Was von den Diskussionen über das neue englische Messbuch zu lernen wäreDie Tücken des Übersetzens

Um eine angemessene sprachliche Gestalt von volkssprachlichen Liturgietexten wird seit dem Konzil gerungen. Aktuelles Beispiel ist die zum Teil hitzig geführte Diskussion um das neue „Roman Missal“, das mit Wirkung vom Ersten Advent 2011 in den USA als neue englisch-sprachige Übersetzung des lateinischen Messbuchs aus dem Jahr 2001 eingeführt wurde. Auch im deutschen Sprachgebiet wird zur Zeit an einer neuen Übersetzung gearbeitet.

Die Verwendung der Volkssprache in der Feier der Liturgie gilt gemeinhin als eines der wichtigsten Merkmale der nachkonziliaren Liturgiefeier in der römisch-katholischen Kirche. Mag dabei auch das häufig zu hörende Diktum, das Zweite Vatikanische Konzil habe das Latein in der Liturgie abgeschafft, in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ (SC) so unmittelbar keine Entsprechung finden (vgl. SC 36 §2), so ist dennoch sicherlich das Empfinden, das sich in solchen Aussagen Ausdruck verleiht, korrekt: Die Zulassung der Volkssprache in der Liturgie stellt eine bedeutsame und nach außen hin wahrnehmbare Konsequenz der nachkonziliaren Liturgiereform dar.

Vorgaben des Konzils zur Sprache der Liturgie

Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Zulassung der Volkssprache in der Liturgie durch das Zweite Vatikanische Konzil? Zunächst ist davon auszugehen, dass der vom Konzil in SC 36 § 2 angeratene „weitere Raum“, der der „Muttersprache“ (lingua vernacula) zugebilligt wird, neben pastoralen Gründen („nützlich“) auch liturgietheologische Gründe hat. Dabei steht der in SC 14 eingeführte Begriff der „participatio actuosa“, der tätigen Teilnahme, als liturgietheologischer Beweggrund aller durch das Konzil angeregten Liturgiereform im Vordergrund: Wenn das Volk Gottes Träger der Liturgie ist, dann versteht es sich von selbst, dass die Riten und Texte der Liturgie so beschaffen sein sollten, dass sie der „vollen, bewussten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern“ dienlich sind. Das Konzil spricht außer von der „participatio actuosa“ auch noch von der „participatio conscia“ (SC 14, 79), der „participatio facilis“ (SC 79) und der „participatio plena“ (SC 14, 21, 41). Dabei darf die „participatio conscia“, die „bewusste Teilnahme“ wohl so gedeutet werden, dass das Konzil eine Teilnahme der Gläubigen im Sinn hatte, die sich durch Wissen, Kenntnis und Bewusstsein der in der Liturgie ausgedrückten Inhalte auszeichnet.

Die „participatio conscia“ würde also dort verhindert, wo liturgische Texte das Verständnis von Glaubensinhalten erschweren oder gar unmöglich machen. Wenn diese liturgietheologischen Überlegungen des Konzils aber die Begründung liefern für die Verwendung der Volkssprache, dann ist der Begriff einer – wie auch immer gearteten – Liturgiesprache nur funktional, also von der Liturgie her zu bestimmen. Primäres Kriterium für die in der Liturgie verwendete Sprache wäre dann ihre Funktionalität. Umgekehrt könnte und dürfte – als negatives Kriterium – Sprache, die diese Teilnahme erschwert oder verhindert, in der Liturgie keine Verwendung finden. Damit ist aber auch ausgeschlossen, dass es sich bei liturgischer Sprache um eine Fachsprache – vergleichbar etwa der Wissenschaftssprache der universitären Theologie – handelt, denn es geht um die Teilnahme aller Gläubigen.

Schon diese allerersten Überlegungen zeigen, dass das Konzept einer künstlich und neu zu schaffenden „Sakralsprache“ für die Feier der Liturgie, wie sie stellenweise in jüngerer Zeit wieder gefordert wird, vor dem Hintergrund der konziliaren Liturgietheologie äußerst kritisch zu sehen ist.

Die Sprache für die Liturgie nennt das Konzil „lingua vernacula“, im deutschen Text mit „Muttersprache“ übersetzt, besser wohl mit „Volkssprache“ wiedergegeben, um eine Verwechslung von „Muttersprache“ mit „Erstsprache“ zu vermeiden. Unter „Volkssprache“ wäre somit die gesprochene Umgangssprache als Sprache des täglichen Lebens zu verstehen.

Das grundlegende Problem bei der Untersuchung liturgischer Gebetstexte in der römisch-katholischen Kirche besteht darin, dass es sich zumeist nicht um – aus eben dieser Volkssprache neu geschaffene – Eigenorationen handelt, sondern um die Übersetzung oder Übertragung bereits tradierter lateinischer Gebetstexte, so genannte Orationen, in die jeweilige Volkssprache. Da es sich aber bei den meisten lateinischen Orationen um Zeugnisse einer hochstilisierten Sprachform handelt, ist zu fragen, inwieweit diese vorgegebene Stilebene auch für die Übertragung der Texte in volkssprachliche Fassungen bindend ist.

Auskunft ist hier zunächst von der Übersetzerinstruktion „Comme le Prévoit“ aus dem Jahre 1969 zu erwarten, wo es heißt: „Die verwendete Sprache soll die des täglichen Umgangs sein, also angepasst an die Gesamtheit der Gläubigen (…). Da­raus folgt nicht, dass diese Sprache vulgär sein dürfte; ,denn sie muss immer der hohen Wirklichkeit würdig sein, die sie ausspricht‘ (…) und literarisch tadellos. Auf der anderen Seite macht der Gebrauch der Umgangssprache keineswegs eine Einführung der Gläubigen in den besonderen biblischen und christlichen Sinn bestimmter Worte und Sätze überflüssig.“

Hier findet sich das Übersetzungsprinzip der „dynamic equivalence“. Dieser Terminus steht im englischen Sprachraum geradezu als Synonym für die von „Comme le Prévoit“ (1969) vorgesehene Übertragung von Texten aus dem Lateinischen in die jeweiligen Volkssprachen. Er lässt sich im Deutschen mit „dynamische Entsprechung“ nur sehr ungenau wiedergeben. Am ehesten trifft dies, dass die Übersetzerinstruktion eine Übertragung (!) im Gegensatz zu einer wortgetreuen „Übersetzung“ von Texten in die Volkssprache intendiert.

Mit dem Erscheinen der „V. Instruktion zur ordnungsgemäßen Durchführung der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie“ mit dem Titel „Liturgiam Authenticam“ aus dem Jahr 2001 hat sich dies grundlegend geändert (HK, Juli 2001, 333 ff.). So fordert die neue Übersetzerinstruktion eine vollständige und genaue Übersetzung der lateinischen Originaltexte des römischen Ritus und untersagt etwaige Auslassungen und Hinzufügungen. Auch Anpassungen an die jeweiligen Eigenheiten der verschiedenen Sprachen sind bei der Übersetzung der lateinischen Texte mit Bedacht und Vorsicht durchzuführen (Art. 20–23). Maßgeblich für die Übersetzungen ist lediglich der Originaltext (Art. 24), die Übersetzungen haben so auszufallen, dass sie auch von weniger gebildeten Menschen verstanden werden (Art. 25), ein sakraler Stil, den die Übersetzerinst­ruktion von 1969 ausdrücklich vermeiden wollte, wird nun sogar empfohlen, was auch die Verwendung veralteter Wörter aus dem jeweiligen Wortschatz einschließt (Art. 27).

Selbst der hypotaktische Satzbau des Lateinischen mit seinen komplexen Partizipialkonstruktionen und seinen verschachtelten Konstruktionen aus Haupt- und Gliedsätzen soll im übersetzten Text beibehalten werden (Art. 57). Mehrfach wird betont, dass die Übersetzungen, sogar der Allgemeinen Einführungen zu den jeweiligen liturgischen Büchern, „ad litteram“ zu geschehen haben, also: „wortwörtlich“.

Die Geschichte der Übersetzungen des „Missale Romanum“ ins Englische ist eng verbunden mit der Arbeit der Kommission „ICEL“. Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich die „International Commission on English in the Liturgy” aus insgesamt elf englischsprachigen Bischofskonferenzen. Die ICEL hatte in den Jahren 1969 bis 1972 bereits die erste Messbuch-Übersetzung erstellt, die unter dem Titel „Sacramentary“ 1973 erschien und seither im liturgischen Gebrauch war. In den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts arbeitete die ICEL an einer Revision der Übersetzung, der jedoch in den neunziger Jahren die vatikanische Gottesdienstkongregation die Zustimmung verweigerte. Mit dem Erscheinen von „Liturgiam Authenticam“ 2001 änderte sich die Arbeitsweise der ICEL grundlegend, und eine Kommission „Vox Clara“ erhielt als Bindeglied zwischen den Bischofskonferenzen und der Kongregation die Oberaufsicht über die dann neu zu erstellende Messbuch-Übersetzung, die 2010 von Papst Benedikt XVI. konfirmiert und eben mit Wirkung vom Ersten Advent 2011 in den Gemeinden eingeführt wurde.

Nun werden im englischen Sprachraum zur Zeit erste Erfahrungen mit den neu übersetzten Texten des neuen „Roman Missal“ gesammelt, die zum Teil wenig ermutigend sind und heftig diskutiert werden. In einer Umfrage des „Center for Applied Research in the Apostolate“ (CARA) drückten zwar 70 Prozent der befragten Messbesucher ihre Übereinstimmung aus mit der Aussage: „Insgesamt halte ich die neue Übersetzung der Messe für eine gute Sache.“ Davon äußerten 20 Prozent sogar starke Zustimmung („strongly agree“), und lediglich 30 Prozent lehnten diese Aussage ab, davon 7 Prozent stark („strongly disagree“).

Allerdings relativieren sich diese Ergebnisse, die selbst hierzulande zuweilen vorschnell als „weitgehende“ Akzeptanz der neuen Messbuchübersetzung interpretiert wurden (vgl. Gottesdienst, Nr. 6/2013, 54), wenn man sich vor Augen führt, dass eine fast identische Zahl von Messbesuchern von 63 Prozent nur moderate (23 Prozent) bis kleine Unterschiede (40 Prozent) zwischen der alten und der neuen Übersetzung der Messbuchtexte überhaupt wahrgenommen hat und 31 Prozent der Befragten sogar meinten, die Texte seien weitgehend gleich geblieben (lediglich 6 Prozent äußerten die Meinung, die Texte hätten sich in größerem Umfang verändert).

Was dieses Ergebnis, dass über 90 Prozent der Messbesucher die textlich zum Teil gravierenden Unterschiede in der neuen englischsprachigen Übersetzung des Messbuchs kaum bis gar nicht wahrgenommen haben, über die vom Konzil geforderte „participatio conscia“ aussagt, sei hier nur als bleibende kritische Anfrage an die Notwendigkeit (und offenbaren Grenzen) der liturgischen Bildung erwähnt. Vielleicht vermag ein solches ernüchterndes Ergebnis auch manche bei uns zur Zeit sehr hitzig verlaufende Diskussion etwas zu beruhigen und zu einer größeren Gelassenheit verhelfen im Umgang mit den Fragen an eine neue deutsche Messbuchübersetzung (vgl. Christ in der Gegenwart, Nr. 14 /2013, 143 f.).

Etwas differenzierter fallen denn auch die Ergebnisse einer Umfrage vom Februar 2013 der in London erscheinenden Zeitschrift „The Tablet“ unter fast 6000 Lesern aus Großbritannien, Irland und den USA aus: Hier wurden neben normalen Gottesdienstbesuchern auch die den Feiern vorstehenden Priester befragt (rund 21 Prozent der Befragten) und im Gegensatz zur CARA-Umfrage als solche in den Ergebnissen der Umfrage auch klar identifiziert. Von den befragten Priestern lehnen immerhin 70 Prozent die neue Übersetzung ab; zwei Drittel stören sich am das Latein imitierenden Sprachstil der neuen Übersetzung und erachten diese als nicht gebetsgemäß, und 72 Prozent beschreiben deren Sprachstil als zu unterwürfig („obsequious“) und als vom liturgischen Vollzug eher ablenkend.

Insgesamt zeigt die Umfrage in „The Tablet“ ein sehr differenziertes, aber auch widersprüchliches Bild: 47 Prozent aller Befragten äußern eine generelle Zustimmung zur neuen Übersetzung, 51 Prozent lehnen sie ab, eine Unentschiedenheit, die sich in einzelnen Detailfragen fortsetzt, etwa was den formelleren Sprachstil der neuen Übersetzung betrifft: 49 Prozent positiv, 47 Prozent negativ (vgl. www.thetablet.co.uk/blogs/468/26).

Beispiele einer divergierenden Übersetzung

Ein besonders umstrittenes Beispiel ist etwa die Übersetzung des liturgischen Grußes zu Beginn der Messfeier. Lautete dieser im „Sacramentary“ von 1973: „Priest: The Lord be with you. People: And also with you.“, so heißt es nun im neuen „Roman Missal“ von 2011: „Priest: The Lord be with you. People: And with your spirit.

Nun dürfte den Mitgliedern der ICEL auch in den Jahren 1969–1972 von ihrer Kenntnis der lateinischen Sprache her klar gewesen sein, dass „And also with you“ eine allenfalls sehr freie Wiedergabe des lateinischen „Et cum spiritu tuo“ darstellt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich auch in den englisch-lateinischen Zwischenmissalien der unmittelbaren Nachkonzilszeit (1964/1966) bereits die (wörtlich übersetzte) Antwort: „And with your spirit“ findet. Diese wurde also in der Übergangszeit von 1964 –1973 in der gefeierten Liturgie verwendet und erst im Jahr 1973, mit der Publikation des neuen „Sacramentary“, entsprechend abgeändert. Es lässt sich rekonstruieren, dass die Übertragung „And also with you“ zunächst von einer gemeinsamen ökumenischen Kommission zur Erstellung liturgischer Texte (ICET) vorgeschlagen und dann von der ICEL, als Teil der gemeinsamen ökumenischen Texte für die Feier der Liturgie, übernommen wurde.

In den Folgejahren übernahmen die Antwort „And also with you“ auch Anglikaner, Methodisten und Lutheraner für ihre jeweiligen neuen liturgischen Bücher. Wenn sich mit dem neuen „Roman Missal“ 2011 die Antwort auf den liturgischen Gruß nun im Bereich der römisch-katholischen Kirche ändert, so wird dies von außen betrachtet naturgemäß als anti-ökumenischer Affront angesehen. Warum man allerdings 1973 die Notwendigkeit sah, den damals schon fast 10 Jahre lang (ein-)gebeteten Text, der eine wörtliche Übersetzung des Lateinischen darstellt, abzuändern, lässt sich im Nachhinein wohl nicht mehr exakt eruieren.

Überhaupt darf man an dieser Stelle bereits festhalten, dass die genaueren Intentionen der Arbeit von ICEL an der Erstauflage des „Sacramentary“ von 1973 bei einzelnen Übersetzungen im Detail nur schwer nachzuvollziehen sind. Klar und einsichtig ist lediglich die Orientierung am Prinzip der „dynamic equivalence“. Gerade Art. 34 von SC, der betont, die Sprache solle „der Fassungskraft der Gläubigen angepasst“ sein, hatte für das englische Sprachgebiet naturgemäß noch einmal eine besondere Bedeutung, da viele Migranten Englisch als Zweitsprache verwenden und in dieser nun auch Gottesdienst feiern.

Veränderungen finden sich auch im (Großen) Credo der Messfeier. Hieß es bisher im „Sacramentary“ von 1973: „We believe in one God, the Father, the Almighty, maker of heaven and earth, (…). We believe in one Lord, Jesus Christ, the only Son of God (…) begotten, not made, one in Being with the Father. (…) by the power of the Holy Spirit he was born of the Virgin Mary, and became man.“, so lautet der Text nun im „Roman Missal“ 2011: „I believe in one God, the Father almighty, maker of heaven and earth (…) believe in one Lord Jesus Christ, the only begotten Son of God (…) begotten, not made, consubstantial with the Father; (…) and by the Holy Spirit was incarnate of the Virgin Mary, and became man.“

Diese textlichen Veränderungen im Credo wurden breit diskutiert. So entspricht die Änderung von „We believe“ zu „I believe“ gerade nicht der Tradition, denn das Nicaeno-Constantinopolitanum ist im Originaltext in der Wir-Form formuliert. Die Änderung von „one in Being“ zu „consubstantial“ als Übersetzung des griechischen „homoousios“ ist analog zu sehen zur Änderung des „he was born of the Virgin Mary“ hin zu „was incarnate of the Virgin Mary“. Beide Neuübersetzungen sind im engeren Sinne keine Übersetzungen, sondern sind Neologismen, neu geschaffene Lehnworte, die ihre Herkunft aus dem Lateinischen nicht verbergen können (und wollen).

Ob eine solche Treue zur lateinischen Vorlage wirklich dem Verständnis des übersetzten Textes dienlich ist, darf indes angezweifelt werden. Hinzu kommt, dass ausgerechnet der erste Fall, das lateinische „consubstantialem Patri“, in „Liturgiam Authenticam“ Nr. 53 als Beispiel genannt wird, bei dem man überlegen solle, hier freier zu übertragen, anstatt wortwörtlich zu übersetzen. Die bisherige englische Übersetzung „one in Being with the father“ erfüllt demnach die Bedingungen von „Liturgiam Authenticam“. Dies wirft dann aber die Frage auf, warum sie dennoch geändert wurde.

Versuch eines Fazits: Lernen aus Erfahrung

Die Sprache, in der wir in der Liturgie beten und singen, ist nichts Beliebiges. Die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen im englischen Sprachraum um die Neuübersetzung des „Roman Missal“ zeigen dies eindrücklich. Ausnahmslos alle Autoren, die sich hier öffentlich zu Wort gemeldet haben, betonen dabei allerdings positiv, dass selten in der jüngeren Kirchengeschichte so intensiv um die Liturgie gerungen wurde. Sie alle sehen dies als ein positives Zeichen an – Liturgie und die Sprache, in der diese gefeiert wird, sind vielen Gläubigen und den für die Feier der Liturgie Verantwortlichen keinesfalls gleichgültig.

Man darf sagen, dass die beteiligten Bischofskonferenzen die Einführung der englischen Neuübersetzung als Kairos erkannt haben und diesen nun nutzen zu einer beispielhaften konzertierten Aktion liturgischer Katechese. Mag auch aus europäischer Sicht der Pragmatismus, der hier vorherrscht, erstaunen, der eher an den bekannten Grundsatz „to make the best of a bad job“ gemahnt. Positiv wird man festhalten können, dass sowohl Bischöfe als auch Liturgiewissenschaftler sich ihrer Verantwortung bewusst sind und diese Situation aktiv nutzen, um das Beste daraus zu machen.

Man wird im Rückblick auf nahezu 50 Jahre Liturgiereform, die wir in diesem Jahr mit dem 50. Jahrestag der Promulgierung der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ feiernd begehen, sagen dürfen, dass es vielleicht wirklich zu blauäugig und naiv war, anzunehmen, mit der Einführung der volkssprachlichen Liturgie sei die Feier dieser Liturgie nun verständlich und damit nahezu selbsterklärend.

Die Erfahrungen der Praxis und ein leider weitverbreitetes Unverständnis für Sinn- und Feiergestalt der Liturgie legen eher den Umkehrschluss nahe: Durch die volkssprachliche Liturgie sind die Defizite in der liturgischen Bildung noch deutlicher zutage getreten. Insofern wäre die Frage, wie man auch im deutschen Sprachgebiet die Einführung eines neuen Messbuchs nutzen kann, um, mit Hilfe von liturgischer Katechese, die liturgische Bildung bei den für die Liturgie verantwortlichen Hauptamtlichen (Pfarrern, Diakonen und Laientheologinnen und -theologen) wie bei den Gläubigen zu vertiefen.

Die grundlegende Frage, wie viel Einheitlichkeit in der Liturgie und damit auch in der liturgischen Sprache notwendig ist, damit der Gottesdienst noch als Gottesdienst der einen römisch-katholischen Kirche wahrgenommen wird, und wie viel Vielfalt möglich ist, damit er zugleich authentischer Glaubensausdruck der feiernden Ortskirche ist, wird dabei nicht einmal und für alle Zeiten zu beantworten sein. Die hier formulierte Spannung, dies lehrt auch die Erfahrung mit dem neuen „Roman Missal“, ist nicht einfach nach einer Seite hin aufzulösen.

Die Übersetzung und Übertragung von liturgischen Texten in Volkssprachen sind und bleiben vor diesem Hintergrund ein mühsames Unterfangen, da diese Volkssprachen lebendigem Wandel unterworfen sind. In der Zeit unmittelbar nach dem Konzil musste die Kirche erst lernen, so der australische Liturgiewissenschaftler Tom Elich, der als langjähriges Mitglied der ICEL auf die Zeit der Entstehung des „Sacramentary“ von 1973 zurückblickt: „Wie betet man in der Volkssprache?“ Man dachte damals im englisch-sprachigen Raum wohl, man müsse die Sprache der Liturgie möglichst einfach und schlicht halten, damit diese im hörenden und mitfeiernden Vollzug besser verstanden werde.

Elich beschreibt den Lernprozess der vergangenen 40 Jahre wie folgt: „Wir haben im englischsprachigen Raum erst durch unsere Erfahrung mit der volkssprachlichen Liturgie gelernt, dass eine größere Komplexität und ein größerer Reichtum der Sprache durchaus möglich und auch wünschenswert sind. Die Übersetzungen der ICEL für die Liturgie haben sich dementsprechend weiterentwickelt und verändert“ (in: Compass 36 [2002] 29–34, hier 34). Der fatale Eindruck der Gläubigen in Teilen der englischsprachigen Welt, man habe 40 Jahre lang „falsch“ gebetet, ist deshalb mit dem ehrlichen Verweis auf einen Lernprozess im Umgang mit volkssprachlicher Liturgie unbedingt zu vermeiden.

So mehren sich zur Zeit die Stimmen im englischsprachigen Raum, das neue „Roman Missal“ ebenfalls kritisch zu evaluieren und es dort, wo die gemachte Erfahrung lehrt, dass Texte schlicht unverständlich, nicht sprechbar und auch nicht betbar sind, einer erneuten Revision zu unterziehen (so etwa George Wilson in: Worship 86 [2012] 544). Dies würde freilich, so etwa Autoren wie Rita Ferrone, Mark Francis und Bruce Morrill, mit einschließen, auch die Übersetzungsprinzipien der Instruktion „Liturgiam Authenticam“ einer kritischen Revision zu unterziehen, wenn durch die Anwendung derselben zumindest in Teilen volkssprachliche Texte entstehen, die sich für die tätige Teilnahme der Gläubigen an der Feier der Liturgie (SC 14, 48 u.ö.) als unbrauchbar erweisen (vgl. www.praytellblog.com).

Weder das am Ersten Advent 2011 neu eingeführte „Roman Missal“ noch ein gerade im Übersetzungsprozess befindliches neues Messbuch für das deutsche Sprachgebiet werden aller Voraussicht nach die letzten ihrer Art sein. Insofern bieten die gemachten Erfahrungen, auch diejenigen negativer Art, durchaus die Chance, hieraus für die Zukunft zu lernen.

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

Die Herder Korrespondenz im Abo

Die Herder Korrespondenz berichtet über aktuelle Themen aus Kirche, Theologie und Religion sowie ihrem jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld. 

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen