Welche Parteienkonstellation nach der Bundestagswahl am 22. September dieses Jahres die Regierung in Deutschland stellen wird, ist eine spannende Frage. In einem Punkt dürfte man sich mit der Voraussage allerdings auf sicherem Boden bewegen: Es stehen danach keine grundlegenden Veränderungen bei der rechtlichen Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche an. Auf beiden Seiten gibt es nach wie vor einen breiten Konsens für den Status quo, jedenfalls was das Grundsätzliche anbelangt.
Gleichzeitig ist die Szene unverkennbar in Bewegung. Zum einen beginnt sich das Spektrum der Abmachungen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften durch Verträge von Bundesländern mit der islamischen Gemeinschaft zu erweitern, wie etwa das Beispiel Hamburg zeigt (vgl. HK, September 2012, 436). Zum anderen gibt es immer wieder einzelne Vorstöße in Parteien, die auf einen Abbau vermeintlicher Privilegien der großen Kirchen beziehungsweise auf eine stärkere Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften zielen, so beispielsweise in der sächsischen FDP.
Die Diskussion macht sich nicht erst heute vor allem an drei Themen fest: Dem kirchlichen Arbeitsrecht, dem Kirchensteuersystem und den Staatsleistungen an die Kirchen. Kann und soll es weiterhin bei der Regelung von Arbeitsverhältnissen den „Dritten Weg“ der Kirchen geben, und wenn ja, in welchen Bereichen? Wie lässt sich begründen, dass die Finanzierung der Kirchen weitgehend durch eine vom Staat eingetriebene Kirchensteuer erfolgt? Und sind allgemeine staatliche Zuschüsse an die Kirchen noch zu rechtfertigen, gerade angesichts der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung?
Bei genauerem Hinsehen wird schnell deutlich, dass sich die Dinge nicht über einen Leisten schlagen und auch nicht unter einem plakativen Label wie „kirchliche Privilegien“ subsumieren lassen. Beim Arbeitsrecht sind die Kirchen selber dabei, das bestehende System zu überprüfen, ohne es grundsätzlich über Bord werfen zu müssen. Die Kirchensteuer ist als leistungsbezogener kirchlicher Mitgliedsbeitrag zwar kein Evangelium, lässt sich aber als bewährte Art der Kirchenfinanzierung durchaus verständlich machen, natürlich vorausgesetzt, die Kirchen können nachweisen, dass sie mit den Kirchensteuermitteln sinnvoll und mit der gebotenen Umsicht umgehen. Bei den Staatsleistungen schließlich handelt es sich um ein kompliziertes Konglomerat von Einzelregelungen, deren eventuelle Ablösung entsprechende Verhandlungen erfordert.
Die Kirchen befinden sich insgesamt auf diesem Feld in einer Verteidigungshaltung, und das ist bei realistischer Betrachtung auch gar nicht anders denkbar. Die religiös-weltanschauliche Zusammensetzung der Bevölkerung in der Bundesrepublik hat sich zu ihren Ungunsten verschoben, damit ist auch der gesellschaftliche Rückhalt schwächer geworden, auch wenn es keinen aggressiven Laizismus als nennenswerte Größe gibt. Dass es nach der Wiedervereinigung gelungen ist, das traditionelle deutsche System der Staat-Kirche-Beziehungen auf die neuen Bundesländer zu übertragen, ist erfreulich. Aber es verändert nichts an der schwieriger gewordenen Gesamtsituation.
Dennoch wird der Beitrag, den die Kirchen für das gesellschaftliche Gefüge in Deutschland leisten, sei es im sozialen oder kulturellen Bereich, in der Breite auch weiterhin anerkannt, was sich nicht zuletzt bei den politischen Eliten, vor allem in den großen Volksparteien, widerspiegelt. Mit diesem Pfund können die großen Kirchen in der Diskussion über ihr rechtliches Verhältnis zum Staat durchaus wuchern.
Das setzt allerdings Sensibilität für gesellschaftliche Veränderungen wie Flexibilität in Bezug auf einzelne Regelungen etwa in den Bereichen Arbeitsrecht oder Staatsleistungen voraus, nicht zuletzt auch ein abgestimmtes Vorgehen zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Sie sitzen ja in dieser Hinsicht im gleichen Boot, unabhängig von den erheblichen Unterschieden in ihren Strukturen als Glaubensgemeinschaften.
Staatskirchenrechtliche Fragen sind für die Kirchen und ihre Botschaft in jedem Fall Nebenkriegsschauplätze oder müssten es zumindest sein. Gleichzeitig ist und bleibt es ihr gutes Recht, bewährte Regelungen gegenüber vorschneller und überzogener Kritik von innen wie von außen in Schutz zu nehmen.