„Habemus Cantuar“ hätte man in Rom in früh-christlicher Erinnerung nach dem Jubel um den neuen Papst Franziskus aus Argentinien ausrufen können, weil es kurz danach zur Amtseinführung des 105. Primas der Kirche von England kam: Es ist Justin Welby. Der soeben erschienenen Biografie von Andrew Atherstone (Archbishop Justin Welby. The Road to Canterbury, Verlag Darton, Longman & Todd) zufolge war die Familie in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts nach England eingewandert und hatte ihren deutschen Namen Weiler kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu Welby anglisiert.
Sein Vater Gavin Bernard Weiler, 1910 im englischen Ruislip geboren, war ein wohlhabender Kaufmann im Handel von Pfauenfedern. Er war als großer Erzähler von Geschichten bekannt, bei denen man nie wusste, was erfunden war und was nicht. Nach dem Tod des Großvaters im Jahr 1930 segelte Gavin nach Amerika. In den Jahren der Prohibition erzählte er viel von seinen „italienischen Freunden“, seiner Beziehung zur Mafia.
Er heiratete 1934 die Fabrikantentochter Doris Sturzenegger, aber die Ehe war von kurzer Dauer. Danach kam es zu einer Reihe von Liebschaften unter anderen mit der Wimbledon-Tennismeisterin Kay Stammers und der Schauspielerin Vanessa Redgrave; 1952 hatte er ein Verhältnis mit Patricia Kennedy, der Schwester John F. Kennedys. In den fünfziger Jahren versuchte sich Welby zweimal als konservativer Abgeordneter in England, brachte es aber nicht zu der erforderlichen Stimmenmehrheit.
Sohn Justin besuchte bis 1969 die renommierte Privatschule Eton College. Seine Mutter heiratete zum zweiten Mal, standesamtlich, den Bankier und Finanzier Charles Williams, der bald danach auf den Namen Baron William von Elvel geadelt wurde. Gavin Bernard Welby erlag erst 66-jährig dem Alkoholismus. Sein Sohn Justin hatte ihn bis zuletzt gepflegt und war der alleinige Erbe eines ansehnlichen Vermögens.
Ein früher Schicksalsschlag
Nach seiner Schulzeit studierte Justin Geschichte und Jura in Cambridge, wo er die junge Caroline Eaton kennenlernte, die am Newnham College Klassiker studierte. Er erlangte eine gehobene Anstellung als Manager in der französischen Ölfirma ELF. Justin und Caroline heirateten im Dezember 1979 in der Holy Trinity-Kirche in Brompton, in der Justin getauft worden war. Ihre gemeinsamen Interessen brachten beide zur osteuropäischen Bibelmission (EEBM), die sie in einem Campingwagen nach Rumänien schickte, wo damals der Diktator Nicolae Ceauşescu am Ruder war. Ihre Bibeln und andere christliche Literatur waren in einem falschen Boden des Wagens verborgen.
Im Mai 1982 wurde Justin Welby von ELF nach London zurückbeordert. Justin fuhr mit einigen ihrer Möbel aus Paris voran, Caroline folgte ihm auf der Autobahn. Ein junger Freund der Familie saß am Steuer. Die kleine Johanna, sieben Monate alt, war in einer Tragetasche im Rücksitz angebunden. Auf der nassen Autobahn geriet der Wagen ins Rutschen, wobei das Baby auf die Straße geschleudert wurde und starke Verletzungen erlitt, denen es nach fünf Tagen im Krankenhaus in Amiens erlag. Es war für alle eine schwere Zeit gewesen, sagte Justin, die beide jedoch stärker mit Gott verbunden habe.
Sie kehrten zu der kleinen Dreifaltigkeitskirche in Brompton zurück, die in der Nachbarschaft zur großen katholischen Oratory-Kirche liegt. Justin Welbys Wunsch, anglikanischer Priester zu werden war mit Schwierigkeiten verbunden, da der verantwortliche Bischof keinen Hehl aus seinen Reserven gegenüber Justin und seiner Kirchlichkeit machte. Es bedurfte zunächst der Überredung des Bischofs durch den verantwortlichen Priester. Auf die Frage, was er im Falle einer erneuten Ablehnung tun wolle, antwortete Justin, er wolle nach London zurückkehren und seine Frau zu der teuersten Mahlzeit einladen, die sie sich leisten könnten. Erstaunlicherweise wurde Welbys Wunsch nach einer Ausbildung für das Priesteramt dann doch gebilligt.
Ein abenteuerliches Leben
Justin Welbys Studium fand am St. Johns College in Durham statt und dauerte von 1989 bis 1992. Anschließend diente er drei Jahre als Aushilfspriester (Curate) und war danach sieben Jahre lang als Rektor in Southam, Warwickshire tätig. Im Jahr 2002 trat er als Co-Direktor von Canon Andrew White, der später als „Vicar of Bagdad“ bekannt wurde, dem Auslandsteam der Kathedrale von Coventry bei.
Im Mai 2003 fuhren beide in den Irak, wo sie kurz nach dem Sturz von Saddam Husseins Regime eintrafen. Die Reise führte sie zuerst nach Amman in Jordanien, von wo aus sie in militärischer Begleitung die Wüste nach Bagdad durchquerten. Sie wiesen ihren Fahrer an, den gefährlichen Teil der Strecke von Ramadi nach Fallujah so schnell wie möglich zurückzulegen. In Bagdad eingetroffen, wurden sie von den Religionsführern in den Wiederaufbau der anglikanischen St. George’s Kirche eingebunden, die den Bombenkrieg zwar unversehrt überstanden, aber unter Plünderern gelitten hatte.
Danach teilten die beiden Priester die Tätigkeiten auf. Welby konzentrierte sich auf Afrika, speziell Nigeria, das er in seiner Zeit bei ELF Aquitaine in den späten siebziger Jahren kennengelernt hatte. Er wurde von der nigerianischen Regierung gebeten, an den internationalen Verhandlungen im Delta teilzunehmen und die örtlichen Gemeinschaften mit den lokalen Beamten zusammenzubringen.
Diese Tätigkeit in Nigeria und später in Burundi war nicht ungefährlich. Mehrmals rief er bei seiner Frau in Coventry an und bat sie darum für ihn zu beten, weil er vielleicht die Risiken in den Sümpfen des nigerianischen Deltas unterschätzt habe. Ein junger Milizführer war bereits im Begriff ihn hinauszuführen und zu erschießen, worauf schließlich der örtliche „Älteste“ Welbys Freispruch erwirkte. Ein anderes Mal wurde Welby während eines Essens in einem Hotel in Port Harcourt seines Lebens bedroht. Auch teilte man ihm mit, dass ein Preis von 30 Dollar auf ihn ausgesetzt sei, wobei er sich fragte, ob er nun beleidigt sein oder sich fürchten solle.
Im Dezember 2007 wurde Justin Welby zum Dekan der Kathedrale von Liverpool und vier Jahre später zum Bischof von Durham ernannt. Er war kaum vier Monate in diesem Posten tätig, als Rowan Williams seinen Rücktritt als Erzbischof von Canterbury bekannt gab und eine Neuwahl fällig wurde. Welby gab nicht viel auf glamouröses Auftreten. Gerne zitierte er die Frage seines Freundes Sandy Millar von der Dreifaltigkeitskirche in Brompton: „Was hätte wohl der Mann in den Sandalen dazu gesagt?“
Zu den Hauptproblemen, mit denen der neue Primas zu tun haben wird, gehört vor allem die Bischofsweihe von Frauen, die Justin Welby befürwortet, die aber unlängst bei der Abstimmung in der Generalsynode knapp scheiterte (vgl. HK, Januar 2013, 23). Bei der Frage der homosexuellen Priester sollte es ihm darum zu tun sein, die Debatte etwas zu versachlichen. Justin Welby hat ein gutes Verhältnis zu dem nigerianischen Erzbischof Nicholas Okoh, während die amerikanische Episcopal Church eine entgegengesetzte und zwar befürwortende Stellung bezogen hatte. Immerhin hatten beide Kirchen seine Wahl zum Erzbischof von Canterbury gebilligt.
Was viele in der anglikanischen Gemeinschaft mit Vorbehalten erfüllte, ist sein Mangel an Erfahrung, da er nur ein Jahr vor seiner Erhebung zum Erzbischof von Canterbury als Bischof von Durham amtiert hat. Für Anderes jedoch könnte ihm dieser Mangel an Erfahrung zum Vorteil gereichen. Immerhin hat er sich in der kurzen Zeit als Mann von englisch-anglikanischer Ironie erwiesen, die ihm in seinem schweren Amt nur dienlich sein kann.