TheologieJubiläum am Standort Erfurt

Mit einer Jubiläumstagung erinnerte man Anfang Juni in Erfurt an die Gründung des Philosophisch-Theologischen Studiums vor 60 Jahren. Inzwischen ist aus dem Studium eine Katholisch-Theologische Universitätsfakultät geworden.

1952 habe sich niemand vorstellen können, dass man 2012 ein 60-jähriges Jubiläum würde feiern können. Mit diesem Satz zu Anfang seines Vortrags bei der Jubiläumstagung traf der Erfurter Neutestamentler Claus-Peter März den Nagel auf den Kopf. Tatsächlich konnte man in Erfurt ein ungewöhnliches Jubiläum feiern, ungewöhnlich nicht in der Zeitdimension, wohl aber im Blick auf den besonderen Kontext für die Theologie.

Die jüngste Fakultät

Das im Juni 1952 unter dem Dach des Priesterseminars eröffnete „Philosophisch-Theologische Studium“ in Erfurt war die einzige wissenschaftliche Ausbildungsstätte für katholische Theologie in der damaligen DDR (in der es auf evangelischer Seite sechs Universitätsfakultäten und drei kircheneigene Institutionen für das Studium der Theologie gab). Das Erfurter Studium durchliefen zu DDR-Zeiten praktisch alle Priesteramtskandidaten der ostdeutschen Bistümer und Jurisdiktionsbezirke; seine Professoren prägten damit das kirchliche Bewusstsein zwischen Rostock und Dresden, Magdeburg und Frankfurt/Oder entscheidend mit. Auch die vorsichtige Öffnung der katholischen Kirche für ihr ostdeutsches Umfeld in den späten Jahren der DDR wurde in Erfurt vorgedacht.

Nach der Wende erhielt das Philosophisch-Theologische Studium dann den Status einer staatlich anerkannten Hochschule und später den einer Theologischen Fakultät in kirchlicher Trägerschaft. 1992 konnte man mit einer interessanten Tagung 40 Jahre Theologie in Erfurt feiern (vgl. HK, Juli 1992, 306 f.). Es brauchte dann noch einiges Hin und Her (der Apostolische Stuhl war zunächst dagegen), bis am 1. Januar 2003 die bisher kirchliche Fakultät als Katholisch-Theologische Fakultät in die 1994 wiedergegründete Universität Erfurt integriert werden konnte (vgl. dazu: Josef Pilvousek, Die Integration der Theologischen Fakultät in die Universität Erfurt, in: Theologie der Gegenwart, Nr. 2–3/2012, 172–198).

Die Katholisch-Theologische Fakultät Erfurt ist somit die jüngste unter den theologischen Universitätsfakultäten in der Bundesrepublik, und sie ist gleichzeitig die einzige in den neuen Bundesländern (Institute für katholische Theologie gibt es daneben noch an den Universitäten Dresden und Halle-Wittenberg). Ihr Lehrkörper besteht je etwa zur Hälfte aus ostdeutschen „Eigengewächsen“ und Professoren von „außen“, wobei dieses bis in die Niederlande und nach Italien reicht. Ihren spezifischen Charme bezieht die Erfurter Fakultät nicht zuletzt aus ihren Räumlichkeiten: Diese gruppieren sich in der Hauptsache um den mittelalterlichen Kreuzgang des Erfurter Doms, inklusive des Hörsaals „Coelicum“, in dem schon Martin Luther als Augustinermönch studiert hat – die 1816 aufgehobene „alte“ Universität Erfurt hatte von Anfang an eine Theologische Fakultät.

Bei der Jubiläumstagung erinnerte die Nachfolgeinstitution des Philosophisch-Theologischen Studiums jetzt an zwei prägende Gestalten aus früheren Zeiten. Josef Pilvousek, Kirchengeschichtler an der Fakultät, würdigte den 2005 im Alter von 100 Jahren verstorbenen Gründungsrektor des Studiums, Erich Kleineidam; er war gleichzeitig auch Gründungsregens des Erfurter Priesterseminars. Kleineidam, ursprünglich aus Schlesien stammend, hat in einem mehrbändigen Werk die Geschichte der Universität Erfurt bis zu ihrer Aufhebung dargestellt.

Claus-Peter März befasste sich mit Leben und Werk des international bekannten Neutestamentlers Heinz Schürmann (1913–1999). Er kam in den Anfangsjahren des Philosophisch-Theologischen Studiums aus Westdeutschland nach Erfurt und hatte durch seine spirituell grundierte und pastoral ausgerichtete exegetische Arbeit einen enormen Einfluss auf sein kirchliches DDR-Umfeld. Nachfolger von Heinz Schürmann auf dem neutestamentlichen Lehrstuhl war sein Schüler Joachim Wanke, ab 1981 Apostolischer Administrator in Erfurt und seit 1994 Bischof des neu gegründeten Bistums.

Auch andere Bischöfe in den neuen Bundesländern sind mit der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt beziehungsweise ihren Vorgängerinstitutionen eng verbunden: Bischof Gerhard Feige von Magdeburg lehrte bis zu seinem Wechsel in die Hierarchie in Erfurt Alte Kirchengeschichte; Bischof Wolfgang Ipolt von Görlitz war früher Regens des mit der Fakultät kooperierenden Priesterseminars.

Die ausnehmend gut besuchte Tagung Anfang Juni (es kamen nicht zuletzt viele „Ehemalige“ aus der Zeit des Philosophisch-Theologischen Studiums) beschäftigte sich auf der einen Seite mit Themen, die sich aus der besonderen Kirchengeschichte der neuen Bundesländer und ihrer nach wie vor von Westdeutschland grundverschiedenen religiös-weltanschaulichen Situation ergeben. So ging es in Arbeitskreisen etwa um den „Aktionskreis Halle“, der in der damaligen DDR gegründet wurde, um Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils umzusetzen (vgl. HK, April 2010, 198 ff.), oder um die katholische Kirche in Mitteldeutschland als eine Kirche der Flüchtlinge und der Vertriebenen.

In „doppelter Diaspora“

Der emeritierte Pastoraltheologe Franz Georg Friemel trug Thesen zu „Glauben in ungläubigem Umfeld“ vor und empfahl dabei unter anderem, bewusst den Kontakt zu Nichtglaubenden zu suchen, über den eigenen Glauben zu reden, aber auch Veranstaltungen anzubieten, bei denen der christliche Glaube im Hintergrund bleibe. Er warnte vor Defätismus und wies darauf hin, dass missionarische Bemühungen ihre Zeit bräuchten. Die Diskussionsbeiträge in diesem Arbeitskreis vermittelten ein realistisches Bild von den Schwierigkeiten, mit denen die oft kleinen Gemeinden in den neuen Bundesländern zu kämpfen haben: Beim Bemühen darum, die Kerngemeinde zusammenzuhalten wie beim Versuch, offene Gemeinde zu sein. Es wurde auch gefragt, was denn die Gemeinden missionarisch leisten könnten, ohne sie zu überfordern.

Auf der anderen Seite ging es auch um Probleme von Kirche und Theologie, die weniger regional spezifisch sind, etwa um „Ehrenamt, Charisma und das Volk Gottes“, um „Reale Armut als vernachlässigtes Thema der katholischen Soziallehre“ oder auch um das besonders heiße Problem der Piusbruderschaft und ihres Verhältnisses zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Den Auftakt zur Tagung machten der Erfurter Dogmatiker Josef Freitag und sein Kollege von der Liturgiewissenschaft, Benedikt Kranemann, mit Vorträgen zur Theologie für eine Kirche im Umbruch.

Freitag machte dabei deutlich, dass Theologie von ihrem Wesen her in der Spannung zwischen Erinnerung, Gegenwart und Zukunft immer im Umbruch ist, ausgehend von dem grundlegenden Umbruch, den Gott durch Jesus Christus gesetzt hat. Er erinnerte auch an den spezifischen Kontext der „doppelten Diaspora“, in dem in Erfurt Theologie getrieben werden müsse. Kranemann insistierte seinerseits darauf, dass die Frage nach dem Umbruch am Gottesdienst nicht vorbeigehen könne und betonte das missionarische Potenzial der Liturgie im Blick auf Außenstehende. In diesem Zusammenhang verwies er auf Beispiele für „offene Feierformen“, zum einen die „Feier der Lebenswende“, wie sie inzwischen nicht nur in Erfurt, sondern auch in anderen ostdeutschen Städten als Alternative zur Jugendweihe angeboten wird, zum anderen auf die „riskanten Liturgien“ aus Anlass von Katastrophen wie nicht zuletzt dem Massaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium.

Gut aufgestellt

 „Wohin führt der Weg der Kirche?“ – so lautete der Titel des Festvortrags, den der frühere Präsident des Päpstlichen Einheitsrats, Kardinal Walter Kasper, im Rahmen der Jubiläumstagung im immer wieder beeindruckenden Erfurter Dom hielt. Der schwäbische Kardinal aus Rom würdigte kurz auch die theologischen Leistungen am Standort Erfurt. In der Hauptsache nahm er aber allgemein zur Lage der Kirche und des Glaubens Stellung, ausgehend von der Feststellung, Krisen seien für die Kirche nichts Neues.

Kasper machte die Gleichgültigkeit gegenüber der Gottesfrage als die eigentliche Herausforderung der Gegenwart namhaft und prophezeite, die Kirche sei auf dem Weg in Diaspora. Er machte sich im Sinn seines im vergangenen Jahr erschienenen Buchs über die katholische Kirche (vgl. HK, August 2011, 403 ff.) für Kirche als Communio stark, plädierte dabei für die Aufwertung des synodalen Elements und warnte erfreulicherweise davor, das Wort „Dialog“ aus dem kirchlichen Wortschatz zu verbannen. Mit dem klaren Bekenntnis zu den Aussagen des Zweiten Vatikanums über Ökumene und das Verhältnis zu nichtchristlichen Religionen verband er die Hoffnung auf eine geistlich erneuerte Kirche.

Beim Vortrag des Kardinals und der vorangegangenen Vesper waren alle Diözesanbischöfe der neuen Bundesländer (aus dem zur Zeit nicht besetzten Bistum Dresden-Meißen der Diözesanadministrator) anwesend. Sie zeigten damit ihre Verbundenheit nicht nur mit dem Erfurter Priesterseminar, das als Regionalseminar für den ganzen Bereich „Deutschland Ost“ dient, sondern auch mit der Katholisch-Theologischen Fakultät. Erfurt gehört von der Zahl der Studierenden her zwar zu den kleineren Fakultäten in Deutschland. Gerade die Jubiläumstagung hat aber wieder gezeigt, dass diese Fakultät gut aufgestellt ist und mit ihren Möglichkeiten eine kontextsensible Theologie treibt. Man kann ihr deshalb nur viele weitere erfolgreiche Jahre wünschen.

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