Wenn die Situation der Kirche heute und in naher Zukunft erhoben wird, stehen meist Zahlen im Vordergrund, vornehmlich der Prozentsatz der Sonntagsgottesdienstbesucher, die Höhe der jährlichen Kirchenaustritte, die Zahl der verfügbaren Priester und jüngst das Verhältnis zwischen akademischen Qualifikationen und Professorenstellen (vgl. HK, April 2012, 169 ff.). Genauso wichtig könnte es aber sein, das Augenmerk auf die Gruppe der Theologiestudierenden zu richten. Denn sie sind es, die schon in wenigen Jahren die Funktionen von Kirche professionell ausfüllen werden, und sie sind das intellektuelle und menschliche Potenzial, aus dem über kurz oder lang der Großteil des kirchlichen Führungspersonals genommen werden muss.
Was sind das für junge Leute, die sich für einen der theologischen Studiengänge entscheiden? Was macht ihre Eigenheit aus im Vergleich mit den Generationen der Theologiestudierenden vor fünf, zehn oder zwanzig Jahren? Was haben sie für Erfahrungen, Pläne und Erwartungen? Wie reagieren sie auf die massiv veränderten Studienbedingungen und Lebenswelten? Die Antworten – auch wenn sie sich hier nur auf subjektive Eindrücke eines über viele Jahrzehnte Lehrenden und nicht auf empirische Untersuchungen stützen – differenzieren einerseits das trübe Bild, das die rein zahlenmäßige Betrachtung nahelegt; andererseits wollen sie Hintergründe sichtbar machen, die den heute Verantwortlichen nicht gleichgültig sein sollten.
Die Entscheidung für ein Studium der Theologie ist heute nur selten Resultat der Verlegenheit, fehlender Alternativen oder der Suche nach einem sicheren Beruf. Motiviertheit und Interesse am Fach sind bei den meisten vorhanden, auch wenn die Vielfalt der Fächer und Methoden der Theologie viele Studienanfänger irritiert und das Berufsziel zunächst noch im Unklaren ist. Letzteres gilt vor allem für die so genannten Volltheologen im früheren Diplom- beziehungsweise aktuell im Magisterstudiengang. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb betreiben viele von ihnen ihr Studium mit großem Einsatz. Nur vereinzelt gibt es auch solche, die umgekehrt ihres Berufsziels ganz sicher sind und das Studieren als eher lästiges Muss betrachten. Diese Sorte von Studenten hat es auch schon früher gegeben; aber dass jemand in der ersten Sitzung einer Lehrveranstaltung vor den anderen Teilnehmern erklärt, dass er hier nur die Lehre der Kirche erfahren wolle, nicht die Meinung irgendwelcher Professoren, ist eine neue Erfahrung.
Die Spaltung der Kirchen ist für die meisten kein Thema mehr
Aufbegehren und Kritik gehören nicht zu den typischen Kennzeichen der jetzigen Generation von Theologiestudierenden. Sie erledigen, was Ordnungen, Regeln und Dozenten von ihnen erwarten, bereiten Referate vor und machen Prüfungen. Das Bedürfnis Fragen zu stellen erschöpft sich ziemlich rasch – ganz anders als vor ein, zwei und erst recht drei oder vier Jahrzehnten.
Viele bringen Erfahrungen aus der Jugendarbeit, aus Praktika in Entwicklungsprojekten oder (noch) aus dem Zivildienst mit. Diversitäten in Aussehen, ethnischer Zugehörigkeit, Muttersprache, Geschlecht, Lebensalter (Seniorstudenten!) oder Behinderung, wie sie heute auch innerhalb der Universität viel sichtbarer in Erscheinung treten als jemals zuvor, werden für selbstverständlich genommen, was nicht heißen muss, dass sie auch stärker thematisiert oder als Herausforderung bearbeitet werden. Genauso wenig ist die Spaltung der Kirchen für die Meisten ein Thema und der Versuch, sie wenigstens durch besseres Kennenlernen der Theologie der anderen Konfession oder durch gemeinsame Arbeit an einem Problem als überwindbar zu erkennen, ein allgemeines (also über überschaubare Kreise von spezifisch Interessierten hinausgehendes) Bedürfnis.
Was ihre wirtschaftliche Situation betrifft, haben viele Theologiestudierende dieselben Nöte wie ihre Kommilitonen in anderen Fakultäten: Die Kasse ist knapp, wenn auch nicht ärmlich, der Wohnraum im Zentrum des Studienorts teuer. Dazu kommen die Studiengebühren, die nur selten von den Eltern übernommen werden. Viele sind darauf angewiesen, im Nebenjob etwas hinzuzuverdienen, wobei die aus Studiengebühren eingerichteten Hilfskraft- und Tutoren-Stellen zwar nicht die bestbezahlte, aber dem eigenen Studium nützlichste Tätigkeit sind. Plätze in Studentenheimen, kirchlichen Häusern und Verbindungshäusern sind begehrt, nicht nur weil sie eine komplette Infrastruktur und Gelegenheiten Leute kennenzulernen bieten, sondern eben auch, weil sie finanziell günstiger sind.
Die meisten Akademiker denken schon wenige Jahre nach Aufnahme einer Berufstätigkeit mit Sehnsucht und warmem Herzen an die Zeit ihres Studiums zurück und verklären in der Erinnerung das was, als sie es selbst erlebten, auch mit Prüfungs- und Versagensängsten, mit Selbstunsicherheit, mit Einsamkeit und manchmal auch mit dem Gefühl, wertvolle Zeit nicht optimal genutzt zu haben, verbunden war. Aber das Studieren hat sich innerhalb der letzten Jahre gründlich verändert.
Eine der größten und einschneidendsten Studienreformen, das mit andauernden Prüfungen einhergehende Studieren nach Modulen statt nach Fachdisziplinen, das unter dem Stichwort „Bologna“ bekannt geworden ist, greift auch in der Theologie. Sie nötigt die Studierenden vom ersten Tag an zu straffer Disziplin im Erwerb und in der Aneignung des Stoffs und bei der Organisation des Stundenplans und beim Anfertigen der eigenen Beiträge. Zügig, nur nicht bummeln, ist die Mentalität, die hierdurch entsteht. Das kann man durchaus als Pluspunkt des neuen Systems sehen, dem in der Bilanz aber Verschulung und die Fokussierung des eigenen Studiums auf Prüfungen vom ersten Semester an als Kosten gegenübergestellt werden müssen. Man studiert nach Plan; und kein Student, keine Studentin kann es sich leisten, nebenher eine Veranstaltung in einem anderen Fach zu besuchen, nur weil ihn beziehungsweise sie das Thema interessiert oder dieses den in den Pflichtveranstaltungen gebotenen Stoff erweitern oder noch um eine andere Perspektive bereichern könnte. Mehr Effizienz heißt also im Klartext und gerade für die Intelligenten auch: weniger Breite.
Das neue System setzt voll auf die Nutzung der neuen Medien und Arbeitstechniken. Die aktuelle Studierendengeneration ist ja bereits mit Computer und Internet aufgewachsen und nutzt alle dadurch gegebenen Möglichkeiten mit großer Selbstverständlichkeit, was auch die Erwartungen an die Verfügbarkeit von Dozenten für Auskünfte und Beratungen, die sich noch vor wenigen Jahren auf die offiziellen oder vereinbarten Sprechstunden beschränkten, an jedem Tag und zu jeder Uhrzeit mitumfasst. Verändert haben sich aber vor allem die Art, der Ort und die Geschwindigkeit der Informationsbeschaffung. Weder der Bestand noch die Öffnungszeiten der Bibliothek am Ort setzen der Recherche mehr Grenzen.
Andererseits wird es zu einer neuen Herausforderung der Lehrenden, ihren Studierenden beizubringen, dass die Nutzung einer wissenschaftlichen Bibliothek trotzdem einen Mehrwert hat, dass der Information in digitalen Nachschlagewerken, in die jeder als Autor einstellen kann, misstraut werden muss, und dass das Auffinden, Kopieren oder Kompilieren von im Netz gefundenen Hausarbeiten und Texten diese nicht schon in eigene Leistung verwandelt.
Verändert hat sich durch den selbstverständlichen Einsatz der elektronischen Medien auch das Rezeptionsverhalten der Studierenden. Ihre Ansprüche an die didaktische Qualität der Vorlesungen und Seminare, an Strukturierung und Bebilderung der Materialien, sind gestiegen, und sie tun sich schwerer mit ausdauerndem Zuhören. Andererseits bringen sie höhere Fähigkeiten mit in der Beschaffung von interessantem Material, in der Präsentation von Beiträgen und im mündlichen Vortrag. Dass auf der Festplatte Archiviertes nicht auch schon eigenes Wissen ist, das jederzeit verfügbar ist, wird manchen erst angesichts der Masse verfügbarer Informationen deutlich.
Noch immer kommen viele der Theologiestudierenden aus religiös praktizierenden Familien und waren in der Jugend in der Jugend- und Ministrantenarbeit engagiert oder sind es noch. Andere sind – oft vermittelt über die Schule – im Einflussbereich einer der großen Ordensgemeinschaften verwurzelt. Zunehmend deutlicher sichtbar sind daneben die, die aus einer der religiösen Bewegungen (Generation Benedikt, Weltjugendtag, Cruzadas de Santa Maria, Gemeinschaft Emmanuel) kommen. Sie pflegen auch im Studium die Verbindungen mit Gleichgesinnten und bringen dies in den Formen ihrer Frömmigkeit und in ihren Kirchenbildern zum Ausdruck. Die Palette ist vielfältig, auch wenn diese geistlichen Gemeinschaften alle großen Wert legen auf den eigenen Glauben, die persönliche Spiritualität und die Lebensführung.
Die Begegnung mit der wissenschaftlichen Theologie, der es um Argumente und Begriffe geht, mit denen man den Glauben fassen und ausdrücken kann, und um Begründungen, die andere, auch skeptische Menschen überzeugen könnten, um den sachgerechten Umgang mit Texten, die dem Verstehen unter Umständen schon aufgrund ihres Alters Widerstand entgegensetzen, um das aufwändige Rekonstruieren, wie bestimmte Aussagen und Traditionen zustande gekommen sind, um das methodische Analysieren und kritische Reflektieren, das sich nicht mit dem Bekennen zufrieden gibt – das alles kann für die mitgebrachte Frömmigkeit und gewohnte Praxis Spannung und Krisen bedeuten. Es können Fragen entstehen, die sich jemand in seinem bisherigen Leben noch nie gestellt hat.
Sich dieser existenziellen Herausforderung zu stellen, ist gleichermaßen unerlässlich und fruchtbar, weil beides notwendig ist: der Erwerb theologischer Reflexions- und Sprachfähigkeit wie auch die Weiterentwicklung einer eigenen Spiritualität, die damit „mitkommt“. Spirituelles Beheimatetsein ist für den Einzelnen wichtig und wird vielleicht auch deshalb betont festgehalten, weil sie, gerade wenn diese besondere Spiritualität mit Gemeinschaftsaktivitäten verbunden ist (Gottesdienst, Gebetsgruppen, geistliche Begleitung, Teilnahme an liturgischen Events), einen Schutzraum bietet gegen die Anonymität der Universität und das Gefühl, in diesem großen Rahmen kaum etwas zu bedeuten. Aber spirituelles Beheimatetsein wird dort fragwürdig und der Gemeindlichkeit abträglich, wo Gruppen den eigenen Frömmigkeitsstil für den einzig richtigen behaupten oder die Rechtgläubigkeit von Kommilitonen und Dozenten unter Verdacht stellen.
Die Theologie, mit der es die Studierenden zu tun bekommen, ist weder mehr der elfenbeinerne Turm noch der Haupteingang im Haus der Wissenschaft, sondern für die einen ein Gebäudeareal mit vielen interessanten Räumen und offenen Türen, für andere, vor allem Nichttheologen, ein Durchgangsbereich, in dem spezielles Wissen vorgehalten und Sensibilitäten für Fragen kultiviert werden, die sonst wenig gestellt werden in der hoch ausdifferenzierten Universität. Das schlägt sich etwa darin nieder, dass theologische Fächer als Partner für überfachliche Kooperationen (mit Medizinern, Psychologen, Sozialwissenschaftlern, Historikern, Rechtswissenschaftlern, Naturwissenschaftlern usw.) in der Lehre, in Forschungsprojekten und vor allem in den als Querstruktur neu entstehenden überfakultären Zentren (Ethikzentrum, Umweltzentrum, …) durchaus begehrt sind.
Für die Zukunftsfähigkeit der Theologie in ihrer bisherigen Organisationsstruktur ist diese binnenwissenschaftliche Sichtbarkeit, die meist über die Persönlichkeit und das kollegiale Renommee derjenigen, die das Fach repräsentieren, zustande kommt, ähnlich wichtig wie die staatskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen, die leicht in der Gefahr stehen, nur noch als überkommene Privilegien zu gelten. Doch auch diesbezüglich gibt es ja Bewegung, die auf die Veränderung der religiösen Gegenwartssituation reagiert. Der Wissenschaftsrat hat sich in seinem Gutachten aus dem Jahr 2010 nicht nur für die Beibehaltung der konfessionell ausgerichteten Theologien an den Universitäten ausgesprochen, sondern auch für die Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie wenigstens an einigen Universitäten nach einem ähnlichen Grundmuster plädiert, und die Politik ist dieser nichtlaizistischen, religionsrespektierenden Empfehlung gefolgt (vgl. dieses Heft, 225 ff.).
Das wird für den durchschnittlichen Theologiestudierenden zwar keine unmittelbare Auswirkung haben. Aber die Sichtbarkeit anderer Religionen und die Differenz der Kulturen sind auch ihm jeden Tag real und nötigen ihn, über die anderen mehr zu wissen als die üblichen Vorurteile und sich über das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft, in der es verschiedene Überzeugungen, Glaubensorientierungen und Wertesysteme gibt, mehr Gedanken zu machen, als dies frühere Generationen tun mussten. Derartige Fragen spielen auch im Studium eine explizite Rolle und gehören zum Problembewusstsein der heutigen Theologiestudierenden. Und sie sind produktiv für die Vergewisserung über das Eigene, insofern ihnen klar wird, dass es eigene religiöse Gewissheiten nur gibt im gleichzeitigen „Wissen darum, dass andere andere Gewissheiten besitzen“ und dass die Rationalität der theologischen Reflexion auf den christlichen Glauben gerechtfertigt und weiterentwickelt werden muss „im direkten Austausch mit den anderen Wissenschaften“ (so der frühere Vorsitzende des Wissenschaftsrats Peter Strohschneider, in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Februar 2012).
Für viele Studierende beginnt die Geschichte kirchlicher Lehre mit Johannes Paul II.
Natürlich sind die Theologiestudierenden auch berührt und bewegt von den Entwicklungen und Spannungen in der Kirche selber und müssen sich zu dem, was sie davon wahrnehmen, verhalten. Und da gibt es eigentlich alles: Interesse und unverhohlene Sympathie für die Formen, das Amtsverständnis und Gedanken von „früher“; die Sorge, dass den gut organisierten und lautstarken konservativen Gruppen zu weit entgegengekommen wird; Enttäuschung darüber, dass Reformvorschläge abgelehnt und wohlmeinende Ratschläge (Memorandum!) für ungehörig erklärt werden; die sorgfältige Unterscheidung zwischen dem Glauben als dem Eigentlichen und den Strukturfragen als etwas Sekundärem; die Meinung, die Professoren müssten sich stärker für Reformen stark machen; aber auch: ratloses Abwarten, Resignation in bestimmten Fragen oder gar Angst, als nicht wirklich katholisch zu gelten.
Das Zweite Vatikanum ist weit, sehr weit weg, und für viele Studierende beginnt die Geschichte kirchlicher Lehre mit Johannes Paul II. Aussagen des kirchlichen Lehramts spielen – affirmativ wie kritisch – eine ungleich größere Rolle als in jeder früheren Theologiestudenten-Generation seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts – zweifellos auch ein Echo der Präsenz und lückenlosen Verfügbarkeit der entsprechenden Dokumente im Internet, wobei zwischen Verlautbarungs- beziehungsweise Verbindlichkeitsformen – also etwa Enzyklika, Predigt und Interview eines Sprechers – wenig oder gar nicht unterschieden wird. Bezeichnend für die Erwartungen ist vielleicht die Äußerung einer Lehramtsstudentin, die sich kürzlich in der Sprechstunde vor der Prüfung vergewissern wollte, ob sie die Gewissenskonzeption des heiligen Thomas richtig verstanden habe; die fände sie nämlich „eigentlich ganz toll“. Nach erfolgter Bestätigung brach es aus ihr heraus: „Ja, hat der denn damit keinen Ärger mit dem Lehramt bekommen? Der war doch nie Papst und nicht einmal Bischof, sondern nur ein Mönch und Theologieprofessor!“
Für die Kirche ein Geschenk
Die immer noch so zahlreichen jungen Menschen, die Theologie studieren, sind für die Kirche ein Geschenk und nicht in erster Linie Bewerber, die froh sein sollten, wenn die Verantwortlichen eine Verwendungsmöglichkeit für sie haben. Aber im Hinblick auf die Aufgaben, die von ihnen demnächst erfüllt werden sollen, müssen sie natürlich bestimmte Fähigkeiten erwerben und trainieren. Dazu gehört, dass sie zentrale Inhalte der christlichen Überlieferung erschließen und als Sinn-Angebote für Menschen, die heute leben, deuten können und dass sie eine reife und redliche Spiritualität entwickeln. Dazu gehört auch, dass sie das, was den Menschen wirklich wichtig ist (beispielsweise Übernahme von Verantwortung, Selbstwirksamkeit, mehr soziale Gerechtigkeit), mit dem christlichen Glauben und dem Kirchesein in einem Zusammenhang zu bringen verstehen. Ferner, dass sie die Grundeinstellungen des Lernens und des Respekts vor dem gelebten Leben anderer haben.
Das schließt auch die Wahrnehmung und die Sensibilität für die Nichtvollkommenheit der Menschen und das Aushaltenkönnen von Ambiguitäten ein. Und schließlich gehört zu den Bereitschaften, die sie mitbringen oder erwerben müssen, dass sie moralisch sensibel sind für Verwundungen und Überforderungen, die die gesellschaftliche Entwicklung Menschen zumutet, und auch und vor allem dass sie den Mut haben, eigenständig zu denken.
Solange diese „Human-Ressource“ in ausreichender Menge vorhanden ist, darf man für die Zukunft zuversichtlich sein. Von entscheidender Bedeutung ist freilich, ob sie abgerufen und wie sie gepflegt wird. Berufsmöglichkeiten und Berufsbilder sind ja nicht nur ein Gestaltungsinstrument in der aktuellen Verwaltung der Kirche. Sie haben auch eine wichtige Steuerungsfunktion für die Zukunft, und junge Leute reagieren sehr schnell auf entsprechende Signale.
Der Beruf des Pastoralreferenten hat sich zwar längst etabliert, aber der Umstand, dass nicht alle Diözesen diese Option mittragen wollen und dass die Tätigkeiten immer wieder restringiert wurden, hat das Berufsbild „Laientheologe“ oder nichtpriesterlicher „Seelsorger“ eigentlich nie so richtig stark werden lassen, und das, ohne dass deshalb die Zahl der Priestertheologen davon profitiert hätte. Die Erwartungen an theologische und menschliche Kompetenz, an institutionelle Loyalität und an die private Lebensführung sind aber auch bei dieser Berufsgruppe erheblich höher als in den meisten zivilen Berufen. Selbst diejenigen, die mit einem Staatsexamen in Theologie an die Schule gehen, um Religionsunterricht zu erteilen, unterliegen ja spezifischen Erwartungen „von oben“ und müssen zugleich damit rechnen, in Haftung genommen zu werden für alles, was Schüler oder die Öffentlichkeit an der Kirche auszusetzen haben.
Manche Studierenden stellen sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie willkommen sie sich wissen können, wenn sie sich auf diese Wege des kirchlichen Dienstes einlassen – für viele Jahre und manche für ein ganzes Leben. Einige von ihnen suchen sich dann andere, außertheologische Berufsfelder, einige nehmen ein zweites Studium auf. Schade um jeden, der den Eindruck hat, dass die Kirche seine spezifische Mitarbeit nicht brauchen kann. Es sind oft nicht die Schlechtesten, sondern intellektuell Begabte, Problembewusste und sozial Engagierte.
Ein anderes Problem ist die niedrige Zahl der Promotionen. Auch hier reicht die quantitative Betrachtung nicht aus. Denn es gibt (immer noch) genügend begabte Studierende unter den Theologiestudierenden, die über das Potenzial verfügen, eine Forschungsarbeit zu erstellen, und immer öfter finden sie sich unter den Lehramtsstudenten. Aber es besteht offensichtlich wenig Anreiz oder nicht zum richtigen Zeitpunkt, diese Mühe auf sich zu nehmen. Nach eigenen Schätzungen kann sich wenigstens jeder Zweite dazu Aufgeforderte nicht zu einem solchen Projekt entschließen.
Die Gründe sind vielfältig und reichen von momentaner Sättigung an Theorie über eine andere Lebensplanung (gerade bei jungen Frauen) bis hin zum Eindruck der Nutzlosigkeit und sogar zur Befürchtung von nachhaltigen Schwierigkeiten, falls man im Zuge von Forschungen zu Ergebnissen käme, die mit offiziellen Vorgaben in Spannung stünden. Auch wenn es den eventuellen Betreuern gelingt, diese neue Art der Ängstlichkeit als wenig begründet zu erweisen, braucht es künftig starke Signale aus dem kirchlichen Feld, dass Promotionen erwünscht sind und sich lohnen können, wenn es um Verantwortungen, Zuständigkeiten und Beförderung geht.
Neben den Priestern und Pastoralreferenten, die in den Seelsorgeplänen als „Allrounder“ gedacht sind (die einen noch mehr als die anderen), braucht es die, die über herausragende Intellektualität, über Spezialwissen und über Führungskompetenz verfügen. Ihre Rekrutierung muss beginnen, wenn das Studium zu Ende ist, und der Wille zur Promotion kann ein Kriterium dafür sein, sie besonders zu fördern. Es wäre schade, wenn die dafür Geeigneten für die Bildung einer kirchlichen Führungselite verloren gingen.
Nicht nur die Inhalte sind wichtig für ein Theologiestudium
Die Jahre eines Theologiestudiums sind zugleich Jahre einer Biografie, in denen nicht nur Studieren, die Klärung des späteren Berufs und eine spirituelle Formung stattfinden. Vielmehr steht hier auch die Aufgabe an, die mit dem Ortswechsel und dem Ausscheiden aus der familiären Haushaltsgemeinschaft gewonnene Selbstständigkeit auszufüllen, seine Persönlichkeit zu entwickeln, neue Freundschaften einzugehen und sich auf die Suche nach einer passenden Lebensform zu begeben. Die Homogenität und Konzentration an Altersgenossen, an Vitalität, Bildungsgrad, aber auch an ökonomischer Abhängigkeit und existenzieller Unsicherheit erhöhen den Druck ungemein, an seiner Identität zu arbeiten. Eine spannende Zeit also auch der Entdeckungen mit sich und der Arbeit an der eigenen Authentizität! Und deshalb übrigens auch nicht ganz frei von der Möglichkeit, dass jemand an diesem Druck leidet oder krank wird.
Das also ist nach wie vor eine zentrale Aufgabe neben und während des Studiums: sich persönlich zu entwickeln, menschlich zu reifen, selbst wissen und wollen zu lernen, wer man ist und wer man für die anderen sein will und was für Erwartungen man an sein Leben hat. Und deshalb sind nicht nur die Inhalte wichtig für ein Theologiestudium, sondern auch die Aufmerksamkeit und das Reflektieren auf sich selber, die Kontakte, Beziehungen und Gespräche mit anderen, und nicht zuletzt auch das Ambiente, also Kultur, Freizeitgestaltung und Engagement für andere.
Diese Aufgabe der Selbstfindung und Charakterbildung betrifft auch den innersten Kern des Glaubens. Sie muss von jedem und jeder in jeder Studierendengeneration neu bestanden werden. Dazu braucht es neben wohlmeinenden Mentoren vor allem Gelegenheiten und Zeit. Der Umstand, dass im modularisierten Studiersystem der äußere Druck durch die zahlreichen Prüfungen steigt, und die Tatsache, dass die Studierenden seit der G8-Reform noch ein Jahr jünger sind, machen diese Aufgabe nicht gerade leichter.