Spätestens seit der Fertigstellung des Untersuchungsberichts über „Vatileaks“, den Benedikt XVI. in Auftrag gab, kursiert in der katholischen Kirche das Wort von den „homosexuellen Netzwerken“ in der Kurie und in der Kirchenleitung. Papst Franziskus hat das Stichwort der Sache nach in einem Gespräch mit den Oberen der Frauen- und Männerorden von Lateinamerika aufgegriffen – der Inhalt des Gespräches wurde bisher vom Vatikan nicht dementiert. Er spricht von einer „schwulen Lobby“ in der Kurie, von der die Rede sei, und bekräftigt, dass es sie tatsächlich gibt. Damit wird von höchster Stelle bestätigt, was in der Kirchenberichterstattung der letzten Jahre immer wieder Thema war: Die Kirche habe ein besonderes Problem mit Männerbünden im Klerus – wobei nicht ausgeschlossen ist, dass diese auch mit nicht-klerikalen Kreisen vernetzt sind.
Missbrauchsdebatte und Homosexualität
Es ist kein Zufall, dass das Jahr 2010 die Debatte um „schwule Netzwerke“ in und um den Klerus der katholischen Kirche neu entfacht hat. Die Kirchenleitung trägt dafür selbst einen erheblichen Teil der Verantwortung. Noch im selben Frühjahr 2010 schloss Kardinal Tarcisio Bertone mit seinen Thesen über den Zusammenhang von Homosexualität und sexuellem Missbrauch an einer Argumentationsstrategie an, die in der katholischen Kirchenleitung viele Jahre lang die strategische Antwort auf die Missbrauchsskandale darstellte: „Entfernt die Schwulen aus dem Klerus, dann haben wir keine sexuellen Übergriffe mehr“, oder um es mit den Worten des verstorbenen Fuldaer Erzbischofs Johannes Dyba zu sagen, der über zwei ihm bekannten Typen von Austritten aus dem Priestertum bemerkte: „Die einen landen vor dem Standesamt, die anderen vor dem Staatsanwalt.“
Da war und ist der Schritt nicht weit zu der Insinuation, dass sich die schwulen Kleriker in ihren Netzwerken gegenseitig die Opfer zuführen – dass die „schwulen Netzwerke“ also Täter-Netzwerke sind. Nun gibt es zwar Opferberichte, aus denen hervorgeht, dass es auch klerikale Netzwerke gab und gibt, die sich gegenseitig Opfer zuführen. Aber daraus kann man nicht viel schließen. Selbst wenn alle klerikalen Missbrauchstäter Schwule wären – was ja nicht der Fall ist –, würde daraus nicht folgen, dass alle schwulen Kleriker Täter sind oder unter Verdacht gestellt werden müssen, solche zu sein. (Aus der Tatsache, dass alle Mitglieder des Ku-Klux-Clans Weiße sind, kann man ja auch nicht schließen, dass alle [oder fast alle] Weißen Mitglieder des Ku-Klux-Clans sind.)
Auf dem Kongress „Unterwegs zu Heilung und Erneuerung“ der Gregoriana im Februar 2012 in Rom, der auf die Initiative von Benedikt XVI. zurückging, wurde die These vom Zusammenhang zwischen Homosexualität und sexueller Übergriffigkeit durch nüchterne Zahlen widerlegt. Die große Studie der amerikanischen Bischofskonferenz zu Ursachen und Kontexten des sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester, die auf dem Kongress zitiert wurde, stellt ausdrücklich fest: „Die klinischen Daten unterstützen nicht die Hypothese, dass Priester mit einer homosexuellen Identität eher Kinder sexuell missbrauchen als Priester mit einer heterosexuellen Orientierung“ (www.usccb.org/issues-and-action/child-and-youth-protection/upload/The-Causes-and-Context-of-Sexual-Abuse-of-Minors-by-Catholic-Priests-in-the-United-States–1950–2010.pdf).
Auch die von Stephen Rosetti im Kontext dargestellten Zahlen sprechen eine klare Sprache: Mehr als 95 Prozent der sexuellen Missbrauchstäter sind Männer. Die Mehrheit der Opfer sexualisierter Gewalt sind Frauen und Mädchen. Die Mehrheit der Missbrauchstäter sind Heterosexuelle. Bei Priestertätern ist die größte Opfergruppe die der postpubertären Jungen.
Die letzte Feststellung lässt nicht den Schluss zu, dass es eine besondere Anfälligkeit von Homosexuellen für sexualisierte Gewalt gibt. Sie lässt höchstens den Schluss zu, dass es eine signifikant hohe Zahl von homosexuellen Männern im Klerus der katholischen Kirche gibt. Das aber ist keine Neuigkeit. Sie war allerdings bisher noch nicht risikofrei aussprechbar. Als der Augsburger Pastoraltheologe Hanspeter Heinz 1996 zum ersten Mal in der deutschsprachigen Öffentlichkeit die Zahl der homosexuellen Priester in der katholischen Kirche auf 20 Prozent schätzte, wurde er wegen Beleidigung des Klerus beschimpft. Heute gehen die Schätzungen viel weiter. Die Rede von den „homosexuellen Netzwerken“ oder auch „schwulen Lobbys“ bestätigt nun ihrerseits indirekt eben diesen Sachverhalt und trägt somit zur Enttabuisierung des Tatbestandes bei.
Angenommen, es gäbe tatsächlich eine signifikant hohe Anzahl von Übergriffigkeiten und sexualisierter Gewalt durch homosexuelle Täter im Klerus – im Vergleich zu der Prozentzahl von Übergriffigkeiten und sexualisierter Gewalt in anderen Berufsgruppen –, so wäre auch dies noch kein Nachweis für einen besonderen Zusammenhang von Homosexualität und Missbrauch. Vielmehr würde sich der Schluss nahelegen, dass es eine signifikant große Anzahl von homosexuellen Männern im Klerus gibt, die kein reifes Verhältnis zu ihrer Sexualität haben.
Homosexuelle Kleriker können über ihre sexuelle Orientierung nicht reden
Dass es sich wahrscheinlich so verhält, hängt aber wiederum auch mit kirchlichen Strukturen zusammen. Die Kirchenleitung hat in den letzten Jahren mehrfach die Unvereinbarkeit von Homosexualität und Priestertum festgeschrieben, zuletzt noch einmal Benedikt XVI. selbst in seinem Interview-Buch „Licht der Welt“: „Homosexualität ist mit dem Priesterberuf nicht vereinbar“ (181). Sexuelle Reife lässt sich aber – auch und gerade im zölibatären Leben – nur dann erreichen, wenn man in der ersten Person Singular über die eigene Sexualität, über die eigenen Träume, Wünsche und Sehnsüchte sprechen kann. Im Falle der homosexuellen Priesteramtskandidaten kann das allein schon deswegen nicht funktionieren, weil sie damit ihre Zulassung zur Priesterweihe gefährden.
Wir stoßen hier also auf eine strukturelle Ursache für mangelnde Möglichkeiten gerade von homosexuellen Klerikern, in ihrer Sexualität zu reifen – übrigens auch mit einer schädlichen Nebenwirkung für heterosexuelle Kleriker und deren psycho-sexuelle Reifung. Denn zum einen schafft das Schweigegebot für die schwulen Kleriker ein Gerechtigkeitsproblem innerhalb des Klerus, welches wiederum das Schweigen über Sexualität generell verstärkt, zum anderen wird es den heterosexuellen Klerikern nicht ermöglicht, die homosexuellen Mitbrüder als solche kennenzulernen und die eigenen Ängste abzubauen, die für sie meist mit der ihnen fremden sexuellen Orientierung verbunden sind. Denn auch hier gibt es ein Gefälle: Homosexuelle wissen in der Regel, weil sie eine Minderheit sind, besser, was Heterosexuell-sein bedeutet, als Heterosexuelle in der Regel wissen, was Homosexuell-sein bedeutet.
Das Zulassungsverbot von Homosexuellen zur Priesterweihe erreicht nicht sein Ziel, dass homosexuelle Männer auch tatsächlich nicht geweiht werden. Das Gegenteil ist der Fall. Homosexuelle Männer werden zu Priestern geweiht. Keiner bestreitet das inzwischen mehr. Manchmal wissen die Bischöfe nicht, dass unter den Kandidaten einige sind, die schwul sind. Manchmal wissen die Kandidaten es zum Zeitpunkt der Weihe auch selbst nicht. Es gäbe jedenfalls vor der Priesterweihe viele Fragen zu besprechen, die auf Grund der Zulassungsstruktur in der Priesterausbildung gar nicht offen besprochen werden können.
Viele homosexuelle Männer fühlen sich gerade deswegen – bewusst oder unbewusst – vom Priestertum angezogen, weil ihnen das Schweigen über ihre eigene Sexualität sogar entgegenkommt; weil sie ihre sexuellen Empfindungen mit einem tiefen Schuldgefühl verbinden und deswegen den Zölibat als eine Lebensform erstreben, in der sie die konstruktive, bewusste Auseinandersetzung mit ihrer Sexualität vermeiden können. Nebenbei: Vielleicht würde im Umkehrschluss die offizielle Zulassung von Homosexuellen zur Priesterweihe genau deshalb, weil nun darüber gesprochen werden kann und muss, bewirken, dass weniger Homosexuelle Priester werden wollen.
Solche Kandidaten werden sich den Zugang zum rettenden Hafen Zölibat nicht durch offene Worte zubauen. Andere homosexuelle Kandidaten wissen um sich und lügen, wenn sie vor der Priesterweihe nach ihrer sexuellen Orientierung befragt werden, da sie damit rechnen müssen, dass sie sich mit dem Aussprechen der Wahrheit selbst ausschließen; sie leben dann für den Rest ihres Priester-Daseins mit dem lähmenden Gefühl, sich die Priesterweihe erschlichen zu haben. Andere erleben ihr homosexuelles Coming-Out erst nach der Priesterweihe und unterwerfen sich einem Schweigegebot, entweder indem sie das dunkle Geheimnis für sich selbst und einen kleinen privaten Kreis behalten, oder indem sie sich auf die „Lösung“ der kirchlichen Autorität für solche Fälle einlassen. Diese gestattet ihnen nur dann, Priester zu bleiben, wenn sie ihre Sexualität nicht im Forum externum thematisieren.
Wer einmal erlebt hat, was mit homosexuellen Priestern geschieht, die in der ersten Person Singular über ihre Sexualität außerhalb des Forum internum reden, der wird besser verstehen, warum es aus Schutzgründen vielleicht sogar tatsächlich besser ist, homosexuellen Priestern in der katholischen Kirche das Schweigen zu empfehlen. Der Sturm homophober Gewalt lässt keine Möglichkeit aus, einen solchen Priester persönlich zu diskreditieren und moralisch zu vernichten. Das aber lässt wiederum den Rückschluss zu, dass die Existenz subkultureller „homosexueller Netzwerke“ im katholischen Klerus auch eine strukturelle Ursache hat: Homosexuelle Kleriker gefährden sich eben selbst, wenn sie der Wahrheit die Ehre geben.
Noch ein Nachtrag zur Missbrauchsthematik: Das Zulassungs- und Redeverbot für homosexuelle Kleriker hat, wie die jüngsten Aufklärungsberichte gezeigt haben, auch einen dramatischen Aspekt für die Aufklärung von Missbrauch. Homosexuelle Kleriker sind erpressbar, wenn sie sich dem Schweigegebot auf diese oder jene Weise unterwerfen. Die angemessene Reaktion der Kirchenleitung auf Missbrauchsfälle ist in manchen Fällen auch daran gescheitert, dass die verantwortlichen Personen zu wenig innere Freiheit hatten, die Täter zu konfrontieren und im Fall der Fälle anzuzeigen. Denn sie mussten damit rechnen, dass sie selbst von den angezeigten Missbrauchstätern als Homosexuelle „bezichtigt“ oder „geoutet“ werden und hielten sich deswegen zurück. Deswegen wäre eine der wichtigsten strukturellen Präventionsmaßnahmen gegen Vertuschung von sexuellem Missbrauch durch Priester, dass das Schweigegebot aufgehoben wird.
Die homosoziale Struktur des Klerus wird männerbündisch verengt
Papst Franziskus bezeugt, dass es die „schwule Lobby“ im Vatikan gibt – und wenn es sie an der Spitze der Kirche gibt, dann wird es sie vermutlich nicht nur dort geben, denn die Spitze verteilt Ämter, Zugänge und Zugehörigkeiten weltweit. Mit seinem offenen Wort ermöglicht es der Papst, diese Realität näher in den Blick zu nehmen. Hier deutet sich vielleicht sogar schon eine inhaltliche Richtung der von ihm gewünschten Kurienreform an.
Der Begriff der „schwulen Lobby“ stammt aus dem Arsenal der homophoben Kampfsprache. Kampfsprache lebt von Feindbildern: Der Begriff „Lobby“ insinuiert eine organisierte, informell agierende Gruppe mit klaren strategischen Zielen und einem taktischen Plan. Kampfsprache erzeugt auch Verengungen: „Schwule Lobby“ insinuiert, dass alle, die sich für Rechte von Schwulen und Lesben engagieren, selbst schwul oder lesbisch sind – was offensichtlich nicht stimmt. Wie also ist das vom Papst Gemeinte zu verstehen, wenn man den Begriff aus den Assoziationen der Kampfsprache ein wenig herausholt?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es Lobbys gibt, die die Themen, Anliegen und politischen Ziele von homosexuellen Frauen und Männern in Gesellschaft und Kirche aktiv vertreten. Die Diskussion der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass sie ihre Anliegen durchaus auch mit Erfolg vorangebracht haben. Man mag sich über manche ihrer Anliegen und Ziele ärgern. Aber der Lobbyismus an sich ist nichts Verwerfliches. Lobbyismus, Interessenvertretung gehört in die gesellschaftliche Auseinandersetzung hinein, genauso wie andere Gruppen ihre Anliegen und Interessen gezielt in die öffentliche Debatte einbringen und dort vorantreiben können. Nur darf man daraus zweierlei nicht schließen: Zum einen, dass alle Personen, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzen, selbst schwul oder lesbisch sind. Schließlich geht es ja – hier sei nur an die Auseinandersetzung um den § 175 erinnert – um Fragen der Menschenrechte, und diese gehen alle an. Zum anderen, dass es sich um Verschwörungen und heimlich agierende Seilschaften handelt, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen.
Im Kontext der katholischen Realität ist der Begriff „schwule Lobby“ allerdings für beide Missverständnisse offen: Es gehe um eine Lobby von Schwulen, und sie agiere als verschwörerische Seilschaft in einer systematisch aufgebauten Subkultur. Ob das Letztere in Wirklichkeit der Fall ist oder nicht, kann ja allein schon deswegen nicht verifiziert oder falsifiziert werden, weil schwule (Kleriker) nicht sagen dürfen, dass sie schwul sind, und weil sich das „schwule Netzwerk“ von Klerikern um sie herum aus naheliegenden Gründen hüten wird, sich entsprechend zu bekennen.
Außerhalb der Kampfsprache bietet sich ein Wort der Kulturwissenschaft an: „Homosozialität“. In Männerorden sind nur Männer, in Frauenorden nur Frauen, in Jungenschulen nur Jungen, in Mädchenschulen nur Mädchen, im linken Kirchenschiff sitzen nur Frauen, im rechten Kirchenschiff sitzen nur Männer, und so weiter. Niemand käme auf die Idee, aus dieser Zusammensetzung auf die sexuelle Orientierung der Beteiligten zu schließen. Homosozialität gibt es in verschiedensten Ausprägungen in allen Kulturen und zu allen Phasen menschlichen Lebens. Zum Zusammenleben der Geschlechter gehört ein ständiges Spiel von Nähe und Distanz, auch in Gruppenkonstellationen.
Homosozialität wird allerdings zum Problem, wenn sie sich mit Macht verbündet, Machtzugänge verschließt und ausgrenzt. Die Frauenbewegung hat dafür den Begriff der Männerbündigkeit entwickelt. Männer-Homosozialität wird zur „Männerbündigkeit“, wenn sie sich gegenüber dem anderen Geschlecht verschließt und zum Selbstzweck wird. Homosoziale Gruppen sind anfällig für „Bündigkeit“, wenn sie gerade deswegen besonders attraktiv sind, weil sie homosozial strukturiert sind. Am Beispiel des Klerus in der katholischen Kirche bedeutet das: Wenn der Priesterberuf seine Attraktivität vornehmlich deswegen hat, weil man dort unter Männern sein kann, dann wird die homosoziale Struktur des Klerus männerbündisch verengt.
Mit der Männerbündigkeit entwickelt der Klerus auch eine frauenfeindliche Außenseite. Er strahlt eine gegenüber Frauen exklusive Atmosphäre aus. Das Exklusive macht ihn für die einen attraktiv, für die anderen, insbesondere für die Frauen zum Problem. In der Kirchenleitung scheint sich nun immer mehr die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Männerbündigkeit des Klerus ein Problem für die ganze Kirche ist. Anders ausgedrückt: Man kann vermutlich über „schwule Lobbys“, wenn man schon bei diesem Begriff bleiben will, in der Kirche nicht reden, ohne die Frauenfrage mit anzusprechen.
David Berger veröffentlichte im Sommer 2010 ein Buch mit dem Titel „Der Heilige Schein“, das bis heute in der Kirche auf lautes Schweigen stößt, vielleicht gerade deswegen, weil hier ein katholischer und zugleich bekennend schwuler Theologe beschreibt, wie er die Männerbündigkeit in der Kirche konkret erlebt hat (vgl. HK, Juli 2011, 323). Man muss nicht mit allen Schlussfolgerungen des Autors einverstanden sein, um nicht doch die Konsistenz der Beobachtung anerkennen zu können – auch vor dem Hintergrund von Erfahrungen, die andere aus den Männerbünden der Kirche berichten.
Dazu gehört auch die banale Erkenntnis: Man kann aus der Tatsache, dass ein Kleriker besonders heftig gegen Homosexualität und Homosexuelle polemisiert, nicht schließen, dass er selbst heterosexuell ist. Im Gegenteil. Die härteste Homophobie kommt von denjenigen, die ihre eigene Homosexualität verleugnen, vor anderen oder gar vor sich selbst. Ob dahinter Naivität oder Dreistigkeit steckt, mag man im Einzelfall entscheiden. Wenn männerbündisch strukturierte Kämpfer gegen die „Homo-Lobby“ zum Kampf blasen, ist in der Regel „Unterscheidung der Geister“ angesagt (zum Begriff „Unterscheidung der Geister“ vgl. Ignatius von Loyola, Exerzitien, Nr. 313 ff.).
Bei vielen aufmerksamen Beobachtern haben der Vatikan und die Kirchenleitung in den letzten Jahre vermehrt den Eindruck hinterlassen, es spielten bei ihrem Kampf gegen „Homo-Lobbys“ nicht nur, aber auch zwei Typen von abgespaltener Homosexualität männerbündisch zusammen: Die einen, die sich ihrer sexuellen Orientierung nicht bewusst sind, und die anderen, die sich ihrer bewusst sind. Die Letzteren werden von den Ersteren getragen. Anders ist es nicht zu verstehen, warum diffamierende rechtskatholische Internetportale mit ihrer erbärmlichen homophoben Sprache bis in höchste Kreise der Kirchenleitung so viel Gehör und Unterstützung gefunden haben und auch noch finden.
Meist ein sehr frommes Vokabular
Es geht bei dem von Papst Franziskus verwendeten Begriff nicht um eine „schwule Lobby“ im Sinne einer organisierten Verschwörung finsterer Subjekte, die schwul sind und genau wissen, was sie wollen. Das Problem ist schärfer: Es gibt Bünde im Klerus, die sich untereinander sehr wohl fühlen, sich in dem männergeprägten Umgangsstil gegenseitig verstehen und sich die Bälle zuspielen. Sie verteilen untereinander Titel, Posten und Zugänge. Es mag unter ihnen auch einige geben, die wissen, was sie tun; die ein dezidiertes Doppelleben führen; die gezielte machtstrategische Spiele spielen – bei denen es allerdings nicht um dieselben Ziele geht wie die der von ihnen angeprangerten „Homo-Lobby“. All dies geschieht mit einem tief sitzenden Unverständnis dafür, dass es andere in derselben Kirche gibt, die sich an dieser Form der Verbündung und Interessenvertretung stoßen, zumal sie meist mit sehr frommem Vokabular daherkommt.
Papst Franziskus hat am Gründonnerstag 12 Strafgefangenen die Füße gewaschen, darunter zwei Frauen. Die Empörung, die seither diesem Papst entgegenweht, entspringt genau dem Geist, der in den klerikalen Männerbünden gepflegt wird. Offensichtlich hat diese schlichte Geste des Papstes die „schwule Lobby“, oder besser gesagt: die „Männerbünde“ in der Kirche besonders getroffen. Papst Franziskus wird sich hoffentlich nicht einschüchtern lassen. Die Männerbünde entmachtet man am einfachsten dadurch, dass man einfach das macht, wovor sie am meisten Angst haben: Sich öffnen, an die Ränder gehen, den Stallgeruch der Schafe annehmen. In der ignatianischen Tradition heißt das ganz einfach: agere contra.