Die Kritik des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz am Beschluss des Bundesverfassungsgerichts war deutlich. Anfang Juni hatte das Gericht den Ausschluss Eingetragener Lebenspartnerschaften vom so genannten steuerrechtlichen Ehegattensplitting als verfassungswidrig erklärt. Erzbischof Robert Zollitsch hielt den Verfassungsrichtern entgegen: „Die katholische Kirche lehnt die Gleichbehandlung von Ehe und Eingetragenen Lebenspartnerschaften ab.“
Das Rechtsinstitut der Ehe habe nicht nur die Partnerschaft zwischen Frau und Mann allein zum Bezugspunkt, sondern auch das Ehepaar, das Elternpaar geworden sei und Sorge und Verantwortung für Kinder trage. Auf diese Weise bilde die Ehe die Keimzelle der Gesellschaft. „Daher gehört es auch zur Grundstruktur des verfassungsrechtlichen Eheverständnisses, dass die Ehe von einer Frau und einem Mann eingegangen wird. Denn Ehe und Familie sind wesenhaft miteinander verknüpft.“
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßte dagegen die Entscheidung, das Ehegattensplitting im Steuerrecht auch auf Eingetragene Lebenspartnerschaften auszudehnen. Es sei ethisch geboten, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Verantwortungsbereitschaft in allen Formen des Zusammenlebens zu stärken, erklärte Vizepräsident Friedrich Hauschildt vom EKD-Kirchenamt. Dazu leiste die Rechtsform der Eingetragenen Lebenspartnerschaft einen wichtigen Beitrag. Regelungen im Vermögens-, Unterhalts-, Versorgungs- und Steuerrecht, die dieses verbindliche Zusammenleben stärken, sollten mithin auch unterstützt werden.
Die Vielfalt ist der Normalfall
Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Verantwortungsbereitschaft in allen Formen des Zusammenlebens müssen gestärkt werden. Dies ist auch die zentrale Aussage oder Forderung einer Orientierungshilfe des Rates der EKD zum Thema Familie, die Mitte Juni veröffentlicht wurde. Der Appell, „Familie als verlässliche Gemeinschaft zu stärken“, so der Untertitel der Orientierungshilfe, ist dabei gleichermaßen adressiert an Gemeinden, Einrichtungen und Organisationen der Kirche beziehungsweise der Diakonie wie an Staat und Gesellschaft. Mit „Fürsorge“, ein weiterer Zentralbegriff der Orientierungshilfe, ist dabei der besondere Dienst beschrieben, den die Mitglieder solcher verlässlicher, verbindlicher und verantwortungsbereiter Gemeinschaften aneinander leisten und damit auch für die Gesellschaft als Ganzer.
Vor drei Jahren hatte der Rat der EKD eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe eingesetzt, um über die Familienpolitik zu beraten und schließlich diese 160 Seiten umfassende Orientierungshilfe zu erstellen. Geleitet wurde die Arbeitsgruppe von der früheren sozialdemokratischen Bundesministerin für Familie, Christine Bergmann, und der emeritierten Frankfurter Soziologin Ute Gerhard.
Mit der Orientierungshilfe will der Rat der EKD, so dessen Vorsitzender Nikolaus Schneider, einerseits deutlich machen, „wie wichtig die Leistungen sind, die Familien erbringen“. Zum anderen solle die Orientierungshilfe auch Mut machen, einander als „Gottesgeschenk zu entdecken, einander verlässlich zur Seite zu stehen und miteinander verantwortlich und verbindlich Zukunft zu gestalten“.
Vor der detaillierten Auseinandersetzung mit aktuellen Brennpunkten der Familienpolitik setzt sich die Orientierungshilfe grundlegend mit dem Wandel der Familienformen selbst auseinander, ebenso aber auch mit dem Wandel der Bilder und Vorstellungen zu Ehe und Familie in Kirche und Gesellschaft. Familie, das seien heute nach wie vor Eltern (ein Elternteil oder zwei) mit ihren leiblichen, Adoptiv- oder Pflegekindern. Familie, das seien aber auch die so genannten Patchwork-Familien, die durch Scheidung und Wiederverheiratung entstehen, das kinderlose Paar mit der hochaltrigen, pflegebedürftigen Mutter und das gleichgeschlechtliche Paar mit den Kindern aus einer ersten Beziehung.
Ausführlich wird dabei beschrieben, wie sich das Bild und Ideal von Familie im Laufe der Geschichte verändert hat und welche Auswirkungen die historischen Veränderungen für die Rechtsgestalt von Familie hatten und haben. Dabei geben die Familienexperten zu bedenken, dass eine breite Vielfalt von Familienformen, historisch betrachtet, den Normalfall darstelle. Die bürgerliche Familie als Ideal habe sich erst im 18. Jahrhundert entwickelt durch die Trennung von männlicher Erwerbsarbeit und weiblicher Familiensphäre mit Haushalt und Kindererziehung.
Vielfalt auch bei den biblischen Bildern
Die weit reichenden Änderungen im Familienrecht der letzten Jahre folgten einerseits dem Strukturwandel der Familie und tragen der neuen Vielfalt der Familienformen Rechnung. Andererseits würden diese rechtlichen Änderungen Regelungen vorgeben, die der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorauseilten. Die nachhaltigste Veränderung sei dabei die Anerkennung eines erweiterten Familienbegriffs, der nicht nur die traditionelle Kleinfamilie, sondern auch alternative Lebensformen unter den institutionellen Schutz von Artikel 6 des Grundgesetzes stelle; ausschlaggebend hierfür sei einerseits das Kindeswohl, andererseits die Gleichberechtigung aller Mitglieder der Familie, die nun neben Frauen auch Kinder einbeziehe.
Der Titel der Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ fasst dabei zur Formel, unter welchen hohen Erwartungen oder in welchem Spannungsverhältnis Ehe und Familie heute stehen: „Obwohl sich in den westlichen Gesellschaften ein hohes Autonomieideal des Individuums entwickelt hat, bleibt Familie der Raum der Gemeinsamkeit und des Füreinander-da-sein, in dem Halt und Liebe erfahren werden können“ (Nr. 5).
Auch die „Theologische Orientierung“ innerhalb der Orientierungshilfe hebt darauf ab, „dass die Bibel im Alten und Neuen Testament das familiale Zusammenleben in einer großen Vielfalt beschreibt“ (40). Von diesen vielfältig beschriebenen Formen des Zusammenlebens seien aus heutiger Sicht sicherlich einige leichter, andere schwerer nachvollziehbar. „Angesichts der Vielfalt biblischer Bilder und der historischen Bedingtheit des familiären Zusammenlebens, bleibt entscheidend, wie Kirche und Theologie die Bibel auslegen und welche Orientierung sie damit geben.“ Ein normatives Verständnis der Ehe als „göttliche Stiftung“ und eine Herleitung der traditionellen Geschlechterrollen aus der Schöpfungsordnung entspreche in jedem Fall nicht der Breite des biblischen Zeugnisses.
Nach der Erinnerung daran, dass bei aller Wertschätzung auch für Martin Luther die Ehe „ein weltlich Ding“ gewesen, und sie eben auch kein Sakrament wie Taufe und Abendmahl sei, gelangt der Text zu dem Fazit: Aus dem evangelischen Verständnis „erwächst eine große Freiheit im Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen, die angesichts der Herausforderungen der eigenen Zeit immer wieder neu bedacht und auch erst errungen werden muss (48)“. Das zeige sich im Umgang mit Scheidungen und Geschiedenen genauso wie mit Alleinerziehenden oder auch gleichgeschlechtlichen Paaren.
Gesellschaftliche Emanzipationsprozesse hätten die Ordnungen von Ehe und Familie ebenso verändert wie Geschlechterrollen, Beziehungen und Konventionen. Das alles gehe aber nicht ohne Verunsicherungen und Auseinandersetzungen vor sich. „Vielleicht ist auch deshalb der Wunsch, Liebe verbindlich und verantwortlich zu gestalten und den gemeinsamen Weg unter den Segen Gottes zu stellen, nach wie vor so stark“ – auch bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.
Tabu: Gewalt in der Familie
Insgesamt, so ein Fazit der Situationsbeschreibung, würden heute Familien weniger als Rechtsgemeinschaften mit festen Rollen von Mann und Frau, Eltern und Kindern verstanden. Sie seien unterschiedlicher geworden und veränderten sich weiterhin. Dennoch aber funktionierten sie und entwickelten ihre eigene Stärke: Familien seien nach wie vor sinnstiftender Lebensraum und Orte verlässlicher Sorge. „In Familien werden unverzichtbare Leistungen für Wirtschaft und Gesellschaft erbracht und sozialer Zusammenhalt gestiftet. Sie stehen nach wie vor an erster Stelle, wenn Menschen in Notlagen geraten.“ Andererseits werden Familien auch vor immer neue Erwartungen und Anforderungen gestellt und fühlen sich zum Teil erheblich überfordert. Manche Familie zerbreche auch unter dieser Überforderung von innen wie von außen.
Als familienpolitische Brennpunkte in diesem Sinne identifiziert die Orientierungshilfe unter anderen: den hohen Zeitdruck, unter dem Paare und Familien heute leben müssen (in diesem Kontext findet sich ein flammendes Plädoyer für die Rückgewinnung einer Sonntags-Kultur); die nur mühsame Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und familiärer Sorge, die nach wie vor besonders Frauen belaste; ein immer noch in hohem Maße von der sozialen Herkunft abhängiger Bildungserfolg der Kinder; das Armutsrisiko von Familien besonders mit mehreren Kindern und die Generationen-Solidarität im Kontext des fortschreitenden demographischen Wandels.
Angesprochen wird aber beispielsweise auch das Thema „Gewalt in der Familie“, ein Tabu; bis in die späten achtziger Jahre sei das Ideal der Familie doch geprägt vom Bild einer harmonischen, gewaltfreien Beziehung gewesen. Schließlich kommt auch das durch Migration bedingte Nebeneinander oder Miteinander verschiedener „Familienkulturen“ zur Sprache.
Aus der Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Brennpunkten folgt schließlich die detaillierte Forderung nach einer Familienpolitik „als neuer Form sozialer Politik“. Diese hat, der Orientierungshilfe zufolge, vor allem der Tatsache Rechnung zu tragen, „dass verlässliche Sorgearbeit für die vorangegangene und die nachkommende Generation einen wichtigen, bislang nicht ausreichend berücksichtigten Beitrag zum Bruttosozialprodukt leistet“.
Nicht zuletzt formuliert der EKD-Text auch einen ganzen Katalog, wie Kirche und Diakonie die verschiedenen Formen von Familie stärken können und müssen. Denn die Kirche sei nach wie vor eine wichtige Ansprechpartnerin für Familien. Mit ihren Kasualien, Festen und Feiern begegne sie Familien in Übergangsituationen, mit ihren Tageseinrichtungen für Kinder, Jugendtreffs und Schulen biete sie Orte für Bildung, Erziehung und Begegnung, mir ihren diakonischen Diensten begleite sie in Krisensituationen.