Hugo Chávez instrumentalisierte und hasste die Kirche„Aufgefahren in den Himmel“

In erschreckender Konsequenz instrumentalisierte der jüngst verstorbene venezola­nische Staatspräsident Hugo Chávez die christliche Botschaft für seine politischen Zwecke. Wie sich die Beziehungen zwischen dem Chavismus und der Kirche nach dem Tod von Hugo Chávez entwickeln werden, bleibt abzuwarten.

Der Blick schweift über einen paradiesischen Garten, der Ähnlichkeit hat mit den Hochebenen des Südwestens von Venezuela – Natur soweit das Auge reicht. Leichten Fußes schwebt ein Mann mit den typisch venezolanischen Sandalen herbei, mit der traditionellen Trikotjacke von Venezuelas Fußballclub, mit einem sanften Lächeln auf dem Gesicht – Hugo Chávez in persona. Ihn begrüßt ein prominentes Empfangskomitee mit milden Blicken und offenen Armen: Simón Bolívar, Evita Perón, Salvador Allende, Che Guevara und andere namhafte verstorbene Persönlichkeiten der linken politischen Geschichte Lateinamerikas. Dieses Bild der „Ankunft im Himmel“ zeichnete jüngst der staatliche venezolanische TV-Sender ViVe.

Da lag es nicht fern, dass der venezolanische Übergangspräsident Nicolás Maduro vor den Präsidentschaftswahlen am 14. April in seiner Rede zur Eröffnung der internationalen Buchmesse die Wahl des ersten lateinamerikanischen Papstes in direkten ­Bezug zum Tod von Hugo Chávez setzte. „Wir wissen,“ so Maduro, „dass unser Comandante in den Himmel aufgefahren ist und Christus direkt gegenübersitzt. Irgendetwas muss den Ausschlag gegeben haben, dass man einen südamerikanischen Papst gewählt hat.“ Christus habe gesagt, so Maduro, die Zeit für Südamerika ist gekommen. So möge es sein. Es solle nicht wundern, wenn Chávez im Himmel eine Verfassungsgebende Versammlung einberufen würde, um die Kirche auf Erden zu verändern. Daraus werde das reine Volk Christi hervorgehen, das die Welt regieren wird.

Schon zu Lebzeiten war der politische Diskurs des Hugo Chávez geprägt von einer religiösen Sprache, für die die einfache venezolanische Bevölkerung sehr zugänglich ist. Daher verwundert es nicht, dass er bereits vor seinem Tod Eingang in die Volksfrömmigkeit vieler Venezolaner gefunden hat: Keine Seltenheit sind Hausaltäre, auf denen neben den Statuetten der Muttergottes, des Ortsheiligen, des Namenspatrons oder des persönlichen Schutzheiligen eben auch die des „heiligen“ Hugo Chávez steht. Die gottgleiche Verehrung, die unmittelbar nach dem Tod des Präsidenten einsetzte, und die Ankündigung, den Leichnam mumifizieren zu lassen, haben den Kult verstärkt.

Wie kaum ein Politiker wird von einem Großteil der Bevölkerung Chávez nach seinem Tod zu Mythos und Heilsbringer stilisiert. Er hat sogar Eingang in den Kosmos des so genannten María-Lionza-Kultes gefunden – ein Synkretismus, in dem der Katholizismus mit indianischen und afrikanischen Religionen zusammenfließt. Dass er alle Kulturen umspannt, in denen Venezuela wurzelt, und obendrein mit spiritistischen Elementen angereichert ist, macht ihn so bedeutungsvoll. Sogar bis hinein in die „Santería“, eine afroamerikanische Religion, die durch die Präsenz der Kubaner in Venezuela an Bedeutung gewonnen hat, schaffte es der „heilige“ Chávez.

 „Es lebe Chávez, er lebe für immer!“

Ganz im Lichte dieser Verehrung stand auch die kämpferische und hochemotionale Rede, die Maduro am 5. März 2013 hielt, um der Nation mit gebrochener Stimme zu verkünden, dass ihr Comandante gestorben sei. Der Wahlnachfolger des Präsidenten forderte das venezolanische Volk zu Frieden, Respekt und Liebe auf. Diejenigen, die für das Leben sterben, könnten nicht als tot bezeichnet werden, sagte Maduro. „Comandante, wo Sie auch immer sein mögen. Danke, tausend Dank seitens dieses Volkes, das Sie beschützt haben und das Sie liebte. Auf dieser unserer Welt von heute ruht eine Liebe und eine sehr große Anerkennung demjenigen gegenüber, der in seinem Leben die größten und humanistischsten Lebensentwürfe entwickelt hat, die man je in Jahrzehnten der Geschichte des Kampfes unserer Region um ihre Unabhängigkeit gekannt hat. Ehre und Ruhm, Hugo Chávez, es lebe Chávez, er lebe für immer!“

Auch der argentinische Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel schloss sich in seinem Kondolenzschreiben den Worten Maduros an. Er bezeichnete Chávez als „Urheber des Großen Vaterlandes“, der sein Leben aufopferte, um seinem Volk Leben zu geben, indem er darum kämpfte, die Armut, die Ausgrenzung und das Analphabetentum zu verbannen und seinem Volk und dem ganzen Kontinent Hoffnung zu schenken. „Du bist gegangen, ohne zu gehen, du bleibst im Leben und im Herzen deines Volkes und der Völker Amerikas“, so Pérez Esquivel. Sein Tod hinterlasse eine große Leere. Dennoch gelte es, dieses Werk und den Weg fortzusetzen, um gemeinsam weiter an der Hoffnung zu bauen.

Einer der größten Widersacher von Chávez war die katholische Kirche

Abgesehen von seinem politischen Wirken, das viele bis heute in überaus positivem Licht sehen, war Chávez zeitlebens ein charismatischer, begnadeter Kommunikator. Regieren fand während seiner Amtszeit nicht am Kabinettstisch, sondern am Mikrofon und vor der Kamera statt. Er erläuterte dem Volk in einer leicht verständlichen Bildsprache, was gerade auf der welt-, landes-, und regionalpolitischen Bühne passierte und wie er zu handeln gedachte.

Während seiner sonntäglichen TV-Sendung mit dem Titel „Aló Presidente“, die mehrere Stunden dauerte, erteilte er Verfassungsorganen, Ministern und Gouverneuren detaillierte Aufträge oder ermahnte und entließ Mitarbeiter. Wenn auch die Art eines solchen Regierungsstils ineffizient und zeitaufwendig war, machten die Sendungen bei vielen einfachen Bürgern Eindruck. Chávez gab ihnen damit das Gefühl, sie mit einzubeziehen, ein Ohr für sie zu haben und sie ernst zu nehmen. Daneben fühlten sie sich auf der politischen Bühne präsent.

Tatsächlich war aber nur Chávez der Star. Der Glaube an seine Einzigartigkeit (nur er war in der Lage, Venezuela, dem amerikanischen Kontinent, ja der ganzen Welt eine humane Zukunft zu sichern), sein Verlangen nach Bewunderung, die schonungslose Nutzung und Instrumentalisierung anderer und seine intoleranten Verhaltensweisen gegenüber Andersdenkenden, waren Ausdruck seiner Persönlichkeit.

Einer der größten Widersacher von Chávez war Zeit seines Amtes die katholische Kirche. Konsequent und unverblümt beschimpfte der Präsident die Kirche in seiner Fernsehsendung mit sozialistisch anmutenden Vergleichen wie „Opium für das Volk“, sprach vom „Krebsgeschwür der Gesellschaft“ (vgl. HK, Juli 2011, 368 ff.). Die Bischöfe titulierte er als „Putschisten“, „Teufel in Soutanen“ und Teil der korrupten Oligarchie, die sich vom Volk entfernt habe. In seinen Angriffen gegen einen seiner schärfsten Kritiker, den Erzbischof von Caracas, Kardinal Jorge Urosa Savino, traute er sich gar, sich „in personam Christi“ zu versetzen: „Wenn Christus, der ein großer Revolutionär war, in Fleisch und Blut erschiene, würde er Urosa auspeitschen“, sagte Chávez.

Gleichzeitig leistete Chávez 2006 den Amtseid auf „Jesus Christus, den größten Sozialisten aller Zeiten“. Ausgesprochen deutlich kam dieser Anspruch auch in Chávez’ politischer Ikonographie zum Ausdruck. Darin fasste er sich mit Christus, der Muttergottes und Simón Bolívar zu einer Art erweiterten Dreifaltigkeit zusammen. Wandbilder in seinem Regierungssitz zeigten häufig Jesus und die „Virgen de Coromoto”, die Patronin Venezuelas, mit Gewehren zur Verteidigung der Revolution.

Hinter all seinem religiösen Gehabe steckte kein wahrer christlicher Glaube. In einer erschreckenden Konsequenz instrumentalisierte er die christliche Botschaft für seine politischen Zwecke: Er machte sich zum Interpreten des Evangeliums und bekräftigte damit seinen messianischen Anspruch, Priester, Prophet und Lehrer des venezolanischen Volkes in einer Person zu sein.

Doch dieses instrumentalisierte Verhältnis zu Glaube, Religion und Kirche war zu Beginn der Amtszeit von Chávez noch nicht offensichtlich. Als er im Dezember 1998 die Präsidentschaftswahlen gewann, war nicht zu ahnen, wie sich die Beziehungen zwischen Regierung und katholischer Kirche entwickeln würden. Ein Großteil der Gläubigen, viele Priester und Ordensleute und einige Bischöfe hatten auf ein Ende des korrupten Systems gehofft, in dem sich eine kleine Kaste am Ölreichtum bediente und „das Volk“ leer ausging. Sie waren überzeugt, dass es nur besser werden könnte. Chávez’ Versprechen, dass „die Armen“ vom Objekt zum Subjekt der Politik werden würden, entsprach einer alten Forderung der Theologie der Befreiung, die in Venezuela allerdings nie die Rolle spielte wie in anderen Ländern Lateinamerikas. Auch die – theologisch weniger radikale – Katholische Soziallehre, der es um eine Ordnung von Gesellschaft und Wirtschaft aus christlichen Werten geht, fand außerhalb der Kirche nur ein schwaches Echo.

Es dauerte nicht lange, bis die Hoffnungen enttäuscht wurden. So wurde die Kritik vieler, die anfangs mit Chávez sympathisiert hatten, immer lauter: Mit der Verteilung der sprudelnden Einnahmen aus dem Ölexport in Form der „Bolivarischen Missionen“ seien neue Abhängigkeiten geschaffen und eben keine „Inwertsetzung der Armen“ erreicht worden. Die gut gedachte Theorie der Sozialprogramme, die den Armen Alphabetisierungsmaßnahmen, Verbesserungen im Gesundheitswesen und einen erweiterten Wohnungsbau versprachen, zerplatzten wie eine Seifenblase. Zusammen mit der Opposition kritisierte die Kirche die eher bewusste denn fahrlässige Unklarheit vieler gesetzlicher Bestimmungen, die der Willkür der Exekutive Tür und Tor öffnete.

Die Bischöfe als de facto-Opposition

Die Bischöfe wurden nicht müde, immer wieder scharfe Kritik an der Lage Venezuelas zu äußern. In der Schlusserklärung der Vollversammlung 2008 kritisierten sie die Situation wachsender Unsicherheit im Land: Die Kriminalität zeige sich „in der großen Zahl der Morde, Entführungen und darüber hinaus in Delikten gegen Menschen und Einrichtungen“. Die Regierung solle – im Rahmen der Gesetze und unter Achtung der Menschenrechte – dafür Sorge tragen, dass die fundamentalen Rechte der Venezolaner garantiert würden. Die Kritik entstand nicht von ungefähr. Jeden Tag kommen in Venezuela durchschnittlich 44 Menschen durch Mord oder Totschlag ums Leben. Hinzu kommt eine große Zahl von Raubüberfällen mit Verletzten, Entführungen, Gewaltdrohungen und Diebstählen.

Zwischen 2005 und 2010, also in der Zeit, in der die politische Opposition wegen des Wahlboykotts nicht im Parlament vertreten war, war die Venezolanische Bischofskonferenz die einzige Institution, die ihre Stimme kritisch gegen die Regierung und ihre Politik erhob und war damit de facto zur eigentlichen Opposition in Venezuela geworden. Besondere Kritikpunkte waren neben dem populistischen Kurs die Beschränkung der Meinungsfreiheit und der Medien, auch die provokative Rhetorik des Präsidenten, die er besonders gegenüber der Opposition und den USA pflegte, aber auch die Kirche und ihre Vertreter nicht aussparte.

In einem Dokument zur Grundlage für ein Gespräch mit der Regierung bekundeten die Bischöfe 2006 ihre Entschlossenheit, weiterhin in aller Freiheit ihre Evangelisierungsarbeit zum Wohl des gesamten venezolanischen Volkes voranzutreiben. Dabei pochten sie auf ihre Unabhängigkeit sowohl von der Regierung als auch von der Opposition und wehrten sich gegen Angriffe auf die Einheit und Einigkeit des Episkopats. Sie forderten, dass künftig diskreditierende Äußerungen gegenüber einzelnen Bischöfen vermieden werden, und stellten klar, dass ein Dialog nur ohne Beleidigungen in einer Haltung des gegenseitigen Hörens und der Wertschätzung möglich sei.

2010 eskalierte die Situation zwischen Kirche und Regierung erneut, als Kardinal Jorge Urosa erklärte, Venezuela sei auf dem Weg zur Diktatur. Er kritisierte zudem den marxistischen Totalitarismus, von dem die Regierung Chávez inspiriert sei. Chávez bezeichnete den Kardinal daraufhin anlässlich einer öffentlichen Rede zum Nationalfeiertag als seines Amtes unwürdig und als primitiven Höhlenmenschen. Einige Tage später wiederholte Chávez seine Äußerungen und bezog auch alle anderen Bischöfe mit ein. Zur Feier des 200. Jahrestages der Unabhängigkeit des Landes 2011 nahm die Bischofskonferenz in einem Mahnschreiben erneut sehr entschieden Stellung gegen das sozialistisch-marxistische System.

Die Polarisierung des Landes spiegelt sich auch innerhalb der Kirche

Die Haltung der Kirche war trotz mancher Eskalationen bis zum Tod des Präsidenten davon geprägt, so weit möglich propagandistische und ideologische Konfliktpunkte zu vermeiden. Man erreichte dies einerseits durch die Wahl einer Leitung, deren Köpfe unbelastet vom Staatsstreich 2002 waren und gleichzeitig mäßigend auf die Regierung einwirken konnten. Daneben orientierten sich die Verlautbarungen an empirischen Analysen, die für alle nachvollziehbar waren, sowie an einem sachlichen und konzilianten Ton. Zwar gehörte die Venezolanische Bischofskonferenz nie zu den Konferenzen, die durch einen in der Öffentlichkeit ausgetragenen Streit ihrer Flügel Schlagzeilen machten, mehrfach sah sie sich aber genötigt, Äußerungen einzelner Bischöfe als Privatmeinung zu bezeichnen.

Deutlich ausgeprägter sind die Spannungen bis heute in der Priesterschaft. Die Polarisierung des Landes und die Lagermentalität lähmen die notwendigen Aufbrüche innerhalb der katholischen Kirche: Wer neue Wege gehen will, muss sich nicht selten dafür rechtfertigen, dass er „der anderen Seite“ in die Hände spielt. Diese Gruppe „wohlmeinender“ Priester konnte aufgrund ihrer Sympathie gegenüber der Regierung Chávez bei ihren Anliegen weitgehend aus dem Vollen schöpfen. Doch die anfängliche Sympathie unter breiten Teilen der Priester und Ordensleute, aber vor allem auch engagierter Laien scheint großteils verflogen, seitdem die erhofften Reformen für die Armen ausblieben und sich Korruption und Misswirtschaft breitmachten.

Aufgrund des traditionell hohen Anteils staatlicher Zuschüsse ist die Kirche Venezuelas seit Jahrzehnten von der Regierung abhängig. Mit den immer häufigeren und sich verhärtenden Konfrontationen mit Präsident Chávez und seinen Anhängern in den Bundesstaaten und Gemeinden verschärfte sich dies. Die Strategie der Regierung, die gewohnten Zuwendungen für kirchliche Projekte zu verweigern, setzte der Kirche stark zu. Nicht allein die vielen Schulen in kirchlicher Trägerschaft, sondern auch viele kirchliche Einrichtungen im Gesundheitswesen oder der Caritas, tun sich bis heute aufgrund reduzierter Mittel immer schwerer, ihrem Auftrag nachzukommen.

Das Projekt einer bolivarischen Kirche ist gescheitert

Um sich eine Institution religiösen Charakters für seine politischen Zwecke gefügig zu machen, versuchte Chávez, sich den Freikirchen und christlichen Sekten anzunähern, unter anderem mit dem Versprechen, einen Pastor in jeder Militärkaserne anzusiedeln. Doch die Zahl der Anhänger dieser Gruppen blieb bis heute vergleichsweise gering: Rund 85 Prozent der Venezolaner sind nach wie vor katholisch. Als Alternativmodel gründete 2008 eine Gruppe ehemaliger katholischer Priester, lutherischer und anglikanischer Pastoren gemeinsam die „Reformierte Katholische Kirche“, die sich im Einklang mit der sozialistischen Revolution der Regierung versteht. Ihre Gründer sehen in Chávez‘ sozialistischen Idealen die Idee von der Nächstenliebe verkörpert und werfen den katholischen Bischöfen vor, auf der Seite der Opposition zu stehen. Die Reformisten bezeichnen sich als bolivarisch, antiimperialistisch und als „Kirche der Armen“. Auch wenn das Projekt einer bolivarischen Kirche in der venezolanischen Geschichte bereits zum dritten Mal scheiterte, wurde es zu einer Belastungsprobe für die Einheit der katholischen Kirche.

Die Bischofskonferenz Venezuelas kritisierte die neue Kirche als Versuch der Spaltung. Mit dem christlichen Glauben habe diese Kirche nicht viel zu tun, denn die wahre Kirche bringe Christi Botschaft unter die Menschen, ungeachtet deren politischen Auffassungen, erklärte Kardinal Urosa. Diese Gruppe verfolge aber vorrangig politische Ziele. Nach Aussagen des Erzbischofs von Coro, Roberto Lückert, würde die neue Kirche von der Regierung finanziert. Lückert, zu diesem Zeitpunkt Vizepräsident der venezolanischen Bischofskonferenz, gilt als der schärfste Kritiker der Regierung innerhalb der Konferenz. „Während diese Männer hierher kommen und taufen, firmen und sich kleiden wie Priester – alles dies bezahlt die Regierung – leiden die Menschen weiter Hunger und das Problem der Unsicherheit bleibt. Was die Regierung erreichen will, ist das Ende der katholischen Kirche, aber das schaffen sie nicht.“

Wie sich die Beziehungen zwischen dem Chavismus und der Kirche nach dem Tod von Hugo Chávez entwickeln werden, bleibt abzuwarten. Mit Nicolás Maduro trifft die Kirche auf einen Mann, der pragmatisch denkt und Verbündete braucht, um an der Macht zu bleiben. Mit der Kirche könnte es gelingen, die Polarisierung des Landes zu überwinden. Erste Gespräche wurden bereits geführt. Ob die „neue“ Regierung die Kirche bei einem Aufbau und der Gestaltung eines neuen Venezuela, das die Belange der Armen und Ausgegrenzten ernst nimmt, in Freiheit mitgestalten lässt, wird sich zeigen. Gelingen kann dies nur, wenn die Bischöfe geschlossen und einig auftreten und ihre Meinung prophetisch und unabhängig vortragen. Wichtig wäre dabei gleichzeitig, ernsthaft konkrete Wege der Selbstfinanzierung unter Einbeziehung der Gläubigen anzugehen. Dies ist allein deswegen dringend notwendig, um sich von der Abhängigkeit zur Regierung auch mental zu lösen. Zudem schafft es neue Freiräume für eine klare Meinungsäußerung.

Lässt sich ein Personenkult als Weltanschauung institutionalisieren?

Unwägbarkeiten sind die Entwicklung der Wirtschaft und die Versorgungslage der Bevölkerung, ebenso die Sicherheitslage. Die Militärs wie auch Kuba werden ihren Einfluss geltend machen. Auch die Beziehungen zu den Nachbarstaaten, insbesondere zu den „linken“ Regierungen, die in Chávez ihren Anführer sahen, werden nach neuen Persönlichkeiten suchen müssen. Ein Kandidat, der sich aber noch durchsetzen muss, ist Staatspräsident Rafael Correa, der mit seiner Volksrevolution in Ecuador auf sich aufmerksam gemacht hat. In jedem Fall wird auch das Verhältnis zu den USA neu bestimmt werden müssen, die nach ihrem Engagement im Irak und Afghanistan ihren lateinamerikanischen „Vorhof“ vernachlässigt haben.

Definiert man mit Chavismus die Bewegung, die sich mit Hugo Chávez, seiner Politik, seinem Programm und seinem Politikstil identifiziert, dann ist mit dem Tod seines Führers auch der Chavismus in Gefahr unterzugehen. Chávez selbst hatte bereits frühzeitig am Entstehen seines Mythos‘ gearbeitet: Seine Losung „Ich bin nicht ich, ich bin das Volk“ ist ein Hinweis dafür. Nach seinem Tod ist weder den Chavisten noch der Opposition daran gelegen, den Mythos Chávez aufzugeben, der bis dato die treuen Anhänger auch weiterhin an die Regierung bindet. Der vor der Abreise nach Kuba im Dezember 2012 von Chávez bestimmte Nachfolger Nicolás Maduro hat bereits nach Abflug seines Ziehvaters damit begonnen, den Mythos für sich zu nutzen und damit seine Macht insbesondere gegenüber den Rivalen im eigenen Lager – unter anderem gegenüber dem Parlamentspräsidenten Diosdado Cabello, einem ehemaligen Militär – zu festigen.

 „Wir sind Chávez“, skandierten Hunderttausende auf den Straßen von Caracas, nachdem der Tod des Präsidenten bekannt wurde. Doch der auf dem Mythos Chávez gründende Chavismus kann als Regierungsstil nur eine Übergangslösung sein. Wie tragfähig und beständig der Chavismus sein wird, wird sich daran zeigen, ob es gelingt, den Personenkult als Weltanschauung zu institutionalisieren – auch ohne die Figur Chávez. Die PSUV könnte hierfür die notwendige Plattform bieten. Der Chavismus wird sich dabei, wie vor ihm der Peronismus, verändern müssen. Vom Personenkult muss man hin zum Geist des Chavismus kommen.

Doch was bleibt, wenn man den Chavismus von der Person Chávez trennt? In seinem Zentrum standen von Anbeginn an die Hinwendung zu den Armen, deren Status als Subjekt der Politik und die daraus erwachsenen Sozialprogramme. Fehlen wird die Führungspersönlichkeit – und zwar sowohl für Venezuela als auch für ganz Lateinamerika. Es ist davon auszugehen, dass sich auf dem Kontinent eine neue Führungspersönlichkeit herauskristallisieren wird, die ihn prägt, so wie Simón Bolívar, Evita Perón, Che Guevara oder eben auch Hugo Chávez es getan haben. Wenn Venezuela es nicht schafft, sich von Personenkult und Mythos Chávez zu lösen, wird der Chavismus verschwinden. Wenn die Weltanschauung offen bleibt für neue Persönlichkeiten, ist der Nährboden da für eine neue Form dieser politischen Ausrichtung – vielleicht auch mit einem neuen Namen.

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