IslamdialogSind Kirche und Umma vergleichbar?

Inwiefern der Islam sich als Glaubensgemeinschaft versteht, ist gar nicht so leicht zu bestimmen. Das „Theologische Forum Christentum – Islam“ hat sich dieser Frage bei seiner jüngsten Tagung angenommen und nach gegenseitigen Inspirationen von Umma und Kirche gefragt.

Wie Glaube und Gemeinschaft in Chris-tentum und Islam genauer zusammenhängen, hat jüngst das „Theologische Forum Christentum – Islam“ bei seiner Jahrestagung beschäftigt, die im März in der katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Hohenheim zum zehnten Mal stattfand. Mehr als 150 Teilnehmer, darunter wieder annähernd die Hälfte Muslime, widmeten sich drei Tage lang der Fragestellung, welche gegenseitigen Inspirationen Kirche und Umma bieten könnten.

Gleich zu Beginn schon wies Christoph Bochinger, Professor für Religionswissenschaften in Bayreuth, darauf hin, dass die Muslime nicht weniger von den jede Religion herausfordernden gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen betroffen sind. So machte er darauf aufmerksam, dass sich beispielsweise das Phänomen der Individualisierung im Islam gut daran ablesen lasse, wie Internetportale aus dem Boden sprießen, wo sich jeder eine je nach persönlicher Situation genehme „Fatwa“ heraussuchen könne.

Der Begriff Umma changiert

Insgesamt freilich zeigte sich auch, dass Formen der Vergemeinschaftung, die es ermöglichen, bei den Muslimen von der Umma zu sprechen, ohnehin schwieriger zu bestimmen sind, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. So sehr sich „Umma“ als Gegenbegriff zum Topos Kirche im Christentum anbietet: Er ist letztlich weder leicht zu definieren noch theologisch von vergleichbar zentraler Bedeutung. So machte denn gerade auch das innermuslimische Gespräch, das die Vorträge und die Wortmeldungen zu dieser Frage ergeben haben, den Reiz der Veranstaltung aus.

Die Vieldeutigkeit hat im Islam vor allem damit zu tun, dass wie in den anderen beiden monotheistischen Weltreligionen die Gemeinschaftsvorstellungen zwischen den konkreten Gegebenheiten von – mehr oder weniger – gleich glaubenden Menschen und der Utopie einer geeinten Menschheit changieren. Beide Vorstellungen, so Silvia Horsch-Al Saad, Postdoktorandin am Institut für Islamische Theologie in Osnabrück, finden sich im Koran: Er selbst macht das Spannungsfeld zwischen der als „besten“ bezeichneten Gemeinschaft der Muslime (Sure 3: Vers 110) und einer umfassenden Gemeinschaft aller Menschen (etwa 2:213) auf.

Maha El Kaisy-Friemuth, seit kurzem Inhaberin des Lehrstuhls für Islamisch-Religiöse Studien mit praktischem Schwerpunkt an der Universität Erlangen-Nürnberg, hob in ihrem Eröffnungsvortrag über die Semantik von „Umma“ im Koran hervor, dass dieser Begriff, der immerhin 64 Mal verwendet wird, nicht nur als universale, religiöse Gemeinschaft verstanden, sondern bereits religionstheologisch reflektiert wird („Wenn Allah gewollt hätte, hätte er sich ein Volk erschaffen“; 42:8).

Im Hintergrund habe das Judentum mit seiner Volk-Gottes-Vorstellung durchaus Einfluss auf den Propheten in Medina gehabt. Auch die dezidiert ethische Qualifizierung, dass die Umma die Gemeinschaft derer sei, die das Gute suchen und das Böse meiden, fügt sich hier ein. Interessant in diesem Zusammenhang: Selbst wenn die Juden von den Muslimen immer unterschieden wurden, hat man sie zumindest ganz am Anfang auch als Teil der Umma verstanden.

Pluralität islamischer Theologie

Demgegenüber ist freilich mindestens so wirkmächtig die Vorstellung einer Gemeinschaft derjenigen Gläubigen, die sich auf den Propheten Mohammed berufen. Die Umma wird dabei nicht nur verstanden als Solidargemeinschaft aller Muslime heute, sondern auch über die Zeiten hinweg, angefangen von Adam bis heute – was ebenfalls in den anderen monotheistischen Weltreligionen eine Rolle spielt.

Wo genau die Grenzen der Umma verlaufen, ist damit nicht gesagt, vielmehr zwangsläufig umstritten und wird noch einmal durch die Tatsache verschärft, dass es keine „normierende institutionelle Repräsentanz“ gibt, weil der Islam die Unmittelbarkeit Gottes für das Individuum hochhält. Dennoch, so die These von Mohammad Gharaibeh, Wissenschaftlicher Koordinator des Annemarie-Schimmel-Kollegs der Universität Bonn, gibt es Strategien für entsprechende Grenzziehungen: nämlich gerade dadurch, wie die Tradierung von religiösem Wissen funktioniert. Die entscheidende Rolle spielten dabei im sunnitischen Islam die Gelehrten, die einerseits am Auftrag, die göttliche Botschaft zu verkündigen, Anteil haben und selbst wiederum eine Kette von Überbringern bilden.

Die Gültigkeit von Glaubenssätzen wird aus dieser Sicht vom „transregionalen Netzwerk von muslimischen Gelehrten“ gewährleistet. Der entscheidende Punkt ist aufgrund der hoch gehaltenen Gottesunmittelbarkeit des Einzelnen, dass das islamisch-theologische Wissen seit dem Propheten in dieser individuumszent-rierten Überlieferungsstruktur durch die Erteilung von Lehrerlaubnissen (iğaza) gebunden wird: Wissenstradierung geschieht durch Autorisierung.

Pluralität sei deshalb auch das Charakteristikum islamischer Theologie, die sich immer mit Mehrheitsbeschlüssen auseinanderzusetzen habe: Jeder historisch gefundene Konsens binde, die Nachfolgenden müssten sich zumindest mit diesem nicht mehr zu eliminierenden Element der Tradition auseinandersetzen. Auf diese Weise garantiere der Tradierungsprozess die theologische Identität wie auch die Sichtbarkeit der Umma.

Interessant war in diesem Zusammenhang auch der Hinweis auf die große Energie, die gelegentlich darauf verwendet wird, um innerhalb der Überlieferungskette – ähnlich der katholischen Vorstellung apostolischer Sukzession – mit möglichst wenig Schritten nahe an den Propheten heranzukommen. Das Problem des Salafismus, so Gharaibeh, bestehe genau darin, direkt zu den ersten drei Generationen der Übermittler springen zu wollen, dazwischen nur Fehlentwicklungen zu sehen und letztlich zu einem problematischen ahistorischen Verständnis des Glaubens zu kommen.

Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik in Münster, wies vor diesem Hintergrund der kaum zu überschätzenden Bedeutung von Tradierungsprozessen im Islam auch darauf hin, dass jenseits der politischen und juristischen Dimensionen gerade die theologischen Differenzen zwischen Sunniten und Schiiten, aber auch zwischen reformorientierten und traditionellen Strömungen im Islam, die größte He-rausforderung für einen „Traum von der Einheit“ bedeuten.

Vom Sinn der Institution Kirche

Das ist nun auch auf christlicher Seite nicht ohne Parallelen. Gerade in einem ökumenisch organisierten Diskussionsforum mussten angesichts dieses Themas natürlich auch die Grunddifferenzen innerhalb der Ekklesiologie zwischen Katholiken und Protestanten und damit auch die Binnendifferenzierungen in den Diskussionen stärker zum Tragen kommen, als das sonst der Fall ist.

Die katholische Theologin Johanna Rahner, derzeit Professorin für Systematische Theologie in Kassel, definierte Kirche – und dabei nicht nur die eigene – ganz in der Spur des Zweiten Vatikanischen Konzils von ihrer Sakramentalität her. Sie sei eben nur „,Zeichen und Werkzeug Gottes‘ in der Welt“ und in diesem Sinne ganz durch ihre Funktion bestimmt, dem Einzelnen Sinnressourcen für eigene Möglichkeiten des Glaubens anzubieten.

Letztlich müsse das Institutionelle zur Stärkung der Freiheit der Glaubenden dienen, den Glauben in seiner gesellschaftlichen Dimension wirksam werden lassen. Als geschichtlich sich wandelnde sei Kirche „bleibende Gegenwart der Heilszusage Gottes in Jesus Christus durch den Geist“. Dabei müsse die Kirche „Hinweiszeichen wie fragmentarische Vorwegnahme dessen sein, worauf sie verweist“ – gerade weil Gott auch außerhalb der Kirche zum Heil der Menschen wirken wolle.

Der evangelische Theologe Ulrich Dehn, Professor für Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaften in Hamburg, betonte demgegenüber, dass das christliche Dilemma gerade darin bestehe, mehr Traum als Wirklichkeit zu sein. Es gebe die Notwendigkeit, Heterogenität und ein gewisses Quantum an Synkretismus zuzulassen, um genau diese Einheit nicht ständig zu gefährden.

Das gilt freilich auch für die katholische Kirche, wie Hans-Joachim Sander, Professor für Dogmatik in Salzburg, mit Blick auf die konkreten Schwierigkeiten einer Selbstbehauptung angesichts der Globalisierung ausführte: Deshalb sei die viel beschworene Einheit der Kirche auch „ein exzellenter Rohstoff, um die theologisch-politischen Sonderinteressen von machtvollen Minderheiten auszudrücken“.

Hier fielen dann auch Gemeinsamkeiten mit dem politisierten Islam auf: Wie die katholische Communio eine „exzellente Fiktion für die symbolische Repräsentanz des Vatikans“ sei, befördere die Vorstellung einer Umma Fundamentalisierungsschübe. Während jedoch die Umma eher an das Bild des „Volkes Gottes“ mit seiner Netzwerkmetaphorik erinnere, führe der Modus der „Ecclesia“ gar zu einer „spezifischen Gegenüber-Position zur geltenden öffentlich-politischen Herrschaft“.

Mit Blick auf die Tradierungsprozesse in Religionen betonte Sander, dass die katholischerseits viel bemühte Autorität faktisch eher Ergebnis geschichtlicher Vorgänge als die „Eigenschaft von Ämtern“ sei: „Sie kann nicht selbst beansprucht werden, sie wird von anderen zuerkannt.“ Auch wenn die Kirche das lange für sich geleugnet habe, sei ihre Vernetzungsform von Menschen durch Glauben überhaupt nur geschichtlich möglich: „Kirche ist also stets relativ, ständig relativierbar und wird am Ende sogar prinzipiell vom Reich Gottes relativiert.“

Autorität könne deshalb nicht aufbauen, wer Angst habe, sie zu verlieren. Die religiöse Vergesellschaftungsform Kirche drohe ständig, Autorität zu verlieren – paradoxerweise werde dies aber definitiv dort der Fall sein, wo man dieses Risiko scheut. In diesem Zusammenhang müsse die Kirche erst noch lernen, sich von anderen, auch anderen Religionen, her zu begreifen.

Umma als Inspiration?

Zum Verhältnis von Religion und Politik war vor allem in den Workshops etwas zu hören: angefangen von der Frage nach der Trennbarkeit beider Sphären im Islam (Assem Hefny, Marburg) bis zu einer prononciert protestantischen Zuordnung von Christentum, Öffentlichkeit und Verfassungsstaat (Christian Polke, Hamburg).

Während also islamische wie christliche Theologen jeweils innerhalb der eigenen Religion schon um die Zuordnung von Glauben und Welt, Religion und Politik ringen, stand im interreligiösen Dialog in Stuttgart vor allem die Frage im Vordergrund, welche Rolle überhaupt die Gemeinschaft für das Heil der Gläubigen spielt.

In diesem Zusammenhang wurde in Stuttgart über den gerne auf sich selbst bezogenen Erwählungsbegriff diskutiert. Als zu sperrig erschien vielen dabei die Konnotation, dass auf diese Weise andere ausgegrenzt werden – was theologisch, wie Rahner insistierte, bei der Volk-Gottes-Vorstellung gar nicht zwingend der Fall sein müsse. Es dürfe nicht darum gehen, das eigene Auserwähltsein zum Zwecke der Polemik vor sich herzutragen; Erwählung sei kein Privileg, sondern Indienstnahme für den universalen Heilswillen Gottes für alle. Bochinger mahnte weiters, dabei nicht nur Anhänger anderer Religionen, sondern auch die Nicht-Gläubigen im Blick zu haben.

Zahlreich waren daneben jene Wortmeldungen, die im christlich-islamischen Dialog auch Chancen dafür sehen, dass Christen durch die Begegnung mit Muslimen zu einer unmittelbaren Gottesbeziehung inspiriert werden: die Umma gewissermaßen als Inspiration für das allgemeine Priestertum der Gläubigen, auf das mehrfach abgehoben wurde. Bei allen Problemen, die ein politisierter und radikalisierter Islam aufwirft, könnte sich da der in größeren Teilen des Islams entspanntere Umgang mit Pluralität anregender erweisen, als dies in der Breite bewusst ist.

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