Vom Tod John Hicks am 9. Februar 2012 wurde in der deutschen Kulturlandschaft kaum Notiz genommen. Eine der bedeutendsten überregionalen Tageszeitungen Deutschlands lehnt es ab, einen Nachruf zu veröffentlichen, weil man seinen Namen in der Feuilleton-Redaktion nicht kannte.
International gilt er dagegen als einer der bedeutendsten Religionsphilosophen. Seine zahlreichen Bücher sind in siebzehn Sprachen übersetzt worden. Noch vor nicht allzu langer Zeit hat Keith Ward, der seinerseits zu den renommiertesten Theologen England zählt, Hick als „the greatest living philosopher of global religion“ bezeichnet. Und das ist gewiss nicht zu hoch gegriffen.
Wards Lobpreis spielt an auf die Arbeiten Hicks zur Theologie der Religionen. Diese sind vor allem in seinem 1989 erschienenen Hauptwerk „An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent“ (deutsch: „Religion. Die menschlichen Antworten auf die Frage nach Leben und Tod“, 1996) gebündelt. Es handelt sich dabei um das Manifest der in der Theologie hitzig debattierten, oft heftig kritisierten und lehramtlich verurteilten „Pluralistischen Religionstheologie“.
Die religionsphilosophische Verarbeitung des religiösen Pluralismus war aber keineswegs das einzige Thema, das Hick in seinem 90-jährigen Leben behandelt hat. Erst Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hat seine Auseinandersetzung damit begonnen. Und die Früchte dieser Auseinandersetzung versteht man im Grund erst dann recht, wenn man auch seine früheren Arbeiten kennt.
In einer ersten Phase seines Wirkens standen erkenntnistheoretische und sprachphilosophische Fragen im Vordergrund. Seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde eine Debatte um die Sachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit des religiösen Redens geführt. Welchen Realitätsbezug haben religiöse Aussagen? Wenn sich nur das sinnvoll aussagen lässt, was man an der empirischen Wirklichkeit bewahrheiten kann, wie es die Vertreter des Logischen Positivismus forderten, ist religiöses Reden sinnlos. Gegen diesen Vorwurf setzte sich Hick zur Wehr. In seinem Buch „Faith and Knowledge“ (1957) arbeitete er den Wirklichkeitsbezug und damit die Verifizierbarkeit religiöser Aussagen heraus.
Er ging dabei vom Selbstverständnis religiöser Erfahrung als echter Transzendenzerfahrung aus, verstand „Glaube“ als deren Interpretation im Bezugsrahmen einer bestimmten religiösen Tradition und unterstellte, dass das Sprechen über diese Erfahrung „realistisch“ zu verstehen sei. Religiöse Aussagen sind auf die göttliche Wirklichkeit bezogen, wie die empirischen Aussagen auf die Welt der sinnlich wahrnehmen Phänomene bezogen sind.
Auf dieser erkenntnistheoretischen Grundlage wandte sich Hick dann zentralen theologischen und religionsphilosophischen Fragen zu, die er zunächst noch ganz mit Blick auf die christliche Tradition, dann aber zunehmend in interreligiöser Perspektive bearbeitete: der Theodizeefrage, der Christologie und der Frage nach dem Leben nach dem Tod. In der Studie zu dem zuletzt genannten Thema – „Death and Eternal Life“ (1976) – kommt schon eine religionsvergleichende und -verbindende Methode zur Anwendung, die aus der Weisheit der westlichen und östlichen religiösen Traditionen schöpft und dabei prinzipiell darauf verzichtet, für eine von ihnen Überlegenheits- oder gar Absolutheitsansprüche zu erheben. Dieser Verzicht wird dann in seinem religionstheologischen Hauptwerk in einem breit angelegten Konzept programmatisch entfaltet.
Vom Evangelikalen zum Pluralisten
Hicks „globale Religionsphilosophie“, wie Ward sie bezeichnete, nimmt die Traditionen der großen Weltreligionen als Materialgrundlage. Anders als eine konfessionsgebundene Theologie, die auf das Selbstverständnis ihrer „eigenen“ Tradition rekurriert, um die darin erschlossene Gottesbeziehung zu entfalten, anders aber auch als eine Religionswissenschaft, die sich auf die geschichtlichen Erscheinungsformen der Religionen insgesamt bezieht, dabei aber in der „neutralen“ Haltung des analysierenden und beschreibenden Beobachters bleibt, fasst Hick die Religionen als verschiedene menschliche Wahrnehmungen des göttlichen Wirklichkeitsgrundes auf. Er will also beide Perspektiven mit ihren jeweiligen Methodenhaltungen miteinander verbinden.
Nicht unwichtig für das Verständnis dieses Projekts ist dessen lebensgeschichtlicher Sitz in Hicks Leben. 1967 wurde Hick an die Universität Birmingham berufen. In dieser Stadt – der wahrscheinlich am stärksten multikulturellen und multireligiösen Europas – öffnete sich ihm ein neuer Erfahrungsraum. Er erlebte zum einen die Ernsthaftigkeit und spirituelle Tiefe, mit der Nichtchristen ihre Religion praktizierten, zum anderen aber auch religiöse Intoleranz, Rassismus und Feindseligkeit gegenüber außerchristlichen Religionsgemeinschaften. Für den seit einem Bekehrungserlebnis im Alter von 18 Jahren evangelikal geprägten Presbyterianer wurde diese Erfahrung zum Anstoß für eine zweite „Konversion“. Denn sie sprengte die tradierten theologischen Verhältnisbestimmungen zwischen dem christlichen Glauben und den nichtchristlichen Religionen.
Hick geht in seiner religionstheologischen Reflexion zunächst von den Weltreligionen aus, die in und nach der „Achsenzeit“ (Karl Jaspers) entstanden sind. Sie – so seine zentrale These – stellen Antworten auf den einen göttlichen Wirklichkeitsgrund dar, den Hick „the Real“ („das Wirkliche“) nennt. Jede Religion hat ihre eigenen Namen für diese Letztwirklichkeit. Von diesem Postulat aus ist es ihm möglich, von der Einheit des göttlichen Seinsgrundes auszugehen und die vielfältigen Gottesvorstellungen der Religionen eben als Vorstellungen zu verstehen und sie damit ganz auf die Seite der religiösen Konzeptbildung zu verrechnen.
Parität der Weltreligionen in Sachen Heilsvermittlung
„Personalität“ und „Impersonalität“ sind gewissermaßen die „Kategorien“, nach denen die religiöse Erfahrung schematisiert, also unterschiedlich ausgedrückt wird. So kommen die theistischen Gottesvorstellungen der verschiedenen Religionen – Jahwe, der Vatergott Jesu Christi, Allah, Shiva und Vishnu – als Darstellungsformen des undarstellbaren Wirklichkeitsgrunds neben den nichttheistischen Konzepten – dem Absoluten, Brahman, Dharmakaya – zu stehen. All diese Namen verweisen auf die eine transzendente, an sich unerkennbare letzte Wirklichkeit.
Welche Beziehungsbestimmung zwischen den Religionen ergibt sich nun für Hick aus diesem Grundgedanken? Seine These lautet: Im Kern besteht eine „Familienähnlichkeit“ zwischen den Mitgliedern der weltweiten Religionsfamilie. Sie alle wollen Menschen dazu führen, die Zentrierung auf sich selbst aufzubrechen und sich für den Wirklichkeitsgrund zu öffnen. „Transformation des menschlichen Daseins aus der Selbstzentriertheit zur Wirklichkeitszentriertheit“ nennt Hick diesen Grundvorgang. Sie alle wollen auf verschiedenen Wegen „Erlösung“, das heißt: Lösung aus der Ego-Zentrik vermitteln. Wie das Christentum, so stellen auch die anderen nachaxialen Weltreligionen menschliche, kulturell geprägte Vollzugsformen des Erlösungsimpulses dar, den sie vom göttlichen Grund der Wirklichkeit vernehmen. „Diese Traditionen muss man (daher) (…) als alternative soteriologische ‚Räume‘ oder ‚Wege‘ betrachten, (…) auf denen der Mensch Erlösung / Befreiung / höchste Erfüllung finden kann.“
Diese „pluralistische“ Position versteht sich als Abgrenzung von zwei anderen Modellen der interreligiösen Beziehungsbestimmung, die Hick in der Christentums- wie überhaupt in der Religionsgeschichte ausmacht: den Modellen des religionstheologischen Exklusivismus und des Inklusivismus. Charakteristisch für die exklusivistische Position ist der Ausschließlichkeitsanspruch, der für die eigene Religion als der alleinigen wahren Religion erhoben wird und der zur Ablehnung aller anderen Religionen als falscher Religionen führt. Das Inklusivmodell behauptet demgegenüber nicht die Alleingeltung der jeweiligen Religion, sondern ihre qualitative Überlegenheit über die anderen Religionen. Es geht davon aus, dass Gottes Offenbarung universal ist, aber nur in einem bestimmten geschichtlichen Offenbarungsereignis (wie der Übermittlung der Thora, dem Christusgeschehen, der Herabsendung des Koran usw.) definitiv zur Geltung kommt.
Während die außerchristlichen Religionen nach dem Exklusivmodell aus Gottes heilshafter Offenbarung ausgeschlossen werden, sind sie nach dem „inklusiven“ Modell darin eingeschlossen. Doch enthalten sie nur Teilwahrheiten und bedürfen der Fülle der heilshaften Gottesmitteilung, wie sie sich in Christus ereignet hat. So können sie etwa als „anonymes Christentum“ (Karl Rahner) gewürdigt werden.
Dem stellt Hick sein Konzept des religionstheologischen Pluralismus gegenüber und postuliert damit die prinzipielle Parität der Weltreligionen in Sachen Heilsvermittlung. Parität bedeutet dabei nicht Gleichheit, wohl aber Gleichwertigkeit und daher Gleichberechtigung in dieser (soteriologischen) Hinsicht. Es gibt in Hicks Augen kein triftiges Argument, das eine Vorrangstellung für eine der Religionen begründen könnte. Er diskutiert solche Argumente, prüft sie an der Religionsgeschichte und weist sie zurück. Weder hinsichtlich ihrer befreienden noch auch hinsichtlich ihrer ethischen Effizienz ließen sich signifikante Unterschiede erkennen. Der Blick auf die Geschichte der Religionen zeige vielmehr, dass diese mehr oder weniger auf gleicher Höhe stehen. Nach dem von Gotthold Ephraim Lessing in der Ringparabel angelegten Maßstab der Liebestätigkeit hat sich jedenfalls keine der Religionen deutlich von den anderen abgehoben.
Die Einwände gegen Hicks Ansatz
Für das Empfinden deutschsprachiger Theologinnen und Theologen mögen solche empirisch-pragmatischen Betrachtungen ungewohnt sein. In der englischsprachigen Geisteswelt mit ihren Traditionen des Empirismus und Pragmatismus hat man weniger Mühe damit. Das heißt nicht, dass Hicks Arbeiten dort weniger umstritten wären als hierzulande.
Ein erster Vorwurf lautet, er habe die grundlegenden Verschiedenheiten der Religionen nicht ernst genug genommen, indem er sie in ein dahinterliegendes Einheitsprinzip hinein „aufhebe“. Diese Kritik bezieht sich zum einen auf das Postulat der einen göttlichen Letztwirklichkeit und zum anderen auf die Unterstellung, in allen Religionen realisiere sich der eine heilsvermittelnde Transformationsvorgang. Gibt es nun aber nicht auch deutliche Unterschiede und sogar offensichtliche Widersprüchlichkeiten zwischen den Religionstraditionen? Wie passt das in Hicks Bild der Religionsfamilie?
In seiner Antwort unterscheidet Hick drei Arten von Widersprüchen: Erstens unvereinbare historische Tatsachenbehauptungen (wie etwa die Bestreitung des Kreuzestodes Jesu im Islam), zweitens gegensätzliche Aussagen zu transhistorischen Sachverhalten (wie der Frage nach dem Leben nach dem Tod) und drittens konfligierende Überzeugungen bezüglich der „letzten Fragen über die Natur des Wirklichen und über Herkunft und Bestimmung der Menschheit und der Welt“, also Grundfragen des Gottes-, Welt- und Menschenverständnisses.
Gerade bei diesen zuletzt genannten Unvereinbarkeiten handelt es sich nach Hick um Scheinwidersprüche, die sich aus dem „mythologischen Charakter religiösen Denkens“ ergeben. Manche können auf unterschiedliche Deutungen analoger Vorgänge zurückgeführt und in ein komplementäres Verhältnis zueinander gesetzt werden. Sie betreffen also die kulturbedingten Interpretationen der Letztwirklichkeit, nicht diese selbst.
Zweitens verweist er darauf, dass viele dieser Gegensätze soteriologisch irrelevant sind. Und nur auf diese Dimension kommt es ihm an. Für alle aber gilt – drittens: Die Wahrheit wird sich am Ende der Zeit erweisen. Die Widersprüche können somit stehen gelassen werden. Sie stellen kein Argument für die Bestreitung der pluralistischen Hypothese dar.
Ob diese Antwort überzeugend ist, sei dahingestellt. Jedenfalls wurden in der religionstheologischen Debatte auch immer wieder Konzepte entwickelt, die sich dafür aussprachen, den Pluralismus der Religionen konsequenter zu Ende zu denken, als Hick es getan hatte, und die Letztwirklichkeiten, auf die sich die religiösen Traditionen beziehen, unvermittelt nebeneinander stehen zu lassen. Aber ist das überzeugender?
In religionswissenschaftlicher Perspektive kann man zu keinem anderen Urteil kommen. Theologische Einheitspostulate haben hier nichts zu suchen. Aber kann sich die Theologie damit zufriedengeben? Im Zentrum des Gottesglaubens der „abrahamischen“ Religionen steht doch gerade das Bekenntnis zur Einheit Gottes. Muss man dieses Bekenntnis nicht auch religionstheologisch zur Geltung bringen?
Problematischer ist Hicks Versuch, einen gemeinsamen soteriologischen Kern der Religionen herauszudestillieren. Schon für das Judentum und den Islam scheint das kaum zutreffend zu sein. Sie sind keine Erlösungsreligionen. Natürlich geht es auch dort um die Durchbrechung der Fixierung des Menschen auf sich selbst und um seine Ausrichtung auf Gott und den Mitmenschen. Aber es geht eben nicht um Erlösung von den Verderbensmächten Sünde, Gesetz und Tod, wie Paulus sie vor Augen hatte. Und im Buddhismus, wo es um Erlösung im Sinne von Erleuchtung geht, ist der Heilsweg doch wieder so anders, dass es sehr abstrakt anmutet, von einem gemeinsamen Grundvorgang aller dieser Religionen zu sprechen. So erscheint dieses Postulat als ein sehr kleiner und für einige der Religionen nicht identitätsstiftender gemeinsamer Nenner.
Der am meisten und am lautesten gegen Hick erhobene Vorwurf aber lautet, seine Behauptung der soteriologischen Äquivalenz der Religionen führe unweigerlich in einen religiösen Relativismus. Als der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, 1996 einen Bericht „Zur Lage von Glauben und Theologie heute“ gab und darin beklagte, der Relativismus sei „zum zentralen Problem für den Glauben in unserer Stunde geworden“, hatte er nicht zuletzt die Pluralistische Religionstheologie im Visier.
Als dann im Jahre 2000 die Erklärung „Dominus Iesus“ veröffentlicht wurde, begründete Gerhard Ludwig Müller – damals noch Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München, heute Bischof in Regensburg – die darin vorgenommene Zurückweisung des religionstheologischen Pluralismus mit der Aussage, die „pluralistische Religionstheologie“ sei „nichts anderes (…) als die Zerstörung des Christentums von seinen Wurzeln her“. Diese Zerstörung vollzieht sich – so seine Anklage – durch Relativierung der zentralen Inhalte des christlichen Glaubens.
Seither ist es nicht mehr angeraten, sich als Vertreter dieser Art Religionstheologie zu outen, wenn man sich als katholischer Theologe keine Schwierigkeiten in der akademischen oder kirchlichen Laufbahn einhandeln will. Der vielleicht einzig bekennende „orthodoxe“ Vertreter der Hick’schen Position im deutschen Sprachraum – Perry Schmidt-Leukel – hat solche Sanktionen zu spüren bekommen. Er lehrt heute Religionswissenschaft an der evangelischen Theologischen Fakultät in Münster. Es werden also auf diesem Gebiet nicht nur hitzige akademische Debatten geführt, sondern auch kirchliche Maßregelungen vorgenommen.
Von solchen Zurechtweisungen oder deren Androhung waren auch katholische Theologen betroffen, die andere religionstheologische Wege als Hick eingeschlagen haben, aber doch in den Geruch des Pluralismus gerieten, wie Paul F. Knitter, Leonard Swidler, Jacques Dupuis, Chester Gillis, Roger Haight und Tissa Balasuriya.
Teilt Gott sein universales Heil nur in einer partikularen Heilsgeschichte mit?
Wie hat Hick selbst sich nun zu diesem Vorwurf des Relativismus verhalten? Zum einen machte er stets deutlich, dass seine Paritätsbehauptung nicht so zu verstehen ist, als seien alle Religionsformen gleich gültig, so dass es gleichgültig wäre, welcher man angehört. Der von ihm ausgewiesene soteriologische Grundvorgang bildet zugleich ein religionskritisches Kriterium. Die Religionsformen haben sich kritisch daraufhin befragen zu lassen, inwiefern sie zur befreienden Transformation der Selbstzentriertheit in Gottzentriertheit anleiten, ob sie also diesen Grundvorgang eher fördern oder behindern. Eine ebenso wichtige Rolle für die kritische Sichtung der Religionen spielt das ethische Kriterium: Entsprechen sie der Goldenen Regel oder dem Grundsatz der Agapé beziehungsweise Karuna?
Zum anderen wollte er seine religionstheologische Position als Hypothese aufgefasst wissen. Sie soll argumentativ nach allen Seiten hin geprüft und gegen Alternativen abgewogen werden. Es ist kein Glaubenssatz, sondern ein Denkvorschlag. Deshalb haben Rechtgläubigkeitsprüfungen hier auch nichts zu suchen. Die Frage, ob dieser Vorschlag mit der biblischen Überlieferung und der kirchlichen Tradition in Einklang zu bringen ist, muss natürlich gestellt werden. Aber sie ist im Diskurs der Argumente zu entscheiden, nicht per Dekret.
Bei dieser Prüfung sind auch die theologischen Axiome mitzubedenken, die Hicks Denken bestimmen. Man kann seinen Ansatz als Konsequenz der von Rahner betonten Universalität des göttlichen Heilsangebots deuten. Wenn dieser Grundsatz gilt, muss die Frage beantwortet werden, wie das Heilsangebot alle Menschen zu allen Zeiten erreicht haben kann. Hicks Antwort ist eine andere als die Rahners. Sie lautet: Die Menschen – auch die, die lange vor Christi Geburt gelebt haben – haben den göttlichen Impuls zur Selbsttranszendierung in den Medien ihrer jeweiligen Religionen vernommen und beantwortet. Es geht hier also auch um die Theodizee: Wie steht es um die Gerechtigkeit Gottes, wenn er sein universales Heil nur in einer partikularen Heilsgeschichte mitteilt?
Hicks Ansatz relativiert den christlichen Glauben insofern, als er ihm sein soteriologisches Alleinstellungsmerkmal nimmt. Andere Traditionen haben dieses Merkmal auch, wenn auch in anderer Ausprägung. Aber das nimmt dem christlichen Glauben ja nichts an Authentizität und spiritueller Kraft, so seine Überzeugung. Der eigene Weg zu Gott kann ein vollgenügsamer Weg zu Gott sein, auch wenn es andere Wege gibt. Relativierung ist also nicht gleichbedeutend mit Relativismus.
Eine Schwierigkeit in der Rezeption des Hick’schen Ansatzes im deutschsprachigen Raum war und ist die enge Verbindung von Theologie, Religionsphilosophie und Religionswissenschaft, die er vornimmt. In der hiesigen Wissenschaftskultur pflegt man diese Disziplinen deutlicher zu unterscheiden. Aus welcher Perspektive spricht Hick? Sicher nicht aus einer konfessionell theologischen. Eher aus einer religionsphilosophischen Vogelperspektive. Aber auch diese Kennzeichnung trifft ihn nicht ganz. Er hatte die Vision einer Theologie, die ihre Materialgrundlage nicht nur in einer, sondern in mehreren religiösen Traditionen findet, eine Universaltheologie, die aber doch nicht abhebt vom Boden der real-existierenden Religionen, sondern sich aus ihnen speist. Ob es so etwas geben kann, eine „globale Theologie“? Das Anregungspotenzial, das in einer solchen Vision liegt, sollte jedenfalls nicht von vorneherein unterdrückt werden, schon gar nicht in der akademischen Theologie, für die immer noch die Forderung der Wissenschaftsfreiheit gilt.
Hick hat eine ungemein fruchtbare Diskussion losgetreten. Die kritischen Rückfragen, die an seinen Ansatz gestellt worden sind, haben weitere Suchbewegungen in der Religionstheologie ausgelöst und damit neue Ansätze hervorgebracht. Das betrifft nicht nur die christliche Theologie. Anlässlich seines 80. Geburtstags wurde in Birmingham ein internationales Symposium veranstaltet, zu dem Vertreter der Weltreligionen eingeladen waren, Ansätze für eine Überwindung der Exklusivitäts- und Superioritätsansprüche ihrer je eigenen Traditionen zu explorieren. Die Referenten suchten nach Deutungen der „Absolutheitsansprüche“, die verträglich sind mit der Anerkennung anderer Religionen. Um diese Frage drehte sich die ganze Religionstheologie Hicks: Ist mit religiösem Glauben im Allgemeinen und mit christlichem im Besonderen notwendigerweise, weil substanziell, ein Absolutheitsanspruch gegenüber anderen Religionen verbunden? Oder geht beides zusammen: Die tiefe Verwurzelung in der eigenen Tradition bei gleichzeitiger Anerkennung der anderen?
Wie kaum ein anderer Theologe und Religionsphilosoph hat Hick die Religionsgemeinschaften und ihre Vordenker dazu angeregt, neu über ihr Selbstverständnis in der Beziehung zu anderen Religionen nachzudenken. Wie notwendig ein solches Nachdenken für Gesellschaften ist, in denen verschiedene Religionsgemeinschaften zusammenleben, braucht nicht eigens hervorgehoben zu werden. Dabei kann es aber nicht darum gehen, die Theologie den jeweiligen gesellschaftlichen Erfordernissen anzupassen. Es geht vielmehr um eine glaubwürdige Auslegung des Evangeliums von der unbedingten und universalen Zuwendung Gottes zur Schöpfung und zu seinen Geschöpfen.