Die wiederverheirateten Geschiedenen und der SakramentenempfangWieso eigentlich Barmherzigkeit?

Die Frage nach dem kirchlichen Status von wiederverheirateten Geschiedenen kommt nicht zur Ruhe, wie jüngste Äußerungen und Initiativen gezeigt haben. Es ­genügt nicht, von der Kirche Barmherzigkeit für diese Personengruppe zu fordern. Vielmehr braucht es die Besinnung auf die kirchenrechtlichen Regelungen für ­Empfang beziehungsweise Verweigerung der Eucharistie.

Es war der Rottenburger Domdekan Alfred Weitmann, der vor der Vollversammlung der Würzburger „Gemeinsamen Synode“ (1972–1975) für die Geschiedenen und wieder Verheirate­ten ein „Schlupfloch der Barmherzigkeit“ forderte. In Rede stand die Teilnahme dieser Gläu­bigen am Sakrament der Eucharistie, an der heiligen Kommunion.

Wem aber stünde es zu, solche Barmherzigkeit zu üben? Die Forderung richtete sich an „die Kirche“ in Gestalt zunächst wohl derer, die die Kommunion austeilen, aber auch an das kirchliche Lehramt und seine Verkündiger. Haben sie Anlass oder auch nur die Möglichkeit, ein „Schlupfloch“ zu öffnen? Der Pfarrer hat die Pflicht, das Sakrament entweder zu spenden oder es zu verweigern. Einen Spielraum, der es ihm erlaubte, die Eucharistie dem zu geben, dem er sie zu verweigern verpflichtet ist, hat er nicht. Dasselbe gilt für den Kommunionhelfer. Und auch das Lehramt hat nicht „Barmherzigkeit“ zu üben, sondern seine Theorie und Praxis im Umgang mit den Wiederverhei­rateten theologisch wahrhaftig und überzeugend zu begründen.

Das sind Selbstverständlichkeiten. Warum noch einmal darüber reden? Weil die Antworten, die kirchliche Instanzen auf die immer wieder gestellte Frage geben, offenbar nicht ankommen. Auch 40 Jahre nach Beginn der Würzburger Synode wird die kirchliche Verkündigung nach wie vor als unbillig, wenn nicht unchristlich, und als nicht überzeugend wahrgenommen. Wären es nur die Betroffenen, die hier nicht mitzugehen bereit sind, wäre das nur natürlich. Aber es sind auch diejenigen Gläubigen, die in „geordneten Verhältnissen“ – amtskirchlicher Sprach­gebrauch! – leben, die die Lebensgeschichten der Wiederverheirateten kennen und verstehen, die ihre jetzigen Lebensverhältnisse billigen und stützen – Bischöfe im Blick auf ihre betroffenen Angehörigen nicht ausgenommen.

Es sind auch und gerade die Seelsorger, die kein Verständnis für die kirchenamtlichen Begründungen aufbringen und es nicht mehr verstehen können, dass man die Wiederverheirateten, die sich am kirchlichen Leben beteiligen wollen, als von der Kommunion ausgeschlossen bezeichnet. Wenn die Antworten, die „die Kirche“ auf die immer wieder gestellten Fragen gibt, nicht ankommen, nicht rezipiert, nicht übernommen werden, muss das nicht an unbelehrbaren Fragenden liegen. Selbst das Kirchenrecht kennt das Jahrhunderte alte Rechtsprinzip, dass ein Gesetz nicht in Kraft tritt, wenn es von den Adressaten nicht angenommen wird, sei es auch formal korrekt zustande gekommen. So wie eine solche Annahme-Verweigerung das Gesetz als falsch erkennen lässt, signalisiert auch die Nicht-Annahme der lehramtlichen Äußerungen zu Scheidung und Wiederheirat, dass die gegebenen Antworten offenbar nichts begründen. In dieser ausweglosen Lage fällt immer wieder das Stichwort der Barmherzigkeit.

Der Ruf nach Barmherzigkeit

Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hat kürzlich wieder Barmherzigkeit mit den Wiederverheirateten eingefordert (Anzeiger für die Seelsorge 1/2012, 10), Eberhard Schockenhoff hat in einer neueren Publikation von der „Chance zur Versöhnung“ gesprochen und im Leitartikel des Heftes 11/2011 dieser Zeitschrift wurde die Barmherzigkeitsforderung milde kritisiert. Und der Ausschluss der Wiederverheirateten dem Kirchenrecht zugeordnet.

Die Forderung nach dem „Schlupfloch der Barmherzigkeit“ beruhte auf der Voraussetzung, die Kirche sei im Prinzip verpflichtet, den Wiederverheirateten die Kommunion zu verweigern. Sie könne aber im Einzelfall sozusagen Gnade vor Recht ergehen lassen. Das ist aber eine falsche Annahme. Johannes Paul II. sagt im Apostolischen Schreiben „Familiaris consortio“ von 1981: „Die Kirche schärft ihre Praxis ein, die auf die Heilige Schrift gestützt ist, diejenigen nicht zur eucharistischen Kommunion zuzulassen, die nach Scheidung eine neue Ehe eingegangen sind. Denn sie selbst verhindern, dass sie zugelassen werden, weil ihr Stand und ihre Lebensver­hältnisse objektiv von jener Liebes­verbindung zwischen Christus und der Kirche abweichen, die in der Eucharistie bezeichnet und verwirklicht wird.“ (Meine Übersetzung aus Familiaris consortio, Nr. 84. Die deutsche Fassung der „Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls“ [Band 33] schwächt diesen unsen­siblen Text erheblich ab, indem beispielsweise „sie selbst verhindern“ durch „sie können nicht“ ersetzt wird.) Ist diese Praxis schriftgemäß, kann die Kirche diese Personen nicht zulassen, auch nicht im Ausnahme­fall.

Der Denkansatz, dass die Kirche gar nicht anders könne, als den Wiederverheirateten die Kommunion zu verweigern, prägt die verschiedenen lehramtlichen Antworten, die in jüngerer Zeit publiziert worden sind. So veröffentlichte der „Osservatore Romano“ am 30. November 2011 einen Text erneut, den Kardinal Joseph Ratzinger 1998 einer Publikation der Glaubenskongregation vorangestellt hatte, deren Präfekt er seinerzeit war. Es werden fünf Einwände gegen die Praxis der Kirche genannt und Antworten darauf gegeben. Der erste stellt die Unauflöslichkeit der Ehe als Gebot des Neuen Testaments in Frage, was unter Berufung auf die Treue zum Wort Jesu zurückgewiesen wird. Natürlich würde die Zulassung zu einer zweiten kirchlichen Ehe das Problem verschwinden lassen. Die Unauflös­lichkeit der Ehe ist aber kompromisslose Lehre des zweiten Vatikanischen Konzils, kom­pro­missloser als die eherechtlichen Normen des vor- und des nachkonziliaren kanonischen Rechts.

Der zweite Einwand beruft sich auf die patristische Tradition und die Praxis der Ostkirchen, an denen sich auch die katholische Kirche orientieren könnte. Ratzinger antwortet darauf, dass sich diese Praxis immer mehr von den Worten Jesu über die Unauflöslichkeit entfernt habe, dass das Konzil von Trient die ursprüngliche Väterlehre wiederhergestellt habe und eine Zweitehe unmöglich bleibe. Die Antwort rekurriert also wiederum auf die Unauflöslichkeit.

Was ist ein Ärgernis?

Der dritte Einwand will Epikie und Aequitas canonica anwenden, um die Gewissensentschei­dung von Christen zu achten, die von der rechtlichen Norm abweichen. Die Antwort darauf geht erneut nur auf die Unauflöslichkeit der Ehe ein, obwohl das nicht die Pointe des Einwandes ist, und fordert eine Verbesserung der kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren.

Der vierte Punkt beschäftigt sich mit dem Vorwurf, das aktuelle Lehramt mache die Lehrentwicklung des Konzils über die Ehe rückgängig und vertrete eine vorkonziliare Eheauffassung. Wieder spitzt sich die Antwort darauf zu, eine Ehescheidung wegen „Todes der Ehe“ auszuschließen und die Möglichkeit des Papstes zu verneinen, von einer zerbrochenen Ehe zu befreien.

Der fünfte Einwand schließlich besagt, dass die Haltung der Kirche zur Frage der Wieder­verheiraten einseitig normativ und nicht pastoral sei. Ratzinger räumt ein, dass die Ausdrucks­formen des kirchlichen Lehramtes „manchmal nicht gerade leicht verständlich erscheinen“. Der wesentliche Inhalt der kirchlichen Lehre dürfe aber nicht aus pastoralen Gründen verwässert werden, „weil er die geoffenbarte Wahrheit wiedergibt.“ Und weiter: „Wenn früher bei der Darlegung der Wahrheit vielleicht gelegentlich die Liebe zu wenig aufleuchtete, so ist heute die Gefahr groß, im Namen der Liebe die Wahrheit zu verschweigen oder zu kompromittieren.“

Es ist offenkundig, dass Kardinal Ratzinger keine Antwort auf die gestellte Frage gibt, warum die Wiederverheirateten die Kommunion nicht empfangen dürfen. Nur nebenbei schreibt er: „Wenn die vorausgehende Ehe von wiederverheirateten Gläubigen gültig war, kann ihre neue Verbindung unter keinen Umständen als rechtmäßig betrachtet werden, daher ist ein Sakra­mentenempfang aus inneren Gründen nicht möglich. Das Gewissen des Einzelnen ist ausnahms­los an diese Norm gebunden“ (zum dritten Einwand). Das aber ist keine Begründung, sondern eine Vorgabe.

Zwei Jahre später hat sich der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte in einer Erklärung (vom 24. Juli 2000) zum Recht der Wiederverheirateten auf die Kommunion geäußert. Er widerspricht einer Interpretation des can. 915 des Codex Iuris Canonici, nach dessen Regel unter anderem die nicht zur Kommunion zugelassen werden dürfen, „die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren“. Eine Interpretation wird abgelehnt, die die Wiederverheirateten als nicht betroffen verstehe, für die „schwere Sünde“ das Vorliegen aller, auch subjektiver Bedingungen einer Todsünde voraussetze, über die ein Urteil des Kommunionspenders ab externo nicht möglich sei.

Die Erklärung, die mit den Kongregationen für die Glaubenslehre und für den Gottesdienst und die Sakramente ab­gestimmt sei, die aber keine päpstliche Billigung erwähnt, folgert aus der Weisung in 1 Kor 11,27–29 richtig, dass es Aufgabe „des Gläubigen selbst und seines moralischen Gewissens“ sei, sich vor Empfang der Eucharistie zu prüfen. Dann heißt es weiter: „Aber die Tatsache, dass man unwürdig ist, weil man sich in einem Zustand der Sünde befindet, stellt auch ein schweres rechtliches Problem in der Kirche dar. (…) In der Tat ist es ein objektiver Schaden für die kirchliche Gemeinschaft, wenn jemand, der öffentlich als unwürdig bekannt ist, den Leib des Herrn empfängt; es ist ein Verhalten, das die Rechte der Kirche und aller Gläubigen verletzt, in konsequenter Weise den Ansprüchen dieser Gemeinschaft entsprechend zu leben.“

Dass dieses Argument nicht überzeugt, verwundert nicht. Wenn Jesus sich beim Zöllner Zachäus zum Essen einlädt, der nach Ansicht der Umstehenden wahrlich unwürdig war, wird man kaum von einem Recht der (anscheinend als sündelos verstandenen) Eucharistieteilnehmer sprechen können, nicht mit „Unwürdigen“ das Mahl teilen zu müssen. Und woher das Recht dieser „Gerechten“ abzuleiten ist, die Würdigkeit der Sünder zu beurteilen – „öffentlich als unwürdig bekannt“ –, müsste auch begründet werden.

Die Erklärung versucht es so: „Im konkreten Fall der Zulassung der geschiedenen und wiederverheirateten Gläubigen zur hl. Kommunion betrifft das Ärgernis – verstanden als ein Handeln, das die anderen zum Schlechten bewegt – zugleich das Sakrament der Eucharistie und die Unauflöslichkeit der Ehe. Ein solches Ärgernis besteht auch dann, wenn ein derartiges Verhalten leider keine Verwun­derung mehr hervorruft: ja, gerade angesichts der Verformung der Gewissen wird ein geduldiges und zugleich entschiedenes Handeln der Seelsorger umso notwendiger, zum Schutz der Heiligkeit der Sakramente, zur Verteidigung der christlichen Moral und zur richtigen Unter­weisung der Gläubigen.“ Das Herrenmahl als Erziehungsmittel?

Es ist sicher richtig, mit der Erklärung zu sagen, dass das Verbot des Kommunionempfangs für schwere Sünder „sich seiner Natur entsprechend aus dem göttlichen Gesetz“ ableite und damit den Bereich der positiven kirchlichen Gesetze überschreite. „Letztere können keine gesetzlichen Änderungen herbeiführen, die der Lehre der Kirche widersprechen würden.“ Diese unbe­zweifelbar richtige Feststellung wäre hier am Platze, wenn die Lehre der Kirche umfassend beachtet würde, nicht nur im Hinblick auf die „kirchliche Tradition“ hinsichtlich der Wiederverheirateten, sondern auch in Bezug auf die Dogmatik des Sündenbegriffs.

Wer ist schwerer Sünder?

Das in can. 915 CIC ausgesprochene Verbot, in offenkundiger schwerer Sünde verharrende Gläubige nicht zur Kommunion zuzulassen, ist in sich konsequent. Es ist zwingende Folge aus der Definition der schweren Sünde durch das Lehramt, die sich allerdings in einem anderen Kontext findet als dem von Scheidung und Wiederheirat. In seinem Apostolischen Schreiben „Reconciliatio et paenitentia – Versöhnung und Buße“ aus dem Jahr 1984 erklärt Johannes Paul II. die Unterscheidung zwischen Todsünde und lässlicher Sünde. Er führt aus dem Ersten Johannesbrief und dem Matthäusevangelium Beispiele an für „die Zurückweisung Gottes, die Verweigerung seiner Gnade und somit den Widerstand gegenüber der Quelle unseres Heiles selbst, wodurch sich der Mensch den Weg zur Vergebung willentlich zu versperren scheint.“

Nach näheren Darlegungen über die theologiegeschichtliche Entwicklung resümiert der Papst: „Mit der ganzen Tradition der Kirche nennen wir denjenigen Akt eine Todsünde, durch den ein Mensch bewusst und frei Gott und sein Gesetz sowie den Bund der Liebe, den dieser ihm anbietet, zurückweist, in dem er es vorzieht, [sich] sich selbst zuzuwenden oder irgendeiner geschaffenen und endlichen Wirklichkeit, irgendeiner Sache, die im Widerspruch zum göttlichen Willen steht (conversio ad creaturam – Hinwendung zum Geschaffenen). Dies kann auf direkte und formale Weise geschehen wie bei den Sünden der Götzenverehrung, des Abfalles von Gott und der Gottlosig­keit, oder auf gleichwertige Weise wie in jedem Unge­horsam gegenüber den Geboten Gottes bei schwerwiegender Materie.“

Und: „Es gibt Handlungen, die durch sich selbst und in sich, unabhängig von den Umständen, immer schwer­wiegend unerlaubt sind wegen ihres objektiven Inhaltes. Wenn solche Handlungen mit hinreichender Bewusstheit und Freiheit begangen werden, stellen sie immer eine schwere Schuld dar.“ Nicht nur eine fundamentale Option gegen Gott stelle eine Todsünde dar. „Es handelt sich nämlich auch um Todsünde, wenn sich der Mensch bewusst und frei aus irgendeinem Grund für etwas entscheidet, was in schwerwiegender Weise der Ordnung widerspricht. Tatsächlich ist ja in einer solchen Entscheidung bereits eine Missachtung des göttlichen Gebotes enthalten, eine Zurückweisung der Liebe Gottes zur Menschheit und zur ganzen Schöpfung: Der Mensch entfernt sich so von Gott und verliert die Liebe.“

Wer sich also bewusst und willentlich für etwas entscheidet, was dem Willen Gottes widerspricht, und das in der Erkenntnis tut, dass diese Entscheidung von Gott und seiner Liebe wegführt, begeht eine Todsünde. „Wenn ‚die Seele durch die Sünde eine Unordnung schafft, die bis zum Bruch mit dem letzten Ziel – Gott – geht, an das er durch die Liebe gebunden ist, dann ist dies eine Todsünde; wann immer jedoch die Unordnung unterhalb der Trennung von Gott bleibt, ist es eine lässliche Sünde‘ “, formuliert der Papst unter Zitation des Thomas von Aquin. Todsünde und schwere Sünde sind dabei Sy­nonyme (alle Zitate aus Reconciliatio et paenitentia, Nr. 17).

Es kann nicht fraglich sein, dass die Situation der nach einer Scheidung erneut (zivil) Verheirateten der kirchlichen Ordnung widerspricht: Sie leben in einer nicht anerkannten rechtlichen Bindung mit einem anderen Partner als dem, mit dem sie nach dem Recht der Kirche verheiratet sind. Ist „daher ein Sakramentenempfang aus inneren Gründen nicht möglich“ (Kardinal Ratzinger, siehe oben)?

Die Sünde der Wiederverheirateten

Worin die Sünde der Wiederverheirateten nach Meinung des Lehramtes besteht, kann aus „Familiaris consortio“ entnommen werden: „Die Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der Treue zu ihm bereuen und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauf­löslichkeit der Ehe steht. Das heißt konkret, dass, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen – zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder – der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, ‚sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind‘ “ (Nr. 84 unter Zitation der Abschlusspredigt des Papstes bei der Bischofssynode).

Daraus lässt sich entnehmen, dass nicht das Verlassen der Lebensgemeinschaft mit dem rechtmäßigen Ehegatten der Unauflöslichkeit widerspricht und einem Kommunionempfang im Wege steht, auch nicht das Leben in der häuslichen Gemeinschaft mit einem anderen Partner. Das Zeichen der Bundestreue Christi wird nicht durch Scheidung verletzt, nicht durch eine neue Lebenspartnerschaft, sondern allein durch den sexuellen Vollzug dieser neuen Gemeinschaft. Wer sich der Akte enthält, „die Eheleuten vorbehalten sind“, wird das Bußsakrament und die Kommunion empfangen können.

Die Morallehre des kirchlichen Lehramtes ist geprägt von dem Satz „Omne peccatum in Sexto grave“ – jede Sünde im Bereich des sechsten Gebots ist Todsünde. Ein Abgleich mit der Lehre über die Unterscheidung zwischen Todsünde und lässlicher Sünde, die oben referiert wurde, verlangt aber differenziertere Aussagen.

Nach dem lehramtlich Dargelegten ist die schwere Sünde die Absage an Gott. Sie liegt objektiv bei dem vor, der sich direkt von Gott lossagt durch Leugnung, Abfall, Gottlosigkeit. Jede andere schwerwiegende Materie kann im Allgemeinen, nicht aber im Konkreten allein für sich die Schwere einer Sünde begründen. Tötung eines anderen Menschen ist sicher schwerwiegende Materie und gegen den Willen Gottes. Begeht aber die Mutter eine schwere Sünde, die ihre Tochter gegen die unmittelbar drohende Vergewaltigung durch ihren Vater nur mit dem Messer schützen kann? Hat sie sich damit gegen Gott entschieden, sich von Gott getrennt? Das hängt unabdingbar von ihrer Willenshaltung ab, nicht allein von der Schwere der Tat.

Das Recht auf die Sakramente

 „Die Hirten mögen beherzigen, dass sie um der Liebe zur Wahrheit willen verpflichtet sind, die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden. Es ist ein Unterschied, ob jemand trotz aufrichtigen Bemühens, die frühere Ehe zu retten, völlig zu Unrecht verlassen wurde oder ob jemand eine kirchlich gültige Ehe durch eigene schwere Schuld zerstört hat. Wieder andere sind eine neue Verbindung eingegangen im Hinblick auf die Erziehung der Kinder und haben manchmal die subjektive Gewissensüberzeugung, dass die frühere, unheilbar zerstörte Ehe niemals gültig war“ (FamCon, Nr. 84).

Leider hat Johannes Paul II. nicht ausgeführt, welche Konsequenzen die Hirten aus diesen wichtigen Unterscheidungen ziehen sollen. Die ange­sprochenen Fragen müssten für eine differenzierende moralische Bewertung der Situation relevant sein. Der Papst hat dafür aber keinen Raum gegeben. Für die Wiederversöhnung im Bußsakrament hat er kein anderes Kriterium genannt als den Verzicht auf den Geschlechts­verkehr – die Akte, die Eheleuten vorbehalten sind, sind das punctum saliens. So sind keine Spielräume zu erkennen.

Ein „Schlupfloch der Barmherzigkeit“ ist kein Weg zur Lösung der Probleme. Wenn die Praxis des Lehramtes auf die Heilige Schrift gestützt ist, wie Johannes Paul II. sagt, und diese dem Wort Jesu getreu verwirklicht wird, kann „die Kirche“ davon nicht aufgrund von Barmher­zigkeit abweichen. Wenn hingegen die Wiederverheirateten womöglich keine schweren Sünder sind, brauchen sie – wie jeder von uns – Barmher­zigkeit nur von Gott, dem sie ihr Scheitern und ihren guten Willen zu einem christlichen Leben hinhalten in der Hoffnung auf seine Zuwendung auch und gerade zu den Gescheiterten.

 „Nur“ Recht?

Von „der Kirche“ brauchen die Wiederverheirateten keine Barmherzigkeit, sondern eine konse­quente Achtung ihrer Rechte. Die Kommission, die den can. 915 CIC formulierte, ging davon aus, dass die Wiederverheirateten von dem Verbot betroffen wären. Der Gesetzestext greift aber nicht. Der Päpstliche Rat hat in seiner Erklärung von 2000 die Bedingungen für die Abweisung von Wiederverheirateten so formuliert:

 „a) die schwere Sünde, im objektiven Sinn, denn die subjektive Anrechenbarkeit könnte der Kommunionspender nicht beurteilen;

b) das hartnäckige Verharren, das heißt das Bestehen einer objektiven Situation der Sünde, die in der Zeit fortdauert und die der Gläubige nicht aus der Welt schaffen will; es sind keine anderen Erfordernisse notwendig (herausforderndes Verhalten, vorausgehende Ermahnung usw.), damit die Situation in ihrer grundsätzlichen kirchlichen Schwere eintritt;

c) der offenkundige Charakter der Situation der schweren habituellen Sünde.“

Selbst wenn man der Annahme folgte, es gebe eine objektiv schwere Sünde, die durch den sexuellen Umgang eines Paares begangen würde, bliebe doch festzustellen, dass der illegitime Umgang des Paares einem Kommunionspender nicht offenkundig sein kann, wie can. 915 es für die Verweigerung verlangt. Liest man mit FamCon, Nr. 84, hinzu, dass weder das Verlassen des ersten noch das Zusam­menleben mit einem anderen Partner die „objektive Situation der Sünde“ darstellt, weil es den Empfang des Bußsakramentes und der Kommunion nicht aus­schließt, müsste der Kommunion­spender also um die sexuelle Praxis der Wieder­verhei­rateten wissen (können). Es ist jedoch immer möglich, dass das Bußsakrament den Weg zur Eucharistie geöffnet hat, denn das Versprechen der Enthaltsamkeit setzt keine Änderung der äußeren Lebensverhältnisse voraus. Ob jemand ein solches Versprechen geleistet hat, kann kein Kommunionspender wissen.

Can. 915 ist eine Ausnahme gegenüber dem in can. 912 formulierten Grundrecht, dass jeder Getaufte, der nicht rechtlich darin gehindert ist, zur heiligen Kommunion zugelassen werden kann und muss. Die Würdigkeit zum Empfang der Eucharistie, auf die laut Erklärung des Päpstlichen Rates die Eucharistiegemeinschaft ein Recht habe, wird in can. 916 in die Selbstbeurteilung des Kommunikanten gestellt: Wenn er sich einer schweren Sünde bewusst ist – diese Formel schließt logisch einen objektiven Sündenbegriff aus –, darf er ohne vorherige Beichte den Leib des Herrn nicht empfangen. Die Würdigkeit des Empfängers darüber hinaus zu prüfen, ist dem Kommunionspender weder zugestanden noch überhaupt möglich. Wenn Jesus solche an seinen Tisch geladen hat, die für die (Selbst-) Gerechten inakzeptabel waren, steht dem Vorsteher der Eucharistiefeier kein anderes Urteil zu.

Es mag nun der Einwand erhoben werden, dass es hier um Heil und Unheil der Menschen gehe und nicht um Recht oder Unrecht. Das aber ist kein Gegensatz: Da das kirchliche Recht dem Auftrag der Kirche verpflichtet ist, die Menschen zu Gottes Heil zu führen, ordnet es das Handeln der Diener der Kirche nach Maßstäben, die theologisch begründet sind. Das Grundrecht auf die Sakramente, in Gottes Heilszusage begründet und in den cann. 213 und 912 nachdrücklich festgeschrieben, enthält eine Weisung an diejenigen, denen die Spendung der Sakramente anvertraut ist, und sie gibt ihrer Willkür und ihren Vorstellungen von der Würdigkeit der Gläubigen keinen Raum.

Die Weisung und das Vorbild Jesu sind in der langen Geschichte der Kirche wechselnden Regeln gewichen, die sich nicht immer am Beispiel Jesu orientiert haben. Wenn Kardinal Ratzinger schrieb, die Kirche handele aus Treue zum Wort Jesu, dann konnte er das nur auf die Unauflöslichkeit der Ehe beziehen, aber nicht auf die Praxis der Kommunionverweigerung. Die Regeln, die der Codex Iuris Canonici enthält, entsprechen der Einladung Jesu an jeden, der von ihm das Heil erhofft.

An die Regeln, die das kirchliche Gesetzbuch über den Kommunionempfang aufstellt, haben sich Kommunionspender und -empfänger zu halten. Sie lauten dahingehend, dass sich ein jeder selbst prüfe, bevor er hinzutritt (can. 916). Das Urteil über die Würdigkeit zum Empfang der Kommunion steht niemand anderem zu als dem Empfänger selbst. Dass der Pfarrer einen Gläubigen abweisen müsse, der über die Sündhaftigkeit seines Lebensstandes belehrt worden ist und dennoch die Kommunion empfangen will, ist trotz entsprechender Aussage in der Erklärung des Päpstlichen Rates unvereinbar mit der Lehre der Kirche über die Sünde. Niemand außer dem „Sünder“ selbst kann hinreichend sicher wissen, dass er ein Sünder ist.

Abzuweisen ist nach can. 915 nur der, dessen Absage an Gott für den Kommunionspender sicher, hartnäckig und offenkundig ist. Wer von denen, die sich in einem solchen Zerwürfnis mit Gott befinden, würde um die Eucharistie bitten? Und wem von denen, die um die Eucharistie bitten, dürfte man unterstellen, dass er in einer „Unordnung“ lebt, „die bis zum Bruch mit dem letzten Ziel – Gott – geht, an das er durch die Liebe gebunden ist“ (RecPaen, Nr. 17)? Dem Gläubigen aber, dessen Bruch mit Gott für den Kommunionspender nicht unbezweifelbar sicher ist, ist er die Kommunion zu reichen verpflichtet, nicht aus Barmher­zigkeit, sondern in Erfüllung des ihm anvertrauten Dienstes.

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