Der Bluttest auf Trisomie 21 und die PränataldiagnostikEinfach, aber gefährlich

Der seit einem Jahr zur Verfügung stehende Bluttest auf Trisomie 21 verschärft die Problematik, die der Pränataldiagnostik innewohnt. Für Schwangere steigt der ­gesellschaftliche Druck, nur ein umfassend getestetes Kind zur Welt zu bringen. In dieser Situation kommt den Ärzten und der medizinischen Beratung eine zentrale Bedeutung zu.

Wenn bislang eine schwangere Frau mit einem auffälligen Ultraschallbefund konfrontiert wurde, der auf ein mögliches Kind mit Trisomie 21 hinwies, hatte sie die Möglichkeit, diesen Verdacht mittels Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) weiter abklären zu lassen. Die Fruchtwasseruntersuchung aber bedeutet eine hohe Gefahr für das ungeborene Kind, weil die Untersuchung (Einführung einer Punktionsnadel in das Fruchtwasser) mit einer Sterblichkeitsrate von 1 Prozent für das ungeborene Kind einhergeht.

Diese Gefährdung des Kindes lässt sich heute vermeiden. Seit August 2012 gibt es nämlich einen von der Konstanzer Firma „Lifecodexx“ entwickelten Bluttest (Praena-Test), mit dem man ab der 12. Schwangerschaftswoche ohne weitere Gefährdung des Kindes und allein durch eine Blutabnahme bei der Schwangeren untersuchen kann, ob bei dem Kind Trisomie 21 vorliegt.

In den Medien wurde der Praena-Test als Fortschritt gefeiert. Der Hersteller betonte, dass der Test ohne Gefahren eine Diag­nose ermögliche und dafür nicht zu verurteilen sei. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass damit der Bluttest eindeutig positiv beurteilt werden müsste. Die Fruchtwasseruntersuchung zu ersetzen, ist unbezweifelbar ein hochrangiges moralisches Ziel. Für eine ethische Einordnung kann man die begrüßenswerten Implikationen des Praena-Testes nicht ignorieren, zugleich aber muss man sich davor bewahren, diesen Test als bloße Harmlosigkeit abzutun. Ihn als harmlos einzustufen, liegt ja geradezu nahe, weil das Positive so evident ist und die Probleme, die dieser Test mit sich bringt, nur sehr subtil erfassbar sind.

Der Test als Selbstverständlichkeit?

Die Marketingstrategie der Firma hat funktioniert. Die Einführung des Testes erfolgte sehr behutsam, und das hat ihm auch die weitgehende Akzeptanz verschafft. Behutsam, weil er zunächst nur für Schwangere mit einem entsprechenden Risikoprofil offiziell gedacht ist und weil er zunächst relativ viel Geld kostet (1200 Euro), das die gesetzliche Krankenkasse nicht übernimmt. Doch die eigentliche Brisanz des Testes liegt in seiner scheinbaren Harmlosigkeit. Gerade weil er so harmlos daherkommt, kann er sich am Ende als Trojanisches Pferd erweisen, wenn man nicht einen besonnenen Umgang mit ihm pflegt. Denn die Einfachheit und die leichte Handhabbarkeit – so viel kann man bereits heute sagen – könnte à la longue den Test zu einem Routineverfahren machen und seinen unbekümmerten Einsatz fördern: „Je risikoloser die Untersuchungsverfahren werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie routinemäßig eingesetzt werden“, so hat es der Sonderpädagoge Markus Dederich auf den Punkt gebracht (Behinderung, Medizin, Ethik, Bad Heilbrunn 2000, 264).

Es besteht also die Gefahr, dass sich der Praena-Test bald schon als Screeningmethode etablieren könnte. Und genau das ist der wunde Punkt des Testes. Heute ist es vor allem der Preis, der verhindert, dass er zur Routineuntersuchung wird. Schon ist aber im Gespräch, dass der Preis um die Hälfte gesenkt werden soll. Wenn der Preis sinken sollte oder die Kassen den Test übernehmen – einige private Kassen tun das schon – dann könnte sich schnell ein Automatismus einschleichen.

Die Einfachheit des Testes ist so übertölpelnd, dass er sozusagen als einfacher Problemlöser zur Anwendung kommen könnte. Der vermeintlich harmlose Test geht mit einem Versprechen einher. Er verspricht der Schwangeren eine ungefährliche Sicherheit und Gewissheit. Und dabei wird zuweilen übersehen, dass der einfache Test die Schwangere oft geradezu unvorbereitet in eine schwierige Situation stürzt. Der Test tritt auf als Problemlöser, und doch ist er bei positivem Befund der Urheber einer Dilemmasituation. Denn bei positivem Befund muss die Schwangere plötzlich eine Frage von Leben und Tod beantworten, die sie oft überfordert. So besteht die Gefahr, dass die volle Tragweite der vermeintlich ungefährlichen Blutuntersuchung der Schwangeren erst dann bewusst werden könnte, wenn sie das Ergebnis nicht mehr ignorieren kann.

Aber ist das nicht eine Situation, die wir bei jeder pränatalen Diagnostik haben, auch bei der Fruchtwasseruntersuchung? Warum soll der Praena-Test hier ein besonderes Problem ausmachen? Es ist vollkommen richtig, dass die Entscheidungssituationen, in die die Schwangeren hineingestürzt werden, in beiden Fällen gleich sind. Bei der Amniozentese wie beim Bluttest müssen sie über Leben und Tod entscheiden. Der besondere Unterschied besteht darin, dass die Amniozentese, gerade weil sie gefährlich ist, von vornherein einen anderen Reflexionsprozess in Gang setzt als der Bluttest. Man geht an die Entscheidung zur Amniozentese eben vorsichtig, behutsam, abwägend heran. Und das ist gut so.

Man befasst sich automatisch mit den Folgen der Amniozentese, weil man das für die abzuwägende Entscheidung zwangsläufig mitreflektieren muss. Der Praena-Test aber suggeriert, dass es solcher schwieriger Abwägungen im Vorhinein gar nicht mehr bedarf, weil es ja „nur“ ein ungefährlicher Bluttest sei. Die Gefahr des Testes liegt also gerade in der drohenden Unbekümmertheit, mit der er Anwendung finden könnte – weil diese Unbekümmertheit trügerisch wäre. Wenn aber der Test sukzessive sich als eigene Screeningmethode, als ein Routineverfahren, etablieren sollte, dann wird er zu einem gefährlichen Test, und das Gefährliche liegt zunächst an der fehlenden Beratung, die bei einer automatischen Vorschaltung des Testes zu kurz kommen könnte.

Ein Kind mit Trisomie 21 als vermeidbares „Übel“

Doch der Test birgt noch eine zweite Gefahr, die noch viel subtiler ist. Auch diese hängt mit der ihm inhärenten Tendenz zur flächendeckenden Verbreitung zusammen. Denn wenn der Test sukzessive zu einem sozusagen selbstverständlichen Bestandteil der Pränataldiagnostik auch bei Nicht-Risikoschwangerschaften werden würde, so hätte das enorme gesellschaftliche Auswirkungen.

Die ärztliche Entscheidung lebt davon, und ihre Güte bemisst sich genau danach, dass sie jeweils bezogen auf die unverwechselbare Situation der betroffenen Schwangeren eine Antwort zu geben versucht. Die medizinische Indikation zur Amniozentese ist das Resultat vieler Gespräche und Abwägungen, und bei all diesen Abwägungen steht die leitende Frage im Raum: Wie kann man der Frau und dem ungeborenen Kind helfen? Die Fruchtwasseruntersuchung ist eine Methode, die diese Hilfe im Blick haben muss, um überhaupt von einer medizinischen Indikation zu sprechen. Eine Hilfe, die darin bestehen kann, dass man womöglich noch etwas machen kann für das Kind, wenn man herausfindet, dass es eine Krankheit hat oder Hilfe auch und gerade für die Schwangere, damit sie sich einstellen kann auf das Kind, Gedanken machen kann über ihre eigene Belastbarkeit.

Wenn wir nun den Bluttest auf Trisomie 21 zur Routineuntersuchung werden ließen, so wäre dies nunmehr keine singuläre Entscheidung bezogen auf die unverwechselbare Situation der einen konkreten Schwangeren, sondern es wäre ein Standardverfahren, das durch die Standardisierung eine Botschaft transportiert: Es ist nicht nur im Einzelfall, sondern generell gut und begrüßenswert, wenn man diesen Test macht. Doch wenn es generell gut sein soll, diesen Test zu machen, haben wir mit einer solchen Verselbstverständlichung des Testes nichts anderes zum Ausdruck gebracht als dass es selbstverständlich sei, sich vor einem Kind mit Trisomie 21 zu schützen.

Das ist der zweite wunde Punkt des Praena-Testes, dass seine drohende Routinisierung eine unterschwellige Tendenz bedeutet, das Leben mit Trisomie 21 als ein grundsätzlich verhinderbares „Übel“ zu betrachten. Diese implizite Botschaft ist genauso verdeckt wie gefährlich, weil hier der Eindruck entstehen könnte, dass es der Medizin ja dann gar nicht mehr primär um die Hilfe für in Bedrängnis geratene Menschen ginge, sondern einfach um eine Fahndung nach normabweichendem Leben. Aber warum soll die Medizin nach normabweichendem Leben fahnden? Trisomie 21 ist ja keine Krankheit, die man therapieren kann. Warum fahndet gerade die Medizin dann danach?

Soziale Erwartungen an die Schwangere

Wenn die Medizin die medizinische Indikation zum Bluttest auf Trisomie 21 allein deswegen stellt, weil Trisomie 21 eine genetisch bedingte Behinderung darstellt, dann ist das nichts anderes als eine subtile Form von Eugenik. Das heißt nichts anderes als dass bei einer Routinisierung des Testes der Arzt im Grunde gar nicht mehr das ungeborene Kind in seiner ihm eigenen Individualität betrachtet, sondern das Kind reduziert auf seinen genetischen Befund. Mit der etwaigen Routinisierung des Praena-Testes würde die Medizin selbst zum Ausdruck bringen, dass sie das Leben mit Trisomie 21 für ein Übel hält, das man vernünftigerweise verhindern muss.

Nun könnte man zu Recht einwenden, dass es nicht die Medizin ist, die den Test fordert, sondern dass es die Gesellschaft ist, die von der Medizin letzten Endes gar fordert, dass sie dafür sorgen möge, nur gesunde Kinder auf die Welt zu bringen. Es wäre also eher die soziale Erwartung und nicht die Medizin, die hier das Grundproblem darstellte.

Hier gilt es zunächst zu bedenken, dass es eine Korrelation gibt zwischen sozialer Erwartung und medizinischem Angebot. Es sind die diagnostischen Angebote der Medizin und vor allem die Tendenz zur Verharmlosung dieser Angebote, die entsprechende Erwartungen an die Medizin erst aufkommen lassen. Gerade deswegen ist es Ausdruck ärztlicher Verantwortung, schon im Vorhinein über die sozialen Auswirkungen der medizinischen Interventionen und Diagnostiken nachzudenken, um durch eine sorgsame Anwendung dieser Angebote doch noch das Schlimmste zu verhindern.

Die Selbstverständlichkeit, mit der ein solcher Test als grundsätzlich indiziert angesehen werden würde, ist also das Problem. Daher bedarf es eines reflektierten Umgangs mit dem Praena-Test in der Medizin. Und zum reflektierten Umgang gehört die Mitreflexion des größeren Kontextes, in dem der Praena-Test diskutiert werden muss. Der größere Kontext ist der sonstige Umgang mit der Pränataldiagnostik und der Umgang mit Menschen mit Behinderungen.

Sinnvolle Pränataldiagnostik ist Bestandteil einer guten Frauenheilkunde. Bei richtiger Handhabung dient die Pränataldiagnostik, so ihr ursprünglicher Sinn, primär dazu, die Befürchtungen und Sorgen der Schwangeren abzubauen und sie auf den weiteren Verlauf der Schwangerschaft vergewissernd einzustimmen. Es gehört also zur Sorgfaltspflicht des Arztes, die Pränataldiagnostik anzubieten. Trotzdem hat sie ihre Schattenseiten. Diese ergeben sich aber nicht aus der Pränataldiagnostik per se, sondern resultieren letztlich aus ihrer Handhabung. Je mehr nämlich das Durchmustern des Ungeborenen zur Routine wird und je detaillierter die Informationen sind, die man über das Kind bekommt, desto eher wird das Gegenteil dessen erreicht, was eine gute Pränataldiagnostik bewirken sollte.

Denn bei einer unreflektierten und schematischen Handhabung führt die Pränataldiagnostik nicht zu der erwünschten Vergewisserung, sondern allzu oft zu einer Verunsicherung der Schwangeren. Dies kann zu einer schweren Belastung werden, und nicht selten führt die kleinste diagnostische Unsicherheit zur vorsorglichen Beendigung einer Schwangerschaft. Die Kehrseite der für sich genommen segensreichen Pränataldiagnostik zeigt sich also dort, wo der Zustand der guten Hoffnung, wie man die Schwangerschaft früher genannt hat, nur noch zum Problemzustand wird.

Das ungeborene Kind ist heute zum Projekt geworden, weil viele werdende Eltern den Eindruck haben, dass die breite Gesellschaft von ihnen implizit erwartet, dass sie Sorgfaltspflichten einhalten. Selbst als Schwangere unterliegen Frauen heute einem Perfektionsdruck von außen und sie haben dafür zu sorgen, dass sie „makellose“ Kinder auf die Welt bringen. Tun sie das nicht, so haben sie etwas falsch gemacht oder gelten zumindest als fahrlässig.

Stellt man also die Pränataldiagnostik und den Praena-Test in einen größeren Kontext, so muss mitbedacht werden, dass hier die implizite Verankerung einer neuen Erwartung an die werdenden Eltern wirkmächtig wird. Eine Erwartung, die sie ganz subtil, aber doch dazu zwingt, sich konform zu zeigen mit dem gesellschaftlichen nur maskiert formulierten Ideal des eigenverantwortlichen und berechnend-rational entscheidenden Bürgers, der die Pflicht hat, Leben mit Behinderungen in jedem Fall zu „verhindern“. Und zwar eben nicht, weil dies am ehesten den verinnerlichten Wertvorstellungen der Schwangeren entspräche, sondern weil das Verhindern als eine rationale und logische Konsequenz aus einem positiven Genbefund gilt. Es wird also suggeriert, als wäre es irrational, nicht nur nicht zu testen, sondern auch bei positivem Befund sich „dennoch“ für das Kind zu entscheiden.

Der Test bedeutet die Einführung einer neuen Normalität

Die Einführung subtiler neuer Normalitäten ist also das Grundproblem. Es ist ein Trend entstanden, wonach die Entscheidung für oder gegen den Test und somit auch die Entscheidung für oder gegen das ungeborene Leben nach dem Vorbild ökonomischer Rationalitäten ausschließlich als eine strategische Entscheidung verstanden wird, bei der es nur um die berechnende Abwägung geht, aus der sich eine eindeutig rationale Schlussfolgerung ziehen lässt. Dies hat Barbara Duden in einer nicht zu überbietenden Klarheit auf den Punkt gebracht, mit ihrer Formulierung, dass im Kontext der Pränataldiagnostik das ungeborene Kind „fast wie ein Aktienpaktet verhandelt (wird), (…) das je nach Wachstumschancen gehalten oder abgesetzt werden soll“ (Der Frauenleib als öffentlicher Ort, München 2007, 38).

Wenn also das ungeborene Kind eine negative Bilanz zwischen versprechendem Glück und erwartbarem Leid (für die Eltern!) verheißt, so wird es rechtfertigungsbedürftig es zu behalten, weil dies scheinbar als irrational gilt. Es ist also nicht weniger als die unterschwellige Einführung einer ökonomischen Rationalität im Umgang mit menschlichem Leben, das die Brisanz der Problematik ausmacht. Darum gehört eben auch, dass all diese Entscheidungsnotwendigkeiten vollkommen individualisiert werden. Es ist die schwangere Frau, der die Last all dieser Entscheidungen auferlegt wird, und es ist sie, die auf diese Weise verantwortlich gemacht wird für das Resultat. Es ist die schwangere Frau, die durch diese vielen Angebote letzten Endes belastet wird, weil ihr suggeriert wird, dass ganz gleich wie sie entscheidet, sie verantwortlich gemacht werden wird. Das Fatale daran ist, dass alles verheißungsvoll beginnt. Den Frauen wird am Anfang implizit vermittelt, es sei vernünftig, sich Gewissheit zu verschaffen mit genetischen Daten.

Oft wird allein aus dem Gefühl der Unsicherheit heraus dann abgetrieben, und 92,8 Prozent der Frauen, die einen positiven Genbefund auf Trisomie 21 erhalten, entscheiden sich für die Abtreibung. Und doch muss man sich dabei eingestehen, dass man über den Menschen, dessen Leben man da beenden möchte, im Grunde nichts weiß. Wir kennen einen Genbefund, aber was teilt er uns über das Wesen dieses ankommenden Menschen mit? Viele Eltern sagen, sie wollten „so ein Leben“ ihrem Kind nicht zumuten, als ob der Genbefund ihnen nach Art eines antiken Orakels mitgeteilt habe, dass dieses ungeborene Kind sein Leben unerträglich und unzumutbar finden werde.

Man mag durch den Test wissen, dass das Kind eine Behinderung tragen wird, aber was sagt uns der Gentest denn tatsächlich über den Menschen, der unendlich viel mehr sein wird als eine Behinderung? Von der Behinderung, die das Kind trägt, wird es natürlich geprägt sein, aber ein Mensch ist mehr als seine Behinderung. Ein Mensch ist nicht seine Behinderung. Er ist vielmehr ein Mensch mit unzähligen Merkmalen und Eigenschaften, zu denen auch eine bestimmte Behinderung gehören mag, von der wir allein vom Genbefund her meist gar nicht wissen, wie ausgeprägt sie sein wird. Unter Berufung auf diagnostische Ergebnisse maßen wir uns aber an, etwas über das Wesen und zugleich über das Leben eines Menschen zu wissen, was wir gar nicht wissen können.

Wir überschätzen die Aussagekraft objektiver Befunde; wir glauben, mit einem Genbefund hätten wir das Geheimnis Mensch gelüftet, und dabei haben wir lediglich mit einem kleinen Lichtkegel ein Detail aus dem unüberschaubaren Kosmos beleuchtet, den dieser Mensch darstellt. Hier wird zu wenig bedacht, dass jedes Kind eine Überraschung und ein Neuanfang ist, den wir niemals vollständig vorhersehen und erfassen können. Wir wissen nicht, wie sich ein Kind mit seiner Behinderung fühlen wird. Wir wissen nicht, wie es ihm gehen wird, wie das Kind seine Umwelt prägen und verändern wird.

Schwangere gut beraten

Und auch das Umgekehrte gilt: In jedem vorgeburtlichen Test wird ein leises Versprechen laut, und das Versprechen ist nicht nur, Sicherheit zu erlangen über die Trägerschaft eines bestimmten Genmerkmals, sondern ist viel verheißungsvoller, denn mit der Testung ungeborener Kinder erhoffen sich die Eltern nicht weniger als eine Garantie, dass das Kind auch gesund sein wird. Der Ausschluss einer genetischen Krankheit wird von den Schwangeren oft gleichgesetzt mit der Zuschreibung von Gesundheit. Das ist eine enorme Überfrachtung der Aussagekraft genetischer Befunde und letzten Endes eine hingenommene Irreführung der Paare. Insofern versprechen diese Tests mehr als sie leisten können, und es ist Aufgabe der Medizin, die Paare auf diese tief verwurzelten Missverständnisse hinzuweisen.

All diese Überlegungen sollen verdeutlichen, in welchen größeren Kontext der Praena-Test gestellt werden muss, wenn man dessen Handhabung beurteilen möchte. Wir leben in einer Zeit, in der eine soziale Erwartung an die Schwangeren so wirkmächtig ist, dass viele sich nicht trauen, sich dieser Erwartung zu entziehen. Umso wichtiger ist es, dass im ärztlichen Gespräch die Schwangeren gut beraten werden. Der Praena-Test erfordert vom Arzt, dass er einen weisen Rat erteilt. Und er kann das nur nach Beschäftigung mit der Schwangeren. Dafür muss ihm Zeit gegeben werden. Aufgabe des Arztes ist es, der Schwangeren dazu zu verhelfen, dass sie eine wohlüberlegte Entscheidung trifft, die bestenfalls ein Leben lang trägt. So wäre es kein weiser Ratschlag, wenn der Arzt suggerierte, als wäre der Praena-Test selbstverständlich, weil er als rational gilt. Die Beratung muss ergebnisoffen, sie darf nicht direktiv sein. Aber ergebnisoffen darf nicht so verstanden werden, dass man sich nicht engagiert für die Schwangere und ihr Kind.

Ein guter Arzt muss die Not der Schwangeren als Auftrag sehen, sich persönlich zu engagieren, um gemeinsam eine für die Schwangere gute Lösung zu finden. So hat der Arzt unter anderem die Aufgabe, der Schwangeren, vor dem Test, erst einmal zu verdeutlichen, was es heißt, gegebenenfalls ein Kind mit Trisomie 21 zu haben. Die meisten Schwangeren, die ein Kind mit Trisomie 21 abtreiben, haben nur rudimentäre Erfahrungen mit diesen Kindern. Sie folgen vielmehr der verinnerlichten sozialen Erwartung.

Daher kommt gerade den Ärzten und der medizinischen Beratung eine zentrale Bedeutung zu. Die Ärzte sind es, die realisieren müssen, dass viele Schwangere nicht entschieden, sondern verunsichert sind, Angst haben, nach menschlicher Beratung dürsten. Und die menschliche Beratung kann hier nur darin bestehen, die Frage des Lebens mit einem Kind mit Trisomie 21 als grundsätzlich offene Frage stehen zu lassen und die Schwangeren anzuhalten, sich ein lebensnahes und differenziertes Bild des Lebens mit dieser Behinderung zu verschaffen, indem zum Beispiel Kontakt geknüpft wird mit entsprechenden Familien oder Selbsthilfegruppen. Denn es wäre ein Verrat an den Schwangeren, wenn man ihnen suggerierte, als sei die Antwort auf die Frage doch so einfach, weil die Gesellschaft von ihnen nur eine Antwort erwartet.

Die Gefahr des Praena-Testes liegt darin, dass durch die Etab­lierung einer scheinbar so einfachen Methode vielen Schwangeren es noch schwieriger als bisher gemacht werden wird, sich dem Automatismus einer genetischen Kontrolle ihres Kindes zu entziehen. Daher muss gerade im Zeitalter des Praena-Testes den Schwangeren das Rückgrat gestärkt werden, damit sie eine Entscheidung treffen können, die ihrem eigenen Lebenskonzept entspricht und die nicht nur Resultat einer verinnerlichten sozialen Erwartung ist. Dass dies auch in der Zukunft eine Herausforderung bleiben wird, zeigt sich schon daran, dass es erste Hinweise darauf gibt, dass bald schon nicht nur die Trisomie 21 mittels Bluttest diagnostiziert werden kann, sondern in absehbarer Zeit geradezu das gesamte Genom des Kindes. Dies zeigt auf, dass der Bluttest auf Trisomie 21 nur der Beginn einer neuen Ära sein könnte, in der es immer rechtfertigungsbedürftiger werden wird, wenn man ungetestete Kinder zur Welt bringt. Ob wir aber eine solche Welt tatsächlich wollen, darüber müssten wir heute schon nachdenken.

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