfahrung, um religiöse Vergewisserung und Gemeinschaftsbildung in der Pflege flexibler Strukturen. Die Glaubensvermittlung erfolgt unter Berücksichtigung der Glaubensbiographie. Die Verantwortung der Laien wird besonders hervorgehoben.

Der Heilungsauftrag der christlichen Gemeinde (etwa in charismatischen Gruppen) beziehungsweise die ganzheitliche Evangelisierung erfahren eine besondere Betonung. Einführungskurse in den christlichen Glauben und die Akzentuierung der evangelistischen Praxis sind wesentliche Ausdrucksformen der Glaubensvermittlung. Modernitätskritik ist ebenso ein Merkmal dieser Frömmigkeitsformen wie das Bemühen um eine neue Inkulturation des Christlichen in den Kontext von Moderne und Postmoderne.

Im Unterschied zur ökumenischen Bewegung, in der Kirchen miteinander Gemeinschaft suchen und gestalten, steht hinter der evangelikalen Bewegung das Konzept einer evangelistisch-missionarisch orientierten „Gesinnungsökumene“, in der ekklesiologische Eigenarten und Themen bewusst zurückgestellt und im evangelistisch-missionarischen Engagement und Zeugnis der entscheidende Ansatzpunkt gegenwärtiger ökumenischer Verständigung und Verpflichtung gesehen wird.

Die wechselseitigen Wahrnehmungen haben sich verändert

Das Verhältnis zwischen römisch-katholischer Kirche und der evangelikalen Bewegung gestaltete sich viele Jahrzehnte von beiden Seiten als distanziert und abgrenzend. Gegenden mit mehrheitlich katholischer Bevölkerung galten für Evangelikale als Missionsgebiete. Man ging davon aus, dass katholische Frömmigkeit „sakramental“ und damit formal bestimmt ist. In bestimmten evangelikalen und pentekostalen Milieus war die Identifikation des römischen Bischofs mit dem Antichristen verbreitet. Umgekehrt sahen Katholiken in Evangelikalen protestantische Sektierer, die sich von der wahren Kirche getrennt haben. Ihre missionarischen Aktionen wurden unter dem Stichwort Proselytismus wahrgenommen.

Diese wechselseitigen Wahrnehmungen haben sich inzwischen deutlich verändert. Nicht die Abgrenzung steht im Vordergrund, sondern die Frage, wofür evangelische und katholische Christen gemeinsam öffentlich eintreten können. Neue geistliche Bewegungen, die ökumenisch ausgerichtete Spiritualität evangelischer Kommunitäten, die charismatische Bewegung, durch die protestantisches Erweckungschristentum Eingang in den Kontext der katholischen Kirche fand, haben zu diesen Veränderungen mit beigetragen.

Neben der offiziellen Kooperation von Kirchen und den wichtigen Impulsen der ökumenischen Theologie hat sich eine transkonfessionell orientierte Gesinnungsökumene auf der Basis gleichartiger Glaubenserfahrungen und -überzeugungen entwickelt, die auch im Zusammenhang des Papstbesuches im September des vergangenen Jahres erkennbar wurde: Leitungspersonen des evangelikalen und des konservativen protestantischen Spektrums bekunden offen ihre Sympathie und ihren großen Respekt für Benedikt XVI. Der römische Katholizismus sieht heute die Notwendigkeit, mit den Vertretern der „World Evangelical Alliance“ (WEA) Lehrgespräche zu führen.

Von beiden Seiten sind in den letzten Jahren zahlreiche gemeinsame Anliegen entdeckt worden: in ethischen Orientierungen, etwa zu den Themen Ehe und Familie, Homosexualität, Lebensschutz am Anfang und Ende des Lebens. Vor allem die Evangelisierung Europas wird als zentrale Aufgabe beiderseits unterstrichen. In seiner Modernitäts- und Relativismuskritik spricht Papst Benedikt vielen Evangelikalen aus dem Herzen, ebenso in seinen religionstheologischen Überlegungen, seinen hermeneutischen Anliegen und der Christuszentriertheit vieler seiner Predigten. Die beiden Bücher des Papstes „Jesus von Nazareth“ I und II haben in evangelikalen Kreisen ein überaus positives Echo hervorgerufen. Dabei wird unter anderem gelobt, mit welcher Entschiedenheit der Papst die Autorität und Glaubwürdigkeit der Heiligen Schrift hervorhebt.

Evangelikale und Katholiken sprechen von einer „geistlichen Ökumene“, die in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen sei und die der Konsens- und Konvergenzökumene, die in Kommissionen stattfinde, etwas hinzufüge, was sich aus gemeinsamen Erklärungen nicht zwangsläufig ergebe, „eine Ökumene des gemeinsamen Lesens und betenden Bedenkens der Bibel als Wort Gottes und als Wegweisung Gottes für unser Leben; in der geistlichen Ökumene machen wir uns gemeinsam auf den Weg der Nachfolge Jesu. In dem Maße, in dem wir mit ihm eins sind, werden wir es auch untereinander sein“ (Kardinal Walter Kasper).

Angesichts des bisherigen Verhältnisses zwischen römischem Katholizismus einerseits und Evangelikalismus anderseits wird man von erkennbaren Annäherungen und einer grundlegenden Veränderung des Stils sprechen können. Bisher waren solche Annäherungen für einzelne Ökumeniker denkbar, für die meisten Evangelikalen schlechterdings nicht vorstellbar. Im Kontext einer fortschreitenden Verdunstung des Christlichen in unserer Gesellschaft und eines wachsenden weltanschaulichen Pluralismus treten gemeinsame missionarische, diakonische und pastorale Herausforderungen in den Vordergrund. Zugleich ergeben sich neue Koalitionen, die allerdings in anderen protestantischen und katholischen Milieus Irritationen hervorrufen.

Annäherungen vollziehen sich auf lokaler, regionaler, nationaler und auf Weltebene. Zwischen 1977 und 1984 war es bereits zu einem „Dialog über Mission zwischen Evangelikalen und der römisch-katholischen Kirche“ gekommen. International bekannte evangelikale Theologen (unter anderem John Stott) trafen sich dreimal mit einer entsprechend besetzten katholischen Gruppe in Venedig, Cambridge und Landevennec. Im Vorwort bemerkt der Missionswissenschaftler und evangelikale Theologe Peter Beyerhaus, dass die jeweiligen „missiologischen Positionen erstmalig in Beziehung“ gesetzt wurden.

Dialoginitiativen auf verschiedenen Ebenen

Weitere, erstmalig offizielle Begegnungen zwischen der römisch-katholischen Kirche und der World Evangelical Alliance (WEA) fanden in fünf internationalen Konsultationen in den Jahren 1993, 1997, 1999, 2001 und 2002 statt. Vertreter wurden vom Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen benannt, ebenso von den Leitungsgremien der WEA. Ihre Ergebnisse wurden in dem Dokument „Church, Evangelization and the Bonds of Koinonia“ zusammengefasst. In der Einführung bemerkt der evangelikale Vertreter George Vandervelde, dass neben gemeinsamen ethischen Orientierungen und politischen Interessen zu Fragen des Lebensschutzes, der Homosexualität, der kritischen Auseinandersetzung mit einem religionsfeindlichen Säkularismus zahlreiche Evangelikale und Katholiken die Entdeckung machten, in zentralen Fragen der christlichen Lehre zur Christologie, zur Trinität und zum Schriftverständnis wichtige Übereinstimmungen konstatieren zu können.

Seinen Ausgangspunkt nimmt das Papier beim neutestamentlichen Begriff Koinonia und seiner Rezeption und Interpretation in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils (unter anderem „Lumen gentium“, „Ad gentes“ und „Unitatis redintegratio“) und in den Bezugstexten der evangelikalen Bewegung, der „Lausanner Verpflichtung“ (1974) und dem „Manila Manifest“ (1989). In Teilen liest sich das Dokument wie andere Texte bilateraler ökumenischer Dialoge. Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden gleichermaßen festgehalten. Der gemeinsame missionarische und diakonische Auftrag wird unterstrichen. Unterschiedliche Akzentuierungen im Verständnis von Person und Institution, von Sakrament und Glaube werden festgehalten. Thematisiert werden auch unethische Methoden der Evangelisation, das Verständnis von Konversion und das gemeinsame Eintreten für Religionsfreiheit.

Inzwischen ist dieser Dialog weitergeführt worden: Zwei weitere Konsultationen zwischen dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und der WEA zu dogmatischen und ethischen Fragen (2009) und zum Thema Heilige Schrift im Leben der Kirche (2011) haben bereits stattgefunden. 2013 wird ein drittes abschließendes Treffen stattfinden, das der Sakramentsthematik gewidmet ist. Anders als in der „geistlichen Ökumene“ geht es in diesen Gesprächen vor allem um Lehrfragen, die Presseberichten nach in einer Atmosphäre stattfanden, die von „wachsendem Vertrauen“ bestimmt gewesen sei.

Wie immer man die Annäherung zwischen Evangelikalen und Katholiken bewerten mag, deutlich wird dabei: Kontroversen und Grenzlinien verlaufen heute nicht nur entlang der Konfessionsgrenzen. Konservative und modernitätsorientierte Milieus sind in allen Kirchen auseinander getreten. Für den Aufbau religiöser Identität hat die Milieuzugehörigkeit häufig eine wichtigere Bedeutung als die Zugehörigkeit zu einer Konfession. Wer freilich denkt, die Grenzen der Konfessionen seien dadurch unbedeutend geworden, dürfte sich täuschen. Selbstverständlich bestehen die Unterschiede zwischen evangelisch und katholisch fort. Es ergeben sich neue Allianzen. Die Grenzen der Konfessionen werden relativiert, sie werden durchlässiger. Pauschale Urteile über den stilistisch anders Glaubenden werden korrigiert. Sie weichen einem realistischeren Bild. Wenn wechselseitige Lern- und differenzierte Wahrnehmungsbereitschaft gestärkt werden, kann dies nur begrüßt werden.

Plädoyer für ökumenischen Realismus

Bereits 1994 hatten Evangelikale und Katholiken in den USA ein gemeinsames Dokument publiziert: „Evangelicals and Catholics Together. The Christian Mission in the Third Millennium“, auf das die Reaktionen im evangelikalen Spektrum sehr verschieden und auch widersprüchlich waren. Die wenigen bisher vorliegenden Gesprächsberichte auf nationaler und internationaler Ebene zeigen, dass Elemente der Konvergenzmethodik wie sie im ökumenischen Dialog der Kirchen Anwendung fand, auch den Dialog zwischen Evangelikalen und Katholiken mitbestimmen.

Einer solchen Methodik liegt die Einsicht zugrunde, dass nur auf der Basis eines wahrgenommenen Konsenses Verschiedenheit versöhnt werden kann. Zugleich wird man sehen müssen, dass zu einer dialogischen Begegnung nicht nur die Suche nach Übereinstimmung, sondern auch die Bereitschaft gehört, Differenzen und Unterschiede zu benennen. Das Koinonia-Dokument versteht sich nicht als Konsenstext, sondern als Anstoß für einen Diskussionsprozess. Es hat überzogene Erwartungen dadurch verhindert und gleichzeitig realisiert, dass die Begegnungserfahrungen und Dialogvoraussetzungen zwischen Evangelikalen und Katholiken regional stark voneinander abweichen. Was in Deutschland und England selbstverständlich ist, kann sich in Südeuropa oder in Ländern wie Brasilien und Chile ganz anders darstellen.

Zu beachten ist ferner: Die Anwendung von Methoden ökumenischer Hermeneutik führt nicht nur zur Relativierung der Konfessionsgrenzen. Durch das Ausbleiben von Rezeptionsprozessen werden auch die Ergebnisse ökumenischer Dialoge in Frage gestellt. Dabei ist auch zu bedenken, dass das Profil der evangelikalen Bewegung nicht durch ein gemeinsames Verständnis von Kirche bestimmt ist. An Lehrfragen orientierte Dialoge werden insofern asymmetrisch bleiben.

Offene und weiter klärungsbedürftige Themen sind unter anderem die Praxis und das Verständnis der Sakramente, die Zuordnung personaler und sakramentaler Frömmigkeit, aber auch religionstheologische Orientierungen, die im Kontext des Evangelikalismus eher exklusivistisch, im Kontext des Katholizismus eher inklusivistisch ausgerichtet sind. Der weitere Dialog zwischen Katholiken und Evangelikalen kann und sollte von den bemerkenswerten Ergebnissen profitieren, die im Dialog zwischen Freikirchen und römisch-katholischer Kirche erarbeitet und publiziert wurden.

Weitergehende Verständigungen dürften in dem Maße möglich sein, in dem man sich darüber einigt, dass die umstrittenen Fragen und unaufgehobenen Differenzen in der „Hierarchia veritatum“ einen untergeordneten Stellenwert einnehmen. Die weitere Suche nach Verständigung, nach geistlicher Gemeinschaft und gegenseitiger Anerkennung ist dabei nicht als beliebig anzusehen, sondern ein Auftrag, der seinen letzten Grund im gemeinsamen Glauben an den dreieinigen Gott hat.

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